Gender

Kathleen Stock rehabilitiert

Sie wurde an ihrer Universität gemobbt, weil sie an ihrem biologischen Geschlecht festhielt. Schließlich kündigte Kathleen Stock ihren Job (vgl. hier). Jetzt profitiert die britische Feministin von einer neuen Behörde, die sich für Meinungsfreiheit einsetzt. Eine gute Entwicklung, über die die NZZ berichtet.

Die Bewegung der Woken setzte Kathleen Stock einst schwer zu. Weil die englische Professorin auf dem biologischen Unterschied der Geschlechter bestand und das Konzept einer von der Anatomie unabhängigen Gender-Identität zurückwies, kam es 2021 zu wütenden Protesten an der University of Sussex, an der Stock lehrte.

Die Gender-kritische Philosophieprofessorin musste jahrelang Mobbing und Schikanen wegen ihrer Ansichten ertragen. Nach einer, wie sie schrieb, „absolut schrecklichen Zeit“ für ihre Familie und sie selbst sah sich Stock schliesslich gezwungen, ihre Lehrstelle aufzugeben. Drei Jahre später aber diagnostizierte sie in der Londoner „Times“ das Schwächeln der Woke-Bewegung. Und nun gibt ihr auch die Regierung in einem bisher einzigartigen Verfahren recht, das den Gender-Wars eine neue Dynamik gibt.

Die Hochschulaufsichtsbehörde Office for Students (OfS) brummte der University of Sussex eine Geldstrafe in der Höhe von 585 000 Pfund auf – wegen Nichteinhaltung der Redefreiheit. Die OfS, 2024 gegründet, soll sich um Meinungs- und akademische Freiheit kümmern.Als OfS-Direktor fungiert Arif Ahmed, ein Wittgenstein-Experte und Philosophieprofessor an der Universität Cambridge. Ahmed sah sich gezwungen, die Untersuchung und ihre Ergebnisse im Fall Stock gegen die heftige Kritik der Vizekanzlerin der Universität Sussex, Sasha Roseneil, zu verteidigen, die diese als „ungeheuerlich und zusammengebastelt“ bezeichnete.

Mehr: www.nzz.ch.

Ist Ihr Baby heterosexuell oder schwul?

Krankenhäuser in South Jersey (USA) verteilen Formulare, in denen schwangere und frisch entbundene Mütter nach der Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung ihrer Babys gefragt werden, so eine Patientin aus South Jersey. Das meldet NJ.COM, ein Anbieter lokaler Nachrichten. Zitat: 

„Welches Geschlecht wurde Ihrem Baby bei der Geburt zugewiesen?“

„Welche der folgenden Aussagen beschreibt Ihr Baby am besten? Lesbisch oder schwul; heterosexuell, bisexuell, fragend/unsicher, möchte lieber nicht antworten.“

Das Formular von Inspira Health erklärt, dass die Fragen nach staatlichem Recht erforderlich sind und dem Krankenhaus dabei helfen sollen, seinen Auftrag zu erfüllen, „eine sichere und mitfühlende Erfahrung zu bieten“. Das Gesetz von 2021 verpflichtet medizinisches Fachpersonal, Patienten nicht nur nach ihrer Rasse und ethnischen Zugehörigkeit, sondern auch nach ihrer Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung zu fragen. Die Teilnahme der Patienten ist freiwillig. 

Lillie Mingle sagte, als sie das Formular in einem Paket vom Krankenhaus erhielt: „Ich war schockiert, und dann überkam mich Ekel. Unabhängig von meinen persönlichen Überzeugungen war allein die verwendete Sprache sehr beunruhigend.“ Mingle veröffentlichte das Formular in den sozialen Medien, woraufhin sie Antworten von anderen Müttern erhielt, die angaben, in anderen Krankenhäusern, die nicht mit Inspira verbunden sind, einen ähnlichen Fragebogen erhalten zu haben. Die Senatorin des Bundesstaats, Holly Schepisi, R-Bergen, bekam Wind von dem Gerede und stellte Nachforschungen an. Am Freitag sagte sie, sie arbeite an einem Gesetzesentwurf, der das Gesetz ändern und etwas „gesunden Menschenverstand“ einführen würde.

