Philosophie

Die Marke Heidegger

Eggert stellt in einem ZEIT-Artikel die These auf, dass die Familie des Philosophen jahrzehntelang versuchte, dass Image des Denkers zu kontrollieren und kritische Stimmen klein zu halten.

Als Anfang des Jahres Martin Heideggers Schwarze Hefte veröffentlicht wurden, war das Entsetzen in der Öffentlichkeit groß. In seinen geheimen Notizbüchern legte der Philosoph eine Judenfeindschaft an den Tag, die selbst seine Kritiker kaum für möglich gehalten hätten. Heidegger sprach vom Krieg des „Weltjudentums”, und noch nach 1945 beklagte er eine jüdische „Rachsucht”, deren Ziel es sei, die „Deutschen geistig und geschichtlich auszulöschen”. Nicht einmal erwähnt, geschweige denn bedauert werden die Opfer des Holocausts.

Doch warum erfuhr die Öffentlichkeit erst so spät von Heideggers Judenfeindschaft? Und wenn der Antisemitismus seine Philosophie viel tiefer prägte als bisher gedacht: Sollten sich davon nicht Spuren in der Gesamtausgabe finden lassen, die seit 1975 im Verlag Vittorio Klostermann erscheint?

Es gibt Spuren, aber sie wurden von den Erben mit Eifer verwischt. Die Erben üben eine strikte Kontrolle über die Gesamtausgabe aus, sie beanspruchen Deutungshoheit über das Heidegger-Bild in der Öffentlichkeit und versuchen, kritische Stimmen klein zu halten.

Wie diese Kontrolle funktioniert, hat zum Beispiel Peter Trawny erlebt, heute Professor in Wuppertal und Herausgeber der Schwarzen Hefte. 1995 betrauten ihn Professor Friedrich-Wilhelm von Herrmann, letzter Privatassistent Martin Heideggers und „leitender Herausgeber” der Gesamtausgabe, sowie Hermann Heidegger, Sohn Martins und Nachlassverwalter, mit der Herausgabe von Band 69 – der um 1938 geschriebenen Geschichte des Seyns.

Trawny machte eine erschreckende Entdeckung. Er stieß in der Handschrift auf eine Passage, in der Heidegger fragt, „worin die eigentümliche Vorbestimmung der Judenschaft für das planetarische Verbrechertum begründet ist”. Soll der skandalträchtige Satz in die Gesamtausgabe aufgenommen werden? Er habe sehr dafür plädiert, sagt Trawny heute, sich aber damals, als 31-Jähriger ohne sichere akademische Stellung, gegen von Herrmann und Hermann Heidegger nicht durchsetzen können – der Satz wird unterschlagen. Laut Trawny mit der Begründung, dass die Gesamtausgabe eine Ausgabe „letzter Hand” sei, die den „Denkweg” des Meisters als abgeschlossenen Text wie aus einem Guss präsentiere – und keine historisch-kritische Ausgabe, die Änderungen des Autors kenntlich und so die Textgeschichte überprüfbar mache.

Nun fehlt Heideggers Überlegung über die „Vorbestimmung der Judenschaft zum planetarischen Verbrechertum” auch schon in einer Abschrift des Manuskripts, die sein Bruder Fritz später angefertigt hat. Martin Heidegger prüfte die Abschriften des Bruders immer nach, er dürfte die Auslassung mithin gebilligt haben. Hat also der Meister selbst bereits sein Bild retuschiert und gefälscht?

Hier mehr: www.zeit.de.

