Nadia Bolz-Weber

„Unverschämt schamlos“ – Das neue Buch von Nadja Bolz-Weber bringt keine Befreiung

Mehrfach habe ich im TheoBlog über Thesen der in emergenten Kreisen so beliebten Nadia Bolz-Weber berichtet (vgl. hier u. hier). Im Frühjahr 2019 ist ihr Buch Unverschämt schamlos im Brendon-Verlag erschienen. Michael Pieper hat das Buch gelesen und stellt hier seine Buchbesprechung freundlicherweise zur Verfügung. Vielen Dank!

Nadja Bolz-Weber, „Unverschämt schamlos – mein Plädoyer für eine sexuelle Reformation“

Bolz WeberNadja Bolz-Weber fordert in Unverschämt schamlos schon im Titel eine sexuelle Reformation. Mit dieser Anspielung auf die protestantische Reformation vor über 500 Jahren stellt sie sich auf die Seite der Guten.

Sie beginnt mit dem „scheußlichen Gesetz“. North Carolina hat beschlossen, dass jeder auf die Toilette gehen muss, die seinem Geschlecht zugeordnet werden kann. Hilfsweise das Geschlecht, welches im Führerschein eingetragen ist. Sie erzählt viele Geschichten aus dem Leben ihrer Gemeindemitglieder, einer Kirche mit Namen „House for all Sinners and Saints“ in Denver. Da ist beispielsweise Cecilia, die mit dem Sex bis zur Ehe wartete – so hatte sie das in ihrer Kirche gelernt – und dann an den Falschen geriet. Dieser Mann betrog sie und sie betrog ihn daraufhin ebenfalls – um besser mit seinem Betrug klar zu kommen. Bolz-Weber spricht Cecilia von aller Schuld frei: „Da ist überhaupt nichts Falsches dran.“ Was sich anhört wie eine drittklassige TV-Soap, ist so ziemlich genau das Muster, das sich in „Unverschämt-schamlos“ andauernd wiederholt. Die Namen ändern sich, die sexuelle Orientierung der Protagonisten auch. Schämen muss sich in ihrem Buch eigentlich nur derjenige, der noch glaubt, die Bibel gebe irgendeinen Rahmen für Sexualität.

Eine biblische Sexualethik, wie sie in konservativen Gemeinden zum Teil noch vertreten werde, zerstöre Menschen. So könnte man ihr Buch kurz zusammenfassen. Das Wort Sexualethik impliziert hier allerdings fälschlicherweise, dass es Schranken oder gar Verbote bei Bolz-Weber gäbe; ich habe allerdings keine gefunden. Doch auch die Autorin erkennt, dass dies nicht möglich ist, ohne die Bibel in weiten Teilen umzudeuten. So findet man auf Seite 96 eine Szene, in der sie mit ihrer lesbischen Freundin gemeinsam Seiten aus der Bibel reißt und verbrennt, um mit sich selbst wieder versöhnt zu sein.

Für sie sei der Sündenfall eine Erfindung Augustinus’, weil dieser eine Erektionsstörung in einem römischen Bad hatte (vgl. S. 59). „Augustinus hätte nämlich Scham empfunden über seine eigenen sexuellen Neigungen wie auch Reue über sein ausschweifendes Verhalten vor seiner Bekehrung zum Christentum.“ Das sei „Psychokacke eines einzigen Mannes“. Erstaunlich, dass sie als Quelle einen Artikel im „New Yorker“ vom 19.7.2017 angibt. Nicht gerade theologische Fachliteratur! Wer in diesem Buch eine ordentliche, in Ansätzen wissenschaftliche Auseinandersetzung erwartet, bleibt leider schwer enttäuscht.

Grundproblem sei die Hegemonie des Mannes, die in häretischer Weise mit dem 1. Buch Mose begründet werde. Diese Häresie definiert sie mit einem Zitat von Schleiermacher: „Was den Schein des Christentums wahrt und dennoch seinem Wesen widerspricht.“ „Jeden Tag erdulden Frauen unzählige Arten von Akten männlicher Dominanz“ (S. 56). Frauenrollen in konservativen Gemeinden seien reduziert auf „schön aussehen für den Ehemann“ und „Dienerin sein“.

Sehr spannend ist die sogenannte Denver-Erklärung (S. 126), die von ihr und ihren queeren Gemeindemitgliedern als Antwort auf die Nashville Erklärung geschrieben wurde. So schreibt sie z.B.:

  • „Wir bekräftigen, dass Gott uns als sexuelle Wesen in endloser Vielfalt geschaffen hat. Wir lehnen ab, dass die einzige Erscheinungsform der Sexualität, die als heilig angesehen werden kann, die eines cis-gender und heterosexuell orientierten Ehepaars ist, das mit dem Sex bis zur Heirat wartet.“
  • „Wir bekräftigen, dass Christus uns zur Freiheit befreit hat … (hier stehen wir; wir können nicht anders) … Wie lehnen ab, dass es Sünde ist, queere Identitäten zu befürworten und dass eine solche Befürwortung eine essenzielle Abkehr von christlicher Treue und christlichem Zeugnis darstellt.“

