Bibelwissenschaft

Ulrich Parzany: Das Buch Begründung des Glaubens hat mir entscheidend geholfen

Pfarrer Ulrich Parzany hat das Buch Begründung des Glaubens von Herman Ridderbos schon in den 60er Jahren gelesen. Dass es jetzt neu (und endlich in einer vollständigen Ausgabe) erschienen ist, kommentiert er in einer Rezension Folgendermaßen:

Als Theologiestudent hatte ich mich mit der radikalen Bibelkritik Rudolf Bultmanns und seiner Schüler auseinanderzusetzen. Die Autorität der Bibel wurde durch die Infragestellung der historischen Zuverlässigkeit der biblischen Berichte und durch Bezweiflung des neutestamentlichen Kanons als Wort Gottes untergraben. Damals, 1963, erschien das Buch des niederländischen Theologen, Herman Ridderbos, Begründung des Glaubens – Heilsgeschichte und Heilige Schrift, R. Brockhaus Verlag Wuppertal. Dieses Buch hat mir entscheidend geholfen. Ich hüte es bis heute in meiner Bücherei.

Mit großer Freude begrüße ich, dass der Verlag VERBUM MEDIEN dieses Buch jetzt neu aufgelegt hat [siehe hier]. Herman Ridderbos (1908–2007) war Professor für Neues Testament an der Theologischen Hochschule in Kampen, Niederlande.

In der Einleitung schreibt Ridderbos: „Die Theologie sieht sich immer wieder vor die Frage nach der Autorität der Heiligen Schrift gestellt. Die meisten Theologen unserer Zeit antworten darauf, dass die Heilige Schrift an sich keine göttliche Autorität besitze und dass diese nur ihrem Inhalt zukomme. Das Kennzeichnende an dieser Auffassung ist nicht, dass sie jede Offenbarung schlechthin leugnet, wohl aber, dass sie einen prinzipiellen Unterschied zwischen Offenbarung und Heiliger Schrift macht. Die Bibel ist demnach nur menschliche Urkunde als Beschreibung göttlicher Offenbarung oder, wie man gegenwärtig zu sagen pflegt, ihr menschliches Zeugnis. … Der Schrift an sich komme keine Offenbarungsqualität zu.“ (S.15f)

Ridderbos vertritt und begründet seine Gegenthese: „Die Heilige Schrift hat eine Geschichte. Sie ist ein Produkt von Gottes Offenbarungshandeln in der Heilsgeschichte. … Die Bedeutung der Bibel und das Wesen ihrer Autorität können also nur dann richtig verstanden werden, wenn man die Schrift eng mit der Heilsgeschichte verbindet…. Die vorliegende Arbeit bemüht sich daher nicht darum, den Glauben auf einen anderen Grund als den der Bibel zu stellen, sie möchte nur das Wesen der Heilsgeschichte näher ergründen, oder anders ausgedrückt: den Zusammenhang zwischen Heilsgeschichte und Heiliger Schrift aufdecken.“ (S.21f)

Mehr: www.bibelundbekenntnis.de.

Peter Stuhlmacher (1932–2025)

Die Nachrichtenagentur IDEA berichtet, dass der Neutestamentler Peter Stuhlmacher vertorben ist:

Der international angesehene Tübinger Theologieprofessor Peter Stuhlmacher ist am 5. April im Alter von 93 Jahren gestorben. Das hat die Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA aus seinem persönlichen Umfeld erfahren. Der gebürtige Leipziger lehrte von 1972 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Zuvor war er vier Jahre in Erlangen tätig.

Durch seine Forschungen über den Apostel Paulus und die „Biblische Theologie des Neuen Testaments“ erwarb er sich Anerkennung über Deutschland hinaus. Mit Kollegen entwickelte er eine „Biblische Theologie“, bei der die wissenschaftliche Bibelexegese durch eine „geistliche Schriftauslegung“ ergänzt wird.

Ich habe seine Bücher gern gelesen und schätzen gelernt.

