Hanniel Strebel

Fire in the Streets

Hanniel hat das Buch Fire in the Streets von Douglas Groothius gelesen. Es geht um die Kritische Rassentheorie. Hier ein Auszug:

Es wird die Aufgabe der Verkündigung innerhalb der nächsten Jahre zu sein, die biblischen Grundkategorien auf die aktuellen Fragen der Zeit anzuwenden. Dazu gehören:

  • Wahre moralische Schuld (Francis Schaeffer, zit. 30): Alle Menschen sind durch wahre moralische Schuld von Gott getrennt.
  • Versöhnung (32f): Die Wiederherstellung des Bruchs durch die wahre moralische Schuld geschieht durch Rechtfertigung von göttlicher Seite. Selbstversöhnung und Selbstrechtfertigung sind unzureichende, unmögliche menschliche Versuche.
  • Anbetung (36): Wenn jemand vor einem anderen Sterblichen niederkniet, kommt dies falscher Anbetung aufgrund von Selbsthass gleich.
  • Bundesschluss (43): Ein (nationaler) Bundesschluss wird mit dem Bewusstsein der Ehre und Verpflichtung gegenüber der transzendenten Realität geschlossen und verfügt über bindende moralische Kraft für alle Bürger.
  • Vaterlandsliebe (56): Qualifizierter Patriotismus dient dem Gemeinwohl. Gott hat uns als Bürger und Mitglieder einer Kirchgemeinde als handelnde Wesen in die Geschichte hineingestellt.
  • Rassismus (64): Individuen, die abwertende Überzeugungen und negative Emotionen über Mitglieder ausserhalb ihrer eigenen Rasse hegen und pflegen
  • Ideologie (88): Eine engstirnige und illegitime, von Eigeninteressen geleitete Sichtweise, die weder rational noch wahr sein kann;

Deshalb sind aus christlicher Sicht abzulehnen:

  • Vergangene Diskriminierung durch gegenwärtige Diskriminierung zu bekämpfen (61)
  • Unqualifizierter Egalitarismus: Er führt zu grassierender Ungleichheit (vgl. 62)
  • Pauschale Schuldzuweisung für sozio-ökonomische Ungleichheiten (66)
  • Standpunkttheorie: Menschen innerhalb einer Gruppe können sich nicht über ihren sozial konditionierten Standpunkt hinausbewegen (vgl. 76)
  • Weisse Menschen sind schwarzen gegenüber minderwertig (77)
  • Zugang zu Institutionen und Stellen nur aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten (80)
  • Eine Sicht, die Diskussionen über andere Standpunkte ausser dem eigenen revolutionären ausschliesst (91)

Hier: hanniel.ch.

J.I. Packer: Lehre und Leben gehören zusammen

Hanniel hat einen persönlichen und bemerkenswerten Rückblick auf das Leben und Werk von J.I. Packer verfasst, der am 17. Juli nach einem erfüllten Leben heimgegangen ist (siehe hier). Darin heißt es: 

Packers Werk Fundamentalism and the Word of God (1958) – bis heute unübersetzt – legte den Grundstein zu dessen Wirken als bekanntem Theologen. Es handelt sich um eine kontroverse Schrift, die gemäß der Absichtserklärung des Autors einen re-konstruktiven Charakter trägt. Packer begegnet darin dem Vorwurf des Fundamentalismus. Er zeigt, dass der Begriff ebenso unscharf wie emotional aufgeladen gebraucht wird. Das Christentum basiert als Offenbarungsreligion allein auf der Autorität der Bibel. Das zeigt sich z.B. darin, wie das Neue Testament das Alte gebraucht und welche Bedeutung die gesunde Lehre bei den Aposteln spielt. Die Position lässt sich in der Kirchengeschichte immer wieder nachweisen. Die subjektivistische Position entlarvt Packer als Produkt der Moderne. Er weist stattdessen zurück zum Anspruch der Bibel. Unsere Überzeugungen müssen anhand ihrer Aussagen gemessen werden und nicht umgekehrt. Die Selbstverständlichkeit, mit der heute das „Ich“ und die eigenen Erfahrungen zum Maßstab gemacht werden, macht deutlich, wie unveränderlich dringlich das Problem ist. Die Anerkennung der Bibel als externe Autorität ist jedoch nicht mit einem anti-intellektualistischen Verständnis und mit Kulturfeindlichkeit gleichzusetzen, betont Packer auf eloquente Art.

Mehr: www.evangelium21.net.

Heinrich Bullinger: Architekt der Reformation

Hanniel Strebel und ich haben vor einigen Jahren den Reformator Heinrich Bullinger entdeckt und schätzen gelernt. Im Sommer 2019 hat Hanniel in Aidlingen einen einführenden Vortrag zu dem Reformator gehalten. Ausgehend von der These, dass Bullinger eigenständig zur Reformation fand, erläutert er einige große Ereignisse und gibt Einblick in die immensen Produktivität Bullingers. Die Leistungen in seiner 44-jährigen Zeit als Antistes der Zürcher Kirche sind so enorm, dass noch immer an der Erschließung seines Werkes gearbeitet wird. 

Freundlicherweise wurde E21 der Mitschnitt zur Verfügung gestellt und so kann der Vortrag dort nachgehört werden: www.evangelium21.net.

Rückzug in die Erfahrung

Kürzlich war ich ein paar Tage bei Hanniel Strebel und seiner Familie. Vielen Dank für die schöne Zeit in Zürich! Hanniel hat mich unter anderem zur Krise der evangelikalen Theologie befragt.

Das Ringen um die theologische Wahrheit ist durch Fragen der Performanz verdrängt worden. Ich will damit nicht behaupten, die praktische Themen seien unwichtig. Ich will zum Ausdruck bringen, dass die praktische Theologie, also etwa Fragen des Gemeindebaus, der Predigtlehre, der Ökumene, der Mission oder der Seelsorge vom Wort Gottes her beantwortet und entfaltet werden müssen. Ich beobachte hingegen einen Rückzug in die Erfahrung, in die Innerlichkeit, in den Stil, in den Pop, in die Beziehung. Das kann nicht lange gut gehen. Wir haben in den zurückliegenden Jahrzehnten eine Verflüssigung theologischer Begriffe und Dogmen erlebt, die unsere Theologie breiig und kraftlos gemacht hat. Sie kann den kritischen Geistern nicht mehr viel entgegensetzen. Das zeigt sich sehr gut an dem Desinteresse an der Systematischen Theologie und am Verfall der christlichen Ethik. Die große Herausforderung für die nächsten Jahre wird das ehrliche Ringen um die theologische Wahrheit sein. Anders formuliert: Hat Gott wirklich gesprochen?

