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Michel Foucault

Michel Foucault gehört zu den einflussreichsten Denkern des 20. Jahrhunderts. Er hat es geschafft, seine Ideen in der breiten Gesellschaft zu etablieren und spielt heute zum Beispiel in der Pädagogik eine große Rolle. Ich habe im TheoBlog mehrfach Stellung bezogen und etwa darauf verwiesen, dass zumindest für den frühen Foucault zur Entzauberung des Subjekts die Abschaffung von Verboten gehörte: „Aufhebung der sexuellen Tabus, Einschränkungen und Aufteilungen; Praxis des gemeinschaftlichen Lebens; Aufhebung des Drogenverbots; Aufbrechung aller Verbote und Einschließungen, durch die sich die normative Individualität konstituiert und sichert. Ich denke da an alle Erfahrungen, die unsere Zivilisation verworfen hat oder nur in der Literatur zuläßt“ (Michel Foucault, Von der Subversion des Wissens, 1987, S. 95).

Es ist erfreulich, dass der christliche Denker Christopher Watkin ein Buch über Michel Foucault geschrieben hat. Daniel Vullriede stellt es vor und erwähnt Stärken wie Schwächen:

Ein überaus einflussreicher Denker des letzten Jahrhunderts war der französische Philosoph Michel Foucault (1926–1984). Wer sich z.B. ernsthaft mit dem Phänomen der Postmoderne auseinandersetzen möchte, wird um diesen intelligenten atheistischen Denker nicht herumkommen.

Auch wenn Foucault sich selbst nicht als postmodernen Denker sah und nicht die einzige Schlüsselperson für diese Epoche ist; auch wenn der Höhepunkt der Foucault-Renaissance längst überschritten ist – seine Thesen und Anfragen waren rückblickend ein Katalysator für den westlichen Kulturkreis. Sie lassen sich noch heute im Bereich der Philosophie, Soziologie, Pädagogik, Kunst, sowie in den Politik-, Geschichts-, Kultur-, Medien- und Sprachwissenschaften, und nicht zuletzt in den unterschiedlichsten Ansätzen der Gender Studies ablesen. Doch wofür stand der französische Philosoph und wie können sich Christen zu ihm positionieren?

Um Foucaults Werk und Person zu verstehen, bietet Christopher Watkin eine kompakte, gut lesbare und zugleich tiefgehende Einführung. Der britische Autor arbeitet als Professor für französische Literatur und Philosophie an der australischen Monash University (Melbourne). Er zeigt, wie man sich Foucault neugierig und kritisch nähern kann, entwickelt dabei aber einen ganz eigenen Ansatz, der den Lesern kernige Alternativen zu Foucault bietet.

Für wen ist dieses Buch interessant? Christen, die philosophisch, theologisch oder apologetisch interessiert sind, werden hier eine gelungene Analyse finden; ebenso Gläubige, die im Bereich der Sozial- und Verhaltenswissenschaften unterwegs sind. Auch Leser mit ganz anderen Überzeugungen und einer atheistischen Weltanschauung können viel von Watkins Studie lernen und ihn als angenehmen, fairen und herausfordernden Gesprächspartner wahrnehmen.

Mehr: www.evangelium21.net.

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Michel Foucault soll Kinder in Tunesien sexuell missbraucht haben

Der Philosoph Guy Sorman behauptet laut Sunday Times, der 1984 im Alter von 57 Jahren verstorbene Michel Foucault sei ein pädophiler Vergewaltiger gewesen, der in den späten 1960er Jahren in Tunesien Sex mit arabischen Kindern hatte. Sorman soll unter anderem gesagt haben:

Kleine Kinder rannten hinter Foucault her und sagten „was ist mit mir? nimm mich, nimm mich“ … Sie waren acht, neun, zehn Jahre alt. Er warf ihnen Geld zu und sagte „lasst uns um 22 Uhr am üblichen Ort treffen“. Er würde dort auf den Grabsteinen mit kleinen Jungen Liebe machen. Die Frage der Einwilligung wurde nicht einmal gestellt.

Sorman erklärte sein Bedauern darüber, dieses extrem umoralische Verhalten damals nicht der Polizei gemeldet zu haben.

Dieses Bekenntnis heizt in Frankreich die Debatte über die Entkriminalisierung der Pädosexualität weiter an. Führende französische Intellektuelle, darunter Michel Foucault, Roland Barthes, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, forderten 1977 in einer Petition die Freigabe von Sex mit Kindern unter 15 Jahren (vgl. dazu hier).

Foucaults Traum vom rechtsfreien Paradies

Michel Foucault, zumindest der frühe Foucault, fand seine Berufung darin, jene Machtmechanismen zu demaskieren, die überall in der Gesellschaft installiert worden sind, um die Herrschaft der „Bourgeoisie“ abzusichern (oder zu erweitern). Sogar dem Humanismus ging es nach ihm nur darum, die Menschen klein und zahm zu halten. Die Erfindungen des Humanismus waren allesamt dafür da, den einfachen Leuten im Abendland dem Verlangen nach Macht einen Riegel vorzuschieben.

Das Herz des Humanismus ist die Theorie vom Subjekt (im Doppelsinn des Wortes: als Souverän und Untertan). Darum lehnt das Abendland so erbittert alles ab, was diesen Riegel sprengen könnte, wofür es zwei Methoden gibt: die »Entunterwerfung« des Willens zur Macht, d.h. der politische Kampf als Klassenkampf – oder das Unternehmen einer Destruktion des Subjekts als eines Pseudo-Souveräns, d.h. eine »kulturelle« Attacke: Aufhebung der sexuellen Tabus, Einschränkungen und Aufteilungen; Praxis des gemeinschaftlichen Lebens; Aufhebung des Drogenverbots; Aufbrechung aller Verbote und Einschließungen, durch die sich die normative Individualität konstituiert und sichert. Ich denke da an alle Erfahrungen, die unsere Zivilisation verworfen hat oder nur in der Literatur zuläßt. (Michel Foucault, Von der Subversion des Wissens, 1987, S. 95)

Foucault wusste, dass es nicht ausreicht, das Denken der Menschen in andere Bahnen zu lenken. Um die Institutionen zu zerstören, die die Herrschaft der Herrschenden sichern, mussten bestimmte Erfahrungen ermöglicht werden. Es reicht also nicht aus, Bücher verkaufen. Es braucht konkrete Erfahrungen mit Sex, Drogen und dem gemeinschaftlichen Leben, um die herrschende Ordnung zu dekonstruieren und letztlich zu zerstören. Es braucht eine Revolution. Foucault:

