Medienkritik

Sterben für Gott?

Der Beitrag »Sterben für Gott?« des ARD Magazins Panorama kann auf dieser Internetseite angesehen werden: daserste.ndr.de.

Nicht viel Neues unter der Sonne. Panorama scheint Frontal 21 stützen und einen Keil zwischen die Evangelikalen und die EKD treiben zu wollen. Schade, dass für eine Sendung, in der den Frommen verdeckte Missionsarbeit vorgeworfen wird, wieder einmal verdeckt recherchiert wurde. Das Gespräch mit offenem Visier würde vielmehr weiterhelfen als so eine getarnt vorbereitete Rhetorik.

Natürlich müssen sich auch Evangelikale kritisch mit ihren eigenen Kreisen auseinandersetzen. (Ich bin auch kein Freund von aufpeitschenden Jugendmissionskongressen.) Wer jedoch nun plant, sich auf »Jugend mit einer Mission« einzuschießen, sollte sich zunächst die erwähnten Videoproduktionen genauer anschauen. Ich vermute, dass hier Szenen bildgewaltig aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Also an die Goldene Regel denken (vgl. Lk 6,31).

Komisches Panorama

Auf der Internetseite des ARD Magazin Panorama kann man lesen (Stand: 08.10.09, 19:25 Uhr):

Missionieren unter Lebensgefahr. Dazu war auch Christina* bereit. Für die christlich-fundamentalistische Organisation »Jugend mit einer Mission« ist sie nach Afghanistan gereist. In einer kleinen Ortschaft ging sie dort von Tür zu Tür, um den Einheimischen von Jesus zu erzählen.

Der Einleitungstext steht merkwürdigerweise unter der Überschrift: »Bio-Lebensmittel: Das Geschäft mit dem guten Gewissen«. Ob auch Panorama einen kritischen Beitrag über die Mission in islamischen Ländern aussendet? Wir dürfen gespannt sein.

»Da muss man doch etwas tun!«

bolzNorbert Bolz hat wieder zugeschlagen. Sein Essay »Ich will einen Unterschied machen« thematisiert die broadcast yourself-Kultur. »Statt das »wahre« Selbst zu entdecken, geht es darum, ein interessantes Selbst zu erschaffen. Anprobieren – das macht man heute nicht mehr nur mit Kleidern, sondern auch mit Lebensstilen und Weltanschauungen. Viele, vor allem junge Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind und es als eine zweite Natur erfahren, können mit den klassischen Vorstellungen von Privatsphäre und Intimität gar nichts mehr anfangen. YouTube, MySpace und die Castingshows im Fernsehen signalisieren Exhibitionismus und Voyeurismus als neuen Megatrend.«

Auch die eingängig beschriebene »Konjunktur der Sorge« zeigt, was für ein guter Beobachter Bolz ist:

In der Welt von Wohlstand und Fürsorge wächst der Wunsch, sich um jemanden oder etwas zu sorgen. Traditionell sorgte man sich um die Kinder und die Alten. Das grün gefärbte Bewusstsein sorgt sich um die Natur, das schlechte soziale Gewissen um die Armen der Welt. Die Unpolitischen, denen Kinder oder Senioren zu anstrengend und soziale oder Umweltprobleme zu komplex sind, sorgen sich um Haustiere. Die »fit for fun-Generation« sorgt sich um den eigenen Körper. Und einsame Kinder sorgen sich um ihren Roboterhund. Dieser Wunsch, sich zu sorgen, gründet in dem Wunsch, gebraucht zu werden.

Die Hochkonjunktur der Sorge ist auch ein Effekt der Massenmedien. Sie zeigen uns tagtäglich die Leiden und Probleme der Welt – und wir können als Leser und Zuschauer nur sagen: »Da muss man doch etwas tun!« Wenn aber die ganze Welt zum Gegenstand des Verantwortungsgefühls wird, dann entspricht dem natürlich kein konkretes Handeln mehr. Die Massenmedien muten den Menschen heute also nicht nur Pflichten gegenüber seinesgleichen, sondern gegenüber der ganzen Menschheit und deren Zukunft zu. Damit überlastet man aber das Moralgefühl.

