Rezension

Der Atlas zur Reformation in Europa

Rezension zum Buch:

  • Tim Dowley: Der Atlas zur Reformation in Europa, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Aussaat, 2016, Euro 19,90.

978 3 7615 6331 1„Eine Karte erschließt Welten und erschafft Bedeutung. Sie formt eine Brücke zwischen dem Hier und dem Dort“, hat Reif Larsen, der Schriftsteller, einmal gesagt (vgl. S. 3). Da uns die Welten der Reformation heute so fremd sind, hat der in London lebende Tim Dowley einen außergewöhnlichen Atlas entwickelt. Entstanden ist eine reizvolle Brücke zu „dem Dort“, die zu Überqueren so viel Vergnügen macht, dass man gar nicht mehr aufhören möchte, sie zu beschreiten.

Der Atlas informiert auf seinen 160 Seiten über Ursprünge, Hintergründe und die Ausbreitung der Reformation und ihre Folgen für Europa und den Rest der Welt. Nun existieren freilich schon etliche Atlanten zur Kirchengeschichte. Aber keines der mir bekannten Werke ist so explizit der Reformation gewidmet und so wunderschön gestaltet wie diese Sammlung.

Der erste Teil des Atlas behandelt den Zeitabschnitt vor der Reformation einschließlich diverser vorreformatorischer Bewegungen wie die Waldenser oder die Hussiten. Der zweite Teil beginnt mit dem Beginn der Reformation unter Martin Luther und endet mit den reformarischen Aufbrüchen in England, Schottland und Polen. Der dritte Teil dreht sich um die Gegenreformation und die Konfessionalisierung. Der letzte Teil veranschaulicht die Ausbreitung der Reformation in der Frühmoderne bis hin nach Nordamerika oder Japan.

Die großen Reformatoren werden jeweils auf zwei Buchseiten vorgestellt. Auf der dazugehörigen Karte sind immer die wichtigsten Wirkungsstätten eingezeichnet. Dabei ist vorteilhaft, dass große Ereignisse direkt eingetragen sind, in Marburg beispielsweise die Diskussionen um die Bedeutung des Abendmahls zwischen Zwingli und Luther im Jahre 1529. Erfreulicherweise wurden oft vernachlässigte Themen wie die Täuferbewegungen, die radikalen Reformer oder die Judenverfolgungen aufgenommen. Auf der Karte 19 (S. 63) sind sowohl die Routen der vertriebenen Juden, die größeren Verfolgungen und eingerichtete Ghettos sowie Neubesiedelungen zu finden. Im Verlauf des Mittelalters wurden die Juden immer wieder verfolgt, nicht nur von der Inquisition.

Inhaltlichen Schwerpunkten wie der Schweizer Reformation oder die Ausbreitung des Calvinismus sind ein bis drei Seiten gewidmet. Mitunter erfährt der Leser feine Details, über die von Johannes Calvin gegründete Akademie wird berichtet, dass sie bereits 1559 162 Studenten hatte. 1564 waren es bereits mehr als 1500 Studenten, die meisten von ihnen stammten aus dem Ausland. Die Akademie muss damals allein logistisch unvorstellbar viel geleistet haben.

Der Atlas zur Reformation enthält 60 liebevoll angelegte Karten, die durch meist farbige Abbildungen und Zeitstrahlen ergänzt werden. Ein Orts- und Stichwortverzeichnis ist ebenfalls enthalten. Das Buch ist was für Liebhaber der Kirchengeschichte und eignet sich vorzüglich zum Verschenken an Leute, die sich für die Geschichte der Reformation begeistern.

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Die Rezension erschien zuerst in Glauben und Denken heute und kann in der PDF-Version heruntergeladen werden: AtlasRef.pdf.

Öffentliches Schweigen

Nachfolgend ein Buchhinweis aus Glauben & Denken heute 1/2015 zu:

Csm 9783506779960 3b3cdc03fbAuf meinen Lesestapel liegen hin und wieder Bände aus der katholischen Welt. Nicht nur, weil akademische Arbeit dies gebietet, auch Neugier und Staunen treiben mich an. Im vergangenen Jahr habe ich die Theologische Anthropologie (2011) von Thomas Pröpper und die Katholische Dogmatik (2005) von Gerhard Ludwig Müller studiert. Die Dogmatik ist didaktisch ausgesprochen klug aufbereitet. Pröpper hat mit seinem zweibändigen Werk einen eigenständigen Beitrag zur christlichen Anthropologie geliefert. Seine Darstellung des thomistisch-molinistischen Gnadenstreits (Bd. 2, S. 1351–1401) ist sehr zuträglich. Obwohl ich als reformierter Christ selbsterklärend viele Dinge anders sehe, erweitert die Lektüre meinen Horizont und hilft mir bei der „Versicherung“ meiner eigenen Glaubenspositionen, gerade auch im Blick auf die Gnadentheologie.

Nicht nur hochtheologische Bücher liegen auf dem Stapel, Zeitschriften und Periodika gehören auch dazu. Zum Beispiel die FUGE, ein Journal für Religion & Moderne, das von Martin Knechtges und Jörg Schenuit im Verlag Ferdinand Schöningh herausgegeben wird. In einer Zeit, in der im öffentlichen Raum fast nur noch Marktschreier gehört werden, setzt die FUGE auf die Wahrung von Stille und Andacht. Tatsächlich erlebe ich beim Stöbern in der FUGE „Entschleunigungsmomente“. Das Journal „zwingt mich“, langsam und aufmerksam zu lesen. Wohltuend.

Der Doppelband 14/15 steht unter dem Thema „Öffentliches Schweigen“. Die 224 Seiten enthalten viele nennenswerte Beiträge. Ich will drei erwähnen.