Wer Stuhlmacher noch einmal hören möchte, könnte sich zum Beispiel seine Vorträge über die Neue Paulusperspektive anhören, die auch als Buch erschienen sind (#ad).  

Mehr: www.idea.de.

Herman Ridderbos: Die Begründung des Glaubens

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Die gerade erschienene Neuauflage des Buches Begründung des Glaubens (Verbum Medien, 2025) des Neutestamentlers Herman Ridderbos erschien erstmalig 1955 als Heilsgeschiedenis en Heilige Schrift van het Nieuwe Testament. Es folgten drei englischsprachige Auflagen mit dem Titel Redemptive History and the New Testament Scriptures in einem presbyterianischen Verlag. Sowohl die niederländische als auch die englischen Ausgaben enthalten einen zweiten Teil über die Autorität des Neuen Testaments, der in der deutschen Ausgabe von 1963 leider fehlt. Bei der Neuauflage haben wir daher nicht nur die alte Übersetzung an einigen Stellen erheblich überarbeitet, sondern auch den bisher fehlenden zweiten Teil über die Autorität des Neuen Testaments übersetzt und eingefügt.

Worum geht es in diesem Buch?

Ridderbos geht es in Begründung des Glaubens nicht – wie man aufgrund des Titels vermuten könnte – um die Verteidigung der christlichen Religion. Er erörtert vielmehr die Frage, mit welchem Recht der christliche Glaube Offenbarungswahrheit in Anspruch nimmt. Er diskutiert die Bedeutung der Schrift, ihre Kanonizität und die Eigenart ihrer Autorität.

Für den Leser ist es hilfreich, zu wissen, dass die Arbeit in einer Zeit entstand, in der es sehr verbreitet war, den biblischen Schriften lediglich einen menschlichen Zeugnischarakter zuzugestehen (vgl. z.B. Karl Barth o. Emil Brunner). Demnach komme der Bibel selbst keine Offenbarungsqualität zu, da sie nur ein menschliches und damit gebrechliches Zeugnis der göttlichen Offenbarung sei. Aus diesem Grund stand der kritischen Arbeit am „Schriftzeugnis“ nichts im Weg, was folglich die Kanonkritik und allgemein die historisch-kritische Forschung am Neuen Testament rechtfertigte und beflügelte.

Herman Ridderbos greift die vielfältigen damit zusammenhängenden Fragestellungen auf und legt schließlich eine eigenständige Antwort vor. Er vertritt die Auffassung, dass die Autorität des Kanons weder in der Anerkennung des Kanons durch die Kirche noch in der Erfahrung des Gläubigen mit dem Kanon liegt. Jeder Versuch, die Autorität des Kanons mit anderen Mitteln als dem Kanon selbst zu begründen, öffnet nach Ridderbos einer subjektivistischen und willkürlichen Argumentation Tür und Tor. Ebendeswegen ist für Ridderbos der neutestamentliche Kanon selbst die Offenbarung Gottes für sein Volk, da er die verbindliche schriftliche Verkündigung der Worte und Taten Gottes in Christus darstellt, die durch die göttlich beauftragten Apostel kundgetan wurden. Als solcher gehört der Kanon zum Heilshandeln Gottes in der Geschichte und erhält genau hierdurch seine bindende Autorität.

Das klingt dann so: 