Die ganze Welt geht uns jetzt etwas an. Und fast nichts können wir tun. Je unmöglicher aber ein wirklich eingreifendes Handeln ist, desto lauter das Pathos der Betroffenheit. Mitleid ist das demokratische Gefühl schlechthin. Betroffenheit durch die Hilfsbedürftigkeit der Opfer – das ist die heute vorherrschende demokratische Empfindung. Der Bürger, der sich heute politisch engagieren, also einen Unterschied machen will, geht nicht mehr in die Politik, denn die ist viel zu komplex geworden. Er begibt sich stattdessen auf den Markt der Sorge, der so kleinteilig und einfach ist, dass man mit jedem Konsumakt und jeder Spende die Welt verbessern kann.

Hier das vollständige Essay »Ich will einen Unterschied machen« aus Aus Politik und Zeitgeschichte, 41/2009, 5. Oktober 2009, S. 3–6: www.bpb.de.

»Frontal 21«: Staatsanwaltschaft ermittelt

Die Staatsanwaltschaft Rheinland-Pfalz ermittelt wegen Volksverhetzung gegen Redakteure des ZDF. Hintergrund ist der Beitrag »Sterben für Jesus«, der Anfang August für erhebliche Diskussionen gesorgt hat. Idea schreibt:

Karl-Heinz Schröder, ehrenamtlicher Geschäftsführer des Freien Evangelischen Regionalverbands Hannoversch Münden (Nordhessen), erhielt von der Staatsanwaltschaft die Mitteilung, dass sie seine Strafanzeige wegen Volksverhetzung angenommen habe. Laut Schröder wurden in dem Beitrag Bilder aus islamistischen Terrorcamps »mit Aufnahmen seriöser, staatlich und kirchlich anerkannter theologischer Fachschulen verquickt«. Damit hätten die Autoren den falschen Eindruck erweckt, »terroristische, radikale und verfassungsfeindliche Organisationen« seien dasselbe wie Evangelikale. Die Verantwortlichen der Sendung hätten damit in der Bevölkerung »Hass, Herabwürdigung und massive Vorbehalte« gegen Christen geweckt, die in der Sendung pauschal als »evangelikal« diskreditiert und dadurch massiv in ihrem öffentlichen Auftrag behindert worden seien.

Mehr dazu hier: www.idea.de.

Der »Frontal 21«-Beitrag »Sterben für Jesus«

Am 4. August wurde im ZDF bei »Frontal 21« ein Beitrag über die angeblich unverantwortliche Missionspraxis der Evangelikalen ausgestrahlt. Der Beitrag kann hier als Video eingesehen werden. Außerdem steht das Manuskript zur Sendung als PDF-Datei für eine Auswertung bereit.

Ein kritischer Kommentar zu »Sterben für Jesus« ist beim Medienmagazin pro zu finden. Der Deutschlandfunk (DLF) hat heute in »Tag für Tag« über den Vorfall und die Beschwerde der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen (AEM) berichtet. Die Sendung kann auf der Internetseite des DLF als Podcast herunter geladen werden.

Es bleiben für mich viele Fragen:

  • In dem Beitrag werden Christen und islamistischen Terroristen auf eine Stufe gestellt: »Bereit sein, für Gott zu sterben: Das klingt vertraut – bei islamischen Fundamentalisten. Doch auch für radikale Christen scheint das zu gelten.« Das ist wirklich ein Griff in die rhetorische Trickkiste. Islamisten wollen ihre politischen Machtansprüche mit Gewalt durchsetzen und sind dafür bereit, ihr Leben zu opfern. Das ist etwas völlig anderes als eine friedliche und unpolitische Missionspraxis. Steht ein lebensvernichtender Selbstmordattentat auf einer Stufe mit dem lebenserhaltenden Pflegedienst im Krankenhaus?
  • In dem Beitrag wird der Eindruck vermittelt (trotz oder gerade wegen der Einblendung »Kursteilnehmer«), Bibelschüler aus Brake hätten gesagt, sie seien bereit, für die Mission ihr Leben zu geben. Bei den Interviewten handelte es sich allerdings nicht um Bibelschüler, sondern überwiegend um Teenager, die als Gäste die Ausbildungsstätte besucht hatten.
  • Die Redaktion von »Frontal 21« behauptet nachhaltig, es sei völlig normal, eine Veranstaltung der AEM von als Studenten getarnten Journalisten besuchen zu lassen. Das Drehen mit verdeckter Kamera sei in diesem Fall ein »legitimes und legales Mittel«, heißt es. Aber was ist mit dem Schutz des nicht öffentlich gesprochenen Wortes? Im § 201 des Strafgesetzbuches steht: »Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder 2. eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht.« In § 201a können wir lesen: »(1) Wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt Bildaufnahmen herstellt oder überträgt und dadurch deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt …«. Sich hier im Sinne einer Pflichtenabwägung auf ein überragendes öffentliches Interesse zu berufen, scheint mir abwegig.
  • Das Hauptargument: Lasse alles, was gefährlich ist, klingt wenig überzeugend. (Wie kann man so etwas denken und beispielsweise gleichzeitig den Widerstand von Mahatma Gandhi gegen das Kastensystem gutheißen?)
  • Der tatsächliche Skandal, dass nämlich in vielen Ländern den Menschen das Recht auf Mission und einen Glaubenswechsel verweigert wird, kommt im Beitrag überhaupt nicht zur Sprache.

