Neue Paulusperspektive

Die Probleme mit Matthew Bates’ Perspektive auf die Glaubensrechtfertigung

Seit Jahren macht Matthew Bates von sich reden, indem er einen dritten Weg jenseits von Katholizismus und Protestantismus propagiert. Er hat einen gewissen Erfolg, sogar Scot McKnight oder Michael F. Bird empfehlen – nicht ganz überraschend – seine Schriften.

Wie N.T. Wright beruft sich auch Bates auf Einsichten der Neuen Paulusperspektive und verschiebt die Botschaft des Evangeliums in Richtung: auf die menschliche Treue kommt es an. Das ist nicht völlig falsch. Aber alles in allem gibt es massive Verschiebungen in der Frage der Glaubensgerechtigkeit und der Errettung. Dass dies nicht einfach zu erkennen ist, zeigt diese Zusammenfassung „seines Evangeliums“ (Matthew W. Bates, Beyond the Salvation Wars: Why Both Protestants and Catholics Must Reimagine How We Are Saved, 2025, S. 264–265):

Jesus ist der König geworden. Wir sind gerettet, wenn wir uns zu ihm bekennen und unsere Treue zu ihm leben.

Das Evangelium besagt, dass der Sohn vom Vater gesandt wurde, um der Christus, der vergebende König, zu werden – mit der Betonung auf seiner Königsherrschaft. Obwohl der rettende Glaube auch das Vertrauen einschließt, dass Jesus für unsere Sünden gestorben ist, bedeutet er in erster Linie die verkörperte Treue zu ihm als König. Der rettende Glaube schließt regelbasierte Ansätze zur Erlangung des Heils, wie etwa Gesetzeswerke, aus, schließt aber gute Werke ein, die mit Hilfe des Geistes als Ausdruck der Treue vollbracht werden. Die Taufe ist das wichtigste Ereignis, um sich entschieden zu König Jesus zu bekennen und so den Heiligen Geist zu empfangen – obwohl Gott Menschen auch ohne die Taufe rechtfertigen kann und dies auch getan hat. Die Gnade ist ein unverdientes, freies Geschenk, aber die rettende Gnade, das Christusgeschenk, kann von uns nur dann wirksam empfangen werden, wenn wir als Antwort darauf zunächst und beharrlich unsere Treue zurückgeben.

Rechtfertigung lässt sich am besten als einverleibte Gerechtigkeit darstellen. Eine Person wird zum ersten Mal gerechtfertigt, wenn sie in den gerechtfertigten Leib des Königs eintritt, wenn der Heilige Geist diese Person einhüllt. Die gegenwärtige Rechtfertigung dieser Person muss durch eine fortwährende Treueerklärung aufrechterhalten werden, damit die Rechtfertigung beim Endgericht ratifiziert werden kann. Es ist möglich, die anfängliche Rechtfertigung zu haben, diesen Status aber zu verlieren, indem man vom Glauben abfällt und sich von Christus und der Gemeinschaft des Heiligen Geistes löst. Das Auferstehungsleben des Königs ist bereits in jeder Person am Werk, die in der Gegenwart gerechtfertigt ist, so dass sie über eine tatsächliche menschliche Gerechtigkeit verfügt, die fortwährend aus dem König Jesus hervorgeht, wenn sie sich weiterhin zur Treue bekennt. Die endgültige Rechtfertigung hängt von der Treue zu König Jesus ab, so dass wir mit unserem Körper gute Taten vollbringen und in und durch ihn moralisch gerecht sind. Die Verkörperung ist jetzt und für immer bedeutsam. Gottes letzte Vision für die menschliche Erlösung ist die Auferstehung zu einer neuen Schöpfung. Vereint in der Wahrheit, werden wir an der Seite Jesu in auferstandenen Körpern über die neue Schöpfung herrschen. All dies führt uns zum Kern der christlichen Mission der Jüngerschaft: weltweite Treue zu Jesus, dem König.

Zum besseren Verständnis dieser Verschiebungen empfehle ich die Diskussion „Has the Church Misunderstood the Gospel for 2000 Years?“ zwischen Albert Mohler, Tom Schreiner, Jim Hamilton und Steve Wellum:

Peter Stuhlmacher (1932–2025)

Die Nachrichtenagentur IDEA berichtet, dass der Neutestamentler Peter Stuhlmacher vertorben ist:

Der international angesehene Tübinger Theologieprofessor Peter Stuhlmacher ist am 5. April im Alter von 93 Jahren gestorben. Das hat die Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA aus seinem persönlichen Umfeld erfahren. Der gebürtige Leipziger lehrte von 1972 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Zuvor war er vier Jahre in Erlangen tätig.

Durch seine Forschungen über den Apostel Paulus und die „Biblische Theologie des Neuen Testaments“ erwarb er sich Anerkennung über Deutschland hinaus. Mit Kollegen entwickelte er eine „Biblische Theologie“, bei der die wissenschaftliche Bibelexegese durch eine „geistliche Schriftauslegung“ ergänzt wird.

Ich habe seine Bücher gern gelesen und schätzen gelernt.

Wer Stuhlmacher noch einmal hören möchte, könnte sich zum Beispiel seine Vorträge über die Neue Paulusperspektive anhören, die auch als Buch erschienen sind (#ad).  

Mehr: www.idea.de.

Michael Horton über die Neue Paulusperspektive

Das Southern Baptist Theological Seminary veranstaltete vom 12. bis 13. September Gastvorlesungen mit Professor Michael Horton zur Rechtfertigungslehre. Horton hatte 2018 ein zweibändiges Werk zum Thema veröffentlicht. Travis Hearne schreibt für das SBTS zur Vorlesungsreihe:

Horton ist der Auffassung, dass zeitgenössische Infragestellungen der biblischen Rechtfertigungslehre das hinreichende Werk Christi untergraben, indem sie in Legalismus und Antinomianismus verfallen. Ein besonderer Irrtum, den Horton korrigierte, war die Lehre der sogenannten Neuen Paulusperspektive, die gemeinhin mit James Dunn, E.P. Sanders und N.T. Wright in Verbindung gebracht wird. Im Gegensatz zu den Verfechtern dieser Neuen Paulusperspektive verstanden die Reformatoren die paulinische Lehre von der Rechtfertigung richtig als einen großen Tausch, bei dem den Gläubigen die Gerechtigkeit Christi zugerechnet wird.

„Bei der Rechtfertigung geht es nicht um das ethnische Problem der Eingliederung oder darum, wie man in den Bund kommt und darin bleibt“, sagte Horton. „Es geht um das Gegenteil. Die Frage nach der wahren Natur Israels wird durch den kommenden Zorn Gottes ausgelöst, nicht durch die Frage, ob Juden Heiden beschneiden müssen. Die Fragen, die sie stellten, waren: ‚Wie müssen wir gerettet werden? Gehöre ich zu diesem Israel?‘“

Deshalb, so Horton, war Paulus’ Sorge um die Gesetzlichkeit zweitrangig gegenüber seinem Hauptanliegen, dass Christus allein unsere Rettung ist. Die reformatorischen Lehren der Solas, zu denen allein die Schrift, allein der Glaube, allein die Gnade und allein zur Ehre Gottes gehören, erfordern alle die zentrale Lehre, dass der Mensch allein von Christus abhängig ist, um Glauben, Gnade und wahres Verständnis der Schrift zu erlangen.

Mehr: news.sbts.edu.

Informationen zum „Neuen Paulus“

Holger Weiß, Rektor am Lutherischen Theologischen Seminar in Leipzig, hat das Buch Der neue Paulus in der Zeitschrift Theologische Handreichung und Information freundlich besprochen (37. Jg., 3/2019, Nr. 1, S. 30–36).

Fazit:

Deshalb ist die von Ron Kubsch herausgegebene Handreichung jedem wärmstens zu empfehlen, der sich näher mit diesem neueren Zweig der Bibelauslegung beschäftigen möchte. Und gerade lutherische Christen sollten sich dazu herausgefordert sehen, stellt doch die Neue Paulusperspektive mit ihrem selbstbewussten Auftreten und ihren herausfordernden Thesen nicht nur die bisher im Bekenntnisluthertum vertretene Auslegung der Heiligen Schrift in Frage, sondern auch die Reformation als solches. Das von Ron Kubsch herausgegebene Buch kann dabei eine große Hilfe sein, da es nicht nur in prägnanter Weise mit den Anliegen dieser neuen Bewegung vertraut macht, sondern zudem auch in ausgewogener Weise zeigt, warum die Neue Paulusperspektive trotz positiver Ansätze klar als Irrweg zurückgewiesen werden muss.

Gab es ein einheitliches palästinensisches Judentum?

