Norbert Bolz

Bolz: Notwendiger Verzicht auf Konsens

Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz befürchtet, die Gesellschaft könne Opfer eines Tugendterrors werden, der in Universitäten, Redaktionen und Antidiskriminierungsämtern ausgebrütet wird.

Dagegen mobilisieren die neuen Jakobiner Zauberwörter wie »Multikulturalismus«, »Respekt« und neuerdings »Diversität«. Diese Begriffe leben davon, dass sie undurchdacht bleiben. Denn nur wenn es eine Leitkultur gibt, kann man multikulturell eingestellt sein. Man kann nicht tolerant sein, wenn man keine eigenen Werte zu verteidigen hat. Man kann nicht offen sein, wenn man nicht selbstbewusst ist. Ich stehe zu meinen Überzeugungen – im vollen Bewusstsein der Alternativen. Und ich muss nicht respektieren, was ich toleriere. Toleranz ist nämlich das Klima der Koexistenz von Andersgläubigen. Friedliche Koexistenz gibt es nur durch Verzicht auf Konsens.

Hier der Essay: www.focus.de.

Das Vakuum

Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz sieht im politischen Spektrum ein Vakuum auf der Rechten. Konservative fühlen sich angesichts des (fast nur noch) sozialistischen Parteiengezänks politisch heimatlos.

Die erste Aufgabe einer anspruchsvollen politischen Rechten wäre, zu sagen, was die Politische Korrektheit der Medienlinken zu sagen verbietet. Mehr noch als Ideen braucht man dazu Mut, denn in unserer Öffentlichkeit herrscht keine Waffengleichheit. Die Medienlinke hofiert die Linken und denunziert die Rechten. Auf der Kommunistischen Plattform darf man fröhlich tanzen. Aber wehe, wenn man der »Jungen Freiheit« ein Interview gibt. Gerechtfertigt wird das mit der alten deutschen Selbstverständlichkeit, das Herz schlage links und der Geist wehe links.

Viele Akademiker, Journalisten und Intellektuelle sind aber gar nicht links, sondern maskieren sich nur so, um in ihren Institutionen überleben zu können. Wer einen »rechten« Satz sagt oder schreibt, bekommt viel Zustimmung – hinter vorgehaltener Hand. Das ist das Sarrazin-Syndrom: Du hast ja recht, aber das kann man doch nicht sagen … Hier zeigt sich besonders deutlich, dass sich der nachträgliche Kampf gegen die Nazis in den letzten fünfzig Jahren zu unserer größten Denkblockade entwickelt hat. Sie besteht in der grotesken Gleichung: konservativ=reaktionär=faschistisch. Diese Keule schwebt über jedem, der versucht, sich seines eigenen Verstandes ohne Anleitung der Gutmenschen zu bedienen.

Hier der Gastkommentar für den Tagesspiegel: www.tagesspiegel.de.

Internet: Kultisches Netzwerk

Das Internet wird zum Religionsersatz. Wer »surft«, sucht oft nicht primär Information, sondern Sicherheit, Vertrautheit und Gewissheit. Das verändert unser Gottesbild.

Hier ein Auszug aus dem Essay von dem Medienwissenschaftler Norbert Bolz:

Vor diesem Hintergrund wird auch die Bedeutung des Zauberworts »Interaktivität« klar. Je interaktiver ein Medium ist, desto unwichtiger wird die Information. Die Botschaft lautet im Extremfall nur noch: Wir kommunizieren. Marketingexperten haben dafür schon einen neuen, eleganten Begriff gefunden: »linking value«. Dieser soziale Mehrwert der »Links« im Internet macht deutlich, dass den Menschen die Beteiligung an Kommunikation wichtiger ist als die Information. Und häufig genug trifft man auf den Grenzwert dieser Verdrängung von Information: Kommunikation kommuniziert Kommunizieren. Was haben Diplomatie, Talkshows und das protestantische »Reden wir miteinander« gemeinsam? Wichtiger als die Information ist die Beteiligung an Kommunikation.

Schon zu Luthers und Gutenbergs Zeiten hat die Religion von Kult auf Kommunikation umgestellt. Heute haben wir eine interessante Ersatzreligion: Kommunikation als Kult. Und nicht nur im Internet. Auch Politik hebt sich in Rhetorik auf. Von Kirchenmännern hört man nur noch »reden wir darüber«, und Talkshows verwirklichen die romantische Utopie vom unendlichen Gespräch.

Das Internet, aber auch alte Medien wie das Fernsehen präsentieren heute Information als Fetisch und Kommunikation als Kult – bei Anne Will nicht anders als in den Chatrooms. Nicht was, sondern dass geredet wird, zählt. Wenn Menschen im Internet surfen, geht es ihnen nicht vorrangig darum, Informationen aufzunehmen oder auszutauschen. Sie wollen gerade in der Redundanz der Botschaft »mitschwingen«, oben auf der Welle bleiben. Es geht nicht um Kommunikation, sondern um Faszination.

Für immer mehr Menschen ersetzen die sozialen Netzwerke die Religion. Dass das so einfach möglich ist, lässt sich ganz leicht erklären. Genau wie die Religion verleiht die Kommunikation den Menschen in erster Linie Weltvertrauen. Es geht hier nicht primär um Informationsübertragung, sondern um Sicherheit, Vertrautheit und Gewissheit. Dass Kommunikation in sozialen Netzwerken als Religionsersatz funktioniert, lässt aber auch umgekehrt vermuten, dass die Theologie am besten geeignet sein könnte, die neue Internetgesellschaft zu beschreiben. Gerade Theologen könnten erkennen, dass in den Bindungen der Netzwerke, die man »Links« nennt, genau das gesucht wird, was einmal »religio« hieß. Marshall McLuhans berühmter Satz »Das Medium ist die Botschaft« müsste heute heißen: Das Netzwerk ist die Frohe Botschaft.