Hier: www.nj.com.

Die geleugnete Natur

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Abigail Favale hat mit Die geleugnete Natur einen bedeutsamen christlichen Beitrag zur Genderdebatte veröffentlicht. Mein Fazit:

Die Autorin stellt die These auf, dass der biblische Schöpfungsbericht und die gängigen Gendertheorien zwei unvereinbare Weisen sind, das menschliche Personsein zu verstehen. Sie ist davon überzeugt, dass uns Menschen eine „Natur“ mitgegeben ist und dass Mann und Frau einander ergänzen. Der heute verbreiteten Vorstellung einer rein sozial konstruierten Identität oder Geschlechtlichkeit erteilt sie eine klare Absage. Die sich daraus ergebenden Fragen diskutiert Favale kenntnisreich und verständlich, wobei sie die sachlichen Ausführungen gewinnbringend und manchmal humorvoll mit ihrer eigenen Geschichte verknüpft. Praktischen und seelsorgerlichen Fragen, die mit Wucht auf uns hereinbrechen, stellt sie sich ehrlich.

Insgesamt hat Abigail Favale ein überaus lesenswertes und wichtiges Buch geschrieben. Sie räumt – um Hanna-Barbara Gerl-Fallkovitz aus ihrem Vorwort zu zitieren – „die postmodernen Altäre ab“ (S. 11). Und sie macht Mut, Themen, die heute die Welt bewegen, eigenständig christlich in den Blick zu nehmen. Möge Die geleugnete Natur viele Christen dazu anregen, konsequenter von Gottes Offenbarung her zu denken und zu leben.

Die vollständige Buchbesprechung gibt es bei Evangelium21: www.evangelium21.net.

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Nicht-binäres Geschlecht im prähistorischen Europa

Ein Forschungsteam analysiert Geschlechtsdaten aus Gräbern aus einem Zeitraum von fast 4000 Jahren und sie fanden dabei heraus, dass die gesellschaftliche Rolle prähistorischer Individuen mehrheitlich durch ihr biologisches Geschlecht bestimmt wurde. Es habe sich aber gezeigt, dass es schon früher nicht-binäre Geschlechter gegeben habe. Als Leser fragt man sich: Wie denn? Die Antwort: Die Anordnung von Schmuck und Waffen im Grab gibt angeblich Auskunft darüber. Offensichtlich werden gewisse Rollenschablonen zurück projiziert. Bestimmte Gegenstände und ihre Anordnung sollen Auskunft gegen über das unterstellte soziale Geschlecht.

Am Klügsten finde ich diese Kommentierung: 

Dr. Nicola Ialongo vom Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen fügt hinzu, dass dies nur eine der möglichen Interpretationen sei. »Zum jetzigen Zeitpunkt können wir die tatsächliche Größenordnung noch nicht abschätzen. Das liegt nicht nur an der Fehleranfälligkeit der Methoden, zum Beispiel bei der Untersuchung der Knochen. Wir müssen auch den Bestätigungsfehler berücksichtigen: Wir Menschen neigen dazu, das zu finden, was wir finden wollen.« Zukünftig sollen biomolekulare Analysen, zum Beispiel an der DNA und an Proteinen im Zahnschmelz, zusätzliche Daten liefern.

Hier mehr mit einem Link auf den Aufsatz, der im Cambridge Archaeological Journal erschienen ist: www.archaeologie-online.de.

Das entleibte Geschlecht

Bei Genderfragen soll die Biologie des menschlichen Körpers einerseits keine Rolle mehr spielen. Das, was ich fühle, entscheidet angeblich über mein Geschlecht. Andererseits erleben wir einen Hype um den natürlichen Umgang mit dem Körper – egal, ob es die Ernährung, Empfängnisverhütung oder die Menstruation betrifft. Natur ist „in“. Wie passt das zusammen?

