Ulrich Körtner

Ist Gott queer?

Queere Theologie läuft Gefahr, sich von zentralen Glaubensgrundsätzen zu entfernen, meint Ulrich Körtner in einem Gespräch mit der WELT: 

„Eine dramatische Veränderung“ ergebe sich durch die queere Theologie für die Kirche. „Denn wenn das biologische Geschlecht irrelevant sein soll, muss auch die kirchliche Sexualethik irrelevant werden, da sie von der Zweigeschlechtlichkeit ausgeht und die Prinzipien der zweigeschlechtlichen Ehe auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften anzuwenden vermag. Das erodiert, wenn biologische Geschlechtlichkeit bestritten wird.“

Zudem ergäben sich „gewaltige Probleme“ beim christlichen Gottesbild. „Die feministische Theologie wollte zwar auch weibliche Seiten in Gott entdecken, ging aber im christlichen Kontext noch davon aus, dass Gott die Versöhnung zwischen den von ihm geschaffenen Geschlechtern will, die seinem Bilde entspricht“, sagt Körtner. „Demgegenüber wird in einer Theologie der Queerness versucht, die eigene sexuelle Identität, die man sich selbst in Zurückweisung biologischer Geschlechtlichkeit konstruiert, nun auch in einer sexuellen Queer-Identität Gottes zu verankern, die ebenfalls in Zurückweisung biologischer Geschlechtlichkeit konstruiert wird.“

Das aber widerspreche „diametral“ dem Gottesbild der Bibel. „Denn in ihr ist Gott sexuell weder aktiv noch konnotiert. Dass er als Vater bezeichnet wird, macht aus ihm keinen Mann im sexuellen Sinne. Deshalb kann man ihn für keine sexuelle Identität welcher Art auch immer in Anspruch nehmen, nicht das Eigene auf ihn projizieren oder ihn als Analogie des eigenen Lebens konstruieren.“ Insofern habe „eine reflektierte Lehre von Gott eine kritische Funktion“, sagt Körtner. „Sie ist ein Einspruch dagegen, die eigene Identität auf Gott zu übertragen und damit absolut zu setzen.“

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Der Gott der Klimaschützer

In der gestrigen Ausgabe der FAZ sind zwei Beiträge zur Lage der Evangelischen Kirche in Deutschland erschienen. In „Z wie Zukunft oder Z wie Zement?“ gewährt Reinhard Bingener erste Einblicke in den bevorstehenden Reformprozess der Kirche (FAZ vom 11.08.2020, Nr. 185, S. 4). „Die EKD hat im vergangenen Monat ‚elf Leitsätze‘  des sogenannten Z-Teams (‚Z‘ für ‚Zukunft‘) veröffentlicht. Das Gremium beschreibt darin, wie die evangelische Kirche in Zukunft insgesamt arbeiten soll.“

Bingener schreibt:

Läutet das Papier also das Ende der klassischen Ortsgemeinde ein? In Anbetracht der sinkenden Finanzkraft und immer weniger Pfarrer steht zumindest außer Frage, dass es künftig weniger solcher Gemeinden geben wird. Über das Verhältnis der Ortsgemeinde und anderen Formen von Kirche ist damit allerdings kaum etwas gesagt. Hinzu kommt, dass der Verteilungskampf zwischen den parochialen, also ortsgemeindlichen, Strukturen und den überparochialen Einrichtungen nicht auf EKD-Ebene geführt wird, sondern da, wo der mit Abstand größte Teil des Geldes verteilt wird: in den Synoden der einzelnen Landeskirchen. Gleichwohl ist bemerkenswert, wie geringschätzig in dem Papier über die Kirchengemeinden gesprochen wird, während kirchensoziologische Studien deren bleibende Bedeutung unterstreichen.

Am Besten gefällt mir folgender Satz: „Die EKD-Synode wird auf ihrer diesjährigen Tagung im November nicht wie sonst eine politische Frage als Schwerpunktthema haben, sondern die Zukunft der evangelischen Kirche.“

Ulrich Körtner (Wien) hat zudem in dem Artikel „Der Gott der Klimaschützer“ erneut zugeschlagen (S. 11, vgl. seinen Beitrag in der ZEIT). Seiner Auffassung nach reagiert die EKD auf die Glaubenskrise mit einer Musterschüler-Theologie, die keine Antworten auf die wirklich großen Fragen gibt. „Selbst in kirchlichen Stellungnahmen, beispielsweise zu Umwelt und Klimaschutz, gerät der Glaube an Gottes fortlaufendes Schöpfungshandeln und die Erhaltung der Welt durch ihn zunehmend aus dem Blick. So wirkt der biblische Gott in kirchlichen Appellen zur Bewahrung der Schöpfung oft nur noch als Motivator für menschlichen Einsatz zum Schutz der Natur, gewissermaßen als religiöses Add-on, auf das man notfalls verzichten kann.“