Plantinga: Ratschläge für christliche Philosophen

Warum erteilt der US-amerikanische Philosoph Alvin Plantinga christlichen Philosophen und anderen Wissenschaftlern und Künstlern Ratschläge? Ganz einfach:

Erstens ist es nicht nur in der Philosophie so, dass wir Christen stark von der Praxis und den Methoden unserer nicht-christlichen Kollegen beeinflusst sind. (Allerdings ist es wegen der Rechthaberei der Philosophen und der weitverbreiteten Streitigkeiten in der Philosophie vermutlich einfacher, dort ein Einzelgänger zu sein, als in den meisten anderen Disziplinen.) Dasselbe gilt für fast jede wichtige gegenwärtige intellektuelle Disziplin: Geschichte, Literatur- und Kunstkritik, Musikwissenschaft und die Sozial- und Naturwissenschaften. In allen diesen Bereichen gibt es Vorgehensweisen, allgegenwärtige Annahmen über das Wesen der Disziplin (zum Beispiel Annahmen über das Wesen der Wissenschaft und ihren Platz in unserer intellektuellen Welt), Annahmen darüber, wie wir in einer Disziplin Fortschritt erzielen können und wie ein wertvoller und lohnenswerter Beitrag von ihr aussehen könnte, und so weiter. Wir absorbieren diese Annahmen, wenn nicht mit der Muttermilch, so spätestens dann, wenn wir unsere eigentliche Disziplin erlernen. In all diesen Bereichen lernen wir, unser Fachgebiet unter der Leitung und dem Einfluss unserer Kollegen zu betreiben.

Aber in vielen Fällen passen diese Annahmen und Vermutungen nicht so leicht mit der christlichen oder theistischen Weltsicht zusammen. Dies wird in vielen Bereichen ersichtlich: In der Literaturkritik und der Filmtheorie, wo sich der kreative Anti-Realismus (siehe unten) austobt, in der Soziologie und der Psychologie und den anderen Humanwissenschaften; in der Geschichtswissenschaft und sogar in einem großen Teil der gegenwärtigen (liberalen) Theologie. Obwohl weniger offensichtlich, trifft das ebenso auf die sogenannten Naturwissenschaften zu. Der australische Philosoph J. J. C. Smart bemerkte einst, dass ein (aus seiner naturalistischen Sichtweise) nützliches Argument, um diejenigen, die an die menschliche Freiheit glauben, vom Irrtum ihrer Sicht zu überzeugen, darin besteht, sie darauf hinzuweisen, dass die gegenwärtige mechanistische Biologie anscheinend keinen Raum für den freien Willen des Menschen lasse: Wie könne sich denn zum Beispiel so etwas wie freier Wille im evolutionären Lauf der Dinge entwickelt haben? Sogar in der Physik und Mathematik, jenen starken Bastionen der reinen Vernunft, kommen ähnliche Fragen auf. Diese Fragen haben mit dem Inhalt jener Wissenschaften zu tun, und der Art, wie sie sich entwickelt haben. Sie haben auch damit zu tun, wie (wenn sie wie heute üblich gelehrt und praktiziert werden) diese Disziplinen künstlich von den Fragen getrennt werden, die das Wesen der Objekte betreffen, welche sie untersuchen – eine Trennung, die nicht dadurch festgelegt wird, was am ehesten der Natur des Fachgebietes entspricht, sondern durch eine weitgehend positivistische Vorstellung des Wesens von Wissen und des Wesens der intellektuellen Aktivität des Menschen.

Und drittens brauchen hier, wie in der Philosophie, Christen eine Autonomie und Ganzheitlichkeit. Wenn die gegenwärtige mechanistische Biologie tatsächlich keinen Raum für die menschliche Freiheit lässt, dann braucht es eine Alternative zur mechanistischen Biologie, und die christliche Gemeinschaft muss sie entwickeln. Wenn die gegenwärtige Psychologie grundlegend naturalistisch ist, dann ist es Aufgabe der christlichen Psychologen, eine Alternative zu entwickeln, die gut mit dem christlichen Supranaturalismus [Anm.: Also der Sicht, dass es mehr als nur Materie gibt und dass der Mensch eine übernatürliche Seele hat.] zusammenpasst, die also ihren Anfang bei grundlegenden wissenschaftlichen Wahrheiten wie: Gott hat die Menschheit nach seinem Bild geschaffen, nimmt.

