Postmoderne

Alles nur Simulation

Markus Gabriel, Initiator des Neuen Realismus (eine philosophische Strömung, die den Postmodernismus ablöst), sagt über die Abschaffung des Wirklichen im postmodernen Denken (Markus Gabriel u. Matthias Eckoldt, Die ewige Wahrheit und der Neue Realismus, 2019, S. 42–43): 

Für die postmodernen Theoretiker – hier allen voran: Richard Rorty – ist alle Referenz unscharf, und alle Identitäten, also die Idee, dass irgendetwas hinter den Unschärfen scharf gestellt ist, sollten immer nur Illusionen sein. Also immer nur Gerhard Richter. Der verwischte Elvis Presley, der telefoniert, hinter dem ist nicht der echte Elvis Presley, sondern ein Foto, das Gerhard Richter bearbeitet. Das heißt, da ist immer noch eine Repräsentationsebene dazwischen. Man sagt nicht einmal, die Wirklichkeit ist verwischt, sondern das Verwischte ist eine Verwischung einer Repräsentation. Man ist mindestens zwei Ebenen auf Abstand vom Wirklichen, und wenn man dann gefragt wird, wie es mit der Basiswirklichkeit steht, dann bestreitet man auch noch, dass da eine sei, und sagt, sie sei auch nur ein Signifikat in der Kette der Signifikanten. Das war die Idee der Postmoderne.

Ich fand das damals als heranwachsender Philosoph auch gut, ich konnte mich hineinversetzen. Ich bin gerade schon alt genug, um die Faszination zu verstehen, die Baudrillard ausübte, als er neue sozioökonomische Phänomene mit einer neuen Theoriesprache beschrieb und alles in ein Bild einrahmte: Börsencrash, Aids und Techno und alles, was damit verbunden wurde. New York als die postmoderne Stadt par excellence. Ich würde sagen, Paris war die Hauptstadt der Moderne, und New York war die Hauptstadt der Postmoderne. Es ist kein Zufall, dass der New Yorker Immobilienmarkt Donald Trump, die Farce der Postmoderne, hervorbringt. Donald Trump ist sozusagen die Widerlegung der emanzipatorischen Ansprüche der Postmoderne, wie eine Witzfigur (oder wohl eher ein Horrorclown), die aus der Box herausspringt. Baudrillard könnte hier mit Marx sagen „Das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“. So ist die Postmoderne heute an ihr ironisches Ende gekommen. Die unendlich ironische Selbstzitation, die weiß, dass sie eigentlich ein Totentanz ist, manifestiert sich jetzt als welthistorische Gewalt eines postfaktischen Zeitalters.

Als Zeichen für ein endgültiges Ende der Postmoderne deutet Gabrial übrigens ein neuen Interesse an der Wahrheit: „Das Progressive ist jetzt auf der Seite der Tatsachen. Heute gilt es, für wissenschaftliche Objektivität einzutreten, da das Interesse an echter wissenschaftlicher und philosophischer Forschung zugunsten einer rein technokratischen Funktion der Universität (alles soll TU werden) schwindet. Das ist das Ende der Postmoderne. In der Postmoderne war die Idee: Progressiv ist man, wenn man die Idee der Tatsache und der objektiven Wahrheit herunterfährt. Plötzlich ist es andersherum“ (ebd., S. 44). 

Der Europäer große Schuldlust

Die Kritik postkolonialer Theoretiker am westlichen Kolonialismus blendet den langen Strang imperialer Geschichte gewöhnlich aus. Daraus entstehen verzerrte Geschichtsbilder, die neue Machtgelüste bedienen, meint Heiko Heinisch in seinem Gastbeitrag für die FAZ. Der Historiker schreibt darin:

In Werken postkolonialer Theorie, nicht zu verwechseln mit historischer Forschung zur Kolonialgeschichte, ist heute indessen eine manische Fixiertheit auf Europa augenfällig, ein Eurozentrismus, der den langen Strang imperialer Geschichte der Menschheit ausblendet. In dieser Darstellung wird Europa zum alleinigen Subjekt der Geschichte, während alle anderen Völker und Regionen zu bloßen Objekten europäischen Handelns degradiert werden. Genährt wird eine Weltsicht, die von der Annahme ausgeht, alle Übel dieser Welt – Kolonialismus, Imperialismus, Rassismus, Sklaverei, Sexismus, ja jegliche Form von Unterdrückung und Ausbeutung – seien erst durch den Westen und das „westliche Denken“ erzeugt worden, gemäß der leitenden Annahme, der europäische Kolonialismus wirke bis heute fort und halte die Völker der Welt in Knechtschaft.

So schreibt etwa Achille Mbembe, einer der Stars der postkolonialen Theorie, in seinem Buch „On the Postcolony“, es gebe für afrikanische Gesellschaften seit dem fünfzehnten Jahrhundert keine „distinktive Geschichtlichkeit“ mehr, die nicht von europäischer Vorherrschaft geprägt sei. Keine Erwähnung findet, dass bereits vor dem fünfzehnten Jahrhundert außerafrikanische Mächte die Entwicklung Afrikas maßgeblich prägten: seit dem siebten Jahrhundert die arabischen, später die osmanischen Eroberer. An anderer Stelle beschreibt Mbembe den Monotheismus als Ursache von Eroberungen. Es geht allein um das Christentum, das, so Mbembe, auf der Vorstellung der Weltherrschaft „sowohl in der Zeit als auch im Raum“ basiere, sich das Eigentumsrecht auf die ganze Welt zugeschrieben und daraus das Recht auf Eroberung abgeleitet habe. In diesem Kontext, so folgert er, müssten die Kreuzzüge neu interpretiert werden.

Das Geschichtsbild maßgeblicher Vertreter postkolonialer Theorien, das einem Aktivismus den Boden bereitet, an dessen Ende der Westen selbst und damit der Weg der Aufklärung und Demokratisierung europäischer Gesellschaften abgewickelt werden soll, ist übrigens ganz im Sinne jener Mächte, die, wie Russland, China oder die Türkei die eigene Geschichte verklären und ihren weltpolitischen Aufstieg längst eingeleitet haben. Ein Ende des Westens aber wird keine von Gewalt und Krieg befreite Menschheit bedeuten, vielmehr werden ihm Imperien folgen, die mit Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit vermutlich wenig anfangen können.

Mehr: www.faz.net. Der dazugehörige Buch Postkoloniale Mythen: Auf den Spuren eines modischen Narrativs von Heiko Heinisch gibt es hier (#ad).

Bürgerkrieg der Ideen

Die Professorin Sheila Jasanoff ist Wissenschaftssoziologin an der Harvard-Universität (USA). Sie spürt dort den Druck, der von der Trump-Regierung ausgeübt wird (vgl. hier). Doch in einem Interview, das DIE ZEIT mit ihr geführt hat, wird deutlich, wie differenziert sie die Entwicklungen beurteilt. Die Wurzeln für die Spaltung der Gesellschaft lägen tiefer als das gemeinhin kommuniziert werde. Ein paar Auszüge aus dem Gespräch zeigen, dass die fehlende Fähigkeit, zwischen Fakten, ihren Deutungen sowie den politischen Anwendungen zu unterscheiden, für die Polarisierungen mitverantwortlich ist (DIE ZEIT, Nr. 23, 28.05.2025, S. 31):

Die liberale Erzählung und ihr Verhältnis zur Wahrheit sind unglaubwürdig geworden. Der Liberalismus in Amerika gründet auf der Überzeugung, dass Fakten von der Wissenschaft objektiv definiert werden können und dass, sobald alle Menschen Zugang zu denselben Fakten haben, Rationalität und Eigeninteresse sie dazu bringen werden, das zu tun, was im Interesse aller ist. Aber wenn Menschen eine Reihe an Behauptungen über die Welt glauben sollen, aus denen politische Handlungen abgeleitet werden, müssen sie im Einklang mit der Realität stehen, die die Menschen erleben. Sie müssen überzeugen. Das war zunehmend nicht mehr der Fall.

Besonders deutlich wurde es in den Reaktionen auf die Klima- und Covid-Politik. Wissenschaftler bewerten ein Problem als katastrophal, und Politiker beschließen deshalb, dass wir unsere Lebensweise ändern müssen, und zwar ohne Diskussion – das war für viele Menschen nicht nachvollziehbar. Nicht weil sie nicht anerkennen, dass eine Pandemie schädlich ist oder der Klimawandel existiert. Studien zeigen, dass die amerikanische Öffentlichkeit insgesamt mehr und mehr von der Realität des Klimawandels überzeugt ist. Die Menschen glauben nicht unbedingt, dass sie persönlich davon betroffen sind, und ganz sicher nicht, dass sie dafür verantwortlich sind. Aber immerhin erkennen sie an, dass er existiert. Was sie jedoch nicht anerkennen, ist die Behauptung der Liberalen, dass es nur eine richtige politische Antwort auf diese Probleme geben kann. Deshalb entscheidet sich die Mehrheit in diesem Land mittlerweile dafür, alle politischen Maßnahmen, die dem Klimawandel entgegenwirken würden, abzulehnen.

Die Wissenschaftsgemeinschaft war leider nie wirklich bereit, zu reflektieren, dass sich aus Forschungsergebnissen keine bindenden Handlungsempfehlungen ergeben. Man hat ignoriert, dass die Entscheidungen, die in ihrem Namen getroffen wurden, nicht für alle Menschen gleich tragbar waren. Dass etwa Arbeiter aus den Kohlekraftwerken in den USA im Rahmen der Klimawende ihre Jobs verlieren werden oder Landwirte in Frankreich und Deutschland plötzlich mit steigenden Dieselpreisen zu kämpfen haben. Die Wissenschaft, so schien es, hilft nicht allen Menschen im gleichen Maße. Dabei soll sie ja den Fortschritt der ganzen Gesellschaft antreiben. Und so ist das Gefühl gewachsen, dass es eine unheilige Allianz zwischen Macht und Wissen gibt.

Während des ersten Covid-Sommers habe ich eines der wenigen Einführungsseminare in Präsenz an der Kennedy School hier auf dem Campus gegeben, damit die Studierenden sich wenigstens kurz von Mensch zu Mensch begegnen. Angesichts der damaligen Situation dachte ich, es sei interessant, mit ihnen zu diskutieren, wie die Politik mit der Unsicherheit umgehen soll. Wir lasen unterschiedliche Artikel, die zeigten, dass es in bestimmten Fragen keinen Konsens gab, welche Maßnahmen die richtigen seien, etwa ab wie viel Jahren Kinder eine Maske tragen müssten. Es wurde deutlich, dass die Entscheidungen recht willkürlich und von Ort zu Ort unterschiedlich getroffen wurden. Aber die Studierenden hatten keinerlei Interesse daran, den Prozess der politischen Entscheidungsfindung zu diskutieren. Sie wollten über Coronaleugner sprechen, aber sie wollten nicht erörtern, wie man unter unsicheren Bedingungen eine begründete Entscheidung trifft. Das empfand ich als sehr bezeichnend.

 

 

Die postmoderne Vereinnahmung von James K.A. Smith

Wer bisher daran gezweifelt hat, dass sich James K.A. Smith (Calvin University, USA) für die Anliegen der LGBTQ+-Lobby geöffnet hat, ist in den letzten Wochen eines Bessere belehrt worden. Smith hat einen knappen, aber klaren Brief veröffentlicht, in dem er fordert, dass seine Hochschule sich von der kirchlichen Denomination, der sie angehört, trennt. Der Grund: Die Denomination, die Christian Reformed Church of North America, sei in Fragen der Sexualethik enger geworden und lasse die wünschenswerte Vielfalt nicht mehr zu, die eine zukunftsfähige Hochschule benötige, um anschlussfähig zu sein.

Wer mehr darüber wissen möchte, sollte den Kommentar von Stephen McAlpine lesen: James K.A. Smith „sagte uns, dass man ist, was man liebt. Und er sagte, dass das, was man liebt, durch das geprägt wird, was man tut. … Unsere Sehnsüchte formen uns zu Handlungen, die wiederum unsere Sehnsüchte verankern, die unsere Handlungen verstärken. … An diesem Punkt wird Smith in seine eigene Schlinge hineingezogen.“

Im Unterschied zu Stephen McAlpine bin ich von der Entwicklung nicht überrascht. Da sich James K.A. Smith schon vor vielen Jahren dem Postmodernismus verschrieben hat (vgl. sein Who’s Afraid of Postmodernism: Taking Derrida, Lyotard, and Foucault to Church, 2006), war es nur eine Frage der Zeit, bis das, was er liebt, auch seine Ethik prägt.

Falls jemand mehr darüber wissen möchte, kann er sich durch die Abhandlung Warum das Christentum für François Lyotard eine Emanzipationserzählung informieren.

Postmoderne Machtambitionen

Leander Scholz geht davon aus, dass die Postmoderne, die einst auf Pluralität setzte, an ihr Ende gekommen ist. Aus ihr sei eine ambitionierte Identitätspolitik hervorgegangen, die aus jedem Sprechakt ein Bekenntnis zur Gruppenidentität mache. Die Differenz sei zur Identität umgeschlagen.

Zitat: 

Mit dem enormen Erfolg des postmodernen Programms änderte sich jedoch auch sein politischer Einsatz. Wurde bis dahin von den postmodernen Denkern jede Verfestigung und Verstetigung von Macht als ein grundsätzliches Problem angesehen, das durch den Plural der Postmoderne gelöst werden sollte, fand die Ausübung politischer Macht nun ausgerechnet im Namen dieses Plurals statt. Die Losung der Vielfalt hatte die Seiten gewechselt. Von den Gegenkulturen ausgehend, war sie inzwischen zum Mainstream geworden. Zahlreiche Institutionen und Unternehmen bekannten sich zur gesellschaftlichen Vielfalt und ergriffen entsprechende Maßnahmen. Die Vielfalt der Geschlechter, der Familien und der Kulturen wurde begrüßt und gefördert. Schließlich wurde der Plural der Postmoderne zur regierungsamtlichen Position. Ein größerer Triumph lässt sich kaum vorstellen. Aber das bedeutete auch, dass das postmoderne Programm bürokratisiert werden musste. Es musste definiert werden, was Vielfalt ist und welche Vielfalt gewünscht wird und welche nicht.

Seitdem wird klassifiziert und identifiziert wie nie zuvor. Es wird über Hautfarben gestritten, über sexuelle, kulturelle und ethnische Zugehörigkeiten, wer zur Mehrheit und wer zur Minderheit zählt, wer reden darf oder lieber schweigen sollte. Längst steht das postmoderne Programm nicht mehr auf der Seite der Nonkonformisten und Individualisten, sondern produziert immer neue Gruppenidentitäten. Aus der postmodernen Annahme, dass nur die Opfer zur Wahrheit fähig sind, da alle anderen durch die Macht korrumpiert werden, ist ein Konkurrenzkampf um die Benachteiligung und ihre Wahrnehmung geworden.

Entscheidend ist weniger, was gesagt wird, sondern vielmehr, von wem es gesagt wird. War die postmoderne Linke einst angetreten, um dem Konformismus der Kadersozialisten zu entkommen, hat sie sich inzwischen selbst im Mikromanagement der Differenzen verfangen. Das Gegenteil ihres Ziels ist eingetreten. Der gesellschaftliche Zwang zur Ausbildung von Gruppenidentitäten ist nicht schwächer, sondern stärker geworden.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Das System Regenbogen

Die Denk- und Fühlkultur der Postmoderne habe den Weg für einen neuen Aberglauben geebnet, meint Florian Friedman. Verknüpf ist dieser Aberglaube interessanterweise mit neuen Dogmen. Eines dieser Dogmen, die nicht mehr hinterfragt werden dürfen, ist das System Regenbogen:

In Zeiten woken Denkens bestehen sie auf die eine oder andere Weise immer in der absurden Vorstellung, dass sich Vielfalt und Gleichheit im selben Maße erreichen lassen und sich also nicht logisch ausschließen. Im Grunde ist es einfach: Je mehr Vielfalt, desto weniger Gleichheit – und umgekehrt. Die woke Ideologie bestreitet diese logische Wahrheit und macht aus ihrem Dementi ein magisches Axiom. Als Symbol für dieses paradoxe Dogma muss der Regenbogen herhalten, die zugehörige Andacht erfolgt auf dem Karneval der Kulturen. Mag man nicht mittanzen, gerät man schon mal ins Fadenkreuz des DEI-Referats.

Letztbegründet werden die zentralen Überzeugungen der westlichen Cargo-Demokratien in Schriften von postmodernen Philosophen wie Michel Foucault, Jacques Derrida oder Judith Butler. Die Dampfplauderer aus den akademischen Klöstern versorgen ihre gläubigen Leser regalweise mit Nebelkerzenliteratur – ihre Texte belegen angeblich, dass Wahrheit relativ ist. Diese Behauptung wird gern genutzt, um den Widerspruch zwischen Vielfalt und Gleichheit (vermeintlich) aufzulösen. In Wirklichkeit sind akademische Bestseller wie Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“, weil sie Wahrheit und Logik leugnen, eine Beschwörung des Übernatürlichen – ohne tradierte Strukturen allerdings, die den religiösen Eifer einhegen könnten.

Lässt man sich durch postmoderne Sakraltexte erwecken, zeichnen sich nicht nur unendlich viele Geschlechter ab, wo es vorher bloß zwei gab. Wer den spirituellen Faden weiterspinnt, findet es auch leicht, zu glauben, dass eine Technologie aus dem Frühmittelalter wie das Windrad unser Klima rettet oder dass es sich bei den antisemitischen Massakern der Hamas vom 7. Oktober um einen Freiheitskampf progressiver Kräfte gehandelt hat. Welche Folgen man riskiert, wenn dem Widersinnigen zu viel Raum gegeben wird, wusste bereits Voltaire: „Wer dich dazu bringen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch dazu bringen, Gräueltaten zu begehen.“

Mehr: www.cicero.de.

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Taylor Swift: Ambivalenz von Inszenierung und Authentizität

Hanna Sellheim zeigt in ihrem Beitrag „Die Ambivalenz von Inszenierung und Authentizität“, wie geschickt sich Taylor Swift vermarktet, indem sie Selbstbezügliches und Fiktion vermischt:

Der Glaube, dass Popmusik uns Bekenntnisse schuldet, scheint gesellschaftlich tief verankert zu sein. Die Verbindung zur persönlichen Erfahrung wird dabei von den Künstlern häufig bewusst gesetzt – um Spekulationen anzuheizen. In Reinform erlebten wir das bei „Flowers“, dem Hit von Miley Cyrus, der im Januar 2023 veröffentlicht wurde und prompt Tiktok und Instagram dominierte – eben wegen der Frage, inwiefern sie in diesem Lied ihre Scheidung von dem Schauspieler Liam Hemsworth verarbeitete. Die Ich-Bezogenheit ist hier Masche.

Diese beherrschte lange niemand so gekonnt wie Taylor Swift. Googelt man „about who is“, erscheinen oben in der Suchleiste ausschließlich Songs dieser Sängerin. Videos auf Youtube, Tiktok und Instagram erklären, über wen welches Lied geschrieben ist. So dient der autobiographische Bezug als Vermarktungstrick: Die Trennung von ihrem Freund Joe Alwyn, die darauffolgende kurze Romanze mit dem Sänger Matty Healy und die aktuelle Beziehung zum Footballspieler Travis Kelce erhöhten die Aufmerksamkeit für Swifts „Eras Tour“.

Warum schadet die Werbestrategie der Glaubwürdigkeit der Künstlerin nicht? Die Annahme, die Kunst von Frauen sei maßgeblich von den Männern in ihrem Leben inspiriert, ist im Kern misogyn. Swift streut entsprechende Informationen und gibt zugleich zu verstehen, dass man ihre Werke auf eine solche Veranlassung nicht reduzieren dürfe.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

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Warum die postkoloniale Theorie einen erkenntnisblinden Aktivismus fördert

Columbia, Yale, New York. Antisemitische Demonstrationen haben sogar die Eliteuniversitäten in den USA erfasst. Die TAZ berichtet:

Demonstrierende der Cooper Union in New York, die „Free Palestine“ skandierten, schlugen gegen verschlossene Bibliothekstüren, hinter denen sich jüdische Studierende verschanzen mussten. Bei einem Protest an der New York University waren zwei Studierende mit Schildern zu sehen, auf denen „Keep the world clean“ (Haltet die Welt sauber) zu lesen war, daneben eine Zeichnung eines Davidsterns in einer Mülltonne.

An der Universität von Wisconsin, Milwaukee, riefen Students for Democratic Society zum Streik auf und betonten in Statements in den sozialen Medien, dass „Zionismus keinen Platz auf unserem Campus hat“ und verwendeten den Hashtag „#ZionismOffCampus“. Studierende der George Washington University projizierten „Glory To Our Martyrs“ and „Free Palestine From The River To The Sea“ an die Außenwände der Universitätsbibliothek.

Über 100 Studierende der University of North Carolina forderten die Universität auf, alle israelischen Unternehmen zu boykottieren sowie „Unternehmen, die Israel unterstützt haben“. Ein Redner an der University of Washington erklärte: „Wir wollen nicht, dass Israel existiert. Wir wollen nicht, dass diese zionistischen Gegendemonstranten existieren.“

Auch an der Universität von Minnesota wurde eine Rede gehalten, die explizit zur Zerstörung Israels aufrief. „Wir müssen die Zerstörung des imperialistischen zionistischen Regimes als Ziel haben, um eine erfolgreiche Intifada zu erreichen.“ Worauf die Menge skandierte: „Intifada bis zum Sieg! Es gibt nur eine Lösung: Intifada, Revolution.“

Woher kommen dieser Hass auf Israel und der Antisemitismus? Wer denkt, dafür sei der jüngste militärische Einzug der Israelis in Gaza verantwortlich, sieht viel zu kurz.

Ulrich Morgenstern und Susanne Schröter haben in der FAZ einen Gastbeitrag mit dem Titel „Die Konstruktion des Bösen“ veröffentlicht, in dem sie sich – endlich – kritisch mit der „postkolonialen Theorie“ auseinandersetzen, die seit vielen Jahren unhinterfragt an den Universitäten (mit politischer Unterstützung) implementiert wurde und nun enormen Schaden anrichtet. Theorien, die unter den Bedingungen der „Postmoderne“ entwickelt wurden, fördern nicht den gegenseitigen Respekt, sondern Machtspiele – und damit letztlich Gewalt. Dies sollte auch den Vertretern eines postmodernen Christentums zu denken geben.

Hier einige Auszüge aus dem Artikel „Die Konstruktion des Bösen“, den ich insgesamt sehr empfehle:

Denkmuster und Rhetorik der frühen postkolonialen Theorie weisen deutliche Parallelen zur marxistischen Tradition auf. Said hatte mit seiner Streitschrift just zu der Zeit Erfolg, als es linken Intellektuellen peinlich wurde, für ein ausgebeutetes Proletariat zu trommeln. Als neuer Hoffnungsträger bot sich die „Dritte Welt“ an. Unverändert blieb das dem antagonistischen Klassendenken entsprungene „oppressor/oppressed-mindset“. Diesem manichäischen Weltbild ist der Zwang zur Positionierung inhärent.

Die Forderungen nach Dekolonisierung von allem und jedem von der Kindererziehung bis zum Musikleben zeigen, wie sehr sich der Postkolonialismus von der kritischen Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte entfernt hat. Man geht inzwischen von der irrigen Annahme aus, all diese Bereiche des privaten und des sozialen Lebens seien von falschem Bewusstsein, diesmal nicht bourgeoiser, sondern „weißer“, kolonialer Prägung determiniert.

Saids These, dass jeder Europäer, der etwas über den Orient schrieb, ein Rassist oder Imperialist sei, geht auch in anderer Richtung fehl. Tatsächlich versammelt Said in seiner eklektisch zusammengetragenen Sammlung von Orientalisten auch Wissenschaftler wie Ignaz Gold ziher (1850 bis 1921) und William Robertson Smith (1846 bis 1894), die dem Orient mit unvoreingenommenem Interesse begegneten. Einige der von ihm in ein zweifelhaftes Licht Gerückten, zu denen beispielsweise Louis Massignon (1883 bis 1962) gehört, engagierten sich für die Rechte der von ihnen Erforschten, andere wie der sprachbegabte Reisende Richard F. Burton (1821 bis 1890), der unerkannt das für Nichtmuslime verbotene Mekka erkundete, und der Arabist Hamilton A. R. Gibb (1895 bis 1971) fielen durch eine schwärmerische Begeisterung für den Orient auf. Wer Said systematisch liest, dem müssen solche Widersprüche auffallen, doch in der postkolonialen Theorie geht es weniger um ein gründliches Quellenstudium als um die Reduktion komplexer Realitäten auf das schlichte Muster von Unterdrücker und Unterdrückten. Dieses kennzeichnet die Ausformulierungen der postkolonialen Theorie seit den Achtzigerjahren durch Theoretiker wie Homi K. Bhabha, Gayatri C. Spivak, Étienne Balibar, Stuart Hall und Kimberlé Crenshaw.

Gefälligkeitsforschungen laufen fundamentalen Prinzipien der Wissenschaftlichkeit ebenso zuwider wie Forderungen, Wissenschaft in den Dienst einer politischen Allianz zu stellen. Während empirische Sozialwissenschaft fragen kann, wo, inwieweit und warum gesellschaftliche Übelstände zu verzeichnen sind und welche Faktoren zu ihrer Überwindung beitragen können, setzt aktivistische Wissenschaft diese Nachteile absolut und sich selbst als die rettende Kraft in Szene. Jede Wissenschaft, die Aktivismus einfordert, läuft Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Implizite oder explizite politische Positionierungen von Hochschulen, Instituten und Lehrveranstaltungen erzeugen zudem einen Konformitätsdruck auf Studenten und Stellenbewerber.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

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Michel Foucault

Michel Foucault gehört zu den einflussreichsten Denkern des 20. Jahrhunderts. Er hat es geschafft, seine Ideen in der breiten Gesellschaft zu etablieren und spielt heute zum Beispiel in der Pädagogik eine große Rolle. Ich habe im TheoBlog mehrfach Stellung bezogen und etwa darauf verwiesen, dass zumindest für den frühen Foucault zur Entzauberung des Subjekts die Abschaffung von Verboten gehörte: „Aufhebung der sexuellen Tabus, Einschränkungen und Aufteilungen; Praxis des gemeinschaftlichen Lebens; Aufhebung des Drogenverbots; Aufbrechung aller Verbote und Einschließungen, durch die sich die normative Individualität konstituiert und sichert. Ich denke da an alle Erfahrungen, die unsere Zivilisation verworfen hat oder nur in der Literatur zuläßt“ (Michel Foucault, Von der Subversion des Wissens, 1987, S. 95).

Es ist erfreulich, dass der christliche Denker Christopher Watkin ein Buch über Michel Foucault geschrieben hat. Daniel Vullriede stellt es vor und erwähnt Stärken wie Schwächen:

Ein überaus einflussreicher Denker des letzten Jahrhunderts war der französische Philosoph Michel Foucault (1926–1984). Wer sich z.B. ernsthaft mit dem Phänomen der Postmoderne auseinandersetzen möchte, wird um diesen intelligenten atheistischen Denker nicht herumkommen.

Auch wenn Foucault sich selbst nicht als postmodernen Denker sah und nicht die einzige Schlüsselperson für diese Epoche ist; auch wenn der Höhepunkt der Foucault-Renaissance längst überschritten ist – seine Thesen und Anfragen waren rückblickend ein Katalysator für den westlichen Kulturkreis. Sie lassen sich noch heute im Bereich der Philosophie, Soziologie, Pädagogik, Kunst, sowie in den Politik-, Geschichts-, Kultur-, Medien- und Sprachwissenschaften, und nicht zuletzt in den unterschiedlichsten Ansätzen der Gender Studies ablesen. Doch wofür stand der französische Philosoph und wie können sich Christen zu ihm positionieren?

Um Foucaults Werk und Person zu verstehen, bietet Christopher Watkin eine kompakte, gut lesbare und zugleich tiefgehende Einführung. Der britische Autor arbeitet als Professor für französische Literatur und Philosophie an der australischen Monash University (Melbourne). Er zeigt, wie man sich Foucault neugierig und kritisch nähern kann, entwickelt dabei aber einen ganz eigenen Ansatz, der den Lesern kernige Alternativen zu Foucault bietet.

Für wen ist dieses Buch interessant? Christen, die philosophisch, theologisch oder apologetisch interessiert sind, werden hier eine gelungene Analyse finden; ebenso Gläubige, die im Bereich der Sozial- und Verhaltenswissenschaften unterwegs sind. Auch Leser mit ganz anderen Überzeugungen und einer atheistischen Weltanschauung können viel von Watkins Studie lernen und ihn als angenehmen, fairen und herausfordernden Gesprächspartner wahrnehmen.

Mehr: www.evangelium21.net.

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