Die einseitigen und oft desinformierenden oder diffamierende Berichterstattungen über die Evangelikalen nehmen zu. Als indirekt Mitbetroffener (auch wenn ich kein klassicher Evangelikaler bin) und, wenn man so will, ›Kenner‹ der Szene, kann man über das Ethos der Journalisten nur staunen. Wie schlecht es um die Qualität des Journalismus allgemein bestellt ist, lässt sich leicht erahnen, wenn man davon ausgeht, dass wahrscheinlich in anderen Bereichen genau so ›vorurteilsfrei‹ und sensationslüstern gearbeitet wird.

Übrigens prognostiziere ich, dass es heute Abend gleich weitergeht. Der DLF strahlt um 19:15 Uhr ein Dossier mit dem vielsagenden Titel: »Fossiles Denken als Gottesbeweis – Die Allianz christlicher und muslimischer Kreationisten« aus.

Ego online ergo sum I

Nicht nur die Konjunktur betreffend werden wir Nachrichten-Konsumenten heute mit einem großen Kuddelmuddel konfrontiert. (Aussicht auf Besserung und die totale Krise können einem Surfer gelegentlich zeitgleich auf einem Informations-Portal begegnen und lösen dann irgendwie Ratlosigkeit aus.) Kuddelmuddel lässt sich auch bei den berufenen ›Netzkritikern‹ finden. Peter Neitzsch geht für SPIEGEL-Online der Frage nach, ob Facebook dumm macht und zieht dafür eine neue Studien der Ohio State University heran.

»Es gibt eine signifikante Beziehung zwischen der Verwendung von Facebook und schwachen Noten«, sagt Aryn Karpinski, Autorin der Studie. Vor allem Undergraduates, also jüngere Studenten, zählten zu den Mitgliedern bei Facebook. Doch auch bei Studenten in höheren Semestern macht sich der Effekt bemerkbar: Die Netzwerker unter ihnen haben ebenfalls die schlechteren Noten, fanden Karpinski und ihr Kollege Adam Duberstein von der Ohio Dominican University heraus.

Andrew Keen, der Antichrist des Web 2.0 und Autor von Die Stunde der Stümper, sieht dagegen bessere Zeiten auf uns zukommen und spricht im SPIEGEL-Online-Interview über Talent-Marketing im Web 3.0 und die Vorzüge des Microbloggings.

Seit dem Erscheinen meines Buches hat die Blogosphäre an Bedeutung verloren, während neue Dienste wie Twitter die alte Hierarchie der Experten stützen. Dieses Phänomen könnte man Web 3.0 nennen. Jedenfalls bin ich zuversichtlicher gestimmt als vor zwei Jahren.

Wie auch immer: Wir sollten nicht zulassen, dass die sozialen Netzwerke der digitalen Welt unser Leben lenken oder ›face to face‹-Begegnungen ersetzen.

Dürfen wir unseren Augen trauen?

Wir neigen dazu, zu glauben, was auf Fotos präsentiert wird. Aber darf man seinen Augen trauen? Mit manipulierten Bildern wird Wirklichkeit erschaffen und Politik gemacht. Eine Revue der bizarrsten und peinlichsten Fälle hat der Spiegel zusammengestellt.

Hier geht es zur Ausstellung: www.spiegel.de.

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