Die vollständige Abhandlung gibt es in der nächsten Ausgabe von Glauben & Denken heute. Ich danke hier schon mal sehr herzlich Jonas, Ivo und Roderich für die Übersetzungsarbeit!

Tagung zur „Radical Orthodoxy“

Plakat radical orthodoxy„Radical Orthodoxy“ nennt sich seit den 1990-er Jahren eine in England entstandene theologische Bewegung, die eine radikale und umfassende christliche Alternative zu der voranschreitenden Säkularisierung der westlichen Welt entwickelt. „Radical Orthodoxy“ kritisiert die kantische Metaphysik und wendet sich gegen eine Resignation des Christentums in Bezug auf die Wahrheitsfähigkeit von sprachlichen Ausdrücken. Die Ideen der „RO“ werden im englischen Sprachraum und darüber hinaus inzwischen intensiv diskutiert.

Die Staatsunabhängige Theologische Hochschule (STH) Basel wird nun erstmals im deutschen Sprachraum eine kritische und konstruktive Debatte über die „RO“ anstoßen. Am 6. Dezember 2014 wird sie die Tagung:

  • Radical Orthodoxy: Eine christliche Alternative zum Säkularismus / A Christian Alternative to Secularism

veranstalten. Dazu kommen mit John Milbank und Adrian Pabst zwei prominente Vertreter der „RO“ nach Basel. Philosophen und Theologen evangelischer und katholischer Konfession werden mit Vorträgen, Stellungnahmen und Diskussionsbeiträgen sich beteiligen, darunter Harald Seubert und Daniel von Wachter.

Als deutschsprachige Einführung zur „Radical Orthodoxy“ empfehle ich den Aufsatz „‚Radical Orthodoxy‘ – Darstellung und Würdigung einer herausfordernden Theologie“ von Sven Grosse (NZSTh 2013; 55 (4), S. 437–464). Grosse sagt dort übrigens treffend:

Die Kluft, welche beseitigt werden muss, ist an erster Stelle nicht die Kluft, die im Denken entsteht, wenn man Gott als unendliches, die Kreatur aber als endliches Sein denkt (und zugleich »Sein« beide Male univok aussagt). Das, was zwischen die Natur und die Gnade, welche die Natur nicht aufhebt, sondern voraussetzt und vervollkommnet, hineinkommt, ist die Sünde, und diese ist die entscheidende Kluft. Sie besteht nicht erst im Denken, sondern objektiv und wird nicht durch eine Korrektur des Denkens, sondern durch den Sühnetod Christi und die Rechtfertigung aus Glauben überbrückt.

Hier der Flyer zur Konferenz: Einladung%20RO.pdf.

VD: FL

Wer hat Angst vor dem Relativismus?

51bF5+sgfZLJames K.A. Smith vom Calvin College in Grand Rapids (Michigan, USA) ist bekannt für seine Sympathien mit dem postmodernen Denken (siehe meine Kritik hier). In seinem neuen Buch Who’s Afraid of Relativism? empfiehlt er den philosophischen Relativismus bzw. Pragmatismus.

James Anderson hat das Buch gelesen und einige Schwächen benannt:

James K. A. Smith’s latest book continues his longstanding project of sympathetic Christian engagement with postmodernist philosophy. On this occasion Smith, professor of philosophy at Calvin College in Grand Rapids, Michigan, seeks to play the role of defense attorney for “relativism”; more precisely, the philosophy of pragmatism as propounded by the controversial American philosopher Richard Rorty. His central thesis is repeated in different forms throughout the book: pragmatism is a philosophy centered on the recognition of our dependence, finitude, and contingency; thus Christians, who acknowledge the dependence, finitude, and contingency of the creation, should be sympathetic rather than hostile toward pragmatism. But embracing pragmatism also means repenting of representationalist realism: the idea that truth consists in a correspondence or match between the “inside” world of our thoughts and the “outside” world of objects existing independently of our thoughts.