Aus: Der neue Paulus: Handreichung zur „Neuen Paulusperspektive“, S. 42–43):

Obwohl die Kritik am Zerrbild des Judentums zu begrüßen ist, hat sich inzwischen gezeigt, dass Sanders seine Quellen einseitig gewählt und über-systematisiert sowie polemisch ausgewertet hat. Während Sanders das Gemeinsame des Judentums in Palästina betont (Common Judaism), sind die religiösen und sozialen Unterschiede zwischen den jüdischen Gruppen weniger klar präsentiert worden. Martin Hengel und Roland Deines schreiben etwa, dass Sanders’ Darstellung des Judentums nur eine Außenansicht ist. „In Palästina haben die Menschen die beachtlichen Unterschiede und Spannungen“ damals viel deutlicher zur Kenntnis genommen. Der jung verstorbene Friedrich Avemarie hat nachgewiesen, dass die rabbinische Soteriologie nicht nur als Gnadenlehre verstanden werden kann, wie das Sanders behauptet. Vielmehr gab es innerhalb des palästinensischen Judentums divergierende Gnadenlehren. Sowohl Billerbeck als auch Sanders haben die Texte jeweils einem soteriologischen Prinzip untergeordnet. Nach Avemarie lassen sich jedoch Werkgerechtigkeit und Bundesnomismus in der frührabbinischen Literatur gleichrangig und nebeneinander nachweisen. Aus etlichen jüdischen Texten geht zudem hervor, dass die soteriologische Bedeutung des Gesetzes und ihrer Erfüllung höher eingeschätzt wird, als Sanders meint. Selbst wenn es stimmt, dass die Tora nicht gegeben wurde, um in den Bund hineinzugelangen, bleibt ja die Frage nach dem Heil. Es ist dem Volk nämlich nicht gelungen, das Gesetz zu halten; und so droht bei einem Gericht nach den Werken eben doch die Verurteilung. Der eben schon erwähnte John Barclay zeigt im zweiten Kapitel seines großen Paulusbuches, dass in etlichen jüdischen Texten (er untersucht fünf Überlieferungen akribisch) etwas zu finden ist, was sich „sehr deutlich von Sanders’ Bild des ‚Bundesnomismus‘ unterscheidet“. Der Neutestamentler Jörg Frey schreibt zu Sanders Sicht des Judentums:

„Methodisch führt die Abstraktion auf Grundstrukturen zu einer Einebnung der je spezifischen Differenzen, zu einem vermeintlich einheitlichen Judentum hinter den Texten, das mit der historischen Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmt. Neuere Untersuchungen zeigen, dass das Judentum jener Zeit in seiner Zuordnung von Tora und Heil vielfältiger und weniger schematisch war, als Sanders zugesteht.“

Die Kategorien des rabbinischen Judentums sind also weitaus flüssiger, als wie sich die Vertreter der NPP es sich wünschen.

Gab es ein einheitliches palästinensisches Judentum?

Besonders E.P. Sanders hat das Bild vom antiken Judentum, das die Paulusinterpretation über Generationen hinweg geprägt hat, nachhaltig korrigiert. So gut wie alle Vertreter der Neuen Paulusperspektive (NPP) sowie zahlreiche sonstige Paulusforscher stimmen der Behauptung Sanders zu, dass das Judentum des ersten Jahrhunderts fälschlicherweise als Gesetzesreligion interpretiert worden ist. Die These lautet: Das, wogegen der Apostel scheinbar angeschrieben hat – nämlich die Werkgerechtigkeit der Gesetzestreuen – hat es so nicht gegeben. Das Judentum, das in Werken wie etwa dem Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch von Hermann Strack und Paul Billerbeck vermittelt wird, ist nur eine minderwertige Karikatur des jüdischen Glaubens. Die Paulusinterpretation muss gründlich von der Folie der Leistungsreligion befreit werden. Etwa drei Viertel des bahnbrechenden Werkes von E.P. Sanders über das Judentum von 200 v. Chr. bis 200 n. Chr. „beschäftigt sich nicht so sehr mit Paulus, sondern mit der Korrektur der Wahrnehmung vom Wesen des Judentums“. Kennzeichnend für das reale Judentum sei nicht das Leistungsdenken, sondern die Struktur des Bundesnomismus. James Dunn schreibt über Sanders Leistung:

„Im Gegensatz [zur verzerrten, legalistischen Sicht des Judentums, Anm. R.K.] basiert – wie Sanders klar genug gezeigt hat – das gesamte religiöse Selbstverständnis des Judentums auf der Voraussetzung der Gnade: Daß Gott Israel in Freiheit erwählt und mit ihm seinen Bund geschlossen hat, um ihr Gott zu sein bzw. damit sie sein Volk sind. Diese Bundesbeziehung wurde durch die Tora reguliert, freilich nicht als ein Weg, um in den Bund hineinzukommen oder um Verdienst zu erwerben, sondern als ein Weg, um innerhalb des Bundes zu leben.“

Die Erfüllung des Gesetzes darf demnach nicht als eine menschliche Vorleistung für den Eintritt in den Bund Gottes verstanden werden (getting in), sondern lediglich als eine Bedingung für das Bleiben im Bund (staying in). Der Mensch gelangt zum Heil durch Gottes Gnade und verbleibt im Heil durch seine Werke (bzw. Reue und Inanspruchnahme von Sühnemitteln nach dem Sündigen).

Obwohl die Kritik am Zerrbild des Judentums zu begrüßen ist, hat sich inzwischen gezeigt, dass Sanders seine Quellen einseitig gewählt und über-systematisiert sowie polemisch ausgewertet hat. Während Sanders das Gemeinsame des Judentums in Palästina betont (Common Judaism), sind die religiösen und sozialen Unterschiede zwischen den jüdischen Gruppen weniger klar präsentiert worden. Martin Hengel und Roland Deines schreiben etwa, dass Sanders’ Darstellung des Judentums nur eine Außenansicht ist. „In Palästina haben die Menschen die beachtlichen Unterschiede und Spannungen“ damals viel deutlicher zur Kenntnis genommen.

Der jung verstorbene Friedrich Avemarie hat nachgewiesen, dass die rabbinische Soteriologie nicht nur als Gnadenlehre verstanden werden kann, wie das Sanders behauptet. Vielmehr gab es innerhalb des palästinensischen Judentums divergierende Gnadenlehren. Sowohl Billerbeck als auch Sanders haben die Texte jeweils einem soteriologischen Prinzip untergeordnet. Nach Avemarie lassen sich jedoch Werkgerechtigkeit und Bundesnomismus in der frührabbinischen Literatur gleichrangig und nebeneinander nachweisen.

Aus etlichen jüdischen Texten geht zudem hervor, dass die soteriologische Bedeutung des Gesetzes und ihrer Erfüllung höher eingeschätzt wird, als Sanders meint. Selbst wenn es stimmt, dass die Tora nicht gegeben wurde, um in den Bund hineinzugelangen, bleibt ja die Frage nach dem Heil. Es ist dem Volk nämlich nicht gelungen, das Gesetz zu halten; und so droht bei einem Gericht nach den Werken eben doch die Verurteilung.

Der eben schon erwähnte John Barclay zeigt im zweiten Kapitel seines großen Paulusbuches, dass in etlichen jüdischen Texten (er untersucht fünf Überlieferungen akribisch) etwas zu finden ist, was sich „sehr deutlich von Sanders’ Bild des ‚Bundesnomismus‘ unterscheidet“.

Der Neutestamentler Jörg Frey schreibt zu Sanders Sicht des Judentums:

„Methodisch führt die Abstraktion auf Grundstrukturen zu einer Einebnung der je spezifischen Differenzen, zu einem vermeintlich einheitlichen Judentum hinter den Texten, das mit der historischen Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmt. Neuere Untersuchungen zeigen, dass das Judentum jener Zeit in seiner Zuordnung von Tora und Heil vielfältiger und weniger schematisch war, als Sanders zugesteht.“

Die Kategorien des rabbinischen Judentums sind also weitaus flüssiger, als es sich die Vertreter der NPP wünschen.

Aus dem Buch: Der neue Paulus: Handreichung zur „Neuen Paulusperspektive“, 2017.

 

Rezension: Der neue Paulus

Andreas Münch hat freundlicherweise das Buch Der neue Paulus – Handreichung zur Neuen Paulusperspektive (ISBN: 978-1522077107, Taschenbuch 7,85Euro, Kindle 3,99 Euro) rezensiert (Glauben und Denken heute, Nr. 20, 2/2017, S. 58–59):

Der neue Paulus – Handreichung zur Neuen Paulusperspektive

41SMFXcovuL SX311 BO1 204 203 2002017 feiert die protestantische Christenheit das 500. Reformationsjubiläum und gedenkt dabei auch an die Wiederentdeckung der biblischen Wahrheiten durch Männer wie Luther oder Calvin. Gerade Martin Luther gilt ja allgemein als der Initiator der Reformation und seine alles entscheidende Frage lautete bekanntlich: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott, oder anders formuliert: Wie kann der Mensch vor Gott gerecht werden? Der Römerbrief des Apostels Paulus verhalf Luther zu einer befreienden Antwort, nämlich der Gerechtigkeit aus Glauben allein, und prägte die protestantischen Kreise bis in die heutige Zeit.