Judith Blage geht genau dieser Frage nach und zeigt, dass wir nur dort nach Natürlichkeit streben, wo es uns in den Kram passt:

Wie unlogisch … diese entleibte Sicht auf Geschlecht ist, lässt sich gut am Beispiel Gendermedizin demonstrieren. Nirgendwo sonst wird so deutlich, wie wichtig es für die Gleichbehandlung ist, Geschlechter sehr wohl biologisch zu unterscheiden: Frauen und Männer erkranken nicht nur anders, sie reagieren auch unterschiedlich auf Medikamente.

Weil medizinische Forschung hauptsächlich an Männern stattfindet, sterben Frauen noch immer häufiger an Herzinfarkten und anderen Erkrankungen. Ihre Symptome werden schlicht nicht so gut erkannt wie die von Männern. Deshalb fordern Experten eine bessere Erforschung der Geschlechtsunterschiede in der Medizin – und stossen damit absurderweise unter anderem auf Proteste von Feministinnen.

Warum also streben wir in so vielen alltäglichen Bereichen und in fast aberwitzig unwichtigen Details nach dem grossen Ziel der vermeintlichen Natürlichkeit, während wir in anderen grossen Fragen das Vorhandensein von Körperlichkeit und Biologie so vehement verneinen?

Mehr: www.nzz.ch.

Das dritte Geschlecht?

Vermutlich wird es etlichen Lesern des Blogs auf die Nerven gehen, dass ich hier immer wieder etwas zum Thema „Soziales Geschlecht“ publiziere. Ich selbst finde es auch langweilig. Aber da vor allem unseren Kindern in vielen Schulen und Medien ein neues Fühlen eingeimpft wird, werde ich auch in Zukunft dranbleiben.

Heute stelle ich das Video „Drittes Geschlecht? 11 Fakten über Gender“ ein, das mit den Einnahmen der Rundfunkbeiträge produziert wurde und junge Leute über das Geschlecht aufklären soll.

Der Beitrag transportiert – ich möchte es so drakonisch formulieren – fast nur „alternative Wahrheiten und Fakten“. Kinder und Jugendliche werden das aber nur merken, wenn wir mit ihnen darüber reden und darauf hinweisen, was hier alles FakeInfos sind. Denn es gibt eine wahrscheinlich unausgesprochene Übereinkunft zwischen den Ministerien, Medienhäusern, Konzernen und Instituten, die allesamt das neue Fühlen einführen möchten und auf ihren Kanälen in das gleiche Horn blasen.

Achtung: Wer anders darüber denkt als der Jugendkanal Funk, muss sich darauf gefasst machen, dass er versehentlich eine Gabel in den Oberschenkel gerammt bekommt.

Es ist ganz einfach – wir bleiben Mann und Frau

Die Schulbuchautorin Rieke Hümpel hat für DIE WELT auf gut verständliche Weise erklärt, warum es nur zwei Geschlechter gibt:

Sind Sie eine Frau oder ein Mann? Vermutlich brauchen Sie nicht allzu lange, um diese Frage zu klären. Doch mit schnellen Antworten soll künftig Schluss sein, wenn es nach den Anhängern der sogenannten Queer-Ideologie geht. Ihrem Glauben nach fährt nämlich ein Geist des Geschlechtes in den menschlichen Körper, der sich über das Gefühl ausdrückt. Der Körper wird zur Hülle, in dem das empfundene Geschlecht wie ein Flaschengeist in einer Flasche haust. Du bist, was du fühlst.