Zunächst erscheint es etwas gewaltsam, eine Verbindung zwischen Heilsgeschichte und neutestamentlichem Kanon herstellen zu wollen. Es ist ja nirgendwo im Neuen Testament von einem Kanon als abgeschlossener Einheit von Schriften die Rede. An keiner Stelle hören wir von einem Auftrag, bestimmte Schriften zusammenzustellen, die der Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte als Richtschnur dienen sollen. Der Kanon ist – so scheint es jedenfalls – dem Heilshandeln Gottes in Jesus Christus a posteriori hinzugefügt. Er kam erst dann zum Zuge, als die großen Heilstaten Gottes, die Fleischwerdung Jesu Christi, seine Auferstehung, die Himmelfahrt, die Ausgießung des Heiligen Geistes schon längst der Vergangenheit angehörten. So betrachtet ist es nicht verwunderlich, dass sich die gegenwärtige Literatur – die auf den historischen Charakter der neutestamentlichen Offenbarung so starken Nachdruck legt – so wenig mit der Bedeutung beschäftigt, die das Neue Testament als literarische Größe in diesem Heilshandeln einnimmt. Es scheint wirklich so, als ob die Heilige Schrift des Neuen Testaments erst nach der großen Offenbarungszeit auftrete und sie deswegen in der Kirchengeschichte behandelt und dementsprechend beurteilt werden müsse. Doch ist dies nur zum Teil wahr. Gewiss gehört die Festlegung des Kanons als abgeschlossene Einheit von 27 Büchern zur Kirchengeschichte. Die Frage ist aber, ob das auch ob das auch vom Kanon in qualitativem Sinne gilt; genauer gesagt: ob dasjenige, was die Kirche veranlasst hat, einen schriftlichen und geschlossenen Kanon als Norm des Glaubens anzuerkennen, seinen Grund nur in der Geschichte der Kirche selbst oder auch in der Heilsgeschichte findet. Es geht hierbei nicht um das Wort „Kanon“, das im Neuen Testament nur wenige Male vorkommt und dort in sehr allgemeiner Form. Es geht um die sachliche Autorität, die den in den Kanon aufgenommenen Schriften von Anfang an in der Kirche zuerkannt wurde und die dann auch – vor allem im Westen – den kirchlichen Gebrauch des Namens „Kanon“ im Sinne von „Maßstab, Regel, Norm für Glaube und Leben“ bestimmt hat.

Von dieser Autorität gilt, dass sie ihren Ursprung im Herzen der Heilsgeschichte hat. Es ist die Tat Jesu Christi selbst, die hierin sichtbar wird, und das nicht allein deswegen, weil er als der Gesandte des Vaters und als der Sohn Gottes Träger göttlicher Vollmacht war und man daher sagen kann, dass Gott sich in Christus der Welt gegenüber als Kanon erwiesen hat. Tatsächlich hat Christus zur Mitteilung und Überlieferung dessen, was in der „Fülle der Zeit“ geschehen ist, was gesehen und gehört wurde, die formale Autoritätsinstanz geschaffen, auf die sich Ursprung und Maßstab des Evangeliums für alle Zukunft gründet.

Das Buch kostet 12,90 € und kann bei Verbum Medien oder überall im Buchhandel bestellt werden.

Tim Keller: Richter

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Das Buch der Richter im Alten Testament steckt voller Gewalt und bietet Bibellesern keinen einfachen Zugang. Deshalb lassen wir es in unserem Bibelstudium gern außen vor. Dabei passt das biblische Buch so gut in unsere Zeit: „Jeder tat, was ihn recht dünkte“. In diesem neuen Kommentar der Reihe „Die Bibel erklärt“ hilft Tim Keller uns, die Bedeutung der Erzählungen über die fragwürdigen Helden zu verstehen. Er zeigt, wie das wiederholte Versagen der Richter uns auf den wahren Helden Jesus hinweist und wie das unser Herz und unser Leben verändern kann. Neben dem Kommentar ist ein Arbeitsheft für Gruppen und Leiter erhältlich, um das Buch in einer Kleingruppe zu studieren.

Hier gibt es eine Leseprobe: VM-Keller-RichterKommentar-Inhalt-Leseprobe.pdf. Und hier noch ein dazugehöriges Arbeitsheft. Zusammen lassen sich diese Materialien hervorragend in Hauskreisen etc. einsetzen. 

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Licht und Schatten von Weihnachten

Daniel Knoll schreibt über „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lk 2,14, in: Herold, Nr. 12, Dez. 2024, S. 4–5):

Wie kann man denn sagen: Es gibt Freude für alle, aber den Grund für diese Freude – nämlich den Frieden – gibt es nicht für alle? Das klingt in etwa so, wie wenn plötzlich in einem Gefangenenlager laut und für alle hörbar angekündigt wird: „Es gibt einige unter euch, die begnadigt werden.“ Diese Ankündigung löst eine große Freude aus, denn jeder der Gefangenen hofft, zu den Begnadigten zu gehören. Doch nur für einige wird diese Hoffnung letztlich zur frohen Gewissheit.