The opening chapter sets up the problem Smith seeks to solve—or rather to subvert. Christians fear “the specter of relativism” because they think Christianity requires a commitment to “absolute truth,” which relativism repudiates. Relativism and its defenders are therefore enemies of the Christian faith. The term “relativism” is often poorly defined and has been used to label various views, some more vulnerable to refutation than others. Rather than deal with sophomoric types of relativism (“true for you, not true for me”) Smith proposes to engage with a serious and sophisticated form of relativism, namely, contemporary pragmatism.

Hier mehr: thegospelcoalition.org.

 

Christliche Philosophie

Ich habe im Sommer 2010 auf das Symposium „Möglichkeit und Aufgabe christlichen Philosophierens“ hingewiesen, das von der STH in Basel (Schweiz) veranstaltet wurde. Freundlicherweise sendet der ERF die Vorträge nun sukzessive aus. Der ERF schreibt:

Wie vernünftig ist der christliche Glaube? Muss er das überhaupt sein? Kann und darf das, was ein Mensch glaubt, zu dem im Widerspruch stehen, was er denkt? – Um diese Fragen geht es in der zweiten Folge der Reihe über „Christliche Philosophie“.

Auf dem Programm steht ein Vortrag von Hans Christian Schmidbaur, Professor für Dogmatik an der Facoltà di Teologia di Lugano (Schweiz), aufgezeichnet auf der Philosophie-Studientagung, die im September 2010 an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel durchgeführt worden ist. Unter der Überschrift „Wein und Wasser – Thomas von Aquins Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie“ schlägt Schmidbaur einen Bogen von Denkern der Scholastik wie z. B. Johannes Scotus Eriugena, Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin bis hin zu Philosophen des 17. (Blaise Pascal) und 20. Jahrhunderts (Karl Jaspers).

Hier die Internetadresse: www.erf.de.

VD: SS

Der religiöse Pragmatismus des William James

William_James.jpgWilliam James (1842–1910) war ein amerikanischer Psychologe und Philosoph und gilt zusammen mit dem Logiker Charles Sanders Peirce als Gründer des erkenntnistheoretischen Pragmatismus und als Pionier der Religionspsychologie. Unter Pragmatismus versteht man eine Theorie, für die Wahrheit nicht in der Übereinstimmung einer Aussage mit der Wirklichkeit besteht. Wahrheit heißt aus pragmatischer Sicht, dass eine Aussage wahr ist, wenn sie nützlich für das menschliche Handeln ist. Wahr aus Sicht des Pragmatismus ist das, was funktioniert. Für die Religion heißt das nach James: „Der Pragmatismus erweitert das Gebiet, auf dem man Gott suchen kann. Der Pragmatismus ist zu allem bereit. Er folgt der Logik oder den Sinnen und lässt auch die bescheidenste und persönlichste Erfahrung gelten.“

James knüpft an Friedrich Schleiermacher an und verortet den Glauben hinter den Dogmen im mystischen Gefühl. Der religiöse Pragmatismus ist auch heute noch weit verbreitet, was leicht zu erkennen ist, wenn man den folgenden DLF-Beitrag hört:

Die Geschichte des deutschen Menschengeistes

Reinhold Schneider schreibt in Die Heimkehr des deutschen Geistes: Über das Bild Christi in der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts:

Wir müssen, wenn wir die Geschichte des Menschengeistes wirklich überprüfen, wirklich ernst nehmen wollen, endlich den Mut finden, einen jeden Denker zu fragen, ob er an Christus geglaubt, welches Bild Christi er bewahrt oder empfangen habe; wir müssen, unter dem tiefen Schatten der Geschichte, unserer besonderen, furchtbaren Erfahrung die deutsche Philosophie fragen, ob sie das Licht der Welt gekannt, ob sie Jesus Christus gesehen habe.