Mit Sven Lehmann hat die Bundesrepublik nun sogar einen Queer-Beauftragten. Die Regenbogenfahne (die zuvor erfolgreich den Homosexuellen aus der Hand genommen wurde) weht mittlerweile hart am Wind, adoptiert von den Instanzen dieser Gesellschaft. Wer es jetzt noch wagt, an der Geschlechter-Geist-Idee zu zweifeln und etwa Männer nicht aufgrund ihrer Gefühle als Frauen anerkennen will, wird sofort mit dem Vorwurf der Transphobie niedergebügelt.

Das Geschlecht ist biologisch. Es ist definiert als Hinentwicklung eines Organismus auf die Produktion eines bestimmten Keimzelltypus. Es gibt zwei Keimzelltypen. Beim Menschen heißen die, die sich auf die Eizellenproduktion hin entwickeln, Frauen. Diejenigen, die sich auf die Spermienproduktion hin entwickeln, sind die Männer. Frauen können Männerkleider tragen, Männer Frauenkleider. Doch ein Wechsel des Geschlechts ist beim Menschen nicht möglich. Das ist eine bestätigte Erkenntnis der Biologie. Menschen sind keine Clownfische. Die Biologie ist keine Ideologie, sondern eine anerkannte Naturwissenschaft – sie ist die Lehre des Lebens.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Das Gerede vom „sozialen Geschlecht“

Nachdem die Biologin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard explizit festgestellt hat, dass es nur zwei Geschlechter gibt, wird jetzt von interessierter Seite behauptet, man könnte doch „Geschlecht“ auch in einem gänzlich anderen Sinne verstehen. Aber in welchem? Auf diese Frage bleiben die Verfechter der Vielgeschlechtlichkeit eine klare Antwort schuldig, meint Uwe Steinhoff in dem Cicero-Artikel: „Das Gerede vom ‚sozialen Geschlecht‘“:

Ein grundsätzliches Problem der Debatte ist sicherlich, dass Apologeten der Vielgeschlechtlichkeit und Sozialkonstruktivisten nicht begreifen, dass das wilde Umdefinieren von Begriffen und somit Neuetikettieren von Dingen nicht dasselbe ist, wie eine wissenschaftliche Entdeckung zu machen. Die wissenschaftliche Begriffsexplikation eines alltäglichen Begriffs hat nämlich dem Wissenschaftstheoretiker Rudolf Carnap zufolge eine Ähnlichkeit mit dem Alltagsbegriff aufzuweisen, sowie exakt und einfach und vor allem fruchtbar zu sein, das heißt sich für wissenschaftliche Erklärungen und Voraussagen zu eignen. Der oben definierte Geschlechtsbegriff ist ein Paradebeispiel für die Erfüllung dieser Kriterien. Die Geschlechterinflation des Ethikrates und der „gender studies“ ist es nicht. Und so haben wir hier eine Seite, welche aus einer klaren, nämlich auf die Biologie zurückgreifenden Definition von Geschlecht und einer empirisch bestätigten Tatsache logisch gültig die Zweigeschlechtlichkeit ableitet. Das heißt, sie hat ein Argument. Und wir haben eine andere Seite, die nicht einmal erklären kann, was sie mit „Geschlecht“ überhaupt meint. Das freilich macht ihre Verkündigung der „Vielgeschlechtlichkeit“ zu nichts als leerem Gerede.

Warum hat dann die These von der „Vielgeschlechtlichkeit“ in gewissen Kreisen solch großen Erfolg? Ganz einfach: Wissenschaftliche Fruchtbarkeit und publizistische Ausschlachtbarkeit müssen nicht notwendig konvergieren. Klare Begriffe nämlich machen bullshitting, um einen englischen Ausdruck zu benutzen, um einiges schwieriger. Um ein Beispiel anzuführen: Der Biologe geht mit einem klaren Begriff von Geschlecht nach Papua-Neuguinea, stellt wenig überraschend fest, dass es auch dort kein drittes gibt, erzählt das einem Journalisten, und dieser verzichtet ebenso wenig überraschend auf die Schlagzeile: „Immer noch nur zwei Geschlechter.“

Der in der „Methodik“ der gender studies Geschulte hingegen geht mit einem unklaren oder gar keinem Begriff von Geschlecht in den Dschungel, entdeckt dort zölibatär lebende bogenschießende Lesben, sagt sich, „Ach, die nenne ich mal ein Geschlecht“, erzählt das einem Journalisten – und wird prompt als innovativer und „progressiver“ Zeuge der Vielgeschlechtlichkeit gefeiert, nicht zuletzt von Aktivisten, die „neue Geschlechter“ „sichtbar“ machen wollen und dafür im gegenwärtigen politischen Klima auf Fördergelder hoffen dürfen.

Mehr: www.cicero.de.

Geschlechter in Auflösung

Carl Trueman stellt in seinem Buch The Rise and Triumph of the Modern Self, das übrigens noch in diesem Jahr in deutscher Sprache erscheinen soll, die These auf, dass wir in einer Zeit leben, in der ein inneres Selbst, dass sich von äußerlichen Vorgaben – etwa durch den Leib – emanzipiert hat, darüber entscheidet, wer der Mensch ist. Der psychologische Mensch entdeckt nicht, wer er ist, er kann entscheiden, wer er ist.  Ihm werden durch Geschlechtermerkmale, Gene oder kulturelle Eigenheiten keine Grenzen mehr gesetzt. Ein Sprechakt genügt.

Ein FAZ-Beitrag vom 19. April 2022 illustriert passend, wie sich dieses psychologische Selbst im realen Leben „so schlägt“ und wohin die Reise geht.  Der Soziologe Stefan Hirschauer fragt in seinem Aufsatz „Geschlechter in Auflösung“, wie lange wir denn dieses innere wahre Geschlecht eigentlich noch brauchen. Kurz: Warum soll man Frauen und Männer, die man in fast allem Wesentlichen für gleich hält, ein Leben lang unterscheiden? Diese Mystifikation ist doch längst überholt.

Die Geschlechtszugehörigkeit war in Europa lange eine primär soziale Kategorie, eine Art Stand, der erst im neunzehnten Jahrhundert auf den Körper gegründet wurde. Diese Biologisierung wurde seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts schrittweise abgelöst von einer (heute hegemonialen) psychischen Essenzialisierung, die das Geschlecht wie eine Art religiöses Bekenntnis rahmt. Die vorgebliche Felsenhaftigkeit der geschlechtlichen Selbstverständnisse wuchs dabei in Konkurrenz zur ebenso unabweisbaren Faktizität des körperlichen Geschlechts. Geschlechtswechsler und Nicht-Binäre zogen sich vor der objektivierenden Geschlechtsbestimmungsautorität der Biologie in sich selbst zurück.

Offen ist, wie weit sich diese Subjektivierung treiben lässt. In der „taz“ äußerte sich 2016 ein Transmann, der nicht nur (wie die Abgeordnete Ganserer) auf Operationen und amtliche Umbenennung, sondern auch auf jede Darstellung des Mannseins verzichten wollte, dieses also allein aufgrund seines Selbsterlebens reklamierte. Einerseits gewönne die Geschlechterdifferenz so auf eine Weise Realität, die sich für vergleichbare Unterscheidungen wie die von „Rassen“ und Altersklassen bislang nicht durchsetzen ließ. Die Amerikanerin Rachel Dolezal scheiterte 2015 mit ihrem Anspruch auf eine „schwarze Seele“, der Niederländer Emile Ratelband 2018 damit, sich juristisch verjüngen zu lassen. Andererseits kann auch die geschlechtliche Selbstbestimmung in Sozialbeziehungen nicht ohne Weiteres als Anspruch darauf funktionieren, von anderen auch als Exemplar des Wunschgeschlechts erlebt zu werden. Geschlechtsgeltung lässt sich nicht erzwingen – etwa durch Verbote von sogenannten „Deadnames“ –, sie kann andere (mindestens temporär) überfordern, etwa Familienmitglieder, die der verlassenen Geschlechtszugehörigkeit einer Tochter, eines Bruders oder Ehemanns als Teil einer Geschlechterbeziehung angehörten. It takes two to gender.

Vermutlich ist die „Geschlechtsidentität“ die letzte Bastion des Glaubens an ein wahres Geschlecht. Ihr liegt die Vorstellung eines einzigen, eigentlichen, in den Tiefen der Psyche verborgenen Geschlechts zugrunde. Mit dieser Mystifikation wurde der skrupulösen Selbstbeforschung vereinzelter Subjekte die Sinnstiftung für eine Klassifikation aufgebürdet, die so fragwürdig geworden ist wie die von „Rassen“. Für die gesellschaftliche Mehrheit dagegen ist die Zweigeschlechtlichkeit in dem Maße, dass das körperliche Geschlecht keine sozialen Folgen mehr hat, keine große Einschränkung mehr.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

„Genderismus“ als Sündenbock

In dem Aufsatz „‚Genderismus‘ als Sündenbock“ beschwert sich Judith Butler über die zunehmende Kritik an den Gendertheorien (Philosophie Magazin, Sonderausgabe 20, Jan/Apr 2022, S. 18–23, zuerst am 23.10.2022 als „Why is the idea of ,gender‘ provoking backlash the world over?“ im Guardian erschienen).

Sie behauptet dort im Wesentlichen, dass der Treiber des „Antigenderismus“ die Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft und Zensur sei. Unter dem Vorwand, dass die Kritiker der Gendertheorien keinen Bildungswillen mitbrächten und kaum dazu bereit seien, sich mit Ansichten auseinanderzusetzen, die ihren eigenen widersprechen, verzichtet sie darauf, inhaltliche Argumente für ihre Behauptung vorzutragen. Dafür macht sie genau das, was sie ihren Opponenten unterstellt. Sie vereinfacht, diffamiert und schablonisiert. Und sie rückt den „Antigenderismus“ in die Nähe des Faschismus. Ausgrenzungen dieser Art verfehlen ihr Ziel selten. Sie zeigen eben auch oft, dass es um sachliche Argumente nicht gut bestellt ist.

Nachfolgend einige Zitate von Judith Butler aus dem besagten Aufsatz:

Die Argumente der Anti-Gender-Bewegung sperren sich gegen eine schlüssige Rekonstruktion, weil es ihren Vertretern nicht unbedingt auf Konsistenz und Kohärenz ankommt. (S. 19)

Auch wenn die Bewegung allgemeiner nationalistisch, transphob, misogyn und homophob ist, besteht ihr Hauptziel in einer Umkehrung der rechtlichen Fortschritte, die die LGBTQI- und feministischen Bewegungen in den letzten Jahrzehnten erkämpft haben. (S. 19)

[Die Vertreter der Gendertheorien] bestreiten nicht, dass es ein biologisches Geschlecht gibt; sie fragen danach, wie Geschlecht durch medizinische und rechtliche Rahmenbedingungen hergestellt wird, wie sich dieser Rahmen historisch verändert hat und welchen Unterschied es für die soziale Organisation unserer Welt macht, wenn das Geschlecht, das wir bei der Geburt zugewiesen bekommen, für das weitere Leben unter anderem in den Arbeits- und Liebesverhältnissen keine vorbestimmende Rolle mehr spielt. (S. 19–20)

Im Allgemeinen stellen wir uns die Zuweisung des Geschlechts als etwas vor, das nur einmal geschieht. Aber was ist, wenn wir es uns als komplexen und revidierbaren Prozess denken? Das heißt über die Zeit revidierbar für diejenigen, die das falsche Geschlecht zugewiesen bekommen haben? Wer eine solche Perspektive einnimmt, stellt sich nicht gegen die Wissenschaft, sondern fragt nur, in welcher Weise Wissenschaft und Recht in die soziale Regulierung von Identitäten eingehen. (S. 20)

Angestachelt von Sorgen vor einem Zusammenbruch der Infrastruktur, Hass auf Migranten und – in Europa – der Furcht, der Unantastbarkeit von heteronormativer Familie, nationaler Identität und weißer Vorherrschaft verlustig zu gehen, suchen viele die Schuld bei der zersetzenden Kraft von Gender, Postkolonialismus und Critical Race Theory. Wenn sich diese Gruppen Gender als Invasion von außen imaginieren, zeigen sie nur zu deutlich, dass sie selbst nationalistisch motiviert sind. (S. 20)

Gleichzeitig nehmen Gegner der „Gender-Ideologie“ Zuflucht zur Bibel, um ihre Ansichten über die natürliche Hierarchie zwischen Mann und Frau und über die je eigenen Vorzüge des Männlichen und Weiblichen zu untermauern (auch wenn fortschrittliche Theologen klargestellt haben, dass diese auf strittigen Lesarten der Bibeltexte beruhen). In Angleichung der Bibel an die Naturrechtslehre erklären sie das zugewiesene Geschlecht zur göttlichen Setzung und tun seltsamerweise so, als stünden heutige Biologinnen und Medizinerinnen im Dienste einer Theologie aus dem 13. Jahrhundert. (S. 22)

Als faschistische Tendenz greift sie vielmehr auf eine ganze Reihe rhetorischer Strategien aus dem gesamten politischen Spektrum zurück, um damit die Angst vor Unterwanderung und Zerstörung, die ganz unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Kräften entspringt, auf die Spitze zu treiben. Sie strebt überhaupt nicht nach Konsistenz, denn ihre Stärke speist sich gerade auch aus ihrer Inkohärenz. (S. 22)

[Die Anti-Gender-Ideologie] ist reaktionäre Hetze, ein Bündel aufwiegelnder Widersprüche und inkohärenter Behauptungen und Anwürfe. Sie lebt von genau der Instabilität, die sie einzudämmen verspricht, und ihr eigener Diskurs stiftet selbst nichts als Chaos. Durch eine Flut inkonsistenter und übertreibender Behauptungen rührt sie sich eine Welt diverser unmittelbarer Bedrohungen zusammen, um ihren Ruf nach autoritärer Herrschaft und Zensur zu unterfüttern.

Als faschistische Tendenz unterstützt die Anti-Gender-Bewegung immer stärker werdende Formen des Autoritarismus. Durch ihre Taktiken werden Staaten ermutigt, in Universitätsprogramme einzugreifen, Kunst und TV-Programme zu zensieren, Transpersonen ihre Rechte zu verwehren und LGBTQI aus öffentlichen Räumen zu verbannen, reproduktive Freiheiten einzuschränken und den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen, Kinder und LGBTQI- Personen zu untergraben. (S. 23)

Warum ist dieser Beitrag so unsachlich und im Ton herabwürdigend? Zum Teil kann das damit erklärt werden, dass viele Texte von Judith Butler in so einem Stil vorgetragen sind. Sie schreibt mehr als Aktivistin denn als Philosophin. Es könnte aber darüber hinaus der Fall sein, dass sich immer mehr Intellektuelle gegen die oft seltsamen Thesen des Genderaktivismus wehren und die Luft für die vielen Gender-Professorinnen enger wird. Aus Betroffenheit entwickelt sich manchmal Wut.

Alan Sokal (ja, genau der vom Sokal-Skandal, vgl. hier S. 11–16) kommentiert den Aufsatz von Butler sachlich: „Wir unterstützen voll und ganz das Recht aller Menschen, ihr Leben so zu leben, wie sie es wünschen, frei von Gewalt, Belästigung und Diskriminierung. Wir sind jedoch nicht mit der radikalen Idee einverstanden, dass die selbst deklarierte Geschlechtsidentität das biologische Geschlecht für alle rechtlichen und sozialen Zwecke ersetzen sollte.“

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