Hier der vollständige Text: www.merkur.de.

»Da muss man doch etwas tun!«

bolzNorbert Bolz hat wieder zugeschlagen. Sein Essay »Ich will einen Unterschied machen« thematisiert die broadcast yourself-Kultur. »Statt das »wahre« Selbst zu entdecken, geht es darum, ein interessantes Selbst zu erschaffen. Anprobieren – das macht man heute nicht mehr nur mit Kleidern, sondern auch mit Lebensstilen und Weltanschauungen. Viele, vor allem junge Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind und es als eine zweite Natur erfahren, können mit den klassischen Vorstellungen von Privatsphäre und Intimität gar nichts mehr anfangen. YouTube, MySpace und die Castingshows im Fernsehen signalisieren Exhibitionismus und Voyeurismus als neuen Megatrend.«

Auch die eingängig beschriebene »Konjunktur der Sorge« zeigt, was für ein guter Beobachter Bolz ist:

In der Welt von Wohlstand und Fürsorge wächst der Wunsch, sich um jemanden oder etwas zu sorgen. Traditionell sorgte man sich um die Kinder und die Alten. Das grün gefärbte Bewusstsein sorgt sich um die Natur, das schlechte soziale Gewissen um die Armen der Welt. Die Unpolitischen, denen Kinder oder Senioren zu anstrengend und soziale oder Umweltprobleme zu komplex sind, sorgen sich um Haustiere. Die »fit for fun-Generation« sorgt sich um den eigenen Körper. Und einsame Kinder sorgen sich um ihren Roboterhund. Dieser Wunsch, sich zu sorgen, gründet in dem Wunsch, gebraucht zu werden.

Die Hochkonjunktur der Sorge ist auch ein Effekt der Massenmedien. Sie zeigen uns tagtäglich die Leiden und Probleme der Welt – und wir können als Leser und Zuschauer nur sagen: »Da muss man doch etwas tun!« Wenn aber die ganze Welt zum Gegenstand des Verantwortungsgefühls wird, dann entspricht dem natürlich kein konkretes Handeln mehr. Die Massenmedien muten den Menschen heute also nicht nur Pflichten gegenüber seinesgleichen, sondern gegenüber der ganzen Menschheit und deren Zukunft zu. Damit überlastet man aber das Moralgefühl.

Die ganze Welt geht uns jetzt etwas an. Und fast nichts können wir tun. Je unmöglicher aber ein wirklich eingreifendes Handeln ist, desto lauter das Pathos der Betroffenheit. Mitleid ist das demokratische Gefühl schlechthin. Betroffenheit durch die Hilfsbedürftigkeit der Opfer – das ist die heute vorherrschende demokratische Empfindung. Der Bürger, der sich heute politisch engagieren, also einen Unterschied machen will, geht nicht mehr in die Politik, denn die ist viel zu komplex geworden. Er begibt sich stattdessen auf den Markt der Sorge, der so kleinteilig und einfach ist, dass man mit jedem Konsumakt und jeder Spende die Welt verbessern kann.

Hier das vollständige Essay »Ich will einen Unterschied machen« aus Aus Politik und Zeitgeschichte, 41/2009, 5. Oktober 2009, S. 3–6: www.bpb.de.

Die teuflische Rethorik des Gutmenschen

Norbert Bolz ist einer der wenigen unangepassten Denker in Deutschland, den zu lesen es sich lohnt. Nun hat er rhetorisch wieder zugeschlagen. Es tut weh, ist aber heilsam (Focus 17/2008):

Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass wir immer tiefer in den Staatsgötzendienst steuern – und jede Menge Theologen sind bereit, aus Gründen der Anpassung an dieser Sozialoffenbarung mitzuwirken. Das Traurige ist eben, dass solche Ersatzreligionen gerade von denen praktiziert und vorangetrieben werden, von denen man eigentlich erwarten sollte, dass sie denken können. Sowohl die Grünen als auch die Ich-Religiösen, als auch die Staatsgötzendiener sind eigentlich Intellektuelle. Offensichtlich brauchen Menschen eine Möglichkeit, sich irgendwelchen Imperativen zu unterwerfen. Angesichts dessen ist eigentlich das christliche Angebot das freiheitlichste und souveränste und auch intellektuell befriedigendste, weil diese Unterwerfung es ermöglicht, allem anderen gegenüber souverän zu sein während diejenigen, die den Gott nicht haben, sich sofort in einer gnadenlosen Knechtschaft wiederfinden. Die Frage ist nur: Welche Verknechtung ist die jammervollste? Ist es diese neuheidnische Naturidolatrie der Grünen, die ich in ganz besonderer Weise lächerlich finde? Oder ist es die Anbetung des Staates, die wenigstens eine gewisse Tradition hat. Oder ist es das Ich-Götzentum? (S. 181)

»Soziale Gerechtigkeit« ist die Maske des Neids, »Teamfähigkeit« ist die Maske des Hasses auf die Ehrgeizigen und Erfolgreichen, »Dialog der Kulturen« ist die Maske der geistigen Kapitulation. Überhaupt: Das, was man Political Correctness nennt, ist die aktuelle Rhetorik des Antichristen. (S. 182)

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