Zitat aus Wikipedia: „Die Verantwortung für den historischen Dammbruch sieht er in den Werken deutscher Philosophen wie Gotthold Ephraim Lessing, der etwa die Auffassung vertrat, dass es besser sei, wenn man sein Leben lang bei der Suche nach der Wahrheit fehl geht, als wenn man der Wahrheit teilhaftig würde. Hier wies Schneider nach, dass sich diese These nur dann ernsthaft vertreten lässt, wenn man in Jesus nicht den Erlöser, sondern nur „einen Lehrer“ sieht. Lessings Thesen hatten seinerzeit den Fragmentenstreit ausgelöst, infolgedessen er dann mit einem Schreibverbot belegt worden war. In ähnlicher Weise untersuchte Schneider auch „das Bild Christi“ anderer Vertreter des deutschen Idealismus (Kant, Fichte, Hegel, Schelling und Nietzsche) und prüft so im Sinne von 1. Joh. 4,1–3 „den deutschen Geist“, mit dem Ziel diesen Geist „von sich selbst“ zu erlösen.“

VD: BK

Habermas diskutiert über entprivatisierte Religion

Der Philosoph Jürgen Habermas disputierte in München mit dem Theologen Friedrich Wilhelm Graf und signalisierte in diesem Zusammenhang mehr Sympathie für Dieter Henrich und Robert Spaemann als für die hermeneutische Philosophie.

Habermas, wie gesagt, redet in München kaltblütig. Und doch voller Behutsamkeit. Wie ein guter Chirurg, der nicht mehr weh tun möchte als nötig. Nein, sagte er zunächst noch ohne Chirurgenkittel an Heinrich Meier, den Stiftungs-Philosophen, gewandt – nein, es sei nicht so, wie Meier denke, dass er, Habermas, sich mit der Religion aus purem soziologischem Interesse befasse. Er prüfe sie vielmehr als Ressource für die Philosophie, für eine Philosophie, die nicht naturalistisch-szientistisch verengt sich selbst widerlege, sondern ihre semantischen Potentiale ausschöpfen möchte. Habermas signalisierte in diesem Zusammenhang mehr Sympathie für Dieter Henrich und Robert Spaemann als für den heideggerisierenden Giorgio Agamben, den er rundweg als Seher mit philosophischer Zipfelmütze betitelt. Tatsächlich scheint Habermas, zunächst paradox, aus Leidenschaft fürs Argument sich bei der Religion aufzuhalten.

Hätte er beispielsweise ein schöpfungstheologisches Argument wie die Gottesebenbildlichkeit des Menschen zur Verfügung, dann könne er bestimmte Intuitionen, die er habe, leichter verteidigen. Aber solche Argumente stünden ihm nun einmal nicht zu Gebote.

Hier: www.faz.net.

Postmoderne Denkformen lähmen unser Denken

In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts betonte Francis Schaeffer in seinen Vorträgen und Büchern, dass die moderne und spätmoderne Philosophie mit ihrem Anthropozentrismus („Der Mensch ist das Maß aller Dinge“) in eine Sackgasse geraten sei. Von den großen Fragen der klassischen Philosophie habe man sich abgewandt und damit begonnen, sich auf die vielen Einzelfragen der analytischen Philosophie zu konzentrieren. Im Blick auf die wichtigen Fragen des Lebens sei von der Philosophie nicht mehr viel zu erwarten. Die Philosphie der Gegenwart sei eine „Antiphilosophie“ (siehe dazu z.B. Francis Schaeffer, Gott ist keine Illusion , 1974, S. 23–25).

Bei Wolfgang Welsch, dem meiner Meinung nach versiertesten Postmodernismus-Kenner im deutschsprachigen Raum, finde ich nun eine ganz ähnliche Einschätzung der Lage (obwohl er wahrlich aus einer anderen (evolutionären) Perspektive schreibt als Schaeffer). In seiner Anthropologievorlesung begründet Welsch die dringliche Kritik an den anthropischen Denkformen mit der aus ihr hervorgegangenen Lähmung des Denkes (Wolfgang Welsch, Mensch und Welt, 2012, S. 23–24):

