D.F. Wallace

D.F. Wallace und T.S. Eliot

Vor 10 Jahren nahm sich David Foster Wallace, der wohl bekannteste Diagnostiker der postmodernen Kultur, das Leben. Warren Cole Smith hat für CT einen rührenden Rückblick verfasst und dabei Gemeinsamkeiten zwischen Wallece und T.S. Eliot ausgemacht:

Tatsächlich, bei aller postmodernen Glaubwürdigkeit auf der Straße, beim Drogenkonsum und bei der selbst offenbarten sexuellen Promiskuität von Wallace (zumindest bis er sich Anfang der 40er Jahre niederließ und heiratete), wurde Wallace letztlich zu einem Old-School-Moralisten, zu einem Künstler, der für die Postmoderne das war, was T.S. Eliot für die Moderne war: ein Schriftsteller, der vom Brunnen des Zeitgeistes trank, um es als Warnung an andere wieder auszuspucken.

Eliot und Wallace waren sich noch in anderer Hinsicht ähnlich. Sie waren beide Söhne des Mittleren Westens, deren Eltern anspruchsvoll waren und hohe Erwartungen stellten. Beide erlebten früh im Leben literarischen Erfolg und beide spürten die Last dieses frühen Erfolgs. Beide sahen sich mit Krisen der Berufung und Depressionen konfrontiert. Beide wurden zu Stimmen ihrer Generation.

Wallace las und lehrte Eliot. Besonders bewegt war er von The Waste Land, einer Elegie der westlichen Kultur, die als eines von Eliots Meisterwerken gilt. Genau wie Wallace’s Werk ist das Gedicht bekannt dafür, anspielend, abstrus und voller ungewöhnlicher Fußnoten zu sein.

Mehr hier: www.christianitytoday.com.

 

D.F. Wallace: The Pale King

201104121040.jpgBevor er sich erhängte, kämpfte Kultautor David Foster Wallace an einem Konzept für einen neuen Roman (siehe auch hier), der nun zu lesen ist: The Pale King bietet unfassbar Brillantes zum Thema Langeweile, meint Jörg Häntzschel.

»Infinite Jest« beschrieb eine nahe Zukunft, in der wir uns als Opfer unserer Unterhaltungs- und Betäubungssucht buchstäblich zu Tode amüsieren. Der Roman selbst wurde zum Abbild davon: mit Kaskaden der Verzettelung, mit Spiegelkabinetten, deren erheiternde Brechungen in klaustrophobischem Entsetzen mündeten.

»The Pale King« widmet sich der anderen Seite derselben Medaille: der Langeweile, deren unerträglich lautes Schweigen wir mit Dauerentertainment zu übertönen suchen. Wallace geht es nicht um ihren Weltschmerzaspekt, diesen Standardtopos der Moderne von Flauberts »Éducation Sentimentale« bis zu den Büchern von Bret Easton Ellis. Was ihn interessiert, ist ihre mörderische Mechanik, und was diejenigen tun, die der Langeweile ausgeliefert sind.

Hier die Buchbesprechung: www.sueddeutsche.de.

Sind Sie neidisch auf »Infinite Jest«, Mr. Eugenides?

Wie froh wäre ich, könnte ich die FAZ abonnieren. Bei all dem dumpfen Wahlkampfgeplärr lässt die Zeitung nach wie vor hoffen, dass es um unsere Republik nicht ganz so schlimm bestellt ist, wie es gelegentlich scheint.

Felicitas von Lovenberg hat sich für die FAZ in Berlin-Kreuzberg mit dem erfolgreichen amerikanischen Schriftsteller Jeffrey Eugenides getroffen und über Infinite Jest (dt. Unendlicher Spaß) gesprochen. Sehr lesenswert: www.faz.net.

Empfohlen sei zudem die Rezension über Unendlicher Spaß von Richard Kämmerlings.

