SWR

Evangelikale als Straßenkämpfer

Als ich gemeinsam mit meiner Frau am Samstagmorgen von München in das Studienzentrum Pforzheim fuhr, um dort eine Vorlesung über Apologetik zu halten, hörte ich im SWR2-Radio die Sendung: „Kampf um Kinderherzen: Kommunion, Konfirmation, Kirchenpädagogik“ von Hans-Volkmar Findeisen. Das Feature war insgesamt gut gemacht und zeigt u.a. anhand von Beispielen den Paradigmenwechsel in der Unterweisung der großen Kirchen. Das neue Paradigma heißt „Entschulung der Katechese“. Nicht mehr die Lerninhalte stehen im Vordergrund, sondern das gemeinsame Erleben und Feiern. Offiziell spricht die Evangelische Kirche deshalb nicht mehr von „Konfirmanden-Unterricht“, sondern von „Konfirmandenarbeit“. Endlich – so heißt es – ist Gott als Richter in der Religionspädagogik verschwunden.

Die Redaktion meint, die Konfirmandenarbeit leiste heute einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Zivilgesellschaft. Aktuelle Studien erkennen ihre Bedeutung „als Vermittlungsinstanz von Werten wie Nächstenliebe, Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit“.

Am Ende der Sendung gibt es allerdings einen Dämpfer. Da sind nämlich noch die „Engstirnigen“ und die „Traditionalisten“, die das friedliche und tolerante Konzert der Großkirchen stören. Auf katholischer Seite sind das Migrantenfamilien aus Kroatien, Polen, Ghana, Sri Lanka oder Ecuador. Auf evangelischer Seite stammen die Fundamentalisten aus der ehemaligen Sowjetunion. Ihre Verbündeten sind die Evangelikalen.

Zitat:

Auch sie sehen sich der Segnungen einer ohnedies fremden Welt beraubt. Sie helfen mit, wie es heißt, „überholte“ und „weltfremde“ Vorstellungen von religiöser Erziehung und Intoleranz gegen sexuelle Minderheiten gegebenenfalls mit den Fäusten auf der Straße durchzusetzen. So geschehen etwa bei den Demonstrationen gegen den neuen baden-württembergischen Bildungsplan. Kein Zweifel: Solche Misstöne stören das Bild der Harmonie, das die moderne Gesellschaft und die Kirchen gerne von sich selber malen.

Hier werden also – am Ende der Sendung – die Traditionalisten in die Nähe intoleranter Zeitgenossen gerückt. Schlimmer noch: Sie setzen als unverbesserliche Minderheit ihre Interessen „gegebenenfalls mit den Fäusten auf der Straße“ durch. Als Beispiel wird die Demonstration gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg angeführt. Erweckt wird allerdings der Eindruck, als flögen die Fäuste der Frommen schon mal, wenn es darum gehe, ihre Überzeugungen durchzusetzen.

Wäre ich Polizist, würde ich mir nichts lieber wünschen als die harmlosen Frommen, die ein- oder zweimal im Jahr für das Lebensrecht oder eine angemessene Bildungspolitik demonstrieren. So schnell findet man keine pflegeleichteren Protestler. Soweit ich es mitbekommen habe, ging die Gewalt bei den Demonstrationen in Stuttgart auch gar nicht von den Gegnern des Bildungsplanes, sondern von einigen linken Gruppierungen aus, die den rot-grünen Bildungsplan stützen.

Ähnlich verzerrend hat kürzlich Stefan Behr für die Frankfurt Rundschau über den „A21 – Walk for Freedom“ berichtet. In Frankfurt hatten einige Leute für die Organisation der Hillsong-Pastorin Christine Caine friedlich gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel demonstriert. Behr zieht in seinem Artikel die Aktion ins Lächerliche und schreibt den Veranstaltern einen gewissen fundamentalistischen Ruf zu.

Das ist alles nicht so tragisch, aber eben auch wenig hilfreich. Ein Journalismus, der auf so unfeine Weise verfremdet und die Stimmung anheizt, braucht sich an andere Stelle nicht darüber beschweren, dass heute an den Stammtischen und in den Foren unselig viel gehetzt wird.

Den Audiomitschnitt und das Manuskript der Sendung „Kampf um Kinderherzen“ gibt es hier: www.swr.de.

Optimierter Anfang, kontrolliertes Ende

Dass es noch qualitativ hochwertigen Journalismus gibt, belegt die Radiosendung „Leben nach Plan – Optimierter Anfang, kontrolliertes Ende“ von Eva Schindele. Worum geht es?