Denn das Befangensein in dieser Denkform lähmt unser Denken. Man weiß immer schon die Antwort auf alle Fragen. Sie lautet: „Es ist der Mensch.“ Diese Trivialität aber erstickt unser Denken, statt ihm Atem zu verleihen. In der Tat scheint die zeitgenössische philosophische und intellektuelle Szenerie eigentümlich gelähmt. Gewiss ist die Betriebsamkeit immens und die Differenziertheit im Detail beeindruckend. Aber alles dreht sich in einem zum Überdruss bekannten Kreis. Bei allem, was wir im Einzelnen noch nicht wissen mögen und uns zu erforschen vornehmen, halten wir doch eines stets vorweg schon für sicher: dass all unser Erkennen, das gegenwärtige wie das zukünftige, menschlich gebunden ist und nichts anderes als menschlich bedingte und bloß menschlich gültige Einsichten hervorbringen wird. Noch das heutige Alltagsbewusstsein ist davon bis zur Bewusstlosigkeit durchdrungen. Wenn wir in der Moderne noch eine Gemeinsamkeit haben, dann den Glauben, dass unser Weltzugang in allem menschgebunden (kontext-, sozial-, kulturgebunden) ist. Das ist die tiefste communis opinio des modernen Menschen. Wenn jemand diese Auffassung hingegen nicht teilt und kritische Fragen zu stellen beginnt, dann reibt man sich verwundert die Augen: Dieser Kerl scheint nicht von dieser Welt zu sein – anscheinend ist er verrückt.

Für die Leute, die nicht von dieser Welt sind, ist also die Zeit gekommen, die modernen und postmodernen Denkformen zu hinterfragen. Habt den Mut, wieder klar über die Offenbarung nachzudenken und laut von ihr zu sprechen!

Die Vernunft wehrt sich nicht gegen Wunder

Der Philosoph Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter hat an der Universität München eine Habilitationsschrift über Die kausale Struktur der Welt: eine philosophische Untersuchung über Verursachung, Naturgesetze, freie Handlungen, Möglichkeit und Gottes Wirken in der Welt geschrieben. Er ist ein der anglikanischen Kirche zugehöriger Christ und lehrt an der Internationalen Akademie für Philosophie in Santiago de Chile. Das Buch wurde mit dem Karl-Alber-Preis ausgezeichnet und ist beim Verlag Alber erschienen. Eine frühere Fassung ist frei herunterladbar. Es gibt zudem ein Forum zur Diskussion über das Buch.

TheoBlog.de hat mit dem Philosophen über seine Untersuchung gesprochen:

 

Die Vernunft wehrt sich nicht gegen Wunder

Interview mit dem Philosophen Daniel von Wachter  


Theoblog: Herr von Wachter, welche Philosophen oder welche Epoche untersuchen Sie in diesem Buch? 

W: Gar keine. Die Philosophie untersucht genauso wenig Philosophen oder Epochen wie die Physik Physiker oder die Biologie Biologen untersucht. Die Vorstellung, daß der Gegenstand der Philosophie Philosophen und deren Texte seien, hat zwei Quellen: Erstens haben die Positivisten, die behaupteten, daß nur die Naturwissenschaften Erkenntnis schaffen, gemeint, daß die einzige sinnvolle Aufgabe für Philosophen die Untersuchung alter Texte sei. Zweitens gibt es eine gewisse Angst davor, philosophische Fragen zu beantworten. Manchen fehlt einfach die Fähigkeit oder der Mut dazu, vielleicht weil sie ein großes Gewißheitsbedürfnis haben und diese Gewißheit in der Philosophie nicht finden. Es gibt noch eine dritte Quelle, eine hegelianische, aber die ist schwer zu beschreiben. In Deutschland haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg die meisten Philosophen darauf beschränkt, Philosophiegeschichtsschreibung zu betreiben, vielleicht weil sie sich möglichst wenig weit aus dem Fenster lehnen wollten. Aber mein Eindruck ist, daß es jetzt mit der Philosophie in Deutschland wieder aufwärts geht.