Hier das vollständige Gespräch: hanniel.ch.

Hanniel führt in einer eigenen Buchreihe für Jugendliche in das Leben und Denken christlicher Denker ein. Die Cover stammen stammen von Peter Voth.

51SDGKRkGvL AC US436 QL6551f0wg42uxL AC US436 QL65

517YJFVULVL AC US436 QL6551479qwFx0L AC US436 QL65

51eNKDrxRYL AC US436 QL65

Kinderkram

Hanniel hat sich Bibeln und christliche Medien für Kinder genauer angeschaut und dabei festgestellt, dass sich neben einer übertriebenen Visualisierung eine verniedlichende Sprache breit gemacht hat.

Leider folgen viele Medien für Kinder – neben den Kinderbibeln sind insbesondere die Hörspiele und die Lieder zu nennen – dem Trend der Säkularisierung. Biblische Begriffe werden vermieden. Das heisst, sie werden gar nicht mehr genannt oder mit anderen, allgemeinen ersetzt. Statt „Jesus“ steht dann einfach „Gott“. Nun wissen wir, dass dieser Begriff sehr beliebig geworden ist. Unter „Gott“ ist fast jede menschliche Vorstellung zu fassen. „Sünde“ wird ebenfalls nicht mehr genannt, sondern allenfalls „Fehler“ (also etwas, das zwar auf der horizontalen Ebene Nachteile bringt, aber immer korrigierbar bleibt). Statt „Gemeinschaft“ wird die „Freundschaft“ – der Kreis der bevorzugten Ansprechpartner anstelle der korrigierenden und schützenden Familie und Kirchgemeinde – stark betont. Die Liebe als unbedingte Zuwendung egal von der Vorgeschichte wird sehr betont (er will dich; er nimmt dich an, wie du bist) zulasten der Heiligkeit (Gerechtigkeit, Reinheit). Die Erfahrung eines zukünftigen Gerichts verschwindet ebenfalls. Stattdessen wird über die unmittelbaren Konsequenzen gelehrt (warum jemand nicht lügen soll). Ein Gott, der dich will, dir gute Freunde schenkt, der immer online ist und bei dem auch Ausrutscher problemlos durchgehen: Das ist grob gesagt das „fromme“, von der Säkularisierung eingefärbte Bild.

Mehr: hanniel.ch.

J.I. Packer: Das christliche Leben

Hanniel hat zwei Bücher über bzw. von J.I. Packer besprochen. Ein Buch ist schon recht alt, dass andere Buch von Sam Storms ist frisch auf dem Markt und heißt: Packer on the Christian Life: Knowing God in Christ, Walking by the Spirit (Crossway, 2015). Hier:

Das Leseerlebnis

NewImageJ. I. Packer gilt als einer der einflussreichsten Persönlichkeiten des Evangelikalismus der letzten 100 Jahre. Dabei muss man sich keinen „Grandseigneur“ vorstellen, sondern einen „bescheidenen, demütigen christlichen Gentleman“ (so die Beschreibung des Kirchenhistorikers Carl R. Trueman). Packer ist zur der Erscheinung dieses Buches gegen 90 Jahre alt und noch immer aktiv.

Packers Prosa ist so flüssig und klar formuliert, dass Sams Storms zögerte, diese zu umschreiben. Packer kommt in diesem Buch ausführlich zu Wort. Die längeren Zitate bereichern den Text ungemein. Sie stärken zudem das Anliegen des Autors, den Leser zu den Originalen hinzuführen. In meinem Fall ist ihm dies gelungen. Es liegen bereits einige Bände auf meinem Nachttisch.

Die inhaltliche Führung

Der Gedankenfluss des Buches ist angenehm, gerade angesichts der inhaltlichen Breite und Fülle des Materials. Es beginnt mit einer kurzen biografischen Einführung und startet dann mit dem zentralen Gedanken von Packers Werk: Dem stellvertretenden Sühnetod von Jesus Christus. „Christi versöhnendes Opfer ist Grundlage und Quelle von allem anderen, das in der christlichen Erfahrung folgt.“ (24) Was folgt, wird in zehn Teilen à 12 – 15 Seiten entfaltet: Die Rolle der Heiligen Schrift, die Bedeutung von Heiligkeit sowie Inhalte und Mittel der Heiligung, ergänzt mit einem eigenen Kapitel zur Auslegung von Römer 7,14-25. Dann folgen Kapitel über die Rolle des Heiligen Geistes, die Notwendigkeit des Gebets, das Erkennen von Gottes Willen und die Unvermeidbarkeit von Leid. Storms lässt das Buch mit dem Zentralgedanken „Gott erkennen“ und dem Zielkompass, gut zu enden, ausklingen.

Was heraussticht

Durchs Band sticht J. I. Packers Liebe zur Schrift heraus. Es gibt kein christliches Leben ohne die offenbarte Wahrheit des Wortes Gottes (46). Dabei geht es um propositionelle, für den (erleuchteten) Verstand erkennbare Inhalte. Zweitens wiegt sein scharfes Unterscheidungsvermögen, das ihn zielsicher einfache Modelle entwerfen lässt, so z. B. zu den drei Zugängen zur Schrift (Subjektivisten, Traditionalisten und Objektivisten) oder zur Typologisierung der Evangelikalen (Aktivisten, Intellektualisten und Abweichler).

Packer gelingt es ausgewogen zu bleiben. Dies kommt beispielsweise in seiner Einschätzung der charismatischen Bewegung schön zur Geltung. Er scheut sich nicht, auch heisse Eisen mit klaren Worten anzupacken – etwa die umstrittene Auslegung von Römer 7.

Zwei Beispiele: Anwendung von Gottes Wort und Facetten des Gebets

Zwei konkrete Beispiele: Erstens seine fünffache Anwendung von Gottes Wort im christlichen Leben (61). Wenn die darin offenbarten Prinzipien Wahrheit sind, was folgt daraus?