David Foster Wallace, der genialische Autor dieses Werks, der sich nach jahrelangen Depressionen im vergangenen September das Leben nahm, war ein ernsthafter Mensch, unendlich ernsthaft, möchte man heute, nach seinem traurigen Ende, sagen. »Infinite Jest« ist ein moralisches, ja moralistisches Buch über den gegenwärtigen American way of life und damit über den Entwicklungsstand unserer Kultur. Es ist ein Buch über die Leere im innersten Zentrum unserer Gesellschaft, die der Einzelne mit Süchten, Zerstreuungen, Obsessionen und Unterhaltungen aller Art ersatzweise füllt und so verdeckt und verdrängt. Unendlicher Spaß ist das Codewort einer düsteren Zukunftsvision, als Endpunkt menschlicher Evolution bedeutet er den Tod der Kultur und den Tod des Subjekts – und zwar in einem ganz konkreten, nicht übertragenen Sinne. Dieses anstrengende, schwierige, die Geduld des Lesers strapazierende Buch mit dem Titel »Unendlicher Spaß« ist ein Gegengift.

Hier die Buchbesprechung: www.faz.net.

Wallace will die spielerische Postmoderne überwinden

Morgen erscheint Unendlicher Spaß, das Hauptwerk des amerikanischen Schriftstellers David Foster Wallace, auf Deutsch. In seiner oszillierenden Sprachvielfalt ist das Werk eine Herausforderung für jede Übersetzung. Der deutsche Übersetzer Ulrich Blumenbach, dem für seine Übertragung von Infinite Jest der diesjährige Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Preis zugesprochen wurde, gewährt heute in einem FAZ-Artikel Einblick in seine mehrjährige Übersetzungsarbeit.

Ein erstes Hufeisen, das ich in der Übersetzung nachschmieden musste, war die Ästhetik des Autors: Wallace will die spielerische Postmoderne überwinden und sich mit realen Gesellschaftsproblemen auseinandersetzen, ohne auf Ironie zu verzichten. Das findet seine stilistische Umsetzung in einer Art Doppelcodierung: Ein und derselbe Erzähler kann im Roman zwischen verschiedenen Ausdrucksweisen pendeln und plötzlich aus einem wissenschaftlichen Duktus in die flapsige Umgangssprache eines kleinkriminellen Exjunkies verfallen: »Als eine Substanz, deren zufällige Synthese den Sandoz-Chemiker in den vorzeitigen Ruhestand versetzte und zu anhaltend starren Wandbetrachtungen verführte, steht das unglaublich starke DMZ in weiten Kreisen chemischer Untergrundlaien im Ruf, der schlimmste Stoff zu sein, der je in einem Reagenzglas gezeugt wurde. Es ist heute außerdem die härteste Freizeitdroge, die in Nordamerika zu kriegen ist, abgesehen von vietnamesischem Rohopium, das, ach vergiss es.«

Hier der Artikel: www.faz.net.

Unendlicher Spaß: Infinite Jest

200907310753.jpg Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace, einer der wichtigsten Vertreter der postmodernen Literatur, das Leben (vgl. hier). Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces »Opus magnum« mit 1646 Seiten gearbeitet. Es handelt sich um das bisher größte Übersetzungsprojekt des Kiepenheuer & Witsch Verlages.

1996 erschien Infinite Jest in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Nicht allein der schiere Umfang, sondern vor allem die sprachliche Kreativität, die ungeheure Themenvielfalt, die treffsichere Gesellschaftskritik, scharfe Analyse sowie der Humor machen den Roman zum Meilenstein der amerikanischen Literatur. Unendlicher Spaß: Infinite Jest ist nicht einfach zu lesen, aber Pflichtlektüre für Leute, die die Zeitgeistkultur (z.B. hybride Identitäten) besser verstehen wollen.

Das Buch, das ab dem 24. August ausgeliefert wird, kann schon jetzt bestellt werden.

Einkaufsmöglichkeit

The Pale King

Wieland Freund erklärt in einem Artikel, den er für die DIE WELT geschrieben hat, dass David Foster Wallace vor seinem Suizid den Roman »The Pale King« fertigstellte. THE NEW YORKER hat Fotos des Manuskripts und einen Auszug veröffentlicht.

Lesen Sie »Nach diesem Roman erhängte er sich« hier: www.welt.de.

Todessehnsucht

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Einige Wochen vor meiner Kreuzfahrt berichteten die Nachrichten in Chicago vom Selbstmord eines sechzehnjährigen Jugendlichen. Der Junge war vom Oberdeck eines Luxuskreuzers (entweder der Carnival- oder der CrystalLinie) in den Tod gesprungen, der Medienversion nach aus Liebeskummer, als Reaktion auf eine unglückliche Liebelei an Bord. Ich persönlich aber glaube, dass noch etwas anderes im Spiel war, etwas, über das man in einer Nachrichtenstory nicht schreiben kann.

Denn alle diese Kreuzfahrten umgibt etwas unerträglich Trauriges. Und wie bei den meisten unerträglich traurigen Sachen ist die Ursache komplex und schwer zu fassen, auch wenn man die Wirkung sofort spürt: An Bord der Nadir überkam mich – vor allem nachts, wenn der beruhigende Spaß- und Lärmpegel seinen Tiefpunkt erreichte – regelrecht Verzweiflung. Zugegeben, das Wort Verzweiflung klingt mittlerweile ziemlich abgegriffen, doch es ist ein ernstes Wort, und ich verwende es im Ernst. Für mich bedeutet Verzweiflung zum einen Todessehnsucht, aber verbunden mit dem vernichtenden Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit, hinter der sich wiederum die Angst vor dem Sterben verbirgt. Elend ist vielleicht der bessere Ausdruck. Man möchte sterben, um der Wahrheit nicht ins Auge blicken zu müssen, der Wahrheit nämlich, dass man nichts weiter ist als klein, schwach und egoistisch – und dass man mit absoluter Sicherheit irgendwann sterben wird. In solchen Stunden möchte man am liebsten über Bord springen.

Dieses Zitat stammt aus dem Buch Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich, in dem David Foster Wallace festhielt, was er Mitte der 90er Jahre während einer siebentägigen Reise auf einer Luxuskreuzfahrt beobachtet hat.

Wallace, geboren 1962, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern der Postmoderne. Sein Lektor Colin Harrison bezeichnete den Amerikaner als »Jahrhundert-Talent«. Seine unterschwellige Neigung zu Depressionen, viele ›Frauengeschichten‹ sowie üppiger Drogen- und Alkoholkonsum stürzten ihn allerdings Anfang der 90er Jahre in eine tiefe Lebenskrise. Wallace über diese Zeit:

Vielleicht kam es dem nahe, was in den alten Zeiten als spirituelle Krise bezeichnet wurde … Das Gefühl, dass sich alles, worauf du in deinem Leben gebaut hast, als trügerisch erweist. Nichts existiert wirklich, du selbst auch nicht, es ist alles eine Täuschung. Nur, dass du besser dran bist als die Anderen, weil du erkennst, dass es eine Täuschung ist, und schlechter, weil du so nicht funktionieren kannst.

dfwallaceWallace erholte sich, konnte seinen Zustand mit Hilfe eines Antidepressivums stabilisieren und schrieb neben kleineren Werken den pulverisierenden 1100-Seiten Roman Infinite Jest (wird gerade ins Deutsche übersetzt und soll mit dem Titel Unendlicher Spaß im Herbst 2009 erscheinen).

Der Roman gilt postmodernen Autoren als wegweisend. Es geht um die mediale Faszination und Ablenkung durch das Fernsehen, um die Frage, warum sich Menschen so viel Mist anschauen. Wallace konkretisiert: »Es geht um mich: Warum mache ich das?« »Charaktere werden entwickelt und verschwinden einfach, Kapitel folgen ohne erkennbaren Zusammenhang aufeinander«, bemerkt David Lipsky in seinem exzellenten Feature über den Romanautor (»Die letzten Tage des David Foster Wallace«, Rolling Stone, Dezember 2008, S. 68–76). »Denn wohin Entertainment letztlich führt, ist ›Infinit Jest‹, das unendliche Vergnügen – das ist der Stern, der den Kurs bestimmt«, erklärt Wallace selbst.

Für Andreas Borcholte war sein Thema die »Suche moderner Menschen nach Zugehörigkeit, Lebensinhalt und Kommunikation. Mit den Mitteln der Ironie und Absurdität und viel Sinn für den Jargon des Alltags versuchte der brilliante Stilist, das Dauerfeuer aus Informationen und Soundbites, das zu jeder Zeit aus Fernsehen, Radio und Internet auf die Menschen niederprasselt, zu durchbrechen, indem er es in seiner ganzen Bedeutungslosigkeit darstellte« (Spiegel online vom 14.09.2008) .

Mit Infinit Jest gelang Wallace der Durchburch und er erntete kolossalen Ruhm. Doch am 12. September 2008, in so einer Stunde, in der man am liebsten über Bord springen möchte (siehe Zitat oben), erhängte er sich (siehe den Beitrag hier im Blog). Seine Frau Karen Green fand ihn in ihrem gemeinsamen Haus, als sie vom Einkaufen zurückkehrte.

Wallace war nicht nur hochbegabt, sondern zerstörerisch kritisch, auch gegenüber sich selbst. Als Sohn eines Philosophieprofessors hatte er gelernt, Vordergründiges zu hinterfragen. Er, der Mathematik, Literatur und Philosophie studierte und zudem ein erfolgreicher Tennisprofi war, durchschaute entzaubernd, wie sehr die unendliche Entertainisierung der Gesellschaft die Menschen verfremdet. Wallace sah den Abgrund, keinen Ausweg.

Ich frage mich: Was hätte Wallace im evangelikalen Mainstream gefunden? Die ihm so vertraute Kultur der Zerstreuung, eben nur eine andere Spielart? Eine fromme Form der Idenditätskrisenbewältigung? Menschen, die sich durch geistliche Übungen vor der Härte der wirklichen Welt schützen? Eben all das, was einer eh kennt, wenn er aufgeweckt durchs Leben zieht?

Oder wäre Wallace bei uns dem frohmachenden Evangelium von der uns in Jesus Christus zugewandten Gnade Gottes begegnet? Hätte er vernehmen können, dass Jesus gern Sünden vergibt und kranke Seelen heilt. Das er genau die Menschen sucht, die an sich selbst verzweifeln, gern denen Ruhe schenkt, die »niedergedrückt und beladen« sind (Matthäusevangelium 11,28, vgl. auch 9,12)?

„Aber in Zukunft ohne mich“: David Foster Wallace ist tot

Ein hochintelligenter und sprachgewaltiger Gesellschaftskritiker, eines der größten Talente neuer amerikanischer Literatur: David Foster Wallace, Autor des Kult-Romans Infinite Jest, ist in seinem Haus in Kalifornien tot aufgefunden worden. Offenbar hat sich der 46-Jährige am 12. September erhängt.

In einem seiner letzten Interviews bekannte Wallace: »Man kann nicht auf der Welt sein, ohne in Schmerzen zu leben, seelischen und körperlichen Schmerzen«. In Infinite Jest, einem der einflussreichsten postmodernen Bücher Amerikas, lässt David Foster Wallace eine Figur nach einem Selbstmordversuch feststellen: »Ich wollte mir nicht unbedingt weh tun. Oder mich irgendwie bestrafen. Ich hasse mich nicht. Ich wollte bloß raus. Ich wollte nicht mehr mitspielen, das ist alles.«

Hier einige lesenswerte Links:

  • DIE ZEIT veröffentlichte am 25. Januar 2007 ein Interview mit Wallace: www.zeit.de.
  • Andreas Borcholte hat für den SPIEGEL einen Nachruf verfasst: www.spiegel.de.
  • Guido Graf hat einen Nachruf für die FRANKFURTER RUNDSCHAU geschrieben: www.fr-online.de.
  • Jordan Mejias hat für die FAZ die Reaktionen in Nordamerika zusammengefasst: www.faz.de.
  • Die NEW YORK TIMES berichtet über den Selbstmord von David Foster Wallace: www.nytimes.com.
  • Sein Buch »Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich», erschien im Frühjahr 2008 bei Goldmann als Taschenbuch: www.amazon.de.
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