Theoblog: Was untersucht dann Ihr Buch? Ist das für den Laien von Bedeutung?

W: Die kausale Struktur der Welt ist eines der großen alten Themen der Philosophie. In der angelsächsischen Philosophie gibt es heute eine ausgiebige, sehr komplizierte und abgehobene Diskussion über Verursachung. Aber das Thema ist von großer Bedeutung für eines jeden Menschen Weltbild, und viele haben den Mechanizismus verinnerlicht, das ist die Vorstellung, daß die Welt wie eine Maschine ist: sie besteht von vorn bis hinten aus kausalen Vorgängen. Alles, was geschieht, ist das Ergebnis eines Vorganges. Dadurch entsteht dann das Gefühl, daß Wunder oder Willensfreiheit unmöglich seien oder der Vernunft widersprächen oder von der Naturwissenschaft ausgeschlossen würden. Ich empfehle einen Selbsttest: Stellen Sie sich die Frage: „Gibt es Wunder, wie z.B. die Wiederlebendigwerdung und Auferstehung des gekreuzigten Leibes Jesu?“ und die Frage: „Können wir durch unser freies Handeln Kausalvorgänge in Gang setzen?“. Wenn Sie in sich Warnlampen leuchten oder eine Abneigung spüren, dann haben Sie sich von der mechanistischen Propaganda beeinflussen lassen.

Theoblog: Aber man kann doch Wunder nicht mit der Vernunft begreifen. Die Vernunft wehrt sich gegen Wunder.

W: Warum? Da wir hier auf einem Theologen-Blog sind, will ich anmerken, daß besonders Theologen das seit ca. 1800 ständig wiederholt haben, und es wird den Studenten auch heute noch eingeredet. Da wird vom „kausalen Nexus“, vom „wissenschaftlichen Weltbild“, von „historischer Methode“  geredet oder es wird einfach emphatisch gesagt, die Vernunft schließe Eingriffe Gottes in das Naturgeschehen aus. Aber nur Gründe, die man versteht, sind vernünftig – und es gibt hier weit und breit keine Gründe. David Hume hat versucht, aus unserer Kenntnis der Naturgesetze abzuleiten, daß es keine Wunder gebe. Obwohl Humes Argument von Anfang an schlagend kritisiert wurde, wurde es immer wieder hochgejubelt. Vor einigen Jahren schrieb der Philosoph John Earman ein Buch dazu mit dem treffenden Titel Hume‘s Abject Failure, was soviel heißt wie Humes jämmerliches Scheitern. Wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es natürlich keine Wunder. Aber wenn es Gott gibt, wofür es Beweise gibt, dann ist zu erwarten, daß er manchmal Wunder wirkt. Wieso soll denn das gegen die Vernunft sein? Vernünftigsein heißt richtig denken. Als die Jünger den auferstandenen Jesus gesehen haben, haben sie verstanden, daß Gott ihn auferweckt hat und daß er Gottes Sohn und der Messias ist. Was ist denn daran unvernünftig? Sie haben genau richtig gedacht, als sie das geschlossen haben.

Theoblog: Die Auferstehung übersteigt die Vernunft, denn die Vernunft sagt, daß Tote nicht auferstehen.

W: Nur, wenn Sie „Vernunft“ so definieren. Genau das hat die sog. „Aufklärung“ getan. Diese Autoren haben ständig wiederholt, daß Glaube an Gott, Wunder und die christliche Lehre Aberglaube sei und daß die Vernunft den Determinismus lehre, also die Lehre, daß jedes Ereignis durch einen kausalen Vorgang determiniert sei. Die Aufklärung hat diese Auffassung durch häufige nachdrückliche Wiederholung und nicht durch Argumente verbreitet. Das ist natürlich nicht vernünftig, sondern Propaganda. In Wirklichkeit ist es manchmal ganz vernünftig, etwas für ein Wunder zu halten, und es ist unvernünftig, die Möglichkeit von Wundern auszuschließen. Übrigens hat die Aufklärung die Verbreitung ihres Weltbildes auch dadurch gefördert, daß sie in der Philosophiegeschichtsschreibung andersdenkende Philosophen ignoriert und als aussterbende Spezies dargestellt hat und die ihr Weltbild teilenden Philosophen als die größten und einzig ernstzunehmenden Philosophen dargestellt hat. So entstand der heute übliche Kanon der angeblich größten Philosophen: Descartes, Hobbes, Spinoza, Hume, Kant, Hegel, usw.