Das ist eigentlich das Drama von Weihnachten. Alle freuen sich über Weihnachten, aber nicht alle haben einen Grund dazu. Alle freuen sich über die Friedensbotschaft, doch nicht alle bekommen auch diesen Frieden. Wir wissen und erleben immer wieder, dass unsere Welt trotz der göttlichen Ankündigung von Frieden, alles andere als friedlich ist. Es herrscht Unzufriedenheit trotz Geschenke, Einsamkeit trotz Familienfeiern, Traurigkeit trotz Weihnachtsstimmung. Einige aber leben und leiden in dieser Welt und haben dabei gerade wegen dieser Weihnachtsbotschaft einen Frieden, der nicht durch Krisen, Krebs und Kriege erschüttert werden kann. Die Ursache ihres Friedens liegt über all diesen Dingen. Es ist der Friede, den die Engel den Hirten verkündigten. Ein Friede, der nicht davon abhängt, ob unsere Lebensumstände in Ordnung sind, sondern davon, ob unsere Beziehung zu Gott in Ordnung ist. Dieser Friede ist in der festen Gewissheit gegründet: Ich habe Frieden mit Gott, der alle Lebensumstände in seiner Hand hält. Weil dieser Gott mich liebt und es gut mit mir meint, kann ich ruhig und hoffnungsvoll sein. So teilt dieser bekannte Weihnachtstext die Menschheit gewissermaßen in zwei Gruppen: Solche, auf die die Herrlichkeit Gottes strahlt und die Frieden mit Ihm haben, weil Gott Wohlgefallen an ihnen hat, und solche, die im Schatten des Weihnachtsfestes stehen und im Unfrieden bleiben. Und beiden Gruppen hat dieser Text etwas zu sagen.

Mehr hier: herold-mission.com.

Tim Keller: Richter

Richter Keller.

Das Buch der Richter erinnert an die heutige Zeit. Die Zusammenfassung des Buches könnte lauten: „In jenen Tagen gab es keinen König in Israel; jeder tat, was in seinen Augen recht war“ (Ri 21,25; a. 19,24; 17,6).

Leider wird über das Buch wenig gesprochen – etwa in Predigten oder Hauskreisen. Das mag unter anderem daran liegen, dass es voller Gewalt „steckt“ und Bibellesern keinen leichten Zugang bietet. Der bei Verbum Medien neu erschienene Kommentar in der Reihe „Die Bibel erklärt“ erleichtert es, sich dem Buch mit Unterstützung zu nähern. Tim Keller hilft mit seiner Auslegung, die Bedeutung der Erzählungen von den zweifelhaften Helden zu verstehen. Er zeigt, wie das wiederholte Scheitern der Richter uns auf den wahren Helden Jesus hinweist und wie dies unser Herz und unser Leben verändern kann. Neben dem Kommentar gibt es ein Arbeitsbuch für Gruppen und Leiter, um das Buch in Kleingruppen zu erarbeiten.

Hier eine Leseprobe.

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The Gospel of Jesus’ Wife

War Jesus verheiratet? Diese Frage bekam im Jahr 2012 Auftrieb, als die Harvard-Professorin Karen L. King einen Papyrus vorgestellt hatte, in dem signalisiert wird, dass Jesus zusammen mit einer Frau lebte. Das Thema wurde von der Presse dankbar aufgenommen. Es gab zum Beispiel Beiträge im DLF, im SONNTAGSBLATT und natürlich bei EVANGELISCH.DE

Ein paar Jahre später ist Ernüchterung eingetreten. Seit 2020 wissen wir, dass der deutschstämmige Erotikproduzent Walter Fritz für das Papyrus verantwortlich war.  Ich zitiere nochmals Anselm Schubert (Christus (m/w/d), München: C.H. Beck, 2024, S. 231–232):