Geht man weg von einer biblisch fundierten Sexualethik, hat das Auswirkungen auf die Frage nach dem Menschsein und dem Wert des Menschen. Fast konsequent erkennt man das an ihrer Haltung zur Abtreibung, die sie befürwortet. Sie selbst hat abgetrieben. Einerseits erinnert sie sich: „Manchmal rechne ich. Wie alt wäre das Kind …“ Letztlich kommt sie aber doch zu dem Schluss: „Zutiefst wahr ist, dass ich nie, selbst nachdem ich Kinder hatte, selbst nachdem ich Pastorin geworden bin, auch nur eine einzige Minute lang meine Entscheidung bereut habe. Sie war richtig“ (S. 146). So richtig glauben kann man ihr das nicht.

Sehr spannend sind auch ihre historischen Ausflüge, denen zufolge Evangelikale eigentlich immer für Abtreibung gewesen seien. Abtreibung sei erst ab 1968 zum politischen Kampfthema gemacht worden. Man suchte einfach ein neues, einendes Thema, nachdem man politisch nicht verhindern konnte, dass Schwarze die christlichen Privatschulen besuchen.

Es macht tieftraurig, dieses Buch zu lesen. Die Sorge, dass sich junge Evangelikale der immer lauter schreienden hedonistischen Gegenwartskultur anpassen werden, ist sicherlich nicht unbegründet.

Mein Kommentar zu Unverschämt schamlos auf der Shopseite des SCM ist fast sechs Wochen gesperrt und erst nach einem persönlichen Anschreiben an die Geschäftsführung veröffentlicht worden. Es ist erstaunlich, dass ein christlicher Verlag, der Brendow-Verlag, dieses Buch herausgegeben hat und ein christlicher Büchershop es sogar mit dem Versprechen eines „befreiten Lebens“ bewirbt.

Michael Pieper

Nadia Bolz-Weber: Unverschämt schamlos

419UtxiqmGL SX327 BO1 204 203 200Ich habe im Februar unter „Warum Pastorin Nadia Bolz-Weber für das Abtreibungsrecht kämpft“ den Verdacht geäußert, dass ihr desaströses Buch über die Sexuelle Revolution im Christentum bald in Deutschland erscheinen wird. Nun ist es soweit. Unverschämt schamlos ist im christlichen Brendow-Verlag erschienen und wird mit folgenden Worten beworben:

Sex sollte etwas Besonderes und Erfüllendes sein. Doch ständig scheinen Christen irgendein Problem mit dem Thema zu haben. Oder anders gefragt: Wenn der Kirche Sex so wichtig ist, warum scheitert sie so oft daran, Menschen darin zu begleiten und zu unterstützen? Und warum erzählt sie so wenig von der leidenschaftlichen Seite der Sexualität, wie sie im Hohelied der Bibel beschrieben ist? Stattdessen scheinen Christen geradezu besessen davon zu sein, im Umgang mit dem eigenen und anderen Geschlecht nur ja alles richtig machen zu wollen mit oft verheerenden seelischen Folgen für die Betroffenen. Schamlos erzählt Nadia Bolz-Weber von ihren eigenen Erfahrungen und lässt Menschen zu Wort kommen, denen aufgrund ihrer Gefühle, Empfindungen oder sexuellen Vorstellungen Scham und Schuld auferlegt wurde. Sie will aufklären, welche Schaden all diese Moralvorstellungen angerichtet haben und fordert eine Reformation der Kirche in Sachen Sex.

Das Medienmagazin Pro hat eine hilfreiche Rezension veröffentlicht. Darin heißt es:

Nadia Bolz-Weber ist so etwas wie der Star der Emergenten und progressiven Evangelikalen – und zwar vor allem wegen ihres Umgangs mit dem Thema Homo- und Transsexualität. Die US-Pastorin hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht, in denen sie über ihre Bemühungen berichtet, LGBTI-Menschen in die christliche Gemeinde zu integrieren. Sie selbst stammt aus einem streng religiösen Elternhaus, kritisiert eine Gesetzlichkeit der Evangelikalen, bemüht sich aber auch um eine Verbindung der frommen und ihrer eigenen liberalen lutherischen Lebenswelt.

Und weil die volltätowierte Theologin gerne aneckt, ja, unter anderem deshalb sogar gefragte Rednerin und Buchautorin geworden ist, dürfte es niemanden wundern, dass sie nun das wohl heißeste Eisen anfasst, dass bei Christen im Feuer liegt: Sex. Zunächst auf Englisch hat sie Ende Januar ein Buch veröffentlich, das nicht weniger fordert als eine sexuelle Reformation. Der Autorin geht es darum, Sex aus der Verbotszone christlicher Gemeinden herauszuholen. Ihr Plädoyer kann so zusammengefasst werden: Was im Schlafzimmer von Christen geschieht, soll nicht dort bleiben. Es braucht einen offenen Umgang mit Sexualität und eine Abschaffung althergebrachter und fälschlicherweise als biblisch verstandener Ideen wie der Ablehnung von gleichgeschlechtlicher Liebe oder Sex vor der Ehe.

So einfach ist das. Mit der Verletzung eines Tabus lässt sich – zumindest im frommen Raum – immer noch gutes Geld verdienen.

Mehr: www.pro-medienmagazin.de.

Warum Pastorin Nadia Bolz-Weber für das Abtreibungsrecht kämpft

Nadia Bolz-Weber ist in Deutschland keine Unbekannte. Die lutherische Gemeindegründerin und Pastorin ist etwa mit Christina Brudereck aufgetreten, der Brendow Verlag hat eines ihrer Bücher veröffentlicht, die ZEIT sprach wohlwollend mit ihr über den Reformstau in der Kirche. Tobias Faix ist von dieser wortstarken und tollen Frau begeistert, das MEDIENMAGAZIN PRO berichtete sogar davon, dass laut Nadia Bolz-Weber deutlicher über Sünde gesprochen werden müsse.

Reden wir über Sünde.

Nadia Bolz-Weber hat ein neues Buch geschrieben und ich vermute, es wird demnächst in den christlichen Buchläden Europas landen. Es verkauft sich in den USA bereits blendend. Sex sells. In Shameless: A Sexual Reformation tritt sie als Sexualreformerin auf und beschreibt, wie konservative christliche Normen rund um die Sexualität die Gläubigen in jedem Aspekt ihres Lebens beeinflussen, sagen wir besser: „beschädigen“.

Die progressiven Rezensenten werden jubeln. Endlich stellt mal wieder jemand die „strenge“ christliche Sexualethik auf den Prüfstand und ermutigt zu mehr experimenteller Freiheit (vgl. Die „Neue-Sex-Perspektive“).

Die Freiheit, die Nadia Bolz-Weber einfordert, hat freilich ihren Preis. Gezahlt wird dieser von den Schwächsten, etwa von den Ungeborenen, die bei einem Schwangerschaftsabbruch getötet werden. Die grenzenlose Gnade, die Nadia Bolz-Weber so gern predigt, stößt an Grenzen, wenn es um die uneingeschränkte Selbstentfaltung sexuellen Begehrens geht. Den kleinen Kindern, die sich nicht wehren können, gilt sie nicht. Pastorin Bolz-Weber, die selbst abgetrieben hat und ihre Entscheidung nicht bereut, ist Aktivistin der Pro-Choice Bewegung und plädiert leidenschaftlich für das Recht auf Abtreibung.

Sie tut das bewusst als Christin und begründet ihre Position theologisch: In 1. Mose heißt es nämlich, dass der Mensch genau dann eine lebendige Seele wurde, als Gott ihm den Odem in seine Nase geblasen hat. Es muss also einen Zusammenhang zwischen Menschsein und Atem geben. „Diese Idee, dass Leben und Atem miteinander verbunden sind, ist etwas, woran die Menschen festhalten können, wenn sie immer noch eine Bindung an das jüdisch-christliche Denken haben.“ Der Mensch ist erst ein Mensch, wenn er atmet und so könne eine Frau bis zu dem Moment, in dem das Kind nach Luft schnappt, entscheiden, „ob sie die Schwangerschaft durchzieht oder nicht“, sagte sie im Januar 2019 in einem Interview mit NPR.

Miese Exegesen können fatale Konsequenzen haben. Oder: Wie gern instrumentalisieren wir doch die Heilige Schrift für unsere unheiligen Interessen.

Das ist die gleiche Argumentationslinie, mit der Hillary Clinton an die Öffentlichkeit ging: „Eine ungeborene Person hat keine verfassungsmäßigen Rechte“. Die Begründung ist freilich unchristlich. Um es mal mit Karl Barth zu sagen: „Das ungeborene Kind ist nämlich vom ersten Stadium an ein Kind, ein noch keimender, noch unselbständig lebender Mensch, aber ein Mensch, kein Etwas, nicht nur ein Teil des Mutterleibes“ (KD, § 55 Freiheit zum Leben, S. 473).

Warum die Befürwortung des Schwangerschaftsabbruchs nicht mit der Entmenschlichung eines Ungeborenen begründet werden sollte, erklären Jonathan Leeman und Matthew Arbo in ihrem Beitrag: „Why Abortion Makes Sense“.

Nadia Bolz-Webers Theologie

Der Lutheraner Chris Rosebrough, bekannt für seine Radiosendung Fighting for the Faith, spricht in diesem Interview über seine Freundschaft mit Nadia Bolz-Weber und ihre postmoderne, erfahrungsorientierte Theologie (siehe auch hier und hier). Das Gespräch mit der Issues, Etc.-Redaktion hilft Einsteigern, den Ansatz der „Sowohl-als-auch-Theologie“ zu verstehen (leider nur in englischer Sprache):

 

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