  • Anwendung auf den Verstand: Welche Gedankengänge, –gewohnheiten und -gebäude werden gefördert und welche herausgefordert?
  • Anwendung auf den Willen: Welche konkreten Handlungen und welche Typen von tugendhaftem Verhalten sollen folgen?
  • Anwendung auf die Gefühle („affections“): Was wird gelehrt, was wir lieben, worauf wir hoffen oder darauf bestehen, in denen wir uns freuen sollen?
  • Anwendung auf die Motivation: Was ermutigt uns, der Gerechtigkeit nachzustreben und in ihr auszuharren?
  • Anwendung auf die Selbsterkenntnis und die Selbstprüfung: Wie kommen wir diesen Anforderungen zur Zeit nach? Wo kommen wir zu kurz?

Zweites Beispiel: Packer stellt die verschiedenen Facetten des Gebets wundervoll dar (139ff): Gebet nimmt die Form des Anliegens (petition), der Konversation (durch Gottes offenbarten Willen in der Bibel), der Meditation (als aktive mentale Übung des Nachdenkens über die Schrift, Gott, die Schönheit der Schöpfung und die Wahrheiten der Erlösung), von Lob, Selbstprüfung und Klage an.

Fazit

Mich liess das Buch mit dem Verlangen zurück, in der Heiligung zu wachsen. Am meisten ermutigt wurde ich durch den „erfrischenden und hoffnungsvollen Realismus“ (133). Sein Werk ist ein wirksames Gegenmittel gegen den gesellschaftlichen Imperativ des selbst-zentrierten Lebens. Gott und seine Herrlichkeit haben Vorrang. Und: Theologie und geistliches Leben gehören unbedingt zusammen (29).

An zweiter Stelle hat Storms die Liebe Packers zur Heiligen Schrift herausgehoben. Als Beispiel dafür, wie Packer sein Anliegen treu vertrat, sei als eine Art „Anhang“ das 1958 erschienene Buch „Fundamentalism and the Word of God“ kurz dargestellt.

Zum Hintergrund des Buches

NewImageAls das Buch erschien, war Packer war also 32-jährig. Der Inhalt muss auf dem Hintergrund der Fundamentalismus-Debatte der 50er-Jahre innerhalb Grossbritanniens bedacht werden. „Fundamentalismus“ war noch nicht Sammelbegriff angesichts globaler Herausforderungen wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Packer bezog ihn ausschliesslich auf den „evangelikalen“ Teil der Kirche Englands, der damit „etikettiert“ worden war. Er trägt im ersten Kapitel eine Reihe offizieller Definitionen des Begriffs vor. Genau an dieser Stelle beginnt die inhaltliche Auseinandersetzung: Um drehte sich die Kontroverse? Was war der theologische Kern?

Der inhaltliche Kern: Die Frage nach der Autorität

Theologisch liberale Vertreter warfen den Evangelikalen Bibliolatrie (Götzendienst an der Bibel) und Pseudowissenschaftlichkeit vor (99-100; Kindle-Positionen). Diese und andere Vorwürfe verdunkelten jedoch die eigentliche Fragestellung. Es ging um die Frage nach Autorität. Die einen sahen Lehrmeinungen als Facetten und Fragmente der göttlichen Wahrheit an, welche einander ergänzten; die anderen betrachteten es als unabdingbar, sämtliche Ansichten anhand der biblischen Autorität zu beurteilen. Packer stellt sich hinter letztere Gruppe: „Unsere erste Aufgabe muss darin bestehen, menschliche Worte durch das autoritative Wort Gottes zu messen.“ (184-185)

Der Autor sieht eine zweifache Aufgabe, die er in diesem Werk zu erledigen gedachte: Erstens galt es zu klären, was mit dem (unglücklichen) Begriff ‚Fundamentalismus‘ gemeint war, nämlich die Fortsetzung des jahrhundertealten evangelischen (engl. ‚evangelical‘) Glaubens. „Die Kritiker bezeichnen sie als neue Häresie. Wir nennen Gründe, ebendiese als älteste Orthodoxie zu betrachten.“ (231) Zweitens war es unabdingbar, die Frage nach der höchsten Autorität sauber zu klären.

Die vier inhaltlichen Hauptschritte

Nach der Definition des Problems wird die Antwort in vier Schritten skizziert: Schrift – Glaube – Verstand – Liberalismus. Die Schrift muss die Methoden und Voraussetzungen, mit welcher sie studiert wird, bestimmen (920). Der Gott geschenkte Glaube führt zu einem durch den Heiligen Geist erleuchteten Verstand. Dieser vertraut sich den propositionellen Aussagen von Gottes Wort als oberster Instanz an. Von dort aus entfaltet er einen grossen Eifer, mit allen geschenkten Fähigkeiten – gerade auch dem Verstand – das Offenbarte zu erkennen. Er verweigert sich niemals historischem Studium oder genauer Exegese.

Zur Aktualität der Debatte

Der theologische Liberalismus versuchte, das Christentum mit den Leitsätzen des Anti-Supernaturalismus in Einklang zu bringen. In der Folge musste sich der Evangelikalismus den Vorwurf gefallen lassen, zu vielen Bereichen des modernen Lebens sprachlos geworden, ja sich kulturell abgekapselt zu haben.

Weshalb ist das Buch so aktuell? Auch heute lassen Pragmatismus und eine ausgeprägte Denkfeindlichkeit eine ungeschützte Flanke im Evangelikalismus offen. Gleichzeitig hat der Virus des theologischen Liberalismus zahlreiche Gemeinden zu befallen begonnen. (Angehende) Pastoren müssen deshalb bei der Schriftfrage dringend mit einer solch klar formulierten und argumentativ wasserdichten Abhandlung vertraut gemacht werden.

Angesichts des weit verbreiteten ethischen Relativismus, der auch die Evangelikalen erfasst hat („das ist deine Interpretation, ich habe meine“), tut es also Not, uns den Fragen dieses Buches zu stellen. Packer tat dies vor 50 Jahren nicht als erster; er beruft sich ausdrücklich auf B. B. Warfield (1851-1921) und Gresham Machen (1881-1937). Diese Vordenker hatten die Unterschiede zwischen dem Christentum und dem (theologischen) Liberalismus bereits deutlich herausgearbeitet: Es sind zwei unterschiedliche Religionen. Unsere Aufgabe besteht darin, den christlichen Glauben verständlich in unserer Zeit zu verkündigen, niemals aber (spät)modernes Gedankengut christlich zu verpacken (1905)! Um eines vom anderen zu unterscheiden, müssen wir – zur Schrift gehen.