Dieses reformierte „Erbe“ wird in der neutestamentlichen Wissenschaft, insbesondere in der Paulusexegese, und mittlerweile auch im evangelikalen Mainstream, durch die sogenannte Neue Paulusperspektive (kurz NPP) kritisch hinterfragt. Da es mittlerweile viele Vertreter, Publikationen und verschiedene Ansätze der NPP gibt, hat der Laie es nicht leicht, einen konstruktiv-kritischen Überblick über diese theologische Bewegung zu haben. Das Buch von Ron Kubsch Der neue Paulus – Handreichung zur „Neuen Paulusperspektive“ möchte da Abhilfe schaffen. Mit seinen knapp 76 Seiten ist das Buch nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein erster Einstieg in die Thematik, wie der Autor, Dozent für Apologetik und Neuere Theologiegeschichte am Martin Bucer Seminar, im Vorwort betont.

Für wen die NPP vollkommen neu ist, der erfährt in der Einleitung, worum es eigentlich geht. Der Autor schreibt: „Die NPP tritt mit dem Anspruch auf: Wenn wir die Brillen der theologischen Traditionen ablegen und zum Verstehen des Neuen Testaments das frührabbinische Judentum heranziehen, begegnen wir dem wahren Apostel Paulus. Der Apostel, den wir bisher zu kennen glaubten, ist nicht viel mehr als eine Fiktion. Alles, was wir bisher über Paulus wussten oder zu wissen meinten, muss neu untersucht werden.“ (S. 10). Das es hier nicht um ein paar Nebenaspekte der Auslegung geht, verdeutlicht Kubsch direkt zu Anfang: „Im Raum steht nicht weniger als die große Frage: ‚Haben wir zentrale Gesichtspunkte des Evangeliums bisher falsch verstanden?‘“ (S. 11).

Das Buch ist übersichtlich in 3 Hauptteile gegliedert. In einem ersten Teil erläutert Kubsch die Vorgeschichte der NPP und skizziert kurz deren Wegbereiter und nennt die zwei bedeutendsten aktuellen Vertreter, James D. G. Dunn und N. T. Wright.

Im zweiten Teil erklärt Kubsch bedeutsame Anliegen der NPP und geht näher auf folgende Aspekte ein: 1) Die achtsame Wahrnehmung des literarischen Kontextes, 2) Das Judentum ist eine Gnadenreligion, 3) Paulus als jüdischer Evangelist, 4) Das Evangelium als Botschaft vom Sieg Jesu und 5) Die Glaubensgerechtigkeit. Die einzelnen Punkte sind recht kurz gehalten, da auf sie in der kritischen Würdigung (Teil 3) eingegangen wird. Hier erhält der Leser einen allgemeinen Überblick über das Anliegen der NPP.

Im dritten und größten Teil geht es um eine kritische Würdigung der NPP. Kubsch zeigt zunächst auf, wo die NPP unser Bibelstudium und unsere Auslegung bereichert und macht darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, dass wir Traditionen immer wieder kritisch hinterfragen müssen: „Die neue Perspektive stellt zwar die traditionelle und insbesondere die reformatorische Paulusexegese auf den Prüfstand, so dass wir durch die Lektüre hin und wieder verunsichert werden. Aber das darf sie! Tradition gibt Festigkeit und Sicherheit, ist aber keine Garantie dafür, auf dem richtigen Weg zu sein“ (S. 35).

Er nennt folgende Punkte: 1) Die NPP zwingt uns zum intensiven Bibelstudium, 2) Die NPP regt dazu an, die Alte Paulusperspektive zu studieren, 3) Die NPP stimuliert exaktere Definitionen von theologischen Begriffen und Konzepten, 4) Die NPP erzielt Fortschritte bei der Suche nach der Einheit der Schrift, 5) Die NPP deutet die neutestamentlichen Schriften zielstrebig vom Alten Testament her, 6) Die NPP leistet einen Beitrag zur Überwindung des „Konflikts“ zwischen Offenbarung und Geschichte, 7) Die NPP korrigiert ein individualistisches Verständnis der Jüngerschaft und 8) Die NPP betont das Primat der Gnade schon im Alten Testament.

