Kanonfrage

Begründung des Glaubens

Ben Graber hat eine feine Rezension zum Buch:

  • Herman Ridderbos, Begründung des Glaubens: Heilsgeschichte und Heilige Schrift, Verbum Medien, 2025

verfasst. Darin schreibt er:

Mitten in meiner Uni-Zeit erschien Dan Browns Thriller The Da Vinci Code (2004 in deutscher Übersetzung als Sakrileg herausgebracht) und wurde gleich ein Bestseller. Sein Erfolg löste in den Medien eine Welle von Begeisterung für kirchengeschichtliche Verschwörungstheorien aus. Nach diesen Thesen sei die frühe Kirche theologisch sehr vielfältig und inklusiv verschiedenster Glaubensrichtungen gewesen. Leider habe Kaiser Konstantin eigenmächtig durch die Einberufung des Konzils zu Nicäa im 4. Jahrhundert die Theologie und den Kanon der Kirche standardisiert und alternative Formen des Christentums unterdrückt.

Historisch gesehen sind solche Thesen reinster Quatsch, aber die Fragen, die sie aufwerfen, sind für moderne Menschen nachvollziehbar. Wie, durch wen und in wessen Interesse hat sich die Kirche eigentlich auf diese statt auf jene Bibelbücher geeinigt?

Die Verschwörungstheorien damals zielten in der Regel besonders auf die römisch-katholische Kirche, die als Institution tatsächlich die Autorität beansprucht, zu bestimmen, was als echte christliche Lehre gilt und welche Schriften in die Bibel gehören. Für Katholiken ist das Vertrauen in die Kirche die logische Voraussetzung für das Vertrauen in die Bibel.

Bei Protestanten verhält es sich anders: Es ist die Bibel, die den Maßstab bietet, nach dem die Lehre der Kirche zu bewerten ist, keinesfalls andersherum. Das bringt jedoch andere Schwierigkeiten mit sich. Man kann die Glaubwürdigkeit und Motivation des römischen Lehramts zwar hinterfragen, doch wenigstens ist die Fragestellung klar, ob die Kirche recht hatte, als sie alternative Lehren und deren Schriften in vergangenen Jahrhunderten verwarf. Aber auf welcher Basis können sich Protestanten überhaupt zu einem festen biblischen Kanon bekennen?

Diese Problemstellung ist nicht neu. Als der niederländische Theologe Herman Ridderbos sein Buch Begründung des Glaubens: Heilsgeschichte und Heilige Schrift 1955 veröffentlichte, sprach man schon seit Jahren von einer „Krise des Kanons der Kirche“ (S. 29–30). Die historische Bibelkritik hatte damals bereits seit fast 200 Jahren den normativen Charakter des Kanons bestritten und seine Anerkennung als das Ergebnis von „Kampf … menschliche[r] Strategie und … kirchliche[r] Politik“ abgeschrieben (S. 30). Sollte man die Autorität der Bibel in der Moderne dann einfach verwerfen? Oder sollte die Kirche besser versuchen, eine Botschaft zu verkündigen, die durch die Komplexität von historischer und wissenschaftlicher Forschung unantastbar bleibt?

Mehr: www.evangelium21.net.

Ulrich Parzany: Das Buch Begründung des Glaubens hat mir entscheidend geholfen

Pfarrer Ulrich Parzany hat das Buch Begründung des Glaubens von Herman Ridderbos schon in den 60er Jahren gelesen. Dass es jetzt neu (und endlich in einer vollständigen Ausgabe) erschienen ist, kommentiert er in einer Rezension Folgendermaßen:

Als Theologiestudent hatte ich mich mit der radikalen Bibelkritik Rudolf Bultmanns und seiner Schüler auseinanderzusetzen. Die Autorität der Bibel wurde durch die Infragestellung der historischen Zuverlässigkeit der biblischen Berichte und durch Bezweiflung des neutestamentlichen Kanons als Wort Gottes untergraben. Damals, 1963, erschien das Buch des niederländischen Theologen, Herman Ridderbos, Begründung des Glaubens – Heilsgeschichte und Heilige Schrift, R. Brockhaus Verlag Wuppertal. Dieses Buch hat mir entscheidend geholfen. Ich hüte es bis heute in meiner Bücherei.

Mit großer Freude begrüße ich, dass der Verlag VERBUM MEDIEN dieses Buch jetzt neu aufgelegt hat [siehe hier]. Herman Ridderbos (1908–2007) war Professor für Neues Testament an der Theologischen Hochschule in Kampen, Niederlande.

In der Einleitung schreibt Ridderbos: „Die Theologie sieht sich immer wieder vor die Frage nach der Autorität der Heiligen Schrift gestellt. Die meisten Theologen unserer Zeit antworten darauf, dass die Heilige Schrift an sich keine göttliche Autorität besitze und dass diese nur ihrem Inhalt zukomme. Das Kennzeichnende an dieser Auffassung ist nicht, dass sie jede Offenbarung schlechthin leugnet, wohl aber, dass sie einen prinzipiellen Unterschied zwischen Offenbarung und Heiliger Schrift macht. Die Bibel ist demnach nur menschliche Urkunde als Beschreibung göttlicher Offenbarung oder, wie man gegenwärtig zu sagen pflegt, ihr menschliches Zeugnis. … Der Schrift an sich komme keine Offenbarungsqualität zu.“ (S.15f)

Ridderbos vertritt und begründet seine Gegenthese: „Die Heilige Schrift hat eine Geschichte. Sie ist ein Produkt von Gottes Offenbarungshandeln in der Heilsgeschichte. … Die Bedeutung der Bibel und das Wesen ihrer Autorität können also nur dann richtig verstanden werden, wenn man die Schrift eng mit der Heilsgeschichte verbindet…. Die vorliegende Arbeit bemüht sich daher nicht darum, den Glauben auf einen anderen Grund als den der Bibel zu stellen, sie möchte nur das Wesen der Heilsgeschichte näher ergründen, oder anders ausgedrückt: den Zusammenhang zwischen Heilsgeschichte und Heiliger Schrift aufdecken.“ (S.21f)

Mehr: www.bibelundbekenntnis.de.

Herman Ridderbos: Die Begründung des Glaubens

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Die gerade erschienene Neuauflage des Buches Begründung des Glaubens (Verbum Medien, 2025) des Neutestamentlers Herman Ridderbos erschien erstmalig 1955 als Heilsgeschiedenis en Heilige Schrift van het Nieuwe Testament. Es folgten drei englischsprachige Auflagen mit dem Titel Redemptive History and the New Testament Scriptures in einem presbyterianischen Verlag. Sowohl die niederländische als auch die englischen Ausgaben enthalten einen zweiten Teil über die Autorität des Neuen Testaments, der in der deutschen Ausgabe von 1963 leider fehlt. Bei der Neuauflage haben wir daher nicht nur die alte Übersetzung an einigen Stellen erheblich überarbeitet, sondern auch den bisher fehlenden zweiten Teil über die Autorität des Neuen Testaments übersetzt und eingefügt.

Worum geht es in diesem Buch?

Ridderbos geht es in Begründung des Glaubens nicht – wie man aufgrund des Titels vermuten könnte – um die Verteidigung der christlichen Religion. Er erörtert vielmehr die Frage, mit welchem Recht der christliche Glaube Offenbarungswahrheit in Anspruch nimmt. Er diskutiert die Bedeutung der Schrift, ihre Kanonizität und die Eigenart ihrer Autorität.

Für den Leser ist es hilfreich, zu wissen, dass die Arbeit in einer Zeit entstand, in der es sehr verbreitet war, den biblischen Schriften lediglich einen menschlichen Zeugnischarakter zuzugestehen (vgl. z.B. Karl Barth o. Emil Brunner). Demnach komme der Bibel selbst keine Offenbarungsqualität zu, da sie nur ein menschliches und damit gebrechliches Zeugnis der göttlichen Offenbarung sei. Aus diesem Grund stand der kritischen Arbeit am „Schriftzeugnis“ nichts im Weg, was folglich die Kanonkritik und allgemein die historisch-kritische Forschung am Neuen Testament rechtfertigte und beflügelte.

Herman Ridderbos greift die vielfältigen damit zusammenhängenden Fragestellungen auf und legt schließlich eine eigenständige Antwort vor. Er vertritt die Auffassung, dass die Autorität des Kanons weder in der Anerkennung des Kanons durch die Kirche noch in der Erfahrung des Gläubigen mit dem Kanon liegt. Jeder Versuch, die Autorität des Kanons mit anderen Mitteln als dem Kanon selbst zu begründen, öffnet nach Ridderbos einer subjektivistischen und willkürlichen Argumentation Tür und Tor. Ebendeswegen ist für Ridderbos der neutestamentliche Kanon selbst die Offenbarung Gottes für sein Volk, da er die verbindliche schriftliche Verkündigung der Worte und Taten Gottes in Christus darstellt, die durch die göttlich beauftragten Apostel kundgetan wurden. Als solcher gehört der Kanon zum Heilshandeln Gottes in der Geschichte und erhält genau hierdurch seine bindende Autorität.