Vishal Mangalwadi: Wie wir wurden, was wir sind

Nachfolgend eine Rezension des Buches:

von Hanniel Strebel.

41SyBdCn0uL SX315 BO1 204 203 200Ich beginne zunächst mit der Wirkung, die dieses Buch in meinem direkten Umfeld hinterlassen hat: Es rief auf breiter Front Interesse hervor. Freunde haben das Erscheinen auf Facebook angekündigt und bejubelt. Der fontis-Verlag (ehemals Brunnen-Verlag) hat die Übersetzung des rund 600 Seiten starken Buches von Vishar Mangalwadi in die deutsche Sprache bewerkstelligt. (Da ich viele Bücher in englischer Sprache lese, bin ich Übersetzungen gegenüber skeptisch geworden. So viel kann ich jedoch vorausschicken: Die Übersetzung ist insgesamt ordentlich gelungen. Bei einigen Zitaten stockte ich beim Lesen und erkannte das Ringen des Übersetzers um eine angemessene deutsche Wiedergabe.) Ich kann so viel sagen: Das Buch wurde nicht alt auf meinem Nachttisch. Trotz anderweitiger Verpflichtungen hatte ich es innerhalb von vier Tagen gelesen. Und nicht nur das. Schon nach dem ersten Teil drängte es mich, meiner Frau und meinen Söhnen davon zu erzählen. Fasziniert hörte ich einige Tage später meinem Ältesten zu, wie er einer anderen Person vom Gehörten weiter erzählte. Wie gewohnt las ich einzelne Passagen unterwegs. Es dauerte nicht lange, um mit einer Dame ins Gespräch zu kommen. „Das Buch der Mitte“ zieht nur schon mit der Überschrift, der Größe und der Aufmachung bestimmte Menschen an. Die Gesprächspartnerin hat sich den Titel jedenfalls gemerkt und beabsichtigte das Buch zu erwerben. Sie wird bestimmt nicht durch interessante Thesen enttäuscht werden wie beispielsweise: „Heute ist die Bibel der wesentliche Faktor, der dazu beiträgt, den afrikanischen Intellekt zu wecken, genau wie sie das einst im Westen tat“ (484).

Diese Beschreibung ruft die nächste Frage hervor: Wie ist die Faszination zu erklären? Erstens stammt das Buch von einem Inder. Wir Europäer sind durch den Verlust unserer eigenen westlichen Kultur sehr offen gegenüber den Ideen des Ostens. Zweitens arbeitete der Autor mehrere Jahrzehnte in einer Region Indiens, die kein Mensch mit Interesse an der eigenen Sicherheit aufgesucht hätte. Nicht nur erlebte er bittere Armut, sondern auch den Widerstand der lokalen und regionalen Behörden. Er wurde bedroht und mit Gefängnis bestraft. Verwandte und Freunde wurden brutal misshandelt und sogar ermordet. Das verstärkt die Glaubwürdigkeit seiner Worte. Drittens bleibt Mangalwadi trotz seiner überdeutlichen Sozial- und Gesellschaftskritik zuversichtlich. Die Sonne darf und kann auch über dem Westen wieder aufgehen. Viertens fehlt es uns heute sehr an einer Gesamtschau der westlichen Geistesgeschichte. Die Sozialwissenschaften haben eine Unmenge an fragmentierten, einander widersprechenden Theorien und (Teil-)Erklärungen hervorgebracht. Wir werden mit Informationen überflutet. Uns fehlt jedoch der Rahmen, um die Informationen einzusortieren. Hier füllt das Buch eine Lücke! Kein Wunder also, dass eine Empfehlung auf der Rückseite des Buches bereits die Verbindung zu Francis Schaeffers Werk „Wie können wir denn leben?“ herstellt. Und sicher, auch Mangalwadi ist – wie viele andere bedeutende evangelikale Denker des 20. Jahrhunderts – von Schaeffer geprägt worden. Fünftens glaube ich, dass das Interesse von „Phantomschmerzen“ herrührt, die auf das bewusste Zurückweisen der Bibel in unserer Kultur zurückzuführen sind. Wir haben dadurch unsere Mitte verloren. Gehe ich zu weit, wenn ich behaupte, dass wir diesen Verlust spüren und uns nach Gottes Wort zurücksehnen? Sechstens verknüpft Mangalwadi die Botschaft dieses Buches mit Bereichen, die wir auf den ersten Blick nicht miteinander zusammenbringen würden, zum Beispiel mit Vernunft, Technik, Heldentum, Literatur oder Wissenschaft.

