Nationalsozialismus

„Night Will Fall“

Im FrĂŒhjahr 1945 entdecken die Alliierten das Konzentrationslager Bergen-Belsen in der LĂŒneburger Heide. Aus dem Entsetzen ĂŒber die dort gesehenen Grausamkeiten entsteht das Verlangen, diese filmisch zu dokumentieren. Renommierte Regisseure wie Alfred Hitchcock und Billy Wilder werden beauftragt, aus dem Rohmaterial Dokumente fĂŒr die AufklĂ€rung der Bevölkerung entstehen zu lassen.

Unter dem Eindruck des beginnenden Kalten Krieges scheint es plötzlich nicht mehr ratsam, die westdeutsche Bevölkerung nachhaltig mit ihren Verfehlungen zu konfrontieren. Der Film landet unvollendet in den Archiven, eine Filmrolle gilt sogar als verschollen. Nach jahrelangen Recherchen und neu aufgetauchtem Material ist es dem „Imperial War“-Museum nun gelungen, den Hitchcock-Film zu rekonstruieren. Er wurde im Rahmen der Berlinale 2014 erstmals öffentlich in Deutschland aufgefĂŒhrt.

Der Dokumentarfilm „Night Will Fall“ zeigt die Wiederherstellung des Films und liefert bisher ungesehene Bilder aus den befreiten Konzentrationslagern. Ich habe die Dokumentation, die heute (also am 26.01.2015) um 23.30 Uhr bei der ARD ausgestrahlt wird, bereits gesehen. Mir stockte mehrfach der Atem. Was man dort gezeigt bekommt, ist unvorstellbar abgrĂŒndig. Obwohl die Bilder und Zeugenberichte fast nicht zu ertragen sind, will ich diesen Blick in das finsterste Kapitel deutscher Geschichte empfehlen.

Heideggers finsteres VermÀchtnis

41JCuufyXGL._Derzeit ist in den Feuilletons ein Satz hĂ€ufig zu hören oder zu lesen: „Die Katze ist aus dem Sack!“ Worum geht es? Der deutsche Philosoph Martin Heidegger fĂŒhrte in der Zeit von 1931 bis zum Anfang der siebziger Jahre mit Unterbrechungen geheime DenktagebĂŒcher, die sogenannten Schwarzen Hefte. Nur wenige Familienangehörige und Geliebte bekamen AuszĂŒge aus den vierunddreißig Wachstuchheften zu sehen (einige Zitate waren allerdings in Frankreich bekanntgeworden). Sonst konnte nur vermutet werden, dass da noch etwas passiert. GegenĂŒber Vertrauten hatte Heidegger gelegentlich bemerkt, er habe die Katze noch gar nicht aus dem Sack gelassen. Er verfĂŒgte testamentarisch, dass die Hefte erst am Schluss der Werkausgabe publiziert werden. Nun sind die ersten drei BĂ€nde der Manuskripte beim Verlag Vittorio Klostermann erschienen (der erste Band: M. Heidegger: Gesamtausgabe. 4 Abteilungen / Überlegungen II-VI: (Schwarze Hefte 1931-1938).

Der Inhalt ist so bedrĂŒckend, dass der Fachwelt der Atem stockt. Selbst HeideggerschĂŒler, die bisher ihren Lehrer gegen die lĂ€ngst bekannte „NazinĂ€he“ (vgl. dazu Victor FarĂ­as: Heidegger und der Nationalsozialismus u. von Holger Zaborowski: â€žEine Frage von Irre und Schuld?“: Martin Heidegger und der Nationalsozialismus) verteidigt haben, gehen inzwischen die Argumente aus. Thomas Assheuer kommentiert fĂŒr DIE ZEIT:

Die Hefte sind ein philosophischer Wahnsinn und in einigen Abschnitten ein Gedankenverbrechen. Es gibt nun keine Beruhigung mehr. Die treuherzige Geschichte, Heidegger habe sich nur kurz, nur fĂŒr einen Wimpernschlag der Weltgeschichte, vom Faschismus verfĂŒhren lassen, ist falsch. Selbst dort, wo er zu Hitler auf Distanz ging, tat er es nicht aus moralischer Empörung; er tat es, weil er sich vom Regime mehr erhofft hatte. „Aus der vollen Einsicht in die frĂŒhere TĂ€uschung ĂŒber das Wesen des Nationalsozialismus ergibt sich erst die Notwendigkeit seiner Bejahung, und zwar aus denkerischen GrĂŒnden.“

Die Aufzeichnungen durchzieht eine rĂŒde Kritik des Juden- und Christentums (zu Heideggers Abkehr vom Katholizismus siehe hier), aber auch das EingestĂ€ndnis, er habe in seinem Hauptwerk Sein und Zeit den einzelnen Menschen ĂŒberschĂ€tzt. Heidegger hofft nun auf den totalitĂ€ren Staat, erkennt jedoch bald, dass auch der Nationalsozialismus dem Sein nicht zum Durchbruch verhilft. Nur ein Gott kann uns noch retten, sollte er spĂ€ter sagen. Er meinte damit nicht den jĂŒdisch-christlichen Gott, sondern den Gott eines neuen Heidentums, einen Gott, mit dem sich der Mensch solidarisiert.

Die Tatsache, dass genau der Philosoph, der neben Nietzsche den Eintritt in das spĂ€tmoderne oder postmoderne Denken maßgeblich mitbestimmt hat, die Menschen, insbesondere die Juden, zutiefst verachtet und den deutschen Staat vergöttert hat, wird Anlass dafĂŒr geben, das Erbe der hermeneutischen und existentialistischen Philosophie noch einmal genauer zu betrachten. Die Elite der Dekonstruktion, unter ihnen der aus Litauen stammende Emmanuel Levinas oder die Franzosen Michel Foucault und Jacques Derrida, steht in der denkerischen Schuld Heideggers.

Wer einen Eindruck von der ErschĂŒtterung haben möchte, die derzeit die Philosophenwelt erfasst, sollte sich die SWR2-Sendung „Heideggers ‚Schwarze Hefte‘“ anhören. Zur GesprĂ€chsrunde gehören Prof. Dr. Micha Brumlik (Philosoph, Senior Advisor des Zentrums fĂŒr JĂŒdische Studien, Berlin/Brandenburg), Prof. Dr. Rainer Marten (Philosoph, UniversitĂ€t Freiburg) und Prof. Dr. Peter Trawny (Philosoph, Herausgeber von Martin Heideggers „Schwarzen Heften“, Bergische UniversitĂ€t Wuppertal) sowie der Moderator Eggert Blum.

Hier:

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