Wenn es nur ums Bewußtsein der Leute ginge, so würde es genügen, Zeitschriften und Bücher zu veröffentlichen und Rundfunk- oder Fernsehproduzenten zu gewinnen. Wir aber wollen die Institution angreifen, die in der schlichten und grundlegenden Ideologie gipfelt, welche sich in den Begriffen von Gut und Böse, Unschuld und Schuld ausdrückt. Wir wollen diese gelebte Ideologie in den Institutionen verändern, in denen sie sich konkretisiert und reproduziert. Vereinfacht gesagt: der Humanismus besteht darin, das ideologische System verändern zu wollen, ohne an die Institution zu rühren; der Reformismus besteht darin, die Institution zu verändern, ohne ans ideologische System zu rühren. Die revolutionäre Aktion hingegen definiert sich als gleichzeitige Erschütterung des Bewußtseins und der Institution; dies setzt voraus, daß man zum Angriff auf die Machtverhältnisse übergeht, deren Instrumentarium Bewußtsein und Institution sind. Glauben Sie, daß man die Philosophie und ihren Moralkode in derselben Weise wird lehren können, wenn das Strafrechtssystem eingestürzt ist? (Michel Foucault, Von der Subversion des Wissens, 1987, S. 95)

Der letzte Punkt ist sehr interessant. Foucault wollte nicht nur die Gefängnisse und die psychiatrischen Anstalten abschaffen. Er wollte nicht nur Schülern und Studenten nicht-repressive Erfahrungen mit Drogen und Sexualität ermöglichen. Er wollte das Rechtssystem als solches abschaffen. Er hatte vor, die Gerichte und die Rechtsprechung zu beseitigen und eine proletarische Justiz einzuführen, die auf Richter verzichtet. Als Vorbild diente ihm dabei die Französische Revolution.

Was Foucault wahrscheinlich nicht nur übersieht, sondern bewusst unterschlägt, ist die Tatsache, dass Gesellschaften ohne gute Gesetze und unabhängige Gerichte in den Terror abgleiten, so wie das auch nach der Französischen Revolution geschehen ist.

Roger Scruton hat das sehr schön herausgestellt, so dass ich ihn hier gern zitiere (Narren, Schwindler, Unruhestifter, 2021, S. 166–167):

In einer bemerkenswerten Diskussion mit einer Gruppe Maoisten 1968 zieht Foucault einige politische Konsequenzen aus seiner Analyse des Rechts, als einer weiteren »kapillaren« Form der Macht und einer weiteren Art, »Widersprüche unter den Massen zu schüren«. Die Revolution könne nur stattfinden, versichert er ihnen, »wenn der Rechtsapparat und alles, was zur Wiederherstellung des Strafapparates führen könnte, radikal eliminiert wird, und alles, was seine Ideologie wieder einführen und dieser Ideologie ermöglichen würde, in die alltägliche Praxis wieder einzuschleichen, verbannt wird.« Er befürwortet die Verbannung der Rechtsprechung und sämtlicher Formen von Gerichten und deutet eine neue Form »proletarischer« Justiz an, die auf Richter verzichten kann.

»Die Französische Revolution«, erklärt er, sei »eine Rebellion gegen die Rechtsprechung« gewesen, und dies gehöre zur Natur jeder anständigen Revolution. Hätte er über die historischen Tatsachen gesprochen, über die Revolutionstribunale, in denen Richter, Ankläger und Zeugen ein und dieselbe Person waren, wo der Angeklagte nicht das Recht hatte, zu wider-sprechen, über die Tausenden von Hinrichtungen, über den Genozid in La Vendée und all die anderen Katastrophen, die die Folgen der »Rebellion gegen die Rechtsprechung« waren – dann hätte man seine Aussagen als Warnung verstehen müssen und nicht als das, was sie wirklich waren, nämlich Zustimmung.

Doch nicht nur die Französische Revolution kann illustrieren, was geschieht, wenn die Rechtsprechung aufgehoben wird. Wenn beim Prozess gegen Angeklagte keine dritte Partei präsent ist, niemand da ist, der die Pflicht hat, die Beweise zu prüfen, der zwischen den Parteien vermitteln oder unparteiisch auf die Tatsachen schauen kann, dann wird aus »Gerechtigkeit« ein Kampf auf »Leben und Tod«, in dem eine Seite über sämtliche Waffen verfügt. So war es bei den Moskauer Schauprozessen wie auch bei den Revolutionstribunalen der Französischen Revolution. Dem Historiker Foucault muss das bekannt gewesen sein. Trotzdem verschrieb er sich bereitwillig der »proletarischen Justiz«, die den Angeklagten jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten beraubt. Zu denken – und er scheint das wirklich gedacht zu haben –, dass diese Form der Gerichtsbarkeit die Gesellschaft von der Last der Herrschaft befreien würde, bedeutet all das zu übersehen, was er gewusst haben muss. Wenn die Gesellschaftsordnung tatsächlich aus der Substanz besteht, die Foucault »Macht« nannte, dann ist die Herrschaft des Rechts ihre beste und mildeste Form.

Foucaults tunesische Jungen

Wie hier am 29. März berichtet, werden gegen den französischen Philosophen Michel Foucault schwere Vorwürfe wegen Kindesmissbrauchs erhoben. Georg Blume berichtet in der heutigen Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT über den Stand der Debatte in Frankreich. Ich kann die Lektüre des Artikel sehr empfehlen. Er zeigt, dass ein Übervater der sexuellen Revolution in ziemlich finstere Machenschaften verstrickt war.

Michel Foucault soll zahlreiche Kinder sexuell missbraucht haben. Der Verdacht rüttelt an dem Denkmal des französischen Philosophen, der die Kulturrevolution der 68er- Generation prägte wie kein anderer. Als Professor am Collège de France in Paris analysierte er in seinem umfangreichen Werk die Machtbeziehungen in der Kirche, der Schule, im Gefängnis und zeigte damit Unterdrückungsmechanismen auf, die vor ihm niemand so genau erkannt hatte. Er unterlegte den 68er-Spruch »Das Private ist politisch!« mit tiefgreifender historischer Empirie und Analyse. Doch nun, 37 Jahre nach seinem Tod, sieht es so aus, als könnte Foucaults Privatleben seinen längst unbestrittenen Weltruf als Philosoph dauerhaft beschädigen. »Es wird schwer sein, den meistzitierten Intellektuellen der Welt auszuradieren; dann bliebe in unseren Bibliotheken der letzten vierzig Jahre nicht mehr viel übrig«, sagt die Pariser Literaturprofessorin Tiphaine Samoyault über Foucault. Das wäre auch gar nicht ihr Ansinnen, sie schätzt das Werk Foucaults. Sie selbst hat eine hochgelobte Biografie über Roland Barthes geschrieben, der Foucaults Freund und Liebhaber gewesen war. Doch will sich Samoyault auch nicht wie viele andere in der Pariser Intellektuellenszene über die neuen Anschuldigungen gegen Foucault hinwegsetzen. »Die Vorwürfe sind glaubwürdig, was Foucaults Ausnutzung der Kinderprostitution in Nordafrika betrifft«, sagt sie, »und der aktuelle Kontext macht diese sogenannten Enthüllungen spektakulär.«

Ist das überraschend? Nein. Viele Insider wussten das schon lange. Auch der neugierige Leser postmoderner Literatur konnte entsprechende Hinweise finden, ohne dafür große Hürden überwinden zu müssen. Bereits 2010 habe ich im Blog geschrieben:

Als Heuchelei empfinde ich es auch, dass in unserer postmodernen Lebenskultur übersehen wird, dass etliche Väter der Postmoderne die »Grenzüberschreitung« erkenntnistheoretisch begründet haben. Verweisen ließe sich hier z.B. auf Marquis de Sade, Georges Bataille oder manche Prominente der 68er-Generation (siehe auch hier). Zitieren möchte ich Michel Foucault, der sich als Übervater der Postmoderne-Debatte theoretisch und praktisch für eine Sexualität »ohne Gesetz« stark machte. In einem späten Gespräch mit Edmund White sagte Foucault (Interview mit Edmund White , 12. Mai 1990, in: James Miller, Die Leidenschaft des Michel Foucault, Kiepenheuer und Witsch 1995, S. 81): „In einem gewissen Sinne habe ich während meines gesamten Lebens versucht, intellektuelle Dinge zu tun, um schöne Knaben anzuziehen.“

Vielleicht kommt ja doch noch etwas Bewegung in die Debatte über die Sexuelle Revolution? Noch einmal. Ich empfehle den Artikel sehr. Zu finden in DIE ZEIT, Nr. 15, 8. April 2021, S. 49.

Gibt es im Kiosk!

Foucault: Was macht Macht?

Der französische Philosoph Michel Foucault ist einer der einflussreichsten kritischen Denker der Moderne. Ihn interessierte, wie Macht entsteht, wozu sie benutzt wird und was sie aus Menschen machen kann. Der ohne Zweifel hoch begabte Denker hat viel dazu zu sagen.

Michael Reitz hat für den Bayrischen Rundfunk ein Feature produziert, das hilfreich in Foucaults Machtdeutung einführt. Leider wird – was mich nicht überrascht – kein einziger kritischer Gedanke geäußert. Dabei gibt es so viel, was an Foucault und seiner Entgrenzungsphilosphie nach dem Tod Gottes zu bemängeln wäre: Gut und Böse als vollständig zu überwindende Ideologie, Abschaffung des Eigentums, Aufhebung aller sexuellen Tabus einschließlich der Pädosexualität, Abschaffung der Drogenverbote, seine Unterstützung der Ajatollahs, die Sympathie für das Regime in China, die Überschreitung.

Ich empfehle den Beitrag trotzdem und mache gleichzeitig Mut, auch mal ein Buch wie Die Leidenschaft des Michel Foucault zu lesen (siehe a. hier).

Fortan wird Foucault die Wahrheit sagen

Vor 30 Jahren starb Michel Foucault. Jürg Altwegg hat für die FAZ die letzten Tage des französischen Philosophen nachgezeichnet sowie die merkwürdige Verdrängung seiner Fehlleistungen thematisiert.

Im Lob seiner intellektuellen Ethik und Philosophie der Sexualität, das jetzt angestimmt wird, erinnert aus Anlass von Foucaults Todestag wie des dreißigsten Jahrestags der islamischen Revolution in Iran kein Mensch an Foucaults Unterstützung der Ajatollahs. Das Buch von Janet Afary und Kevin B. Anderson über »Foucault and the Iranian Revolution« ist nie auf Französisch erschienen. Die Autoren erklären seine blinde Hymne auf Chomeini, der im Februar 1979 die Macht übernahm, mit dem Hass des Denkers auf die politischen und wirtschaftlichen Systeme, auf den Staat und den Kapitalismus. Sie wird bei den laufenden französischen Foucault-Fest-und-Trauerspielen genauso ausgeblendet wie die verschämte Verlogenheit, mit der nach seinem Tod um dessen Ursache herumgeredet wurde. Auch in den Debatten über die psychiatrischen Kliniken, die Sarkozy in Hochsicherheitstrakte verwandeln will, und die Gefängnisse, aus denen wöchentlich Selbstmorde gemeldet werden, ist er merkwürdigerweise überhaupt nicht präsent.

Hartnäckig wird Foucaults Faszination für Chomeinis Revolution verdrängt. Und fast ebenso systematisch die Reise der »Tel Quel«-Redaktion 1974 nach China verharmlost.

Über die zahlreichen Merkwürdigkeiten bei Foucault gäbe es so viel zu sagen.

Hier der vollständige Beitrag von Jürg Altwegg: www.faz.net.

Woke – Psychologie eines Kulturkampfes

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Wer die Woke-Kultur besser verstehen möchte, dem sei das Buch Woke – Psychologie eines Kulturkampfes von Esther Bockwyt empfohlen. Esther Bockwyt studierte Psychologie und Rechtspsychologie an den Universitäten Marburg, Köln und Bonn. Sie arbeitet als freiberufliche psychologische Gutachterin. Nebenbei analysiert sie gesellschaftliche Entwicklungen und hat meines Erachtens die Grundannahmen und -anliegen der Woke-Bewegung sehr gut erfasst und verständlich dargestellt. 

Hier ein Auszug (Woke, 2024, S. 15–17): 

Die Ursprünge der heutigen Wokeness sind in der Philosophie der Postmoderne der 60er-Jahre zu finden, beispielsweise bei Michel Foucault4 , wobei manch einer beklagt, dass jener und andere für die heutigen woken identitätspolitischen Auswüchse zu Unrecht herhalten müssen. Jedenfalls stammt aus dieser philosophischen Strömung die Annahme, dass alles menschliches Streben auf Macht ausgerichtet sei. Wissen, Sprache und gesellschaftliche Ordnungen seien letztlich immer und ausschließlich Ausdruck von Machtverhältnissen und eine objektive Wahrheit werde von diesen Verhältnissen untergraben: der Ursprung woker Ideologie.

Diese postmoderne Philosophie ist dabei ein Gegenentwurf zur Moderne und ihrer Philosophie der Aufklärung, auf der westliche Demokratien seit ungefähr 200 Jahren fußen. Die Moderne ist von der Philosophie des Liberalismus geprägt und in diesem Sinne fußen westliche Demokratien auf den Werten des Individualismus, also darauf, der Freiheit des Individuums Priorität einzuräumen, sie als Grundlage zu bestimmen. Darauf, dass das Individuum nach seinem Glück und der Erfüllung seines Lebens strebt. Der Mensch als Individuum ist Träger von Rechten, Pflichten und Verantwortung. Bereits in der Antike angelegt, entfaltete der Individualismus später in Europa seit der Renaissance seine Kraft, forciert durch humanistische, aufklärerische Bewegungen. Europäische Philosophen entwickelten die geistigen Fundamente, auf welchen die heutigen liberalen europäischen Gesellschaften fußen und sich im deutschen Grundgesetz wie in der amerikanischen Verfassung in der unveräußerlichen Würde des Menschen deutlich formuliert wiederfinden.

Kollektivistische Ideologien wie der Nationalsozialismus oder der Kommunismus zerstörten die liberal-demokratischen Rechtsstaaten zwischenzeitlich, indem sie einem Volk oder einer Klasse Vorrang vor dem Individuum gaben, »Gemeinnutz vor Eigennutz« predigten und hiermit den Grundstein für menschenverachtende und inhumane (Kultur-)Praktiken legten.

Der Mensch ist in der Philosophie und gelebten Demokratie der Moderne Individuum und hat zugleich Anteil am Universellen, am allgemeinen Menschsein, das alle Menschen gleichermaßen teilen. Alle Menschen sind trotz aller individuellen Unterschiede als Menschen in ihrem Menschsein gleich und gleichberechtigt. Freiheit, Gleichheit der Chancen, aber auch die aufklärerischen Werte der Vernunft und die wissenschaftliche Methode, die Rechtsstaatlichkeit mit Machtbegrenzung durch das Recht mit seiner Gewaltenteilung und die freie Marktwirtschaft sind die Grundpfeiler westlicher – auf der Philosophie der Moderne – fußender Demokratien. Die postmodernen Entwicklungen hingegen brechen mit einigen dieser Werte. Grundlegend in dieser Philosophie sind die Annahmen von Relativismus und Sozialkonstruktivismus, also die Annahmen, dass Realität immer auch anders erzählt werden könne und dass Realität sozial konstruiert wird. Und zwar dadurch, wie Menschen sozial miteinander interagieren, und über die Geschichten, die Menschen über die Wirklichkeit erzählten. Diese Geschichten bilden ein jeweiliges Narrativ und seien allein durch existierende Machtverhältnisse bestimmt. Alles sei nur eine Erzählung, die mit anderen Erzählungen, also Sichtweisen, konkurriere. Zwei mal zwei muss nicht vier sein, es kann auch, je nach Umständen, fünf oder irgendetwas anderes sein.

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Das System Regenbogen

Die Denk- und Fühlkultur der Postmoderne habe den Weg für einen neuen Aberglauben geebnet, meint Florian Friedman. Verknüpf ist dieser Aberglaube interessanterweise mit neuen Dogmen. Eines dieser Dogmen, die nicht mehr hinterfragt werden dürfen, ist das System Regenbogen:

In Zeiten woken Denkens bestehen sie auf die eine oder andere Weise immer in der absurden Vorstellung, dass sich Vielfalt und Gleichheit im selben Maße erreichen lassen und sich also nicht logisch ausschließen. Im Grunde ist es einfach: Je mehr Vielfalt, desto weniger Gleichheit – und umgekehrt. Die woke Ideologie bestreitet diese logische Wahrheit und macht aus ihrem Dementi ein magisches Axiom. Als Symbol für dieses paradoxe Dogma muss der Regenbogen herhalten, die zugehörige Andacht erfolgt auf dem Karneval der Kulturen. Mag man nicht mittanzen, gerät man schon mal ins Fadenkreuz des DEI-Referats.

Letztbegründet werden die zentralen Überzeugungen der westlichen Cargo-Demokratien in Schriften von postmodernen Philosophen wie Michel Foucault, Jacques Derrida oder Judith Butler. Die Dampfplauderer aus den akademischen Klöstern versorgen ihre gläubigen Leser regalweise mit Nebelkerzenliteratur – ihre Texte belegen angeblich, dass Wahrheit relativ ist. Diese Behauptung wird gern genutzt, um den Widerspruch zwischen Vielfalt und Gleichheit (vermeintlich) aufzulösen. In Wirklichkeit sind akademische Bestseller wie Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“, weil sie Wahrheit und Logik leugnen, eine Beschwörung des Übernatürlichen – ohne tradierte Strukturen allerdings, die den religiösen Eifer einhegen könnten.

Lässt man sich durch postmoderne Sakraltexte erwecken, zeichnen sich nicht nur unendlich viele Geschlechter ab, wo es vorher bloß zwei gab. Wer den spirituellen Faden weiterspinnt, findet es auch leicht, zu glauben, dass eine Technologie aus dem Frühmittelalter wie das Windrad unser Klima rettet oder dass es sich bei den antisemitischen Massakern der Hamas vom 7. Oktober um einen Freiheitskampf progressiver Kräfte gehandelt hat. Welche Folgen man riskiert, wenn dem Widersinnigen zu viel Raum gegeben wird, wusste bereits Voltaire: „Wer dich dazu bringen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch dazu bringen, Gräueltaten zu begehen.“

Mehr: www.cicero.de.

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Der Diskurs der Philosophie

Guido Kalberer hat das frisch erschienene Der Diskurs der Philosophie (#ad) von Michel Foucault gelesen und zieht ein nüchternes Fazit:

Heute müsse der Philosoph, so Foucault, die Gegenwart im Sinne Nietzsches diagnostizieren. Er muss quasi ein Arzt der Kultur sein, allerdings befreit von der Pflicht, sie heilen zu müssen. «Er ist ein Vorübergehender, der dem Vorübergehen näher ist als jeder andere.» Der Philosoph sage, was ist und geschieht. Er mache sichtbar, was eigentlich wahrnehmbar sein müsste, aber so eng mit uns verbunden sei, dass wir es übersähen. Philosophie holt laut Foucault das Ungesagte in die Sprache und richtet ihr Augenmerk auf das Ereignis, nicht das Ewige.

Mit seiner Kritik an der normierenden Kraft der herrschenden Machtdiskurse, etwa in «Überwachen und Strafen», und seiner Neugier an dem, was an den Rändern der etablierten Disziplinen geschieht, findet Michel Foucault heute wieder Gehör. Vor allem in Kreisen, die sich als divers verstehen und Zuschreibungen von eindeutigen Identitäten ablehnen.

Davon abgesehen muss man allerdings feststellen, dass seine Diskursphilosophie an Bedeutung und Einfluss verloren hat. Auch an den Akademien ist es ruhig geworden um sie: In den Sozial- und Geisteswissenschaften, zumindest hierzulande, wird sein Werk weniger rezipiert und diskutiert als etwa jenes von Niklas Luhmann oder Jürgen Habermas, aber auch als jenes von Pierre Bourdieu, der Foucaults Auffassung von Geschichte und Kultur einmal als «abstrakt und idealistisch» kritisierte. Daran wird auch «Der Diskurs der Philosophie» nichts ändern.

Sehe ich auch so. Es ist wirklich an der Zeit, Foucaults Wahnsinn zu überwinden. 

Gendern: Das Schweigen der Medien

Auch in Hessen will die Regierung korrektes Deutsch in der Amtssprache wieder zur Pflicht machen. Dabei kämpfen Gender-Gegner gegen hohe politische Hürden und das Schweigen der Medien. Bernd Fischer, Autor ist Initiator eines Volksbegehrens gegen das Gendern in der Amtssprache, erklärt in einem Gastbeitrag für DIE WELT, wie sich der ÖRR und die Universitäten als Opfer im „Kulturkampf“ darstellen und einfach nicht darüber reden, dass eine große Mehrheit das Gendern ablehnt.

Ein Auszug:

Die entscheidende Schlacht muss jedoch mit den Universitäten ausgefochten werden. Von dieser Seite wird ja nun in schöner Regelmäßigkeit die Parole ausgegeben, dass der Koalitionsbeschluss zum Gendern einen „Kulturkampf“ heraufbeschwöre; ein Terminus, der natürlich auch von den Grünen übernommen wird. Hierbei handelt es sich um ein Paradebeispiel für die Projektionsneigung des Wahrheitsregimes (Begriff von Michel Foucault) an unseren Universitäten, sind sie es doch die Identitätspolitiker selbst, die diesen Kulturkampf – wenn man diesen Begriff denn verwenden will – ohne irgendeine demokratische Legitimation eröffnet haben.

Hier geht es allerdings um weit mehr als um die Zumutung einer Orwellschen Kunstsprache, die sich als „gendergerecht“ tarnt und die den Bürgern aufgezwungen werden soll. Hier geht es um die unterschiedlichen Facetten der Identitätspolitik, von denen das Gender-Mainstreaming nur eine darstellt. Einige Bereiche der Universitäten, die sich mit den Critical Social Justice Theories beschäftigen (neben den Gender Studies soll hier noch die sogenannte Postkoloniale Theorie genannt werden) leugnen geradewegs die Prinzipien der Aufklärung und einer universellen Vernunft, da sie diese als Schöpfungen der privilegierten westlichen Gesellschaft ansehen. Sie ersetzen Wissenschaft durch eine Glaubenslehre, die auf der nicht tilgbaren Schuld der westlichen Gesellschaft basiert. Bereits der Zweifel an den absurden Dogmen gilt als verächtlich.

Zahlreiche Autoren wie Pluckrose und Lindsay, Ulrike Schröter und Ulrike Ackermann haben mittlerweile dargelegt, welchen Sprengstoff diese Theorien bergen. Die Theorien sind durch die gemeinsame Hypothese verbunden, dass die als ideal angesehene gesellschaftliche Ordnung durch Sprechakte geschaffen werden kann. Durch die Proklamation solcher Ersatzreligionen sind Universitäten immer weniger Orte, in denen objektive Wissenschaft betrieben werden kann. Insofern muss man sogar dem Vorwurf des Kulturkampfes zustimmen.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Warum Judith Butler ihre Perspektive auf Israel immer wieder vorträgt

Warum ist Judith Butler so sehr daran gelegen, die antisemitische Gewalt und den Israelhass der Hamas zu verstehen – den Staat Israel dagegen zu delegitimieren? Der Literaturwisschaftler Magnus Klaue meint, es habe etwas mit ihren Aversionen für das abendlänische Denken zu tun: 

Das Programm der postmodernen Performativitätstheorie lässt sich so zusammenfassen: Sie versucht die Probe aufs Exempel ihrer eigenen These zu machen, dass Lüge durch Wiederholung zur Wahrheit wird. Wahrheit, darin sind sich, bei aller Differenz ihrer philosophischen und politischen Anschauungen, Jacques Derrida, Michel Foucault und Gilles Deleuze mit der amerikanischen Philosophin Judith Butler einig, bezeichnet keine „Essenz“, wie Butler derlei metaphysische Restbestände abendländischen Denkens nennt, sondern eine arbiträre Vereinbarung, an die umso fester geglaubt wird, je häufiger man sie wiederholt.

Entsprechend rituell wiederholt Butler, seit sie im Nachgang von 9/11 ihre kaum verhohlene Sympathie mit dem islamistischen Terror von Hisbollah und Hamas zu legitimieren sucht, ihre Theorie der Anerkennung als Mittel zum Verständnis antisemitischer Gewalt.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Ich existiere, wenn ich bin, was ich sein will

Für seinen Debütroman Blutbuch hat Kim de l’Horizon den Deutschen Buchpreis 2022 erhalten. Das Buch erzählt die Familiengeschichte aus non-binärer Perspektive. Blutbuch sei von enormer Dringlichkeit und literarischer Innovationskraft, sagte Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels während der Preisverleihung. Sie schwärmte weiter: „Mit einer enormen kreativen Energie sucht die non-binäre Erzählfigur in Kim de l’Horizons Roman Blutbuch nach einer eigenen Sprache. Welche Narrative gibt es für einen Körper, der sich den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht entzieht?“

Kim de l’Horizon will sich weder als Mann noch als Frau verstanden sehen. „Ich habe nie in diese Vorstellung von Geschlecht hineingepasst, in die Vorstellung, wie mein Körper aufwachsen soll, in was für einen Erwachsenenkörper ich hineinwachsen soll“, erklärter de l’Horizon gegenüber Deutschlandradio Kultur. Kim möchte sich der Unterdrückung, die vom eigenen Körper ausgeht, entziehen. „Geschlecht wird überall auf der Welt benutzt, um den Status quo beizubehalten, um die Macht bei den Körpern zu behalten. Und dagegen schreibe ich an“, so heißt es im Interview.

Hier spricht also jemand, der sich selbst von seinem eigenen Körper nicht mehr sagen lassen möchte, wer er ist. Der Gedanke: Körperlichkeit unterdrückt. Daher müssen wir Körper entmachten. Wir lassen uns durch unsere Leiblichkeit und das Geschlecht nichts mehr vorgeben, sondern erschaffen uns neu. Es gibt keine Essenz, die bestimmt, wer oder was wir sind. Es ist genau andersherum: Die Existenz geht unserem Wesen voraus. Ich erschaffe mich selbst und unterspüle und überschreite dabei die Kategorien, mit denen wir normalerweise sehen, hören, denken und fühlen.

Dieser Ansatz geht auf Lesarten Hegels zurück, die von Schülern Alexandre Kojéves (1902–1968) entwickelt worden sind. Jacques Derrida, Jacques Lacan (mit dem er befreundet war), Georges Bataille oder Michel Foucault bekannten sich zum großen Einfluss Kojèves auf ihr Denken. Sehr schön illustrieren lässt sich dieses Konzept des Selbst auch anhand des Existenzialismus, den Paul Sartre in seinem Hauptwerk Das Sein und das Nichts (1943) vorgelegt hat. Roger Scruton schreibt dazu (Narren, Schwindler, Unruhestifter, 2021, S. 124):

Philosophen des Mittelalters übernahmen von Aristoteles die Idee, dass wir die Frage danach, »was existiert«, beantworten können, indem wir die grundlegende Natur der Dinge erkunden. Wenn das, was ich vor mir sehe, existiert, dann ist es etwas. Wenn es etwas ist, dann gibt es etwas, was es ist. Und dieses etwas ein Mann, ein Hund, ein Stock, ein Haufen Sand – ist durch seine Essenz bestimmt. Deshalb heißt es, »die Essenz geht der Existenz voraus«: Wir erkennen die Welt, indem wir deren Wesen verstehen und nach den Dingen Ausschau halten, die sie beispielhaft veranschaulichen. Doch diese Art, Dinge zu betrachten, sagt Sartre, beruhe auf unhaltbarer Metaphysik. Es gibt keine menschliche Natur, weil es keinen Gott gibt, der eine Idee davon hätte. Das Wesen ist ein intellektuelles Konstrukt, das mit dem Geist, der es erdenkt, verschwindet. Deshalb ist unsere Existenz unsere begrifflich nicht gefasste Individualität, dessen Realität Freiheit ist – die alleinige Bedingung der Erforschung und der einzige sichere Punkt der Beobachtung einer Welt, der noch eine Bedeutung verliehen werden muss. Die wahre Voraussetzung von Philosophie ist deshalb »Existenz geht dem Wesen voraus«. Meine Existenz wird durch keine universelle Moralität bestimmt und hat kein vorhersagbares Schicksal, wie es in einer Vorstellung von der menschlichen Natur enthalten sein könnte. Der Mensch muss sein eigenes Wesen erschaffen, was eine Art Leistung ist: Er existiert nur dann vollständig, wenn er ist, was er zu sein beabsichtigt.

In der dunklen Herzkammer des Corona-Staates

Jürgen Habermas hat in den Blättern für deutsche und internationale Politik den Aufsatz „Corona und der Schutz des Lebens“ veröffentlicht. Er ist in der für ihn typischen Sprache verfasst. Schwer zu lesen und noch schwerer zu verstehen. Enthalten ist etwa der auf den ersten Blick harmlose Satz:

Die asymmetrische Beanspruchung der Bürgersolidarität auf Kosten gleichmäßig gewährleisteter subjektiver Freiheiten kann durch die Herausforderungen einer Ausnahmesituation gerechtfertigt sein. Legitim ist sie somit immer nur auf Zeit. Wie diese außerordentliche Autorisierung auch ohne weitere Notstandsregelungen rechtsdogmatisch mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen ist, soll am Ende dieser Erörterung stehen.

Andreas Rosenfelder hat den Aufsatz gründlich gelesen und ist alles andere als begeistert:

Wer sich auf diese Verdrehung unserer Rechtsordnung einlässt, landet in einer verkehrten Welt, die man nur als Horrorszenario umschreiben kann. Die nun plötzlich behauptete „Pflicht“ des Staates, „alle Strategien auszuschließen, bei denen er Gefahr läuft, die wahrscheinliche Gefährdung von Leben und körperlicher Unversehrtheit einer vorhersehbaren Anzahl unschuldiger Bürger in Kauf zu nehmen“ und – wie es in einem geradezu grotesken Zusatz heißt – „also selber zu verursachen“, führt ohne Umwege zur Idee eines Staates, der zur Kontrolle und Beschränkung sämtlicher Lebensbereiche verdammt ist: „Überwachen und Strafen“, wie Habermas’ leider viel zu früh verstorbener Kollege Michel Foucault das 1975 genannt hat.

So soll die Anti-Infektions-Politik des Jürgen Habermas „konkurrierende Rechtsansprüche“ gar nicht mehr berücksichtigen. Die Unversehrtheit des Körpers darf dann nicht mehr gegen andere Grundrechte wie die freie Entfaltung der Persönlichkeit abgewogen werden, obwohl beide im selben Artikel 2 des Grundgesetzes festgeschrieben sind – mit der Person an erster und dem Leben an zweiter Stelle. Lediglich die Todesfolge lässt Habermas als Grund gelten, um eine wirksame Gesundheitsschutzmaßnahme zu verwerfen.

Mehr, allerdings hinter eine Bezahlschranke: www.welt.de.

Sexualethik im Umbruch

In dem Bulletin Nr. 26 des Instituts für Jugend und Gesellschaft sind mehrere empfehlenswerte Beiträge erschienen. Írisz Sipos erörtert in ihrem Aufsatz „Coming-out im Lockdown: ein Paradigmenwechsel“ Martin Grabes Buch: Homosexualität und christlicher Glaube ausführlich (S. 4–20) und nimmt dabei durchaus auch das „konservative Lager“ innerhalb der Evangelikalen Bewegung in die Pflicht. Sie überzeugt mich, wenn sie darauf hinweist, dass die neuen Diskurse im Grunde widerspiegeln, was uns Menschen schon immer beschäftigt hat. Anstatt uns von den inneren Trieben ungezähmt bestimmen zu lassen, sollten wir die revolutionäre uns im Evangelium zugesprochene Hoffnung ernst nehmen. Sie schreibt (S. 15):

Die sexualethischen Diskurse, die mit konstruktivistischen Gender- und Queerperspektiven angereichert die evangelikalen Gemüter erregen, sind weder neu noch originell. Sie ventilieren die alten Fragen, Ängste und Sehnsüchte des Menschen um Fruchtbarkeit, Liebe, Ehe, Sex, Moral und Macht. In deren Dickicht von kleinmütigen Kompromissen und enthemmtem Größenwahn schlägt das biblische Zeugnis mit den Geschichten der Väter und Mütter des Glaubens sowie den Lebensregeln des alten und des neuen Bundes eine Schneise der lebendigen Hoffnung und der Verheißung von Frieden und Fülle. Dieses Zeugnis dürfen wir neu hören und vernehmen lernen, wie schon Israel am Sinai und die Gemeinde in Rom. Nicht als Verwalter tradierter Gewissheiten und abgehangener Idealbilder unserer selbst, sondern als ernstlich Fragende und Suchende, die sich der erbarmungswürdigen Realität der eigenen Existenz bewusst sind.

Angesichts der realen Nöte und der seelischen wie spirituellen Verwahrlosung unserer Gattung erscheint es alles andere als trivial, dass die Menschheit aus „Männern“ und „Frauen“ besteht, und dass Männer Frauen und Frauen Männer begehren, oder dass ein Mann nur eine Frau zu begehren hat und sie sogar liebt – und umgekehrt. Es versteht sich nicht von selbst, dass überhaupt jemand jemanden liebt; es ist vielmehr ein Wunder, ein Mysterium, oder zumindest ein unverdientes Geschenk.

Trivial hingegen ist, dass der Homo sapiens, ausgestattet mit Sexualtrieb und einer schier grenzenlosen Phantasie, ihn zu realisieren, frustriert zur Kenntnis nehmen muss, dass seine Libido nicht allein durch seine verwundbare, beschämbare, letztlich dem Tod anheimgegebene Physis begrenzt wird, sondern auch von einem menschlichen Umfeld voller Ambivalenzen und Antagonismen.

