Markusevangelium

Das rätselhafte ἐπιβαλὼν

Dreimal verleugnete Petrus seinen Herrn, wie es Jesus selbst ihm angekündigt hatte. Im Markusevangelium wird uns diese Begebenheit im 14. Kapitel, in den Versen 66–72 berichtet. Am Ende des Berichtes, in Vers 72, bricht Petrus in Tränen aus. Doch was geschieht in diesem 72. Vers wirklich?

Die gängigsten deutschen Übersetzungen zeigen mit ihrer unterschiedlichen Wiedergabe des griechischen Textes, dass hier eine gewisse Schwierigkeit beim Erfassen des Wortlautes besteht.

So übersetzt Luther schlicht: „Und er fing an zu weinen.“ Ganz ähnlich übersetzen die Einheitsübersetzung und die Gute Nachricht Bibel. In der Schlachter-Übersetzung (1951) lautet der letzte Satz von Vers 72: „Und er verhüllte sich und weinte.“ In der Neuen Genfer Übersetzung heißt es dann wieder einfach: „Und er brach in Tränen aus.“ Hermann Menge übersetzt hingegen: „Als er daran dachte, brach er in Tränen aus.“

Die Schwierigkeit besteht hier in der Wiedergabe des griechischen Wortes ἐπιβαλὼν, dass in der Regel die Bedeutung auflegen, anlegen, werfen auf, überwerfen oder sich werfen auf, zufallen, zukommen hat. Doch so recht passen will in Mk 14,72 keine dieser Möglichkeiten. Daher gehen vier der sechs oben erwähnten Übersetzungen der Wiedergabe dieses Wortes ganz dezent aus dem Wege, indem sie es einfach beiseitelassen, während es die beiden anderen, nämlich Schlachter und Menge, ganz unterschiedlich wiedergeben.

Unter dem Titel „Das rätselhafte ἐπιβαλὼν“ hat der Marburger Altphilologe Dr. Erich Seitz sich dem Problem gewidmet und eine, wie ich finde, sehr beachtenswerte Antwort erarbeitet. Sein Beitrag ist in „Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt“ (Serie A, Band 27, 1999) erschienen und kann hier als PDF heruntergeladen werden: www.kidoks.bsz-bw.de

Dies ist ein Gastbeitrag von Johannes Otto.

Schrieb ein Zeitzeuge das Markusevangelium?

Dass das Markusevangelium  von einem Zeitzeugen Jesu Christi geschrieben wurde, vermutet der US-amerikanische Handschriftenforscher Prof. Daniel B. Wallace (Dallas/Texas). idea meldet:

Er hat nach eigenen Angaben sieben Fragmente mit Auszügen aus dem Neuen Testament entdeckt, von denen sechs aus dem zweiten Jahrhundert stammten und eins aus dem ersten. Dabei handele es sich um einen Auszug aus dem Markus-Evangelium. Diese Datierung habe ein von Wallace namentlich nicht genannter Handschriftenexperte als gesichert bestätigt. Wallace kündigte an, Details über Fundort, Datierung und Inhalt im nächsten Jahr zu veröffentlichen. Die bisher ältesten Abschriften des Markus-Evangeliums stammen aus dem frühen dritten Jahrhundert. Experten sind sich einig, dass eine Bestätigung von Wallaces Vermutung zu einer neuen Sicht über die Entstehung der Evangelien führen werde. Zum einen würde sich herausstellen, wie gut die späteren Handschriften mit der ursprünglichen Fassung übereinstimmen, und zum anderen wäre dies ein Hinweis darauf, dass die Verfasser der Evangelien zeitlich sehr nahe an den Berichten über das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi waren.

Wallace ist eigentlich kein medienvernarrter Stimmungsmacher, sondern ein solider Neutestamentler. Wir müssen auf weitere Erklärungen und Materialien warten.

Ich erinnere mich noch an Vorlesungen von Carsten-Peter Thiede, der 1984 – Hypothesen von José O’Callaghan aufnehmend –, das Papyrusfragment 7Q5 Mk 6,52f zuordnete (das Buch habe ich noch). Thiede war sehr davon überzeugt, mit der abgeleiteten Frühdatierung von Markus richtig zu liegen. Durchsetzen konnte sich seine Theorie allerdings nicht.

Zu Wallace siehe auch hier: evangelicaltextualcriticism.blogspot.com.

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