Natürlich darf der Anspruch der NPP auch kritisch hinterfragt werden. Kubsch hinterfragt die NPP, indem er verschiedene Anfragen an sie stellt und diese näher erläutert: Ist die NPP die ultimative Perspektive? Gibt es ein einheitliches palästinisches Judentum? Was sind die „Werke des Gesetzes“? Was verstehen wir unter „Gerechtigkeit Gottes“? Was verstehen wir unter „Evangelium“? Was verstehen wir unter Glaubensgerechtigkeit? Abschließend folgt ein Fazit im Schlusswort: „Die Bewegung stimuliert durchaus unser Bibelstudium und zwingt uns, genauer hinzuschauen und unsere Exegese hier und da zu revidieren. Aber es gibt daneben allerlei Gründe, Erträge der NPP kritisch zu hinterfragen“ (S. 55).

Mit diesem Buch hat Ron Kubsch eine hilfreiche Einführung in die recht komplizierte Thematik der NPP dargelegt, die auch für Neulinge leicht verständlich ist. Bei aller Kritik bleibt Kubsch sachlich und fair. Wer sich über diese Handreichung hinaus für die NPP interessiert findet im Anhang ausreichend Literaturhinweise, sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache.

 

Der neue Paulus

Die neutestamentliche Wissenschaft diskutiert seit vielen Jahren über die sogenannte „Neue Paulusperspektive“ (engl. „New Perspective on Paul“, abgekürzt meist als „NPP“, siehe dazu auch hier und hier). Die Bezeichnung, die auf einen Aufsatz von James D. G. Dunn aus dem Jahr 1983 zurückgeht, steht für eine theologische Strömung, die die Paulusexegese heute durchdringend prägt und der von manchen Bibelauslegern eine epochale Bedeutung zugeschrieben wird. Die „Neue Paulusperspektive“ tritt mit dem Anspruch auf: Die Paulusauslegung hat bisher versäumt, die Paulustexte innerhalb ihres historischen Kontextes zu deuten. Wenn wir die Brillen der theologischen Traditionen ablegen und zum Verstehen des Neuen Testaments das frührabbinische Judentum heranziehen, begegnen wir dem wahren Apostel Paulus. Der Apostel, den wir bisher zu kennen glaubten, ist nicht viel mehr als eine Fiktion gewesen.

Bei der neuen Sichtweise geht es nicht allein um einen akademischen Diskurs. Neben strittigen Themen wie etwa Antijudaismus, Bundestheologie, Gesetzesfunktion oder Reich Gottes werden auch Kernaspekte der Rechtfertigungslehre verhandelt. Im Raum steht nicht weniger als die große Frage: „Haben wir zentrale Gesichtspunkte des Evangeliums bisher falsch verstanden?“

So manche Entwicklungen in der Praktischen Theologie und Missionswissenschaft, denken wir nur an den missionalen Ansatz, die Transformationstheologie oder die aktuelle Faszination für die politische Theologie, haben mehr mit der NPP zu tun, als das auf den ersten Blick erkennbar ist. Die Befürworter der neuen Sicht betonen die Inklusivität des Evangeliums und das Herabkommen des Himmelreiches auf die Erde. Wir hören Sätze wie: „In der Bibel bedeutet Erlösung nicht: Gott errettet die Menschen aus der Welt heraus, sondern Erlösung ist die Errettung der Welt an sich.“

Ich habe den diesjährigen Sommerurlaub unter anderem dafür genutzt, einige Vorträge, die ich 2016 und 2017 zur „Neue Paulusperspektive“ gehalten habe, für ein kleines Buch mit rund 70 Seiten zu überarbeiten. Im ersten Teil stelle ich bedeutende Wegbereiter der „Neuen Paulusperspektive“ vor. Im anschließenden Kapitel mache ich die Leser mit zwei prominenten Verfechtern der neuen Sichtweise, die auch in bekenntnisorientierten Kreisen fleißig studiert werden und inzwischen eine entsprechende Wirkung entfaltet haben, vertraut. Im dritten Teil skizziere ich herausstechende Anliegen der neuen Paulusinterpretation. Der vierte Teil ist schließlich der kritischen Würdigung gewidmet. Ich versuche zu zeigen, dass die Strömung durchaus unser Bibelstudium stimulieren kann und uns zwingt, genauer hinzuschauen und unsere Exegese hier und da zu revidieren. Ich zeige allerdings ebenfalls, dass es allerlei gute Gründe dafür gibt, Erträge der „Neuen Paulusperspektive“ zu hinterfragen. Meine Kritik beschränkt sich dabei nicht auf die kontroverse Sichtweise der Rechtfertigungslehre. Freilich schenke ich Themen rund um das „Evangelium“ und die „Glaubensgerechtigkeit“ mehr Aufmerksamkeit als anderen. Die Arbeiten von N.T. Wright bekommen dabei besonders viel Raum. Anmerkungen und ein Literaturverzeichnis liefern zahlreiche Anstöße zum Weiterdenken.