Theoblog: Ist das eine der Kernthesen Ihres Buches?

W: Nur ein Nebenprodukt. Das Buch will vor allem untersuchen, was Verursachung, Naturgesetze und freie Handlungen sind. Um das gründlicher tun zu können, untersuche ich davor, was Möglichkeit ist, denn welche Theorie der Möglichkeit man annimmt, stellt die Weichen für die Beantwortung vieler anderer Fragen. Doch man muß das Buch nicht von vorne bis hinten lesen; auch wenn man nur einzelne Kapitel des Buches liest, sollte man das Wichtigste verstehen können. Mithilfe der Ergebnisse der genannten Untersuchungen analysiert das Buch dann, auf welche Weisen Gott in der Welt wirken könnte, z.B. indem er ein Universum erschafft, es erhält und manchmal in den Gang der Dinge eingreift. Ob es einen Gott gibt, untersucht dieses Buch nicht, das wäre ein anderes Thema.

Theoblog: Laut der elften Ihrer Zwanzig Thesen zur kausalen Struktur der Welt können Handelnde Vorgänge in Gang setzen. Hat die Hirnforschung nicht herausgefunden, daß unsere Handlungen das Ergebnis von Hirnvorgängen sind? 

W: Sie spielen auf das Experiment von Benjamin Libet von 1982 an. Es ist zum Staunen, wie manchmal schlecht begründete Thesen viele überzeugen. Libet selbst hat sein Experiment so dargestellt als ob er den Versuchspersonen gesagt hätte, sie sollen ihre Hand bewegen, wann immer sie wollten. In Wirklichkeit hat er ihnen gesagt, sie sollen warten, bis ein Drang zum Bewegen der Hand aufkommt. Daß ein Drang eine vorangehende Ursache hat, ist mit der Annahme von Willensfreiheit zu vereinbaren. Diese und viele Einwände mehr gegen Libet mache ich gegen Libet in dem Buch und auch in zwei neueren Aufsätzen.

Theoblog: Was ist denn nun am Mechanizismus falsch? 

W: Wegen der Quantenmechanik geben die meisten Autoren heute zu, daß es indeterministische, probabilistische Vorgänge geben kann. Aber weitgehend unangefochten ist die Annahme, daß jedes Ereignis das Ergebnis eines Vorgangs sei. Dem halte ich zweierlei entgegen: Erstens ist jeder Vorgang aufhaltbar. Seit Hobbes hat sich die Vorstellung verbreitet, das alle Ereignisse von vorangegangenen Ereignissen erzwungen werden. Aber das ist nicht nur nicht der Fall, sondern unmöglich. Jeder Vorgang kann gestoppt oder abgelenkt werden, wenn es nur etwas gibt, was stark genug ist, ihn zu stoppen, und dieses auch tut. Zweitens können Lebewesen Vorgänge in Gang setzen. Die Mechanisten wollen uns einreden, daß es offensichtlich sei, daß jedes Ereignis das Ergebnis eines Vorgang sei. Doch haben Sie den Eindruck, daß alles um Sie her, wie ein Uhrwerk oder wie das Rollen der Kugeln auf einem Billardtisch abläuft? Wenn ich den Kolibri vor meinem Fenster oder die auf den Baum springende Katze ansehe, habe einen anderen Eindruck. Mein Buch will im Detail untersuchen, daß dieser Eindruck richtig ist.

Theoblog: Danke für das Gespräch!

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Das Interview kann hier in Form einer PDF-Datei heruntergeladen werden: Wachter.pdf.

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