Das klingt dann so: 

Zunächst erscheint es etwas gewaltsam, eine Verbindung zwischen Heilsgeschichte und neutestamentlichem Kanon herstellen zu wollen. Es ist ja nirgendwo im Neuen Testament von einem Kanon als abgeschlossener Einheit von Schriften die Rede. An keiner Stelle hören wir von einem Auftrag, bestimmte Schriften zusammenzustellen, die der Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte als Richtschnur dienen sollen. Der Kanon ist – so scheint es jedenfalls – dem Heilshandeln Gottes in Jesus Christus a posteriori hinzugefügt. Er kam erst dann zum Zuge, als die großen Heilstaten Gottes, die Fleischwerdung Jesu Christi, seine Auferstehung, die Himmelfahrt, die Ausgießung des Heiligen Geistes schon längst der Vergangenheit angehörten. So betrachtet ist es nicht verwunderlich, dass sich die gegenwärtige Literatur – die auf den historischen Charakter der neutestamentlichen Offenbarung so starken Nachdruck legt – so wenig mit der Bedeutung beschäftigt, die das Neue Testament als literarische Größe in diesem Heilshandeln einnimmt. Es scheint wirklich so, als ob die Heilige Schrift des Neuen Testaments erst nach der großen Offenbarungszeit auftrete und sie deswegen in der Kirchengeschichte behandelt und dementsprechend beurteilt werden müsse. Doch ist dies nur zum Teil wahr. Gewiss gehört die Festlegung des Kanons als abgeschlossene Einheit von 27 Büchern zur Kirchengeschichte. Die Frage ist aber, ob das auch ob das auch vom Kanon in qualitativem Sinne gilt; genauer gesagt: ob dasjenige, was die Kirche veranlasst hat, einen schriftlichen und geschlossenen Kanon als Norm des Glaubens anzuerkennen, seinen Grund nur in der Geschichte der Kirche selbst oder auch in der Heilsgeschichte findet. Es geht hierbei nicht um das Wort „Kanon“, das im Neuen Testament nur wenige Male vorkommt und dort in sehr allgemeiner Form. Es geht um die sachliche Autorität, die den in den Kanon aufgenommenen Schriften von Anfang an in der Kirche zuerkannt wurde und die dann auch – vor allem im Westen – den kirchlichen Gebrauch des Namens „Kanon“ im Sinne von „Maßstab, Regel, Norm für Glaube und Leben“ bestimmt hat.

Von dieser Autorität gilt, dass sie ihren Ursprung im Herzen der Heilsgeschichte hat. Es ist die Tat Jesu Christi selbst, die hierin sichtbar wird, und das nicht allein deswegen, weil er als der Gesandte des Vaters und als der Sohn Gottes Träger göttlicher Vollmacht war und man daher sagen kann, dass Gott sich in Christus der Welt gegenüber als Kanon erwiesen hat. Tatsächlich hat Christus zur Mitteilung und Überlieferung dessen, was in der „Fülle der Zeit“ geschehen ist, was gesehen und gehört wurde, die formale Autoritätsinstanz geschaffen, auf die sich Ursprung und Maßstab des Evangeliums für alle Zukunft gründet.

Das Buch kostet 12,90 € und kann bei Verbum Medien oder überall im Buchhandel bestellt werden.

Augustinus: Die Schriften haben den Kanon hervorgebracht

In De doctrina Christiane diskutiert der Kirchenvater Augustinus unter anderem die sprachliche Qualität der biblischen Schriften. Dabei macht er eine interessante Bemerkung zur Entstehung des Kanons. Er behauptet nämlich, dass diese Dokumente ihre Geltung nicht von der Kirche erhalten haben, sondern der biblische Kanon durch die ihnen innewohnende Autorität entstanden ist. Er schreibt (De doctr. chr. IV,6,9):

An dieser Stelle fragt vielleicht einer, ob unsere Bibelautoren, deren vom göttlichen Willen inspirierte Schriften uns in überaus heilbringender Autorität einen Kanon gebildet haben, nun weise oder auch beredt genannt werden müssen. Diese Frage wird von mir selbst und von denen, die mit mir einer Meinung sind, sehr leicht beantwortet. Denn sobald ich diese verstehe, kann mir nicht nur nichts weiser, sondern auch nichts beredsamer als diese erscheinen.

Zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons

201011161521.jpgSoeben ist ein weiteres Buch zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons erschienen. Craig Blomberg schreibt über:

  • Chuck E. Hill: Who Chose the Gospels? Probing the Great Gospel Conspiracy, Oxford: Oxford University Press, 2010. 18,00 Euro, S. 304

in einer Rezension:

Hill’s work comes as a breath of fresh air after reading both the radical revisionists like Bart Ehrman and the more conservative revisionists like Lee McDonald. If anything, Hill could have made his case a bit more forcefully at times. Read the Gnostic and apocryphal corpora through from start to finish and you will not find a claim made anywhere by the authors of those Gospels that demonstrates that they were even wanting them to be accepted on a par with the canonical texts. Nor do the early orthodox heresiologists ever allege that the sectarians made such claims, as one would have expected to read if they had done so, if only for the sake of denouncing such those claims as a key reasons for rejecting the writings.

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