Die Abhandlung will nicht mehr als eine Handreichung sein. Der beibehaltende Vortragsstil nötigt, sich auf die „groben Linien“ zu konzentrieren. Gleichwohl hoffe ich, dass die Ausführungen Interessenten, Theologiestudenten und lehrenden Mitarbeitern in den Gemeinden dienlich sind und zur eigenen Auseinandersetzung mit der Strömung der „Neuen Paulusperspektive“ anregen.

Bestellt werden kann die Handreichung als Paperback- und als Kindle-Buch.

N.T. Wright

Als ich vergangenen Sonntag bei der Bibelbund-Konferenz über die Neues Paulusperspektive sprach, konnte ich es mir nicht verkneifen, ein paar persönliche Worte über N.T. Wright zu verlieren. Ein Auszug:

Nicholas Thomas Wright, ein Freund von James Dunn, ist Professor für Neues Testament an der Universität von St. Andrews (Schottland). Er studierte Geschichte und Theologie in Oxford und promovierte 1981 zum Römerbrief. Von 2003 bis 2010 war er Bischof von Durham (England) in der anglikanischen Kirche.

Wright ist inzwischen für viele Evangelikale eine Art Superstar. Die Zeitschrift Christianity Today schrieb im Jahr 2014 über ihn:

Leuten, die aufgefordert werden, über N.T. Wright zu schreiben, gehen schnell die Superlative aus. Er ist der produktivste Bibelwissenschaftler seiner Generation. Einige sagen, er ist der bedeutendste Apologet für den christlichen Glauben seit C. S. Lewis. Er hat die umfangreichste allgemein verständliche Kommentarreihe zum Neuen Testament seit William Barclay geschrieben. Und für den Fall, dass drei Karrieren nicht reichen, ist er auch noch ein Kirchenführer, der als Bischof von Durham in England gedient hatte, bevor er seinen Posten als Professor an der University of St. Andrews in Schottland annahm.

Ich füge hinzu: Er schreibt Bücher schneller als andere sie lesen.

N T. Wright, der populärwissenschaftlich unter dem Namen Tom Wright publiziert, hat sich als neutestamentlicher Theologe sowohl in der Leben-Jesu-Forschung als auch in den Paulusstudien große Aufmerksamkeit erarbeitet.

Als bahnbrechend gilt seine Untersuchung zur leiblichen Auferstehung von Jesus Christus, in der er zeigt, dass im jüdischen Umfeld von einer leibhaftigen Auferstehung auszugehen ist. Auch in der vertrackten Frage nach dem historischen Jesus hat Wright Grundlagenarbeit geleistet und den sogenannten dritten Weg vorgeschlagen. Als beispielgebend kann Wrights Versuch gelten, erneut nach der Einheit in der biblischen Offenbarung zu suchen. Er will die in Einzelteile zerfallene Schrift wieder als Ganzes wahrnehmen. Und zwar nicht nur innerhalb des Neuen oder des Alten Testaments, sondern auch zwischen den Testamenten. So versucht er, all die kleinen Erzählungen in der Bibel zu einer großen Geschichte (engl. story) zusammen zu ziehen und dabei auch scheinbar widersprüchliche Passagen stimmig auszudeuten.

Hinweisen möchte ich gleichwohl darauf, dass Wright sehr frustrieren kann. Er tritt ungemein selbstbewusst auf und liebt Gesten eines Provokateurs. Oft problematisiert er Spannungen in überzogener Weise und preist dann seine eigenen Entwürfe als Lösungen an.