Die Literaturwissenschaftlerin und Philosophin Ekaterina Poljakova erörtert in ihrem Aufsatz zur Klerikalismuskritik Charles Taylors aus dem Jahr 1960 das Thema soziale Gerechtigkeit auf einem Niveau, das ich andernorts vermisse. Anstatt uns, so ihr Vorwurf, mit dem Gerechtigkeitsanspruch der Bibel auseinanderzusetzen, orientieren wir uns allzu oft an den Reichtumside-alen der westlichen Zivilisationen. Aber ist der irdische Wohlstand ein christliches Ziel? „Hier bitte ich die Leser, einen Moment inne zu halten, bevor sie sich empören. Auch mir gefällt die schreiende Ungerechtigkeit ‚dort draußen‘ nicht. Aber zwischen einem ‚mir gefällt es nicht‘ und ‚Gott gefällt es nicht‘ könnte, so möchte ich zu bedenken geben, auch in diesem schwierigen Fall durchaus ein Unterschied in re bestehen. (Schon sprachlich deutet sich dies ja an: Das Wort ‚Gerechtigkeit‘ ist im Deutschen leicht irreführend, entsprechen ihm in der Bibel doch verschiedene Wörter. Die irdische Gerechtigkeit und die Gerechtigkeit Gottes jedenfalls werden unterschiedlich bezeichnet, und schon dies sollte uns zur Vorsicht mahnen.) Meine provokante Frage möchte ich nun also in der Sache noch einmal formulieren. Wenn ich es für mich selbst für gut halte, arm zu sein und in Christi Namen verfolgt zu werden – also meine Haltung ganz nach dem klaren Wort des Herrn ‚Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein‘ (Mt 5,12) ausrichte, und wenn ich diese Freude als etwas Heiliges, als etwa Erwünschtes ansehe, warum sollte ich meinem Nächsten nicht dasselbe wünschen, will ich ihn doch lieben wie mich selbst? In jedem Fall scheinen Zweifel angebracht, ob die christliche Liebe wirklich ganz selbstverständlich darin bestehen sollte, Arme reich zu machen oder allen Menschen Wohlstand und ein möglichst langes Leben zu sichern“ (S. 105).

Berührt hat mich Brigitte Sändigs Essay „Sprechen, Schweigen und Geschwätz“. Die Literaturwissenschaftlerin schreibt über ihre Erfahrungen in der ehemaligen DDR und entwickelt eine kleine „Phänomenologie des Geschwätzes“. Eindrucksvoll deckt sie auf, dass die „Freisetzung des Sprechens“ nach dem Fall der Mauer nicht nur das ehrliche Gespräch, sondern auch das „taktische, verbrämte, vorgegebene Sprechen“ (S. 14) wiedergebracht hat. Das aufrichtige Wort, das in der DDR im nichtöffentlichen Raum immerhin eine Möglichkeit war und hin und wieder spürbaren Tiefgang erreicht hat, ist in der freien Welt vom Regime manipulativer Sprachregelungen eingefangen worden. Sändig zitiert das Bologna-Schwarzbuch (Bonn, 2009): „Systemische Unterdrückung der Freiheit beginnt in der Regel mit Eingriffen in die Sprache. Mittels Sprachregelung versucht man das Denken der Menschen schleichend zu manipulieren …“ Weiter schreibt sie: „Zur Manipulation gehört etwa die ständige Wiederholung absichtsvoll geschaffener Begriffe, die dadurch in den Status des Selbstverständlichen erhoben werden und sich unversehens in den allgemeinen Sprachgebrauch einschleichen“ (S. 15).

Höhepunkt ist für mich der Beitrag über Reinhold Schneider von Bettina Klix. Schneider war ein katholischer Schriftsteller, der sich von Anfang an mit der Diktatur des Nationalsozialismus auseinandersetzte und gegen Unterdrückung, Rassenwahn und Volksverherrlichung anschrieb. Mit seinem Werk Las Casas vor Karl V. Szenen aus d. Konquistadorenzeit (1938) stellte sich Schneider mitten in der NS-Zeit gegen die Judenverfolgung. Einer Anklage wegen Hochverrat konnte Schneider entkommen, da 1945 das „Großreich“ zusammenbrach und es nicht mehr zur Verhandlung kam. Bettina Klix beschreibt in Skizzen das Leben und Werk Schneiders und würdigt seine Arbeiten besonders, indem sie erzählt, wie er ihr in Tagen eigener Beunruhigung ein aufrichtender Begleiter geworden ist. Als sich die Schriftstellerin intensiv mit dem Schrecken des Konzentrationslagers Bergen-Belsen auseinandersetzte und angesichts der geschilderten Gräueltaten fast verzweifelt ist, waren es Schriften Schneiders, die sie aufgerichtet haben. „Gemäß dem biblischen Wort, dass nur die Wahrheit uns freimachen kann, stellt Schneider fest: ‚Der neue Glaube aber, den Ereignisse von unverwindlicher Furchtbarkeit von uns fordern, ist der Einbruch der Wahrheit in unser Leben‘“ (S. 35).