Wie der schwule sollte auch der verheiratete Jesus sein eigenes Evangelium bekommen. 1945 waren im ägyptischen Nag Hammadi umfangreiche Reste frühchristlich-gnostischer Texte gefunden worden. Wir hatten bereits gesehen, dass darin immer wieder ein besonderes Verhältnis zwischen Christus und Maria Magdalena angedeutet wird, Maria Magdalena als Lieblingsjüngerin, als Lehrerin der Jünger oder sogar als «seine Gefährtin» beschrieben wird und Jesus sie küsst, da er sie «mehr liebte als alle Jünger», 133 Das Philippusevangelium deutet an einer Stelle überdies an, es gebe «den Menschensohn, und es gibt den Sohn des Menschensohnes».

Während die wissenschaftliche Forschung darauf hinwies, dass die frühchristliche Gnosis kaum etwas so negativ bewertete wie Körperlichkeit, Geschöpflichkeit und Sexualität und deshalb von Anfang an annahm, dass die Verse eine metaphorische und mystische Bedeutung hatten, mehrten sich seit Bekanntwerden der ersten Übersetzungen um 1970 populär- und pseudowissenschaftliche Darstellungen, die nun reißerisch behaupteten, Jesus habe mit Maria Magdalena ein Kind gezeugt. Diese Debatte berief sich einerseits auf die pseudepigraphischen Evangelien des 19. Jahrhunderts, andererseits auf die neuen Funde und stand eng in Verbindung mit der feministischen «Entdeckung» Maria Magdalenas (…).

2012 verkündete die amerikanische Koptologin Karen L. King die Entdeckung und Entzifferung eines Papyrusfragments, das ein unbekannter Sammler ihr vorgelegt hatte. Das kaum visitenkartengroße Fragment umfasste nur wenige, bruchstückhaft erhaltene Zeilen; aber es war deutlich zu erkennen, dass Jesus an einer Stelle «meine Frau» erwähnt und es wenig später hieß: «sie kann mein Jünger sein». Nach dieser Aussage hatte King das Fragment «Gospel of Jesus‘ Wife» genannt, und unter diesem Namen erfreute sich der Fund für kurze Zeit globaler Aufmerksamkeit. King ließ das Fragment im folgenden Jahr physikalisch und chemisch untersuchen: Sowohl Papyrus als auch Tinte schienen echt. Dennoch meldeten sich Zweifel an der Echtheit des Fragments, denn ein solcher Beweis, dass Jesus eine Frau gehabt hatte, schien einfach allzu sehr dem Zeitgeist zu entsprechen. Hinzu kam, dass nicht nur die Schrift unbeholfen wirkte, der gesamte Bestand des kurzen Textes schien aus Formulierungen des koptischen Thomasevangeliums zu bestehen. Wenig später stellt man fest, dass eine grammatikalische Besonderheit offensichtlich auf einer fehlerhaften Onlineausgabe des Thomasevangeliums aus dem Jahr 2002 beruhte. 2020 identifizierte der Journalist Ariel Sabar den unbekannten Sammler schließlich als den Deutschen Walter Fritz – einen in Florida lebenden Erotikaproduzenten und ehemaligen Koptologiestudenten aus Berlin. 

Der „Jesus“ von Morton Smith

Im Jahre 1973 veröffentlichte Morton Smith, ein angesehener Althistoriker, ein Manuskript, das er 1958 im Kloster Mar Saba südöstlich von Jerusalem entdeckt haben wollte. Das Manuskript enthielt den Teil eines Briefes, der Clemens von Alexandria zugeschrieben wurde. Die Entdeckung Smith’s löste viele Diskussionen über Jesus aus. Edwin M. Yamauchi schrieb damals für CHRISTIANITY TODAY:

Mit beachtlicher Gelehrsamkeit legt Smith ein starkes Argument für die Echtheit des Briefes vor, in dem behauptet wird, dass die karpokratianischen Gnostiker ihre Lehren aus einem geheimen Markus-Evangelium ableiteten. Es wird behauptet, dass Markus nach dem Tod des Petrus in Rom nach Alexandria kam und ein spirituelleres Evangelium für diejenigen verfasste, die sich vervollkommnen wollten. Zu den aus diesem Evangelium zitierten Passagen gehört die Beschreibung der Auferweckung eines toten Jünglings durch Jesus. Nach seiner Auferstehung kam der Jüngling mit nur einem Leinentuch über seinem nackten Körper zu Jesus, „und er blieb die Nacht bei ihm, denn Jesus lehrte ihn das Geheimnis des Reiches Gottes.“

Smith geht jedoch weit über die Beweise hinaus, indem er behauptet, dass dieses angebliche Evangelium älter ist als das kanonische Markus-Evangelium, und spekuliert, dass die ursprüngliche Essenz des Christentums erotische Magie war. Clemens‘ Brief scheint nicht mehr als ein Zeugnis für ein weiteres apokryphes Evangelium zu sein. Nur diejenigen, die bereit sind, das Schlimmste über das Christentum zu glauben, werden seine radikalen Ansichten über die bis dahin unbekannte Natur Christi als Vermittler erotischer Magie begrüßen.

Heute wissen wir mehr über die Arbeitsweise von Morton Smith. Ich zitiere aus Christus (m/w/d) von Anselm Schubert (München: C.H. Beck, 2024, S. 229–231):

Nur wenige Jahre später erfuhr die Debatte um die Männlichkeit Jesu eine unerwartete Verschärfung. Der amerikanische Neutestamentler Morton Smith (1915-1991) veröffentlichte im Jahr 1973 das Fragment eines «Geheimen Markusevangeliums», das er angeblich 1958 in der Bibliothek des bei Jerusalem gelegenen Klosters Mar Saba gefunden hatte. Der kurze Text gab sich als Kopie eines Briefes des Clemens von Alexandria an einen Unbekannten aus. Demnach existiere in Alexandria ein geheimes Evangelium aus der Feder des Markus, das Ketzer mit ihren Lügen verfälschten. Um sie zu widerlegen, gibt Clemens den echten Wortlaut eines Passus aus dem Evangelium wieder. Demnach habe Jesus einen Jüngling von den Toten auferweckt: «Und nach sechs Tagen beauftragte ihn Jesus, und am Abend kommt der Jüngling zu ihm, nur mit einem Hemd auf dem bloßen Leibe bekleidet. Und er blieb bei ihm jene Nacht, denn es lehrte ihn Jesus das Geheimnis des Reiches Gottes.» Smith interpretierte das nächtliche Ritual als Taufe, nach welcher der Täufling sich sexuell mit Jesus vereint habe, um gemeinsam mit ihm ins Reich Gottes entrückt zu werden. Erstmals stand in der akademischen und theologischen Debatte die quellengestützte Vermutung im Raum, es könne in der Urkirche einen homosexuellen Initiationsritus oder die Vorstellung vom Reiche Gottes als sexueller Erfüllung gegeben haben.

Das «Geheime Markusevangelium» gab den latenten Debatten um das Verhältnis von Christentum und Homosexualität neue Nahrung. Ähnlich wie Smith sah der niederländische Neutestamentler Sjef van Tilburg (1939-2003) 1993 die Beziehung Jesu zum sogenannten Lieblingsjünger im Johannesevangelium als ein homoerotisches Lehrer-Schüler-Verhältnis, wie man es aus der griechisch-hellenistischen Welt kenne. William E. Phipps überarbeitete sein Buch und erwog später unter Berufung auf das «Geheime Markusevangelium», dass Jesus schwul gewesen sein könnte. Noch 2009 vertrat der methodistische Theologe Theodore W. Jennings (1942-2020) in seinem Buch «The Man Jesus Loved» die These, das «Geheime Markusevangelium» bestätige die «hidden tradition» eines homosexuellen Jesus. Da Smith nur Fotos der vermeintlichen Abschrift bot, bestanden von Anfang an Zweifel an der Authentizität des angeblichen ClemensBriefes und damit an der Existenz des «Geheimen Markusevangeliums».

Heute nimmt man überwiegend an, dass Smith sich mit dem kirchlichen und wissenschaftlichen Establishment einen Scherz erlaubt und die Fälschung selbst angefertigt hat. Smith, selbst homosexuell, hatte den Ruf eines hochgebildeten, aber schwierigen Zeitgenossen, der sich zeitlebens an der Homophobie der christlichen Verkündigung abarbeitete. Neuere Analysen legen nahe, dass er seine Fälschung mit allen Mitteln der Textkritik anlegte, ihre Auffindungsfiktion nach Motiven eines damals bekannten Spionageromans gestaltete und möglicherweise sogar Hinweise auf seine eigene Autorschaft im Text verschlüsselte. Smiths Fälschung – der Text wie seine Inszenierung – erscheint heute als eine Parodie des Wissenschaftsbetriebs: als eines jener Pastiches, die die Gendertheoretikerin Judith Butler später als wichtigste Möglichkeit pries, den heteronormativen Diskurs punktuell zu unterlaufen und so in seiner Kontingenz zu entlarven.

Warum der Neue Bund die Vergebung der Sünden ermöglicht

Joel R. White schreibt in „Der eine Bund hinter den Bünden“ über die Wirkung des stellvertretenden Sühneopfers (Armin Baum u. P.H.R. van Houwelingen (Hrsg.), Kernthemen neutestamentlicher Theologie, Giessen: Brunnen, 2022, S. 41–57, hier S. 51–52):

Der entscheidende Impuls dafür, dass sich die neutestamentliche Gemeinde als Gottesvolk im neuen Bund verstand, kam nicht von Paulus, sondern von Jesus. Seine Worte beim Abschiedsmahl sind in den synoptischen Evangelien (Mt 26,2629; Mk 14,22–25; Lk 22,14–20) und bei Paulus (1 Kor 11,23–26) überliefert worden. 30 Sie liegen in zweifacher Gestalt vor, einer markinisch-matthäischen und einer paulinisch-lukanischen. Alle vier Berichte belegen, dass Jesus in seinen Einsetzungsworten von einem Bund sprach. Paulus und Lukas machen explizit, dass es sich dabei um den neuen Bund handelt: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird“ (vgl. Lk 22,20; 1 Kor 11,25). Dass hier auf Jer 31,31–34 angespielt wird, liegt auf der Hand. Markus (Mk 14,24), gefolgt von Matthäus (Mt 26,28), fügt der Aussage Jesu hinzu, dass sein Blut „für viele” vergossen wird. Er greift damit Jesu Aussage in Mk 10,45 auf, dass er sein Leben als Lösegeld „für viele“ gibt. Dadurch wird eine konzeptuelle Verbindung zur jesajanischen Vorstellung von einem leidenden Gottesknecht hergestellt, der als Sühneopfer dargebracht wird und „viele” gerecht macht (Jes 53,10–11), 31 Jesus selbst deutete an, wie einer der rätselhaften Aspekte des neuen Bundes in Erfüllung gehen sollte. Wie wir oben bereits gesehen haben, lässt Gottes Verheißung an Jeremia an eine einmalige Vergebung der grundsätzlichen „Sünde“ des Bundesbruchs denken. Das ist im Kontext des alten Bundes mit seinen sich ständig wiederholenden Versöhnungsriten geradezu unvorstellbar. Aber indem Jesus die Verheißung Jeremias mit der Konzeption vom leidenden Gottesknecht in Verbindung bringt, macht er deutlich, wie diese Vergebung geschehen kann: Er selbst wird das Opfer, das den Bruch des Bundes bzw. die Unfähigkeit des Volkes Gottes, den Bund einzuhalten, sühnt. Er begründet den neuen Bund durch seinen Tod am Kreuz.

So versteht es jedenfalls der Autor des Hebräerbriefs, der sich in Hebr 8,1–10,18 intensiv mit der Thematik des neuen Bundes auseinandersetzt. Er argumentiert, dass der Sinaibund eine Art Abbild eines besseren Bundes war (Hebr 8,5). Die Tatsache, dass von Jeremia ein neuer Bund angekündigt wurde (Jer 31,31–34 LXX wird in Hebr 8,8–12 in seiner Gesamtheit zitiert), impliziert, dass dem Sinaibund ein Defekt anhaftete – sonst bräuchte man keinen neuen Bund (Hebr 8,7) – und dass der erste Bund nach dem Kommen Christi ausgedient hat (Hebr 8,13). Der Hebräerbrief fährt fort, indem er die Kultstätte und die dort zu verrichtenden Opfervorgänge (Hebr 9,1–10) und im Kontrast dazu das Opfer Christi (Hebr 9,11–14) beschreibt. Unter Verweis auf Ex 24,8 betont er, dass ein Bund nur durch Blutvergießen geschlossen wird, weil es nur so Vergebung der Sünden geben kann (Hebr 9,15–28). Der alte Bund konnte diese Vergebung nur provisorisch erreichen; Christus hat sie ein für alle Mal bewirkt (Hebr 10,1–14). Somit erfüllte sich in ihm der neue Bund (Hebr 10,15–16), insbesondere die Verheißung Gottes, der Sünde des Volkes nicht mehr zu gedenken (Hebr 10,17–18).

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Das Studium des Neuen Testaments neu aufgelegt

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Das hilfreiche Werk Das Studium des Neuen Testaments ist beim Verlag VGTG neu erschienen. Das ist eine gute Nachricht, vor allem für Theologiestudenten und Pastoren. Tanja Bitter hat den Klassiker für Evangelium21 vorgestellt: 

Wie der Titel schon erwarten lässt, handelt es sich um ein Lehrbuch, das Theologiestudenten mit den einzelnen Schritten bzw. mit wichtigen Aspekten der neutestamentlichen Exegese bekannt macht. Die Herausgeber, Heinz-Werner Neudorfer und Eckhard Schnabel, haben dafür elf weitere Theologen mit ins Boot genommen, die jeweils einzelne Kapitel beisteuern. Das Buch ist also nicht „aus einem Guss“, sondern ein Sammelband mit Beiträgen unterschiedlicher Autoren.

Im Eröffnungskapitel vermitteln die beiden Herausgeber einen Überblick über Die Interpretation des Neuen Testaments in Geschichte und Gegenwart. Dabei verweisen sie unter anderem auf die problematischen Denkvoraussetzungen der historisch-kritischen Exegese sowie deren Ergebnisse: „Die historische Kritik hat in vielen Haupt- und Nebenfragen eine Vielfalt einander widersprechender Ergebnisse hervorgebracht“ (S. 23). Diese Erkenntnis ist durchaus in der Fachwelt angekommen (vgl. bereits Albert Schweitzers Untersuchung der Leben-Jesu-Forschung), obwohl das historisch-kritische Vorgehen nach wie vor als unverzichtbar gilt. Vor diesem Hintergrund schwankt die Auslegung mittlerweile zwischen Ratlosigkeit und Experimentiergeist. Wo sich kaum mehr etwas mit Sicherheit sagen lässt, ist der Ausleger in seiner Subjektivität gefangen und die Bibel wird zu einem Buch ohne ermittelbare Botschaft.

Demgegenüber verfolgen die Herausgeber eine Hermeneutik, „die dem Charakter der Bibel gerecht wird, … die sich der (An-)Erkenntnis Gottes des Schöpfers, Richters und Erlösers beugt und den Offenbarungsanspruch der Bibel als Wort dieses Gottes anerkennt“ (S. 25). Das schließt gründliche grammatisch-historische Forschungsarbeit nicht aus, sondern ein, denn Gott hat uns sein Wort im Kontext einer realen historischen Situation und in konkreter literarischer Form gegeben.

Mehr: www.evangelium21.net.

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