Um ein Beispiel zu nennen: Mit großem Sendungsbewusstsein erklärt Wright, es gehe beim Christsein nicht darum, wie ein Mensch in den Himmel komme. Nun hat es in der Kirchengeschichte immer wieder Leute gegeben, die einseitig den Glauben als Flucht vor dem Hier und Jetzt gepredigt haben. Aber zu sagen, dass es den Christen bisher meist nur darum gegangen sei, wie ein Mensch in den Himmel komme, ist eine zynische Überzeichnung. Wright ist Historiker und sollte wissen, welchen Einfluss Christen beispielsweise auf die Entwicklung der Krankenhäuser oder der Universitäten gehabt haben. Von Weltflucht kann da keine Rede sein. Freilich auch nicht davon, dass die Christen glaubten, den Himmel auf die Erde zu ziehen.

Wright hat einmal seine Sympathien für den Lutheraner Ernst Käsemann zum Ausdruck gebracht. Er sagte: „Wenn ich mich entscheiden müsste, die Werke eines einzigen Paulusexegeten mit auf eine einsame Insel zu nehmen, würde ich Käsemann wählen.“ Ich finde diese Worte nicht nur hinsichtlich der Exegese, sondern auch psychologisch, interessant. Käsemann wurde einmal von einem Rezensenten bescheinigt, ein Mann zu sein, „der gegenüber jedem und allem eine andere Meinung vertritt“. Ähnliches kann man – und jetzt übertreibe ich mal – von N.T. Wright behaupten.

Paulinische Rechtfertigungslehre nur Missionstheologie?

Für Krister Stendahl und andere Vertreter der Neuen Paulusperspektive (siehe auch: Was ist die „Neue Paulusperspektive?“) geht es im Galaterbrief nicht um die Frage, wie ein Mensch mit Gott versöhnt wird, sondern vielmehr darum, unter welchen Bedingungen Heiden in das Volk Gott aufgenommen werden können.

Schon im „Paulus“ von William Wrede gehörte die Rechtfertigungslehre nicht in die Soteriologie. Sie erscheint bei ihm als Nebenkrater der apostolischen Missionstheologie. 1904 schrieb er:

Die Reformation hat uns gewöhnt, diese Lehre als den Zentralpunkt bei Paulus zu betrachten. Sie ist es aber nicht. Man kann in der Tat das Ganze der paulinischen Religion darstellen, ohne überhaupt von ihr Notiz zu nehmen, es sei denn in der Erwähnung des Gesetzes. Es wäre ja auch sonderbar, wenn die vermeintliche Hauptlehre nur in der Minderzahl der Briefe zum Worte käme. Und das ist der Fall; d. h. sie tritt überall nur da auf, wo es sich um den Streit gegen das Judentum handelt. Damit ist aber auch die wirkliche Bedeutung dieser Lehre bezeichnet: sie ist die Kampfeslehre des Paulus, nur aus seinem Lebenskampfe, seiner Auseinandersetzung mit dem Judentum und Judenchristentum verständlich und nur für diese gedacht, – insofern dann freilich geschichtlich hochwichtig und für ihn selbst charakteristisch.

Bei N.T. Wright klingt es folgendermaßen: (Worum es Paulus wirklich ging, 2010, S. 151):

Die Frage, um die es in der Gemeinde von Antiochien ging, auf die Paulus im 2. Kapitel [des Galaterbriefes; Anm. R.K.] verweist, lautet nicht, wie Menschen in eine Beziehung zu Gott eintreten, sondern sie lautete: Mit wem darf man essen? Wer gehört zum Volk Gottes? Sind ehemalige heidnische Konvertiten Mitglieder im vollen Sinne sind oder nicht.

Stephen Westerholm hält in seinem hilfreichen Buch Justification reconsidered entgegen (zitiert nach Stephen Westerholm, Angriff auf die Rechtfertigung: Die Neue-Paulus-Perspektive auf dem Prüfstand, Oerlinghausen: Bethanien, 2015, siehe meine Rezension hier):

Wie können Sünder einen gnädigen Gott finden? Diese Frage ist für den modernen westlichen Menschen alles andere als typisch; doch Paulus weckte diese Frage mit seiner Botschaft überall, wohin er auch ging. Paulus aber war nicht dazu gesandt, einen Notstand zu beleuchten, sondern einer Welt, die unter dem Gericht Gottes steht, Rettung zu bringen. Seine Antwort lautete (in den Thessalonicherbriefen inhaltlich, wenn auch nicht ausdrücklich; in den Korintherbriefen ausdrücklich, wenn auch nicht vorherrschend; im Galaterbrief thematisch und in seinen weiteren Briefen regelmäßig): Sünder, für die Christus starb, werden von Gott für gerecht erklärt, wenn sie an Jesus Christus glauben.

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