Jetzt müssen wir uns jedoch der Hauptthese des Buches zuwenden. Der Prolog ist mit „Reise in die Seele der modernen Welt“ überschrieben. Woraus bestand denn diese Seele? Der deutsche Untertitel liefert die Antwort: „Wie wir wurden, was wir sind: Die Bibel als Herzstück der westlichen Kultur“. Das trifft den Inhalt sehr gut. Diese Seele ist nämlich amputiert worden. „Heute lehnen viele Menschen die Bibel ab, sie halten sie für irrational und nicht mehr zeitgemäß. Andere sind der Ansicht, dass die Bibel für Rassendiskriminierung, sektiererischen Fanatismus, Sklaverei, Unterdrückung der Frau, Hexenverfolgung, Wissenschaftsfeindlichkeit, Umweltzerstörung, Diskriminierung der Homosexuellen und Religionskriege verantwortlich sei“ (S. 48). In seinem eigenen Land, Indien, übte der indische Journalist, Autor und Politiker Arun Shourie herbe Kritik an der christlichen Mission in Indien. Das Buch von Mangalwadi ist eine umfassende Antwort auf diese Kritik. Sie ist verbunden mit seiner persönlichen Lebensreise. „Ich entdeckte die Bibel während meines Studiums in Indien. Dies veränderte mich als Person, und schon bald begriff ich, dass im Gegensatz zu dem, was an der Universität gelehrt wurde, die Bibel die Kraft war, die das moderne Indien hatte entstehen lassen“ (50). Vielleicht hilft es ergänzend, einen kleinen Abstecher ins erste Kapitel „Der Westen ohne seine Seele“ zu machen. Mangalwadi startet mit einer Gegenüberstellung des Lead-Sängers von Nirwana, Curt Cobain (1967–1994), mit dem Musiker Johann Sebastian Bach (1685–1750). Der Name der Band ist Programm: Es geht um die Auflösung der illusionären Persönlichkeit. Die Leugnung des göttlichen Seins führt zur Leugnung des menschlichen Seins (28). Cobains früher Suizid wertet Mangalwadi als Folge des „Nichtseins ultimativer Wahrheit“ (32). Er steht stellvertretend für den Westen, der dabei sei, seine „Tonalität zu verlieren – seine ‚Grundtonart‘, seine Seele, seine Mitte, seinen Bezugspunkt für Spannung und Auflösung“ (46). Das Leben Bachs wurde, obwohl äußerlich durch ähnliche Lebensumstände wie Cobain (früher Verlust der Eltern), ganz anders geprägt, nämlich durch Luthers Bibelauslegung (44). Bach glaubte, die Musik sei „eine ‚harmonische Euphonia, ein Wohlklang zur Ehre Gottes‘“ (zit. ebd.).

Jetzt sind wir definitiv inhaltlich in das Buch eingestiegen. Ich habe schon einige Bruchstücke aus Mangalwadis Leben aufgegriffen. Eine wichtige Ergänzung dazu stellt der Rückblick auf seine eigenen Zweifel am Erkennen einer objektiven Wahrheit dar. In einem einsamen Moment mit seinem Hund in einer stockfinsteren Nacht ging ihm die Wahrheit auf: „Jackie (sein Hund) akzeptierte die Dinge vorbehaltlos, selbst die Dunkelheit. Ich dagegen hatte klare Vorstellungen von dem, was sein kann oder sein sollte, und ich versuchte, die Fakten zu ändern. Das ist Kreativität: Ich bin ein Teil der Natur, aber ich bin nicht ausschließlich und nicht vollständig Teil der Natur“ (82). „Wir können Metalllegierung erfinden, die nicht in der Natur vorhanden sind, und Blumen und Früchte züchten, die normalerweise nicht existieren. Das beweist, dass sich etwas in uns befindet – nennen wir es kreative Vorstellungskraft –, das Natur, Kultur und Geschichte übersteigt“ (83). „Wie gelingt es dem menschlichen Gehirn, die unsichtbaren Gesetze in Erfahrung zu bringen, die das Universum beherrschen, und anschließend in Worte zu fassen? Worte, die nachprüfbar sind und bei denen der Nachweis erbracht werden kann, ob sie richtig oder falsch sind? Indiens nichtrationale, nonverbale Mystik produzierte Mantras und Magie. Um Atomkraft zu entwickeln, brauchten wir jedoch Gleichungen und Atomwissenschaft“ (86).

Die Überschrift der nächsten drei Kapitel lautet „Der Same der westlichen Zivilisation“. Mangalwadi nennt drei Kennzeichen: Mitmenschlichkeit, Vernunft und Technik. Die Würde des Menschen leiteten die Humanisten der Renaissance nicht etwa von griechischen und römischen Denkern, sondern aus der Bibel her (108). Das biblische Denken brach mit dem vorchristlich-heidnischen Denken, dem griechisch-römischen kosmischen Weltbild und dem islamischen Fatalismus (106). Durch die Entwicklung der Vernunft, nämlich durch die Investition von „Fertigkeit, Geschicklichkeit und Urteilsvermögen“ in die Arbeit entstand Reichtum (137). Diese Arbeit des Verstandes wurde wiederum zum Wegbereiter für neue Ideen der Technik. Die Zuversicht stammte aus der Einsicht, dass Gott als Architekt des Kosmos eine gewisse Ordnung und Struktur ins Geschaffene gebracht hatte.

Der vierte Teil „Die Revolution des Jahrtausends“ beschäftigt sich mit der Neudefinition des Heldenbegriffs und mit der umwälzenden Auswirkung der Bibelübersetzungen. Selbsthingabe gilt bis heute als angesehener als Welteroberung oder ritterlicher Heldenmut. „Die Bibel verdrängte das klassische Verständnis vom Helden als Welteroberer und die mittelalterliche Sicht vom Helden als tapferem Ritter. An ihrer Stelle trat nun ein Held, der sich selbst zum Wohl anderer opfert“ (181). Die neu entstehenden Übersetzungen der Bibel in die Sprache des Volkes brachte die Frage nach der obersten Autorität auf. „Hier stand die grundsätzliche Frage im Raum, wer die letzte Autorität besaß – der Papst oder die Schrift“ (211).

Teil fünf, „Die intellektuelle Revolution“, knüpft direkt an diese Gedanken an. „Ohne die Bibel haben die Universitäten […] keine Grundlage mehr für das Festhalten an der ursprünglichen Idee der Nationalstaaten“ (244). Durch das Nationalbewusstsein der Juden des Alten Testaments bekam „der biblische Patriotismus eine ganz besondere Färbung: Die Liebe, die der Einzelne für sein eigenes Volk und sein Land empfand, galt als Widerschein der Liebe Gottes zu seinem Volk“ (246). Auch das moderne Schreiben ist tief geprägt durch die der Bibel wichtigen Themen der Charakterveränderung und –entwicklung (257). Was bleibt übrig ohne diese Seele des Schreibens? „Ohne die Existenz eines trinitarischen Gottes bleibt den postmodernen Schriftstellern nichts anderes übrig, als sich voll und ganz auf den Augenblick zu konzentrieren in dem Versuch, ihr reales Bedürfnis nach Transzendenz zu vergessen. In ihrem ständigen Suchen nach einer persönlichen Seele verschärfen sie den Verlust der kollektiven Seele des Westens“ (272).