Anfang und Ende des Lebens sind existenzielle Übergänge, bei denen immer häufiger die Medizin Regie führt. Die meisten Menschen begrüßen das und hoffen dadurch, das eigene Leben besser kontrollieren zu können. Aber der naturwissenschaftliche Blick prägt die Wahrnehmung von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt: Mit der Herstellung von Embryonen im Labor stellt sich die Frage: Wann beginnt das Leben? Die vorgeburtliche Diagnostik sucht gezielt nach Normabweichungen beim Ungeborenen; gleichzeitig werden immer kleinere Frühgeborene gerettet und Schädigungen dabei billigend in Kauf genommen. Auch der Tod wird zum Projekt von Planung und Kontrolle. Dabei haben Ärzte und Ärztinnen bis heute Probleme, am Lebensende ihre Rolle zwischen Aktionismus, Schmerzlinderung und Sterbehilfe zu finden.

Einige wichtige Sätze aus der Sendung:

Die Sprecherin:

Ethische Vorstellungen sind nicht in Stein gemeißelt. Sie werden im gesellschaftlichen Diskurs immer wieder neu ausgehandelt, spiegeln den Zeitgeist wider und legitimieren oft im Nachhinein das technisch Machbare. Dabei prägen oft diejenigen die Debatte, die ein Interesse an einer Liberalisierung haben: Das sind vor allem einerseits die Anbieter reproduktionsmedizinischer oder pränataldiagnostischer Frage: Es ist ja viel Potenz hier, sozusagen „Leben“ zu generieren?

Die Lübecker Medizinethikerin Christina Schües sagt:

Materialprüfung ist üblicherweise nicht das, was am Anfang liegt, wenn man eine Beziehung eingeht mit einem Menschen. Ich hab mich schon oft gefragt, was es heißt eigentlich für ein Kind unter Bedingungen geboren zu werden. Ich hab in meinem Buch die Geburt verstanden als Gabe, und zwar in dem Sinne, dass Kinder bedingungslos geboren werden. Also im Sinne einer Gabe. Wenn es aber so ist, dass die Embryonen, also Kinder kontrolliert werden, und nicht zu ihren eigenen Bedingungen geboren werden, sondern zu Bedingungen von anderen, bestimmter Kriterien, bestimmter Qualitätsmerkmalen, dann würde ich sagen, ist ein Embryo reduziert auf einen Warencharakter. Und dann fragt man sich ja auch, ob dann vielleicht Regressansprüche gemacht werden können und ob man es auch wie eine Ware zurückgeben kann.

Die Sprecherin:

Von freudiger Erwartung ist in heutigen Schwangerschaften oft nur noch wenig zu spüren. Schon von Anfang an wird die Frau auf ein ärztliches Schwangerschaftsregime eingeschworen, das vor allem die Pathologie und das Risiko in den Mittelpunkt stellt. Kaum ein Kind kommt heute noch „ungeprüft“ auf die Welt. Unter dem Versprechen der „Sicherheit“ konnte sich so in den letzten 25 Jahren ein riesiger Markt für vorgeburtliche Untersuchungen und Tests etablieren. Gute Geschäfte für Frauenärzte, aber auch für Hersteller von Ultraschallgeräten, Software oder Testkits wie dem sogenannten Praenatest, der ab der 9. Schwangerschaftswoche im mütterlichen Blut nach Hinweisen für Down-Syndrom beim Ungeborenen sucht.

Margaretha Kurmann vom „Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik“:

Es wird gesucht, um zu verhindern, dass ein Kind mit dieser Behinderung oder Beeinträchtigung, nach der gesucht wird, geboren wird. Die Therapie ist der Schwangerschaftsabbruch. Es gibt seltene Fälle, wo man die Geburt sozusagen danach ausrichten kann und man kann auch manchmal das in der Schwangerschaft machen und das ist ja auch nicht strittig, aber in der Regel sind es Untersuchungen, die wir im Netzwerk als selektiv bezeichnen, die also darauf ausgerichtet sind, Geburt von Kindern mit bestimmten Merkmalen zu verhindern. In dem Sinne gibt es nichts zu entscheiden über das So-Sein des Kindes, sondern es gibt nur darüber etwas zu entscheiden: Soll dieses Kind auf die Welt kommen oder nicht?

Hier das Manuskript und der Link auf die mp3-Datei der empfehlenswerten Sendung zum Download: swr2wissen-20150606-leben-nach-plan-ra06.12844s.mp3.

Nach oben scrollen
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner