Ex-Evangelikale und die Suche nach einem tieferen Glauben

Warum werden Evangelikale zu Ex-Evangelikalen? Die Antworten darauf fallen unterschiedlich aus: Einige gehen, weil sie von unklugen oder sogar missbräuchlichen Leitern verletzt wurden; andere, weil sie an der Wahrhaftigkeit der Heiligen Schrift zweifeln. Für viele gibt es keinen offensichtlichen Grund, sondern nur ein langes, langsames Abdriften.

Ein kluger Artikel von Matthew Bingham zum Thema:

Ich stelle nicht infrage, dass es einigen Erscheinungsformen des evangelikalen Christentums an Tiefe fehlt. Was ich jedoch bezweifle, ist die Annahme, dass eine solche Oberflächlichkeit der Logik der evangelikalen Tradition selbst innewohnt. Meine diesbezügliche Zuversicht rührt nicht daher, dass ich die Praktiken der heutigen Evangelikalen untersuche, sondern vielmehr daher, dass ich einen Blick auf die protestantische Reformationsbewegung werfe, aus der der Evangelikalismus hervorgegangen und der er theologisch verpflichtet ist.

Die Reformatoren und ihre Erben setzten sich nicht nur für eine Reform der Theologie, sondern auch für einen neuen Ansatz in der christlichen Lebenspraxis ein. Sie bemühten sich, geistliches Wachstum zu fördern, das tief in der Heiligen Schrift verwurzelt ist, weil sie verstanden, dass jede gottgefällige geistliche Praxis aus der Heiligen Schrift abgeleitet werden muss und dass Gottes Wort das wichtigste Mittel ist, durch das der Herr sein Volk formt. Im Gegensatz zur mittelalterlichen Tradition, die das persönliche Bibelstudium zugunsten von Pilgerfahrten, Reliquien und einer Vielzahl außerbiblischer Praktiken beiseiteschob, verstanden die Reformatoren, dass sich ein lebendiger, wachsender Glaube auf dem Wort gründet: „Lasst das Wort des Christus reichlich in euch wohnen in aller Weisheit; lehrt und ermahnt einander“ (Kol 3,16).

Um dieses Ziel zu erreichen, dachten Reformatoren wie Johannes Calvin (1509–1564), nachreformatorische Pastorentheologen wie die englischen Puritaner sowie spätere Vorbilder aus dem 18. Jahrhundert wie der Theologe Jonathan Edwards (1703–1758) intensiv über die Frage nach dem Wie nach, die sich manchmal so schwer beantworten lässt. Unser Problem als Evangelikale besteht also nicht darin, dass wir keine Tradition des geistlichen Wachstums haben, sondern vielmehr darin, dass wir oft nicht bemerkt haben, dass es sie gab. Da die säkulare Kultur dem historischen christlichen Glauben zunehmend feindlich gegenübersteht, müssen Gläubige, die standhaft bleiben wollen, bewusster denn je authentisches geistliches Wachstum anstreben. Bei einigen Evangelikalen wird dieser Wunsch nach Tiefgang leider dazu führen, dass sie sich vom Protestantismus ab- und anderen religiösen Praktiken zuwenden, die keine Grundlage in der Heiligen Schrift haben. Diejenigen jedoch, die ernsthaft danach suchen, können ein reiches Erbe an einem auf Gottes Wort gegründeten Glaubensleben finden – hier bei uns.

Mehr: www.evangelium21.net.

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3 Kommentare
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Matze
22 Tage zuvor

Sehr guter Artikel. Wir haben ein sehr reiches geistliches Erbe. Als Jugendlicher gab es bei mir in den verschiedensten Formen immer wieder Rückbezüge auf die Zeit bis zur Reformation. Das reiche Liedgut aus all den Jahrhunderten, Johann Sebastian Bach, pietitische Glaubensväter, sich aufopfernde Missionare bis in die eigene Familiengeschichte hinein. Und was begegnet mir heute? Besucherfreundliche Gottesdienste, Predigten dürfen nicht zu lang und müssen sprachlich einfach sein. Die Lobpreislieder in vielen Gemeinden dürfen nicht älter wie 10 Jahre sein. Nicht falsch verstehen, es hibt auch heute viele gute Entwicklungen, aber wo wir unser geistliches Erbe verloren haben haben wir es selbst verursacht.Aber es ist nicht zu spät: die alten Liederbücher gibt es noch und auch die vielen bewegenden Lebenszeugnisse sus den letzten Jahrhunderten lassen sich noch auftreiben. Und auch so Geschichten nicht nur für Kinder wie Tom der Zettelschneider und Spuren im Schnee….

Stephan
21 Tage zuvor

@Matze Zunächst mal scheint meine Antwort zum anderen Thema noch in der Genehmigung vor der Veröffentlichung zu hängen. Hier jetzt sinngemäß ein Dialog, keine Woche alt, zwischen einer (zu mir konfessionsverschiedenen) Kollegin (K) und ihrem Besuch aus Amerika (A) (dort Mitglied einer bekannten evangelikalen Freikirche mit „popkonzertähnlichen Gottesdiensten“). Ort des Dramas: eine Stadt in Ostdeutschland, vor einem Denkmal: A: Wer ist das? K: Martin Luther. A: Kenne ich nicht, wer war das? K: gibt Erläuterung zu Martin Luther (aus ihrer Sicht der „Abtrünnige“) und der Reformation A: Unverständnis …, kann auch danach nicht ihre Freikirche in den Kontext einordnen. „Wer seine Wurzeln nicht kennt, hat keinen Halt.“ Dem kann man auch nicht mit Paul Gerhardt – Liedern erfolgreich beikommen, denn dazu hätte in den Vorjahren ein geistliches Wachstum stattfinden müssen, um dessen Texte im Kontext seiner Biografie würdigen und einordnen zu können. Zugegeben, das ist ein Extremfall, der mir heute so erzählt worden ist, aber derartiges begegnet mir auch hier… Weiterlesen »

Matze
21 Tage zuvor

Hallo @Stephan, Vielen Dank für den klasse Kommentar. Noch ein Beispiel. Eine Gemeinde hatte einen Flügel, der für Konzerte wie zum Beispiel für Heilslieder für die Senioren und im Lobpreis genutzt wurde. Dann gab es Änderungen in der Leiterschaft und der Flügel wurde verkauft. So beraubt man eine Gemeinde der Fähigkeit durch die Art der Musik Vielfalt möglich zu machen und an das geistliche Erbe zu erinnern.

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