Das nächste Kapitel über die universitäre Bildung ist ein gutes Beispiel, um den Einfluss der Bibel auf die indische Nationalgeschichte zu illustrieren. Mangalwadi kommt zum Schluss: „Die Geschichte der indischen Bildungsrevolution ist vorbildlich. Im 19. und 20. Jh. orientierten sich viele westliche Missionen in den Ländern der Dritten Welt an diesem Muster. Sie gründeten, finanzierten und unterhielten Hunderte von Universitäten, Tausende von Colleges und zehntausende Schulen. Sie unterrichteten Millionen von Menschen und bewirkten in den Völkern Veränderung. Dieser gigantische weltweite Auftrag wurde inspiriert und getragen von einem Buch – der Bibel“ (291). Der durch die Bibel getragene Bildungsauftrag für alle Schichten trat dem Klassendenken maßgeblich entgegen (303).

Erstaunlich, doch auf den zweiten Blick nachvollziehbar, ist die Wirkung der Bibel auf die Entwicklung der Wissenschaft. „Die Wissenschaft beruht auf einem Paradox und muss darauf vertrauen, dass Menschen in der Lage sind, die Natur zu transzendieren […] Dennoch erfordert Wissenschaft Demut – das Akzeptieren der Tatsache, dass Menschen nicht göttlich, sondern endlich und gefallen sind und damit anfällig für Sünde, Irrtum und Selbstüberschätzung“ (310). Die Bibel veranlasste die Pioniere der Wissenschaft, aktiv zu werden und die Gesetze der Natur zu entdecken (313).

Nicht mehr überraschend ist die Überschrift des sechsten Teils: „Was brachte den Westen an die Spitze?“ Wohlgemerkt schreibt hier kein westlicher, sondern ein indischer Denker. Er befasst sich mit fünf Bereichen: Ethik und Werten, der Familie, Mitgefühl und Barmherzigkeit, Reichtum und Freiheit. Die Statistiken besagen, dass die Staaten, „die am stärksten von der Bibel geprägt sind, die niedrigste Korruptionsrate haben“ (353). Persönliche Errettung und soziale Erneuerung gehören eben zusammen. „Nicht nur im Herzen, sondern auch im Denken und Handeln vieler Menschen fand eine Veränderung statt, die wiederum Auswirkungen auf die Gesellschaft und das öffentliche Leben hatte“ (374). Die biblische Sexualethik brachte unbeschreibliche Erleichterungen für die Frau, indem sie etwa nicht nur die Keuschheit der Frauen, sondern „auch vom Mann Selbstdisziplin und Reinheit der Gedanken“ forderte (385). Die biblischen Gebote beeinflussten die Einstellung zu Ehebruch, Vergewaltigung, Mord, Scheidung, Liebe zur Ehefrau und Fürsorge für die Witwen (389). Hinwendung zu den Kranken und das Engagement in Lehre und Forschung spielen eine große Rolle in der Entwicklung der Medizin (420). Vermehrung von Reichtum durch schwere und kreative Arbeit sowie Sparsamkeit wurden zum Hauptmerkmal des Kapitalismus (442). „Wenn ein Schuhmacher beschließt, seine Schuhe zur Ehre Gottes herzustellen, dann verwendet er kein schlechtes Material und er schlampt auch nicht bei der Verarbeitung, sondern strebt bei seiner Arbeit eine hohe Qualität an“ (452). Die Bibel steuerte auch wesentliche Impulse zu einer gerechten Regierungsform bei, z. B. gegenseitige Kontrolle und Gewaltenteilung (467).

Der siebte und letzte Teil trägt den Titel „Die Moderne erobert die Welt“. Nicht von ungefähr widmet sich das 19. und vorletzte Kapitel der Weltmission. Am Beispiel von Rochunga Pudaite (* 1927), der in die USA aufbrach, in Wheaton studierte, seinem Volk die Bibel übersetzte und für seinen Stamm einen gewaltigen Umbruch initiierte, erläutert Mangalwadi die positive gesellschaftliche Veränderung durch die befreiende Botschaft des Evangeliums. Dieses Kapitel brachte mich zum Weinen. Haben wir verstanden, was wir den Menschen im Westen vorenthalten, wenn wir denken, wir dürften sie nicht mehr mit einer objektiven Wahrheit konfrontieren? Doch: Die Sonne muss nicht über dem Westen untergehen. „Relativismus ist der einzige Wert, den eine Gesellschaft, die keine endgültigen Wahrheiten akzeptiert, noch vorschreiben kann“ (505). Geht der Westen seinen Weg über die Aufklärung in die Umnachtung weiter? Es wird sich daran, entscheiden, ob der Westen die Demut hat, „sich wieder der offenbarten Wahrheit zuzuwenden“ (507). Die Sehnsucht bleibt, ob – vielleicht durch einen „grassroots intellectualism“ (517) – eine Erweckung durch Gott bewirkt werden könnte.

Womöglich fragen Sie sich immer noch: Kann Gott seine Gedanken in diesem Buch (der Bibel) formuliert haben? Das Argument Mangalwadis möchte ich deshalb nicht vorenthalten: „Meine Professoren schienen davon auszugehen, dass es nur ihnen allein möglich war zu reden, ihrem Schöpfer hingegen nicht. Während sie Bücher schreiben konnten, trauten sie es ihrem Schöpfer nicht zu, seine Gedanken auf dieselbe Weise darzulegen“ (77). Die umgekehrte Schlussfolgerung vermittelt Dan Browns viel gelesene Novelle „Sakrileg“: „Weil der Schöpfer sich nicht mitteilen könne, sei es dem Menschen unmöglich, die Wahrheit zu erkennen“ (533). Deshalb bleibt die Bibel „eine Bedrohung für alle, die wollen, dass der Mensch mehr Macht hat als Gott. Sie bleibt auch eine Bedrohung für jene, die an einer Kultur der Unterdrückung auf der Grundlage von Lüge und Sünde festhalten“ (228). Was hält Sie davon ab, das Buch zu lesen – das Buch, das, als die Europäer lesen und schreiben lernten, oft das einzige Buch im Haus war (235)?

Mangalwadi hält uns in diesem Buch wirklich einen Spiegel vor, um die Wahrheit wiederzugewinnen (18). Diese über Strecken unangenehme Beschäftigung ist von unerschütterlicher Hoffnung an einen persönlich-unendlichen Schöpfer gebunden. Soll man dieses Buch lesen? „Die Menschen der Postmoderne sehen meist wenig Sinn darin, Bücher zu lesen, die nicht direkt ihrer Karriere oder ihrem Vergnügen dienen. Dies ist ein logisches Resultat des Atheismus, der verstanden hat, dass der menschliche Geist von sich aus unmöglich wissen kann, was richtig und wahr ist“ (18). Ich hoffe, dass die Besprechung dieses Buches Mut macht, sich auf unvertrautes Gelände vorzuwagen. Die Botschaft ist zu wichtig, als dass sie beiseite gelassen werden könnte. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass das Lesen die gleiche Wirkung hinterlässt, die Mangalwadi beschreibt: „Die Bibel forderte mich auf, sie zu lesen, weil sie geschrieben wurde, um mich und mein Volk zu segnen“ (93). Die Alternative dazu ist nicht verlockend: „Jedes Volk, das es ablehnt, unter der Wahrheit zu leben, verdammt sich selbst dazu, unter der Herrschaft sündiger Menschen zu leben“ (536).

– – –

Die Buchbesprechung erschien in: Glauben & Denken heute 1/2015, Nr. 15, S. 48–51.

Ein Leben zur Ehre Gottes

UnknownAls ich vor einigen Tagen Zürich besuchte, wurde ich wie verabredet von einem sportlichen, freundlichen, jungen Mann am Hauptbahnhof abgeholt, Hanniel Strebel. Hanniel kaufte mir ein Bahnticket und nahm mich mit zu ihm nach Hause, wo seine liebe Frau und die fünf Buben auf uns warteten. Wir haben an jenem Abend nicht nur gut gegessen, sondern allerlei Themen angesprochen. Auch Hanniels „Moment der Wahrheit“ gehörte dazu. Es ist noch nicht lange her, da wurde ihm von seinem Arzt eröffnet, dass er eine schwere und ausgesprochen seltene Herzerkrankung hat.

Hanniels Leben konnte durch eine Operation gerettet werden. Nachdem er die Eingriffe beschrieben und erläutert hatte, dass kein Arzt zuverlässig sagen könne, wie es weitergehe, erklärte Hanniel (ich zitiere aus dem Gedächtnis): „Ich weiß nicht, wie lange ich zu leben habe. Aber eins weiß ich: Die Zeit, die mir zur Verfügung steht, will ich Gott dienen und das tun, was in seinen Augen wichtig ist.“

Was ist heute in Gottes Augen wichtig? Allgemein die Treue im Kleinen, die Verkündigung des Evangeliums und die Revitalisierung oder Neugründung von Kirchengemeinden, alles Anliegen, die auch Hanniel „auf dem Herzen“ liegen. Konkret hat Gott zudem die Gaben im Blick, die er einem Menschen gegeben hat. Es ist nicht überraschend, dass sich Hanniel nach der OP und einer kurzen Erholungsphase der Verteidigung seiner Promotion und gemeinsam mit Jochen Klautke und Lars Reeh einem Buchprojekt angenommen hat.

Der Sammelband Ein Leben zur Ehre Gottes liegt inzwischen vor. In den letzten Tagen konnte ich das Buch lesen. Es enthält 10 Kapitel, die von verschiedenen Autoren verantwortet werden. Behandelt werden Themen, die jungen Christen auf den Nägeln brennen: „Der Christ und die Ehe“ (Ludwig und Katharina Rühle), „Der Christ und Pornographie“ (Benjamin Tom), „Der Christ und das Gesetz“ (Simon Schuster), „Der Christ und der Wille Gottes“ (Jochen Klautke), „Der Christ und die Arbeit“ (Rudolf Tissen), „Der Christ und die Bildung“ (Hanniel Strebel), „Der Christ und die Apologetik“ (Lars Reeh), „Der Christ und der Islam“ (Mario Tafferner) und „Der Christ und die Gemeinde“ (Johannes Müller). Die Ausführungen werden in jedem Kapitel durch Fragen zum Weiterdenken und Buchhinweise ergänzt.

Ich kann das Buch vorbehaltlos empfehlen. Obwohl der Schwerpunkt angenehmerweise nicht auf Unterhaltung, sondern auf gesunder Lehre liegt, sind die Beiträge flüssig und verständlich geschrieben. Das Buch, das in der Josia-Edition des 3L Verlags erschienen ist, schlägt allerlei Brücken zur Praxis und macht jungen Menschen Mut, ihr Leben in den Dienst ihres HERRN Jesus Christus zu stellen. Möge es eine große Verbreitung finden und junge Leute dazu anstiften, ganz für Gott zu leben. Mit oder ohne „Wahrheitsmoment“. Tun wir, was in SEINEN Augen wichtig ist!

Leseprobe: 863.066.pdf.

D.A. Carson: Die Intoleranz der Toleranz

Hanniel hat das Buch:

gelesen. Hier eine kurze Buchbesprechung, die Hanniel freundlicherweise zur Verfügung stellt:

NewImageDie Intoleranz der Toleranz

Carson sieht das Buch als inhaltliche Ergänzung zu „Christ and Culture Revisited“. Bereits in seinem umfangreichen Werk zum religiösen Pluralismus („The Gagging of God“) hatte er auf das veränderte Toleranzverständnis hingewiesen. In diesem vergleichsweise kurzen Buch nimmt er den Faden auf. Das erste Kapitel dient dazu, den Rahmen für die Entwicklung der These abzustecken. In den nächsten beiden Kapiteln geht es darum, die These anhand von Beispielen aus der US-Rechtsprechung zu konkretisieren und die historische Entwicklung des Begriffs seit den Griechen nachzuvollziehen. Im vierten Kapitel wird der Anspruch der neuen Toleranz, nämlich ethisch und moralisch „auf neutralem Boden“ zu stehen, gründlich entkräftet. Das Buch wäre unvollständig, wenn der Bogen zum Wahrheitsbegriff (5. Kapitel) und zur Realität des Bösen in der Welt (6. Kapitel) nicht geschlagen worden wäre. Genau so ist Carson bestrebt, mit der von vielen Christen gehegte idealistische Vorstellung von Demokratie aufzuräumen, indem er einen Blick auf das aktuelle Weltgeschehen wirft.