Körtner zitiert Feuerbach:

„Der Geist der Zeit oder Zukunft“, notierte Ludwig Feuerbach 1842/43, „ist der des Realismus. Die neue Religion, die Religion der Zukunft ist die Politik.“ Echten Gottesglauben gebe es nicht einmal mehr in den fortbestehenden Kirchen. Die Gläubigen sprächen zwar weiter vom Segen Gottes, doch suchten sie echte Hilfe nur beim Menschen. Daher sei der Segen Gottes „nur ein blauer Dunst von Religion, in dem der gläubige Unglaube seinen praktischen Atheismus verhüllt“.

Entscheidend und stark dann die Selbstkritik. Die Gotteskrise der Gegenwart hat nämlich sehr viel damit zu tun, dass die Kirche ihren eigenen Glauben nicht mehr versteht:

Die Gotteskrise der Gegenwart ist nicht nur eine Glaubens-, sondern auch eine Sprachkrise. Damit ist nicht etwa bloß gemeint, die kirchliche Verkündigungssprache sei zu blutleer und alltagsfremd. Es geht zunächst nicht um Rhetorik, um Kommunikationstechniken und die vielbeschworene Authentizität. Vielmehr sind Theologie und Kirche selbst auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen, was Sünde und Erlösung, Gnade, Auferstehung und neues Leben überhaupt bedeuten. Sich dieser Lage mit letzter Redlichkeit zu stellen ist die Aufgabe von Theologie in dürftiger Zeit.

Gott nur als Chiffre

Der Systematiker Ulrich Körtner (Wien, Österreich) hat der EKD für ihr Zukunftspapier „Kirche auf gutem Grund – Elf Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche“ kräftig die Leviten gelesen. Kurz: Wenn die Kirche so weitermacht, ist sie weder systemrelevant noch existenzrelevant (Wolfgang Huber). Körtner knackig:

Kein Wort […] von Tod und Auferstehung Jesu, seiner Heilsbedeutung für den Einzelnen wie die Welt im Ganzen. Kein Wort von Sünde und Vergebung, es sei denn nur von Schuld in einem moralischen Sinne, aber nicht als Synonym für eine zerrüttete Gottesbeziehung. Kein Wort von Gottesferne oder davon, dass Gott in irgendeiner Weise fehlen könnte.

Dafür findet man in dem Papier Transformationstheologie ohne Ende, die Umdeutung des Missionsbegriffs inklusive:

Zwar liest man irgendetwas von authentischer Frömmigkeit und Glaubenswissen, das weiterzugeben sei, doch wie kann es sein, dass ein Papier mit dem Titel „Kirche auf gutem Grund“ von diesem so wenig zu sagen weiß? Als Bibelleser würde man doch zumindest einen Hinweis auf den Apostel Paulus erwarten, der im 1. Korintherbrief, Kapitel 3, schreibt: „Einen anderen Grund kann niemand legen, als der, welcher gelegt ist in Jesus Christus.“ Zwar will auch die EKD weiter „öffentlich relevant auf Christus verweisen“. Aber das geschieht bloß im Sinne einer Urbild- und Vorbildchristologie – oder sollte man besser sagen: Jesulogie. Christus, so lässt uns das Zukunfts-Team der EKD wissen, sei Urbild und Vorbild dessen, was die Kirche „für die Vielen“ tue. Die Kirche folge ihm und seinem Geist, wenn sie sich für die Schwachen, Ausgegrenzten, Verletzten und Bedrohten sowie für Frieden und Bewahrung der Schöpfung einsetze. In dieser moralisierenden Auslegung des Evangeliums treffen sich kulturprotestantischer Liberalismus und eine linksliberale politische Theologie, die sich heute gern „Öffentliche Theologie“ nennt. Wenn es im EKD-Papier heißt, die Kirche der Zukunft müsse missionarisch sein, so ist doch nicht an Verkündigung und Seelsorge, sondern in erster Linie an ein sozialpolitisches Handeln gedacht, das „zeichenhaft und exemplarisch“ sein soll.

Hier: www.zeit.de.

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