Nancy Pearcey: Total Truth

51Ei7DTzR5LHanniel Strebel hat freundlicherweise eine Besprechung des Buches:

zur Verfügung gestellt:

Eine Wahrheit für das ganze Leben

Wer ist Nancy Pearcey? Die 1952 geborene US-Amerikanerin zählt gemäss „The New Evangelical Outpost“ zu den wenigen weiblichen evangelikalen Intellektuellen. Ich las das Buch nicht deshalb, weil es 2005 den prestigeträchtigen „ECPA Gold Medallion Award“ gewann, sondern weil es auf mehreren Bücherlisten von mir geschätzter Blogger ganz oben aufzufinden war. Sympathisch wog für mich als Europäer und Heimschulvater die Tatsache, dass Pearcey in Heidelberg Violine studierte und ihre beiden Söhne zu Hause unterrichtete. Pearcey zählt den zu geistlichen Erben von Francis Schaeffer (1912-1984). Der Besuch in schweizerischen L’abri anfangs der 1970er-Jahre hatte die damals agnostische junge Frau nachhaltig aufgerüttelt. Dies schildert sie denn auch in „Total Truth“. Heute leitet Pearcey zusammen mit ihrem Mann das „Francis Schaeffer Center for Worldview and Culture“ der Houston Baptist University.

Um was geht es? Philipp E. Johnson, ein führender Kopf der Intelligent Design-Bewegung in den USA, schreibt im Vorwort: „Weltanschauung zu verstehen gleicht dem Versuch, die Linse des eigenen Auges zu sehen. Normalerweise sehen wir unsere eigene Weltsicht nicht, stattdessen sehen wir alles andere durch diesen Filter. Einfach gesagt ist die Weltanschauung das Fenster, durch das wir die Welt – oft unbewusst – wahrnehmen und (dann) entscheiden, was real und wichtig oder nicht real und unwichtig ist.“ Die Wahrnehmung für dieses „Fenster zur Welt“ zu schärfen, darum geht es Pearcey in diesem Buch. Ausgangspunkt bildet der „tiefe Hunger unter Christen, durch „einen übergeordneten Rahmen“ Einheit in ihr Leben zu bringen und die tiefe Trennung zwischen einem säkularen und einem privat-persönlichen Bereich zu überbrücken. Wir sind es uns gewohnt, zwischen einem „wissenschaftlichen“, „wertefreien“ Bereich der öffentlichen Institutionen und einer privaten Sphäre der persönlichen Überzeugungen und Entscheidungen zu unterscheiden. Genau an dieser Stelle liegt der Hund begraben.

Wie ist das Buch aufgebaut? Pearcey hat ihr Werk in vier Teile aufgeteilt: Im ersten Teil legt Pearcey die Grundlagen für einen biblisch-weltanschaulichen Grundrahmen. Dieser hängt an drei Fragen:

  • Schöpfung: Wie hat alles begonnen?
  • Fall: Was ist schief gegangen?
  • Erlösung: Wie kann es wiederhergestellt werden?

Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Schöpfung, dem Startpunkt jeder Weltanschauung. Pearcey entfaltet darin ein engagiertes Plädoyer für den Intelligent Design-Ansatz. Wer sich bereits mit der evolutionistischen Weltanschauung abgefunden hat, reibt sich über diesen Seiten erstaunt die Augen.
Der dritte Teil geht der Frage nach, warum die Evangelikalen keine Tradition der Verteidigung ihrer Weltanschauung entwickelt haben.

Wo bleibt denn die Umsetzung? Das mögen sich einige gegen Schluss des Werkes fragen. Dafür hat sich Pearcey den vierten Teil vorbehalten. Der Rückgriff auf das wichtige Werk von Francis Schaeffer „Geistliches Leben – was ist das?“ hielt ich für angebracht.

Vier Anhänge mit Vertiefungen über die Säkularisierung der US-amerikanischen Politik, den modernen Islam und die New Age-Bewegung, den Materialismus und die Apologetik, wie sie in L’abri betrieben wurde, runden die Lektüre ab. Eine ausführliche, kommentierte Leseliste sowie ein Studienführen beschliessen das über 400 Seiten starke Werk.

Was faszinierte mich? Man mag das Beispiel für gar amerikanisch halten: Da unterhalten sich junge Frauen, die in einem Zentrum für Beratung von abtreibenden schwangeren Frauen arbeiten, in der Pause über die nächste Sonntagschullektion. So weit ist das Beispiel nicht hergeholt. Ich rede mit Studenten, die in der Freizeit eine Jungschararbeit leiten und im Studium mit dem Genderthema in der Literatur ringen. Ich kenne Juristen, die verbindlich in der Gemeinde mitarbeiten und sich täglich für die Interessen von zum Teil skrupellosen Klienten einsetzen. Ausserdem gibt es genügend Christen, die unserer Entscheidung, die Kinder selber zu unterrichten, mit Stirnrunzeln begegnen. Ganz zu schweigen von dem von mir beobachteten Tabu, über die Rolle der Frau im Rahmen der Gemeinde konkret zu werden. Zumindest in meiner Lebensrealität halten wir – trotz Bekenntnis – die zwei Lebensbereiche privat und öffentlich bzw. säkular und geistlich fein säuberlich getrennt. So ging mir denn die Ermahnung Pearceys zu Herzen. Sie sagte: „Der erste Schritt zum bewussten Um- und Aufbau einer christlichen Weltanschauung besteht darin, auf die Suche nach den eigenen Götzen zu gehen.“ Besonders geblieben sind mir einzelne biographische Elemente des Buches, so etwa die Beschreibung ihres engagierten Vaters, der den Familientisch für manche Lektionen und Diskussionen nutzte. Dass sie mit ihren Söhnen frühzeitig weltanschauliche Themen dort bearbeitete, wo sie auftauchten – zum Beispiel in den Kinderbüchern -, fand ich nachahmenswert. Ebenso berührte mich Pearceys Schilderung ihrer Zeit, als sie ehrlich nach der Wahrheit suchte. Ebenso nahe ging mir der Abschnitt im vierten Teil, in dem sie über ihr Ringen um ihre Rolle als Mutter berichtet.

Welche Stellen irritierten? Bisweilen fragte ich mich, ob ich den Ansprüchen „eine versöhnende Kraft in jedem Bereich der Kultur “ sein, verpflichtet bin. Ebenso bezweifle ich, exzellentere Lösungen als jeder Nichtchrist zustande bringen zu müssen. Wird hier nicht eine Erwartung aufgebaut, welche meine tief in mir wurzelnde Neigung zur Selbsterlösung stimuliert?

Ein weiteres Thema, das ich nicht genügend beleuchtet finde, ist der Stellenwert der Gemeinde. Pearcey betont zwar deren Wichtigkeit, wenn sie schreibt, dass die Gemeinde der Plausibilitätstest für das Evangelium sei. Bei mir blieb eher ihr Beispiel hängen, als sie bei einem Probebesuch in einer neuen Gemeinde den Pastor gegen die kopflastigen Bibelschulen uns Seminare wettern hörte.

Den einen oder anderen mag das dritte Kapitel, das die Geschichte der Evangelikalen in den USA beschreibt, dann doch gar amerikanisch anzumuten. Ich blieb dennoch sehr konzentriert, denn die Ausführungen werfen Licht auf den Anti-Intellektualismus, dem ich auch in unseren Gemeinden auf Schritt und Tritt begegne.

Ich legte das Buch mit einem tiefen Seufzer zur Seite. Für mich notierte ich: „Durch dieses Buch bin ich satt geworden.“ Ich empfehle es jedem Leser, welcher der englischen Sprache mächtig ist. Und ich wünsche mir mehr solches Material in der deutschen Sprache.

Hanniel Strebel

Drawn into Controversie

drawn.jpgBeim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht ist kürzlich das bemerkenswerte Buch:

  • Mark Jones u. Michael A. G. Haykin (Hg.): Drawn into Controversie: Reformed Theological Diversity and Debates Within Seventeenth-Century British Puritanism, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011, 336 S., 84,95 €

erschienen.

Nachfolgende eine Rezension zum Buch. Ich danke an dieser Stelle Ivo sehr herzlich für die Übersetzung der Zitate.

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Rezension: Drawn into Controversie

Der 17. Band der von Herman J. Selderhuis verantworteten Reihe Reformed Historical Theology vereint zwölf Aufsätze über theologische Debatten unter den englischen Puritanern in der Zeit des 17. Jahrhunderts. Die Herausgeber Michael Haykin und Mark Jones konnten für diese Untersuchung namhafte Fachleute auf dem Gebiet der reformierten Orthodoxie gewinnen.

Im einleitenden Kapitel hebt Richard A. Muller, Herausgeber des viel beachteten vierbändigen Werkes Post-Reformation Reformed Dogmatics (2. Aufl., Grand Rapids, MA: Baker, 2003) hervor, dass die reformierte Tradition, die nicht auf Calvin oder Musculus, sondern auf Bucer, Zwingli, Capito und Oecolampadius zurückgeht, keine durchweg homogene Theologie überliefert hat. Bisher nehmen innerreformierte Meinungsverschiedenheiten in den diversen theologischen Untersuchungen verhältnismäßig wenig Raum ein. Die hier publizierten Aufsätze erörtern einige der Kontroversen und korrigieren die prominente »Calvin gegen die Calvinisten«-Lesart. Johannes Calvin war eben nicht Gründer und alleinige Norm der reformierten Theologie. Die Behauptung, dass sich nach dem Tod des Genfer Reformators unter dem Einfluss scholastischer Theologen eine erstarrte reformierte Orthodoxie entwickelte, die gegen den »humanistischen Christozentrismus« Calvins auszuspielen sei, wird – so Muller – dem komplexen Entwicklungsprozess der reformierten Theologie nicht gerecht (S. 12).

Alan S. Strange untersucht nachfolgend die Thematik der »Anrechnung des aktiven Gehorsams von Jesus Christus« bei der puritanisch-presbyterianischen Synode von Westminster (S. 31–51). Während das Westminster Bekenntnis die Anrechnung des aktiven Gehorsams mit Rücksicht auf die Rechtfertigungslehre bestätigt (vgl. Artikel 11.1), wurde das Thema außerhalb der Synode vor und nach 1643 kontrovers diskutiert. Die meisten Gelehrten bekräftigten freilich die Lehre von der »Imputation« (S. 50).

Bei den sogenannten »Unabhängigen Brüdern« handelt es sich um eine kleine Gruppe englischer Theologen, die entschieden für die Selbstverwaltung der lokalen Gemeinden eingetreten ist. Diese Puritaner um Thomas Goodwin gingen 1630 in das holländische Exil und publizierten zur Zeit der Westminstersynode das berühmt gewordene Traktat Apologeticall Narration. Während die meisten Historiker der Synode davon überzeugt waren, dass allein der »Presbyterianismus« eine stabile englische Kirchenpolitik sichern könne, plädierten die »Unabhängigen« für die Autonomie der einzelnen Gemeinden (Kongregationalismus) und gerieten damit unter den Verdacht des Separatismus. Hunter Powell untersucht den Fall in seinem Aufsatz »October 1643: The Dissenting Brethren and the Proton Dektikon« (S. 52–82).

Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts haben die reformierten Kirchen Europas den Glauben an ein irdisches Tausendjähriges Reich einheitlich abgelehnt. Nach dem Wegfall der Zensur wurde jedoch der Konsens von millennialistisch ausgerichteten Publikationen in Frage gestellt. So brach Thomas Brightmann (1562–1607) in seinem Kommentar zu Offb 20,1–10 mit der augustinisch-reformatorischen Auslegungstradition und wagte zu behaupten, dieser Text beziehe sich auf zwei Zeitabschnitte zu jeweils eintausend Jahren, von denen der erste schon vergangen sei. »Also begannen die ersten tausend Jahre (Offb 20,1–3) ca. um 304 n.Chr. und endeten um 1300 n.Chr., nachdem die Freilassung Satans durch die islamische Invasion Europas offenkundig geworden war« (S. 85). Die zweiten tausend Jahre (Offb 20,4–10) begannen mit der Wiederbelebung der wahren Theologie zur Reformationszeit – eine Erweckung, die Brightmann sogar mit der »ersten Auferstehung« identifizierte. »Der Anfang der Herrschaft der Heiligen mit Christus sollte – so glaubte er – in ein ›weltweites presbyterianisches Utopia‹ münden« (S. 85). Crawford Gribbens anregende Untersuchung zum »Millennialismus« (S. 83–98) legt dar, dass ab Mitte des 17. Jahrhunderts »millennialistische Eschatologien« im europäischen und nordamerikanischen Protestantismus mehr Einfluss gewannen und mit immer größerem Ernst auf eine irdische »Millenniumshoffnung gesetzt« wurde.

J.V. Fesco widmet dem Disput über Supra- bzw. Infralapsarismus auf der Synode von Dordrecht seinen Aufsatz (S. 99–123). Die dogmatische Auseinandersetzung über die richtige Interpretation der göttlichen Dekrete hinsichtlich der Bestimmung des Menschen spielte in Dordrecht eine zentrale Rolle. Die Supralapsarier verorten die Prädestination vor der Erschaffung des Menschen, die Infralapsarier lassen die erwählenden Beschlüsse Gottes dem zugelassenen Fall folgen. Die Dordrechter Synode bekannte sich zur infralapsarischen Sichtsweise, verurteilte die supralapsarische Position indessen aber nicht. Die komplexe Frage wurde in »den Bereich der Privatauffassungen« verwiesen (S. 123). In der abschließenden Lehrregel und bei der Definition der Verwerfung achtete man sorgfältig darauf, Gott nicht zum Urheber der Sünde werden zu lassen. Lehren, die aus Gott einen Ungerechten, Tyrannen oder Heuchler machten, seien nichts anderes als »verfälschter Stoizismus, Manichäismus, Libertinismus« (S. 122). Im Schlusskommentar spielt die Lehrregel vage auf die Debatte zum Thema Infralapsarismus contra Supralapsarismus an: »Zuletzt ermahnt diese Synode alle Mitpriester im Evangelium Christi, bei Durchnahme dieser Lehre in Schulen und Kirchen fromm und gottesfürchtig zu Werke zu gehen, sie sowohl mündlich als auch schriftlich zum Ruhm des göttlichen Namens, zur Heiligkeit des Lebens und zum Trost niedergeschlagener Gemüter anzuwenden, mit der Schrift nach der Gleichmäßigkeit des Glaubens nicht nur zu denken, sondern auch zu sprechen und sich endlich aller der Ausdrücke zu enthalten, welche die uns vorgeschriebenen Grenzen des richtigen Sinnes der heiligen Schriften überschreiten und den nichtswürdigen Sophisten eine gute Gelegenheit bieten könnten, die Lehre der reformierten Kirche zu verhöhnen oder zu verleumden« (S. 122–123). Das Fazit J.V. Fescos lautet: »Für manche steht die Synode von Dordrecht für alles Rückständige und Starre innerhalb der reformierten Orthodoxie. Zugegeben: Sie schob jeglichem arminianischen Heilsverständnis einen Riegel vor. Wenn man den verschiedenen Ansichten der einzelnen Delegationen jedoch gehörige Aufmerksamkeit schenkt, wird man leicht erkennen: Die Synode bewies einen starken Grad an Flexibilität, selbst in Bezug auf Themen, die intensiv diskutiert wurden. Innerhalb der Grenzen der konfessionellen Orthodoxie ermöglichte Dordrecht einen gewissen Grad von Individualität und eine behutsam eingerichtete Ebene der Zusammenarbeit. Dieser Geist der dynamischen Orthodoxie ließ die Koexistenz von Supra- und Infralapsarismus in Dordrecht zu und sorgte für einen Geist der Vielfalt, wie er sich im Übrigen in späteren reformierten Bekenntnissen findet« (S. 123).

Jonathan D. Moore beschäftigt sich im Beitrag »The Extent of the Atonement« mit dem »hypothetischen Universalismus«. England erlebte bis in die 1640er Jahre keine bedeutende öffentliche Debatte über den Umfang der Sühne von Jesus Christus. Zwar herrschte kein breiter Konsens zugunsten der »begrenzten Sühne«, aber es bestand eine eher kirchenpolitische Übereinkunft: »Würde die vorherrschende, ›schwerere‹ Theologie zu schnell und zu öffentlich ›aufgeweicht‹, hätte das angesichts der wachsenden anti-reformierten Bedrängung die Stabilität des gesamten Bollwerks der reformierten Orthodoxie ins Wanken bringen können« (S. 157). Moore deutet die Entwicklung im England von Maria Stuart (1542–1587) als sanfte Aufweichung der reformierten Theologie, bei der unter anderem Richard Baxter eine bedeutende Rolle spielte. »Wir finden in ihm, der nach eigenem offenen Zugeständnis seine ursprünglich partikularistische Sichtweise zum Heil gemildert hatte, einen leitenden Förderer des hypothetischen Universalismus. Baxter schreibt, er habe sich ursprünglich ›gegen die universelle Sühne‹ starkgemacht, sei in seiner Ansicht jedoch aufgerüttelt worden, als er mit den Arminianern Tristram Diamond und Samuel Cradock zusammentraf. Schließlich gab er sein ›Vorurteil‹ auf, lehnte den eigentlichen Arminianismus jedoch weiterhin ab. Er räumte ein, dass ›Christus für alle gestorben ist, um Rechtfertigung und Heil zu erkaufen, das er jedem gibt, der glaubt‹« (S. 160). Der Trend zum behutsamen aber selbstbewussten »Abmildern älterer Formen reformierter Theologie kann in England unter den führenden Theologen durch das 17. Jahrhundert durchgängig nachgewiesen werden« (S. 160).

Das Westminster Glaubensbekenntnis von 1647 spricht in Artikel 7.2 von einem »Bund der Werke“, innerhalb dessen Adam und seinen Nachkommen »das Leben verheißen wurde« (vgl. auch im Großen u. Kleinen Westminster Katechismus Frage 20 bzw. 12). Aber was genau für ein Leben war Adam verheißen? Galt ihm die Verheißung eines ewigen und himmlischen Lebens, vorausgesetzt, er hätte Gottes Gebot erfüllt? Das war die Auffassung von Francis Turrentin und zahlreichen reformierten Theologen der damaligen Zeit. Andere Geistliche wie John Gill (1697–1771) oder Jonathan Edwards (1703–1758) deuteten die Verheißung irdisch. Mark A. Herzer zeichnet in seinem Aufsatz »Adam‘s Reward: Heaven or Earth« verschiedene Positionen über den Adam verheißenen Lohn nach. Einerseits gab es unterschiedliche Meinungen zum »Bund der Werke“, andererseits wurde nicht sonderlich »erhitzt« darüber debattiert. Die schließlich im Westminster Glaubensbekenntnis aufgenommene offene Formulierung ist eine Kompromisslösung, der alle Geistlichen der reformierten Orthodoxie zustimmen konnten.

Die reformierten Theologen Britanniens waren sich im 17. Jahrhundert uneins darin, wie der Alten Bund mit dem Gnadenbund in Beziehung zu setzen sei. Mit unterschiedlichen Sichtweisen zum Verhältnis von Gesetz und Evangelium beschäftigt sich Mark Jones (S. 183–203). Er kommt zu folgendem Ergebnis: »Versteht man den Gegensatz zwischen Gesetz und Evangelium als heilsgeschichtlichen Gegensatz zwischen dem Alten Bund (Gesetz) und dem Neuen Bund (Evangelium), dann nähern wir uns auch einem Verständnis der Diskussion zum Sinai. Die meisten reformierten Theologen (oft Presbyterianer) hoben die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Bündnissen hervor, doch einige bedeutende puritanische Denker (oft Kongregationalisten) wiesen rasch auf die Unterschiede hin. Für Männer wie Owen und Goodwin führte der Neue Bund zu einer großen, heilsgeschichtlichen Veränderung in der Art, wie Gott mit seinem Volk handelt. Dadurch wurde auch der Gegensatz zwischen Gesetz und Evangelium (AT/NT) deutlicher. Weitere Untersuchungen könnten zeigen, dass es in dieser Diskussion nicht nur um die Soteriologie geht, sondern auch um die Ekklesiologie, genauer: um die Art des Gottesdienstes im Neuen Bund im Gegensatz zur Praxis unter dem Alten Bund. Aus diesem Grund sollte der Gegensatz von Gesetz und Evangelium nicht primär unter soteriologischen Gesichtspunkten, sondern auch in ekklesiologischer Hinsicht untersucht werden. Diese Auseinandersetzung wird nicht alle Fragen beantworten, sollte jedoch in Betracht gezogen werden, wollen wir verstehen, weshalb die puritanischen Theologen über das exakte Verhältnis zwischen Altem und Neuem Bund uneins waren« (S. 202–203).

Carl Trueman geht in »The Necessity of the Atonement« (S. 204–222) der auch heute angesagten Frage nach: Musste Jesus Christus den Sühnetod sterben oder hätte Gott in einem Akt der Gnade den Menschen ihre Sünde einfach vergeben können? Konkret will der Kirchenhistoriker skizzieren, wie John Owen diese Fragestellung verarbeitet hat. Bei dem Puritaner ist eine Entwicklung nachweisbar. 1652 kam er zu der Überzeugung, dass ein »Verständnis der Sühne, das nicht auf der absoluten Notwendigkeit des Todes von Jesus Christus insistiert«, die Tür für Sichtweisen öffnet, »die dem Evangelium abträglich sind« (S. 204). Sünde müsse eher »von einem theozentrischen als einem anthropozentrischen Blickwinkel her verstanden werden« (S. 220). »Die Notwendigkeit des Opfers Christi beteuernd, präsentierte Owen eine reformierte Theologie, die die historische Person des Mittlers nicht aus dem Zentrum des Heilsdramas verdrängte. Es kann keine ewige Rechtfertigung geben, die einzig auf einem Beschluss beruht. Das Heil gründet genauso in der Geschichte wie in der Ewigkeit. Wer die Notwendigkeit der Fleischwerdung und der Sühne einzig auf dem göttlichen Ratschluss beruhen lassen wolle, läuft Gefahr, die historische Person Christi an den Rand zu drängen und die Wichtigkeit der Heilsgeschichte zu unterhöhlen« (S. 222).

Trueman plädiert in seinem bemerkenswerten Aufsatz außerdem dafür, den gern behaupteten Gegensatz von christozentrischer Theologie und reformierter Orthodoxie zu hinterfragen. »Während die ganze Einschätzung der reformierten Scholastik anhand theologischer Kriterien des 20. Jahrhunderts – seien sie neo-orthodox oder konservativ calvinistisch – höchst fragwürdig bleibt, so zeigt eine geschichtliche Analyse der relevanten Schriften: Viele der bevorzugten historiografischen Schibboleths der Neo-orthodoxie sind im Lichte der offenkundigen Beleglage unhaltbar. Owens Behandlung der göttlichen Gerechtigkeit ist ein gutes Beispiel. Hier macht sich ein Theologe der schlimmsten Sünden schuldig: positiver Gebrauch aristotelischer Kategorien, eine Neigung zu scholastischen Unterscheidungen und Argumentationsmethoden und – besonders schlimm – die Anlehnung an eine ›Entsprechung des Seins‹ [lat. analogia entis], für Barth ein Zeichen des Antichristen. Der herkömmlichen Überzeugung nach sollte das zu einer Theologie führen, die das christologische Herzstück des Christentums unterminiert und es mit einer menschenzentrierten Karikatur ersetzt. Tatsächlich entsteht dabei eine Theologie, die wenigstens in dieser Hinsicht wohl nicht weniger, sondern stärker christozentrisch ist, als die der Gegner Owens, einschließlich Calvin« (S. 221–222).

Richard J. McKelvey widmet seinen Aufsatz der Kontroverse um die sogenannte »ewige Rechtfertigung« (S. 223–262). Unter »ewiger Rechtfertigung« ist nach Francis Turrentin Justifikation als ein »in Gott selbst in Ewigkeit ausgeführter Akt« zu verstehen (S. 224). Gegner der »ewigen Rechtfertigung« meinen, Gott rechtfertige uns Menschen nicht vor, sondern in der Zeit. Während der Reformationszeit stand die Rechtfertigungslehre in voller Blüte. Bei dem damaligen Wandel verlagerte sich der Schwerpunkt der Rechtfertigung weg von der semi-pelagianischen Betonung des menschlichen Willens als eigentlichem Initiator. Das ermöglichte »das Aufkommen der Bündnistheologie; sie betonte das christozentrische und bündnishafte Wesen der Rechtfertigung. Der Akzent auf der absoluten Rechtfertigung aus freier Gnade beleuchtete auch die Wichtigkeit folgender Frage: Wie passt das Handeln des Menschen ins Schema? Eine Überbetonung des göttlichen Willens und der freien Gnade wirkte andererseits als Katalysator für den Antinomismus. Das Ungleichgewicht in Richtung Bedingtheit der Erlösung begünstigte den Arminianismus. Im nachreformatorischen England bekämpfte das Westminsterbekenntnis diese Gefahren und formulierte eine Theologie, die sowohl das göttliche wie auch das menschliche Handeln im Rahmen von Bündnissen betonte« (S. 259). McKelvey untersucht insbesondere, inwiefern die Rechtfertigung vor aller Zeit den Antinomismus stärken konnte. »Die Antinomisten machten sich die Sichtweise bereitwillig zu eigen, passte sie doch exakt zu ihrem Anliegen, jeglichen Gedanken menschlichen Zutuns zur Rechtfertigung auszulöschen. Gleichzeitig gehörte diese Lehre weder zu den Voraussetzungen des Antinomismus, noch war sie selbst spezifisch antinomistisch« (S. 262).

Joel R. Beeke erörtert im Beitrag »The Assurance Debate« (S. 263–283) die Behandlung der »Heilsgewissheit« bei den Puritanern. »Manche Puritaner verglichen die Heilsgewissheit mit der Meeresbrise, die gewöhnlich weht, wenn sie auch manchmal nur als schwaches Säuseln hörbar ist. Andere sprechen von der Heilsgewissheit als von einem mächtigen Wind, der ein schwer beladenes Segelschiff antreibt. Beide Seiten waren sich eins, dass der Geist weht, wo er will; wir können ihn weder begreifen noch fassen (Joh 3,8)« (S. 283). Jenseits der Unterschiede, die es bei den Puritanern in dieser Frage gab, finden sie in ihrer Hinwendung zu den Verheißungen der Schrift zusammen. Die Puritaner setzten in Bezug auf die Heilsgewissheit ganz auf das Vertrauen in das Wort und den Geist.

Der Baptismus spaltete sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in die sogenannten »General« und »Particular Baptists«. Während sich die »General Baptists« an einer arminianistischen Soteriologie orientierten, lehrten die anderen unter calvinistischem Einfluss, dass das Opfer Jesu Christi nur für die Erwählten gelte. Im letzten Aufsatz des Bandes erörtern Michael A.G. Haykin und C. Jeffrey Robinson die Diskussionen um das Abendmahl und die Kirchenlieder unter den »Particular Baptists« (S. 284–308). Besonders am Beispiel der Kirchenmusik wird deutlich, wie engstirnig manche Debatten vormals geführt wurden. Gestritten wurde nicht nur über die Rolle der Psalmen. Für Isaac Marlow war der gemeinsame Gesang insgesamt nicht schriftgemäß. Es solle, so Marlow, nur eine Stimme geben, kein gemeinsames Singen in der Versammlung (S. 300). Die Baptisten, die den gemeinsamen geistlichen Gesang praktizierten, setzten sich allerdings mittelfristig eindeutig durch. Ende des 17. Jahrhunderts wurde das Singen geistlicher Lieder unter den »Particular Baptists« zum allgemein anerkannten Teil des öffentlichen Gottesdienstes.

Drawn into Controversie bezeugt nüchtern, dass die puritanische Theologie des 17. Jahrhunderts viele Debatten und Spannungen auszuhalten hatte. Der Vorwurf, reformierte Theologie sei im 16. und 17. Jahrhundert überaus rigide aufgetreten, wird so eindrucksvoll relativiert. Gleichzeitig fällt auf, dass die Puritaner fortlaufend um theologische Einheit auf der Grundlage der Schrift gerungen haben und diese in den großen Bekenntnissen wie in dem von Westminster auch erlangt wurde. Herausgebern, Autoren und dem Verlag ist für die Veröffentlichung dieses ausgezeichneten Bandes zu danken.

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Neben einem Inhaltsverzeichnis mit Einleitung gibt es hier die Rezension als PDF-Datei und eine Bestellmöglichkeit:

 

Vaughan Roberts: Gottes Plan – kein Zufall!

201104121924.jpgDie Bibel ist nach wie vor das meistverkaufte Buch. Trotzdem ist heute der durchschnittliche Europäer nahezu unwissend, was den Inhalt der Heiligen Schrift angeht. Bei Christen steht es um die Bibelkenntnis meist nur geringfügig besser. Wir kennen die zwei großen Teile, also das Alte und das Neue Testament. Wir haben unsere Lieblingsverse und -geschichten, so wie Vers 16 im 3. Kapitel des Johannesevangeliums oder das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Aber kennen wir den heilsgeschichtlich bedeutsamen Unterschied zwischen dem Noahbund und dem Abrahambund? Haben wir uns schon mal gründlich mit den Spreisevorschriften oder dem Aufbau des Tempels beschäftigt? Was eigentlich ist das Reich Gottes? Ist uns beim Bibellesen schon der Christus des Neuen Testamentes im Alten Testament begegnet?

Christen, die eine gute Sonntagsschule oder Jungschararbeit kennengelernt haben, sind im Vorteil. Sie erinnern sich an den Auszug von Ägypten, Daniel und die Löwengrube oder die Speißung der Fünftausend. Da aber auch in der Kinder- und Jugendarbeit oft das Spieleprogramm das Erlernen biblischen Stoffes ersetzt hat, ist auch die christliche Sozialisation keine Garantie dafür, dass die Bibel ein vertrautes Buch ist.

Nun ist eine Arbeitshilfe von Vaughan Roberts erschienen, die helfen kann, die Grundlinien der Bibel von Anfang bis Ende besser zu verstehen. Gottes Plan – kein Zufall!, erschienen beim 3L-Verlag, will jungen und gereiften Christen einen Überblick über die gesamte Bibel verschaffen und dabei zeigen, dass alle 66 Bücher dieses einen dicken Buches aufeinander bezogen sind und in einem engen Verhältnis zu Jesus Christus stehen.

Vaughan Roberts ist Rektor der anglikanischen St. Ebbe’s Kirche in Oxford (Großbritannien) und seit 2009 President des Proclamation Trust, einem Werk, dass besonders den auslegenden Predigtstil stärken möchte. Roberts hat viel Stoff aus dem Klassiker Gospel and Kingdom von Graeme Goldsworthy übernommen, aber dem Buch ein eigenständiges Profil verliehen. Einer kurzen Einleitung in die Bibel folgen acht Kapitel, die angefangen vom Schöpfungsbericht bis hin zum vollendeten Reich im Buch der Offenbarug führen. Die Kapitel sind mit Schlüsselversen, ansprechend gestalteten Tabellen und Abbildungen angereichert (vgl. die Abbildung anbei). Am Ende jeden Kapitels befinden sich Fragen zum vertiefenden Weiterstudium.

Da das Buch nur 158 Seiten umfasst, musste sich der Autor auf die wichtigsten Themen beschränken. Aber die Vereinfachung mitsamt einiger Unschärfen ist die klare Stärke des Buches. Der Leser erkennt schnell wichtige Grundmuster, die das erschließen der Heiligen Schrift enorm erleichtern. So lässt sich Bibel leichter im Zusammenhang lesen. Roberts:

Mit Ausnahme von einigen der Sprüche enthält die Bibel keine isolierten Aussprüche. Ich sollte mich davor in Acht nehmen, wahllos zuzugreifen und einzelne Verse ohne Rücksicht auf ihren Zusammenhang zu entnehmen. Es ist nahezu unvermeidlich, dass ich die Bibel missverstehe, wenn ich sie auf diese Weise lese. Jeder Vers muss im Kontext des Kapitels, in dem er auftaucht, verstanden werden, und jedes Kapitel im Licht des Buches als Ganzem. Und es gibt einen größeren Zusammenhang, den wir ebenso berücksichtigen müssen: die gesamte Bibel.

Roberts liest die Bibel christozentrisch. Er stellt klar heraus, dass Gott schon immer den Plan hatte, Jesus Christus als den Retter für die Welt zu senden. »Die ganze Bibel«, schreibt Roberts, »weist vom Anfang bis zum Ende auf ihn hin«. Obwohl der Autor so wegführt von der vorschnellen Frage: »Was bedeutet der Text für mich«, wird es dem Leser möglicherweise trotzdem »warm ums Herz«. Mir ging es bei der Lektüre ein wenig so wie den Jüngern von Emmaus. Nachdem Jesus ihnen Mose, die Propheten und alle Schriften »auf Christus hin« ausgelegt hatte, fragten sie sich: »Brannte nicht unser Herz, als er unterwegs mit uns redete, als er uns die Schriften aufschloss?« (Lk 24,32).

Das Buch mit kann die Bibellektüre erheblich bereichern und beleben. Ich empfehle es herzlich!

Hier eine Leseprobe und die Abbildung von oben als PDF: Schaubild.pdf.

Das Buch:

  • Vaughan Roberts: Gottes Plan – kein Zufall!: Die Bibel im Zusammenhang erklärt, Waldems: 3L Verlag 2011, 158 S., 12,20 Euro

kann hier bestellt werden:

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