Um was es geht

Carson geht es im ganzen Buch um die eine Hauptsache: Den neuen Toleranzbegriff zu hinterfragen, als unbrauchbar zu entlarven und den Leser gedanklich zum herkömmlichen Verständnis des Begriffs zurückzuführen. Insofern ist dieses Buch „kreisförmig“ aufgebaut. Die These wird von verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Jede einzelne Perspektive wird mit einer Fülle aktueller Beispiele (aus den USA) untermauert. Wie es für Carson typisch ist, lohnt es sich auch die Fussnoten zu lesen. Dort gibt es Dutzende von Hinweisen auf aktuelle Literatur. Bei mindestens zehn Büchern habe ich ein „Q“ für „Quelle“ hingeschrieben. Einzelne Bücher setzte ich auf meine Leseliste.

Fünf Dinge, die ich gelernt habe

Alte und neue Toleranz: Durch das Buch erhielt ich ein vertieftes Bewusstsein darüber, wie tief der Graben zwischen der alten und der neuen Toleranz ist. Mit der neuen Toleranz verbunden ist der einengende Leitsatz, dass alle Religionen und Überzeugungen gleichwertig nebeneinander zu stehen haben. Wie absurd diese Behauptung ist, wird schon daran deutlich, dass darunter Ideologien wie der Nationalsozialismus oder der Stalinismus fallen würden. In der Realität kommen die Vertreter nicht darum herum, einige wenige Überzeugungen anderen vorzuziehen. Vornehmlich im Schussfeld der Kritik stehen christliche Überzeugungen. Wer sich diskriminiert fühlt, kann ohne erhebliche Hindernisse Behörden in Aufregung und Agitation versetzen. Ein solches Vorgehen erstickt nicht nur den akademischen Diskurs. Er schränkt die Meinungsvielfalt drastisch ein.

Die Behauptung der Neutralität: Die neue Toleranz steht mitnichten auf neutralem Grund und Boden. Weil sie einige Überzeugungen bevorzugen muss, wird sie dem eigenen Anspruch nach Gleichbehandlung untreu. Es ist unumgänglich, einen moralischen Standpunkt einzunehmen.

Das Argument der Überheblichkeit: Wer einmal die Seite wechselt (und als Christ wäre es sinnvoll, sich in einen Bürger eines Staates ausserhalb der westlich-säkularen Welt zu versetzen), dem wird die Arroganz der neuen Toleranz vor Augen geführt. Wer dem säkularen Leitsatz nicht zustimmen kann, weil er einer anderen Religion angehört, wird automatisch degradiert. Ganz zu schweigen von der Behauptung, dass alle Religionen die gleichen Aussagen treffen bzw. sich in ihrer Substanz nicht voneinander unterscheiden würden.

Die Optionen für Religionsfreiheit: Carson stellt verschiedene Varianten der Religionsfreiheit dar. Variante A: Jeder darf denken, was er will; die Ausübung der Religion wird jedoch stark kontrolliert. Variante B: Bürger dürfen nicht nur ihre eigenen Überzeugungen haben, sondern sich auch mit Gleichgesinnten treffen. Verboten ist das Evangelisieren. Variante C: Bürger dürfen sich nicht nur treffen, sondern ihre Überzeugung auch offen propagieren. Allerdings dürfen sie in öffentlichen Angelegenheiten keine religiösen Gründe anführen. Variante D: Jeder Bürger, ob religiös oder nicht, hat die Verantwortung, seine moralische Weisheit, wie sie auch immer geartet ist, in die öffentliche Diskussion einzubringen. Nur Variante D ist mit dem herkömmlichen Toleranzbegriff wirklich kompatibel.

Die Gefahren der Demokratie: Wie stark die neue Toleranz dem Totalitarismus des Staates in die Hände spielt, wurde mir erst bei der Lektüre so richtig bewusst. Wo der einzelne Bürger seine Überzeugungen nicht geltend machen kann (und diese Überzeugungen orientieren sich am besten an einer überstaatlichen Autorität), springt der Staat in die Lücke.

Drei eindrückliche Beispiele

Es kann ein einheitliches Muster für Diskriminierung abgeleitet werden. Im Namen der neuen Toleranz wird eine Person bzw. Organisation der Intoleranz bezichtigt und dadurch selbst diskriminiert. Carson berichtet von Ärzten, die verklagt oder ausgeschlossen werden, weil sie selber keine Abtreibungen vornehmen wollen (auch wenn sie anderen das Recht zugestehen). Ganz ähnlich geht es dem Professor, der in einer Debatte über die Palästinenser über geschichtliche Details diskutieren wollte. Im Nu entstand eine hitzige Diskussion unter Studenten, und prompt fühlte sich jemand diskriminiert. Es kam zur Anzeige und zur Entlassung des Dozenten. Oder was soll man vom Verbot halten, einen Vater an einer Schule darüber berichten zu lassen, wie er den Tod seines Sohnes verarbeitet hat – wobei er auf seinen Glauben Bezug zu nehmen gedachte? An diesen und vielen weiteren Beispielen wird deutlich, dass mit der neuen Toleranz die Vielfalt von Meinungen eingeschränkt sowie Diskussion und Argumentation verunmöglicht wird.

Der Ruf zum Umdenken und Handeln

Das Buch ist ein händeringendes Plädoyer und „Beknien“ des Lesers: Lass dir die Augen öffnen über die fatale Neudefinition des Toleranzbegriffs. Werde dir bewusst, was dieser Wandel für die Christen bedeutet. Insofern passt das letzte Kapitel mit acht inhaltlichen Denk- und Handlungsempfehlungen überein. Es ist eine Aufgabe des Christen, auf die Fallen des neuen Toleranzverständnisses hinzuweisen. Eine Massnahme ist eben das Schreiben dieser Buchbesprechung. Ich werde mich künftig noch besser auf einzelne Pressemeldungen aus europäischen Zeitungen achten, um entsprechende hiesige Belege zu sammeln. Carson ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Aufklärungsarbeit jedoch nicht das prioritäre Ziel des Christen darstellt. Vielmehr geht es darum, mutig hinzustehen und das Evangelium zu verkündigen. Wie soll das geschehen? Durch Debatte und Abwägen von Argumenten, ohne Druck, aber mit viel Entschiedenheit. Wer nämlich wirklich tolerant sein will, der muss selbst über feste Überzeugungen verfügen!

Nach oben scrollen
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner