Calvin: Wiederherstellung als eschatologisches Handeln Gottes

Heiko Obermann schreibt – Johannes Calvin in seiner Predigt zu  2. Sam. 5,4 zitierend (aus: Heiko Obermann, „Die ‚Extra‘-Dimension in der Theologie Calvins“, Heinz Liebing u. Klaus Scholder (Hg.), Geist und Geschichte der Reformation, Berlin: Walter De Gruyter, 1966, S. 332–356, hier S. 328–329 ):

Durch Gottes Gnade und Macht ist diese Ordnung nun hier und dort in örtlichen Kirchen und auch im öffentlichen Leben einiger Städte und Gegenden wiederhergestellt worden. Die wahre Wiederherstellung und Wiederversammlung und die abschließende Aufrichtung von Gesetz und Ordnung muß freilich von den Gläubigen in Geduld als eschatologisches Handeln Gottes erwartet werden. In seiner Predigt über 2. Sam. 5,4 – »David regierte vierzig Jahre« – stellt Calvin fest, daß dies keineswegs eine unerschütterte und ununterbrochene Herrschaft gewesen sei: »ce n’a pas esté du premier coup en perfection.« Dann fährt er fort (»c’est pour nous, que cecy est écrit«) mit der Anwendung dieses Textes auf die gegenwärtige Herrschaft Gottes und legt darin sein religiöses Testament nieder, welches bezeichnenderweise zugleich eine politische Eschatologie enthält:

»… Wir wissen zwar, daß Gott herrscht; aber da unser Herr Jesus Christus verborgen ist in Ihm und seine vollkommene Herrschaft verborgen ist in dieser Welt, hat sie keinen Glanz, sondern ist nur wenig geschätzt, ja sogar verworfen von der Mehrheit. Daher sollten wir es keineswegs seltsam finden, daß unser Herr Jesus Christus, obwohl er von Gott seinem Vater zum König eingesetzt worden ist, jetzt noch nicht die Autorität unter den Menschen hat, die ihm eigentlich zustünde. Weiterhin ist uns heute noch kein gewisser, endgültiger Zeitpunkt bezeichnet worden (»terme« = Kairos). Wir sehen, daß die Herrschaft unseres Herrn Jesus Christus begrenzt ist, da es nur eine Handvoll Menschen gibt, die ihn angenommen haben, und da jeder einzelnen Stadt, welche das Evangelium empfangen hat, große Länder gegenüberstehen, wo Götzendienst herrscht. Wenn wir daher sehen, daß die Herrschaft Jesu Christi so klein und nach den Maßstäben der Welt verachtet ist, so laßt uns den Blick auf dies Beispiel heften, das uns hier [in der Herrschaft Davids] gegeben ist, und laßt uns auf das Ende (»terme«) warten, welches Gott kennt; denn für uns ist es verborgen. Ich sage, laßt uns warten in Geduld, bis sein Königreich in Vollkommenheit aufgerichtet ist und Gott jene sammelt, die zerstreut sind, wiederherstellt, was vernichtet ist, und in Ordnung bringt, was verworren ist … Laßt uns nicht aufhören, soweit es an uns liegt, Gott zu bitten, daß er fortschreite und [sein Königreich] vergrößere, und daß jeder sich darauf ausrichte mit all seiner Kraft; und laßt uns selbst dem stattgeben, daß wir von ihm in einer Weise regiert werden, daß er allezeit in uns verherrlicht wird, sowohl im Leben als auch im Tod.«

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2 Kommentare
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2 Jahre zuvor

Sehr gut! Danke! Kommt dieses Ende, von dem Calvin hier spricht, bei der Wiederkunft Christi oder vorher? Oder, um etwas anachronistisch zu reden, hat Calvin also eine amillennialistische oder eine postmillennialistische Eschatologie?

Ich denke ersteres. In der Vorrede zu seiner Danielauslegung schreibt Calvin gegen Ende. „Schließlich aber ist noch auf eins zu achten: die Ermahnung des alten Bundesvolks zu geduldigem Ertragen des Kreuzes ist zugleich eine Mahnung an uns, daß auch nach dem Erscheinen Christi die Kirche nicht in behaglicher Ruhe leben wird, sondern daß Gottes Kinder bis ans Ende zu kämpfen haben und daß man auf eine Frucht des Sieges nicht eher hoffen darf, als bis die Toten auferstehen und Christus selbst uns in sein himmlisches Reich versammelt.“ (Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Neue Reihe. 9. Bd. Ezechiel und Daniel, Neukirchener, 1938, 361)

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