Erhellend und analytisch wertvoll ist ebenfalls der Beitrag „Die Macht, das Subjekt und das Sexualdispositiv: Michel Foucaults Diskurs der Gegenaufklärung“ von Silke Edelmann (S. 21–31). Dort ist im „Fazit“ zu lesen:

Man könnte meinen, die Geschichte gäbe ihm Recht: Diejenigen, die sich auf ihn berufen, Foucaults Nachfolger, scheinen sich nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs, sondern auch im politischen Alltag zunehmend durchzusetzen. Man könnte meinen, eine neue Episteme stehe vor der Tür. Foucaults Traum von einer Gesellschaft, in der der Einzelne sich seine Identität selber konstruieren kann und die Zweigeschlechtlichkeit keine Rolle mehr spielt, spiegelt sich in den Medien, der Politik und Zukunffstrends: „Innovation schlägt Tradition, das Geschlecht verliert das Schicksalhafte, die Zielgruppe an Verbindlichkeit. Noch nie hat die Tatsache, ob jemand als Mann oder Frau geboren wird und aufwächst, weniger darüber ausgesagt, wie Biografien verlaufen werden. Der Trend veränderter Rollenmuster und aufbrechender Geschlechterstereotype sorgt für einen radikalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Das starke Ich schlägt das alte Frau/Mann-Schema und schafft eine neue Kultur des Pluralismus.“

Die foucaultsche Denke manifestiert sich etwa in einer Bildungspolitik, die Kinder so früh wie möglich mit diversen sexuellen Empfindungen und Identitäten in Berührung bringt, damit sie als Erwachsene in der Lage sind, „die eigenen Lüste und die Lüste der anderen zur Erfindung einer neuen Sozialität zu benutzen“55. Das „Regenbogenportal“ des Bundesfamilienministeriums, bei dem sich junge Menschen darüber informieren können, dass „Geschlecht, Sexualität und Begehren auf vielfältige Weise gelebt werden, wird gesellschaftlich und politisch immer mehr anerkannt.“56 Und dass sich die Zweigeschlechtlichkeit nur durchsetzen konnte, weil zwar die Natur, nicht aber die Gesellschaft die Vielfalt mochte.

Auch Foucaults Feststellung, dass neue Episteme, wenn sie sich durchsetzen, alte zum Schweigen bringen, scheint sich zu bewahrheiten: gesellschaftspolitische Positionen, die vor wenigen Jahren noch selbstverständlich schienen, werden mit großer Vehemenz aus dem Diskurs gedrängt. Es gilt die Räume
der Auseinandersetzung, auch angesichts sich ideologisch verhärtender Fronten, im Glauben an Vernunft, Dialog und Werte, die konstruierte Episteme überdauern, offenzuhalten.

Das Bulletin kann hier – übrigens kostenlos – bestellt werden: www.dijg.de.

Katholische Kirche veröffentlicht umstrittenes Papier zur Prävention von Kindesmissbrauch

Die katholische Kirche in Deutschland hat ein Papier zur Prävention von Kindesmissbrauch veröffentlicht. Der Elternverein NRW e.V. schlägt allerdings Alarm. Zurecht. Denn in dem Papier werden ausgerechnet solche Pädagogen in Anspruch genommen, denen eine Nähe zur Pädosexualität nachgesagt bzw. nachgewiesen wurde: nämlich Uwe Sielert und Michel Foucault.

In dem Schreiben heißt es:

Als Vertreter der Elternschaft stehen wir ohne jedes Verständnis und zutiefst besorgt vor der Tatsache, dass die katholische Kirche ihre Präventionsarbeit auf dieser im Ansatz pädophilen „sexuellen Bildung“ aufbauen will. Nicht nur werden dort mögliche Täter geradezu dazu eingeladen, Kinder frühzeitig sexuell zu stimulieren. Hinter diesem Sielert`schen Begriff verbirgt sich darüber hinaus eine bewusste Umerziehung der Kinder und Jugendlichen: „Das heißt also auch, Heterosexualität, Generativität und Kernfamilie zu `entnaturalisieren´ und Sexualpädagogik daraufhin zu überprüfen, inwiefern sie die Möglichkeit zur selbstbestimmten Lebensführung einschränkt, wenn durch ihre Intentionen und Maßnahmen explizit oder implizit nahe gelegt wird, heterosexuell und in Kernfamilien mit leiblichen Kindern zu leben.“ Das nennt man Indoktrination. Entsprechend nennt das Positionspapier „Klischees und gesellschaftliche Bilder, die Normen schaffen.“ Die Kernfamilie aus Vater, Mutter und Kindern, ein Familienbild, das in unserem Land von der Mehrheit der Familien gewünscht und gelebt wird, wird hier als Klischee und einschränkendes Lebenskonzept abgewertet. Im Blick auf die Prinzipien Sielerts verwundert es dann leider auch nicht, dass in diesem „katholischen“ Papier zur Prävention und sexueller Bildung die Worte Ehe, Familie, Liebe und Sexualität als Sprache der Liebe und Kraft der Bindung, sowie Quelle des Lebens nicht vorkommen.

Wir Eltern sind zutiefst beunruhigt über diesen Paradigmenwechsel der Katholischen Kirche im Verständnis von Sexualität, betrifft es doch die Arbeit der Kirche in ihren vielfältigen Jugendgruppen, aber auch in katholischen Kindergärten und Schulen – es geht also um Millionen von Kindern. Wir wünschen unseren Kindern ein glückliches Leben, ein Leben, das ihnen ermöglicht, ihren Traum vom Glück zu verwirklichen: nach wie vor wünschen sich zwischen 70 und 80 Prozent der Jugendlichen eine auf Dauer angelegte Beziehung zwischen Mann und Frau und eigene Kinder.

Zur Verwirklichung dieses Traumes bedarf es seelischer Ressourcen, nämlich der Bindungsfähigkeit, der Selbstdisziplin, der Treue und der Verantwortungsfähigkeit. Wer seine Sexualität isoliert als Quelle der Lust lebt, also Unverbindlichkeit und sofortige Bedürfnisbefriedigung einübt, wird sich den Traum von einer glücklichen Familie kaum erfüllen können.

Die WELT schreibt dazu:

Als heikel kann das Papier der katholischen Kirche auch gelten, weil der einflussreiche französische Philosoph Michel Foucault darin als Experte zitiert und eines seiner Bücher als weiterführende Literatur empfohlen wird.

Foucault verstarb 1984; jüngst gab es aber Aufruhr um ihn. Der Vorwurf: Ende der 1960er-Jahre soll er sich bei seinen Aufenthalten in Tunesien an kleinen Jungen vergangen haben. Das behauptete der Essayist Guy Sorman in einem Buch und in zwei Interviews. Die französische Journalistin Chantal Charpentier bekräftigte diese – nicht bewiesenen – Vorwürfe in einem Interview mit der „Zeit“.

Fakt ist: 1977 unterzeichnete er einen Aufruf gegen ein Gesetz, dass Sex mit Kindern unter 15 Jahren unter Strafe stellen sollte. Seine Erklärung „Jedenfalls hat eine gesetzlich festgelegte Altersgrenze keinen Sinn. Noch einmal, man kann dem Kind zutrauen, selbst zu sagen, ob ihm Gewalt angetan worden ist oder nicht.“

Weiter sagt er, der moderne Staat stilisiere Pädophile zu gefährlichen Individuen und benutze sie, um immer tiefere Eingriffe in das Sexualleben der Bürger zu rechtfertigen. Dies ist etwa im Buch „Die Grünen und die Pädosexualität“ beschrieben.

Etschenberg widerspricht Foucault: „Kinder können überhaupt nicht abschätzen, was bei einem Erwachsenen, der mit ihnen sexuell aktiv wird, passiert.“

Auf Anfrage heißt es seitens der Bischofskonferenz, dass die Vorwürfe gegen Foucault zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Positionspapiers noch nicht bekannt gewesen seien: „Wie damit im Weiteren umzugehen ist, beobachten wir aufmerksam und werden ggf. Konsequenzen ziehen.“ Das stimmt zwar bezogen auf die jüngsten Pädophilie-Vorwürfe. Seine Aussagen sind aber seit den späten 70er-Jahren bekannt.

Postmoderne Theorien fördern intellektuelle Regression und Gewalt

Ich zitiere heute Nico Hoppe, der in Leipzig Philosophie studiert und offensichtlich unter der Verblödung, die mit der Vereinnahmung der Geisteswissenschaften durch postmoderne Theorien einhergeht, ziemlich leidet. Aber nicht nur das. Er erkennt auch – und ich stimme ihm darin zu – die faschistischen Momente dieses spätmodernen Aufbäumens. Vielleicht ist „Krieg dem Ganzen“ ja wörtlicher zu verstehen, als wir das wahrhaben wollten? Es wäre wirklich schön, wenn wenigsten einige Theologen der Postmoderne die Irrwege durchschauten und umkehrten.

Aber nun einige Zitate (FAZ, 17.02.2020, Nr. 40, S. N4):

Seit einigen Jahren werden an den Universitäten der westlichen Welt jene Konzepte erprobt, die später von Medien, Wirtschaft und Politik übernommen werden. Ob es sich um Inklusionsregeln, die Auflösung des körperlichen Geschlechts oder die Ansicht handelt, der Wert einer Aussage sei an der Herkunft des Sprechers zu messen – sie alle wurden zuerst an Hochschulen populär, bevor sie praktischen Einfluss auf Politik und Gesellschaft nahmen. Gemeinsam ist diesen Konzepten auch die Herkunft aus dem französischen Poststrukturalismus und den postmodernen Theorien, die seit den neunziger Jahren an amerikanischen Universitäten Karriere machten.

Die Begriffe des Wissens, der (Fortschritts-)Geschichte und des Menschen (Michel Foucault und Jean-François Lyotard), der Rationalität und der Psychoanalyse (Gilles Deleuze und Félix Guattari), des Subjekts (Jacques Derrida) sowie der Identität und des Körpers (Judith Butler) sollen als konstruierte Narrative entlarvt und dekonstruiert werden. Die beiden Todfeinde sind Metaphysik und Essentialismus, worunter schon die Annahme eines Wesens im Gegensatz zur Erscheinung fällt. Immer wiederkehrende Schlüsselbegriffe sind der alles bestimmende Diskurs nebst der unhintergehbaren Macht, die er über die Subjekte ausübt. Der Begriff der Wahrheit wird dem Recht des Stärkeren geopfert: Geltung ersetzt Objektivität.

Der Poststrukturalismus erliegt dem Missverständnis, der Bruch mit der Tradition und die Dekonstruktion des Überkommenen seien allein schon progressiv. Die Ersetzung der alten Oberbegriffe von Wahrheit und Vernunft durch unzugängliche Prinzipien wie die Differenz schafft nur neue Kerker des Denkens.

Man erliegt dem Faszinosum des Umbruchs und gefällt sich auch außerhalb der Universität im blinden Zuschütten des scheinbar Überkommenen (von Familie, Nation, Staat und Religion über tradierte Sprache bis hin zum bürgerlichen Ideal zivilisierter Distanziertheit), ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass gerade die kulturrevolutionäre Raserei gegen die Tradition stetes Attribut faschistischer Bewegungen war. Vom postmodernen Aufbäumen ist deshalb nicht Befreiung, sondern fortschreitende Regression zu erwarten.

Frankreichs Enthüllungsbücher

Frankreich wird derzeit durch Enthüllungsbücher über Inzest und Pädosexualität erschüttert. Höchste Kreise des Landes sind betroffen (siehe hier und hier). Camille Kouchner, die eines dieser Werke geschrieben hat, ist die Tochter von Evelyne Pisier und Bernard Kouchner. Ihre Mutter war militante Feministin, eine Zeit lang sogar die Geliebte von Fidel Castro. Der Vater war einst Außenminister, Präsident des Rats der Europäischen Union und hat „Ärzte ohne Grenzen“ begründet. Er gehörte zum Kern der sogenannten „Neuen Philosophen“ um André Glucksmann und Bernard-Henri Lévy.

Was die Sache jenseits des Kinderleids so bedrückend macht: Das ideologische Futter für Entkriminalisierung der Pädosexualität wurden von französischen Intellektuellen schon in den 70-er Jahren bereitgestellt. Es waren Lehrer, die in der Pädagogik und Philosophie der Postmoderne nach wie vor hohes Ansehen genießen, unter ihnen Michel Foucault, Roland Barthes, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und der besagte Bernard Kouchner. An diesen Autoren kommt kaum jemand vorbei, der heute ein Lehramt oder Pädagogik studiert, wobei über ihre „Theorien“ nur selten kritisch reflektiert wird.

Danny Michelsen beschreibt in dem von Franz Walter et. al. herausgegeben Buch Die Grünen und die Pädosexualität (2015, S. 23) die Ereignisse rund um den „Offenen Brief zur Überarbeitung des Gesetzes über Sexualdelikte an Minderjährigen“:

Die Regulierung sexueller Praktiken, gerade auch die Sanktionierung von Perversionen, wurde von vielen jungen, sich als fortschrittlich verstehenden Sexualforschern ausschließlich als Herrschaftsinstrument interpretiert, durch das die gesunde sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gestört werde. Wenn manche von ihnen die Gefahren »asozialer« Triebregungen betonten, versicherten sie zugleich, dass der Sexualtrieb »seine eigene Ordnung« habe, »die sich desto wirkungsvoller durchsetzt, je ungestörter durch äußere Hemmungen die sexuellen Bedürfnisse befriedigt werden können«. Diese Überzeugung floss in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden in die Debatten rund um die Reformierung des Sexualstrafrechts ein. Der deutsche Gesetzgeber differenzierte 1973 die bislang geltenden Unzuchtstatbestände aus und schuf so einen »strafrechtlichen Rundumschutz des Kindes vor sexuellen Kontakten jeglicher Art mit einem Erwachsenen«.

In Frankreich gab es ähnliche Bestrebungen; 1977 unterzeichneten jedoch zahlreiche Gelehrte und Schriftsteller eine Petition gegen ein Gesetz, das Sex mit Kindern unter 15 Jahren unter Strafe stellen sollte: Neben Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Jacques Derrida und Roland Barthes hatte auch Michel Foucault, der zur selben Zeit mit seinem diskursanalytischen Ansatz die historische Erforschung der Sexualität in neue Bahnen lenkte, sich gegen das Gesetz ausgesprochen. Eines seiner Hauptargumente lautete: Der moderne Staat stilisiere Pädophile zu gefährlichen Individuen und benutze sie, um immer tiefere Eingriffe in das Sexualleben der Bürger zu rechtfertigen. Dabei, so Foucault, sei es vermessen, von psychiatrischen Gutachtern anzunehmen, dass sie die Wünsche von Kindern deuten könnten und dass es so etwas wie eine essentielle »Natur« der kindlichen Sexualität gebe. Seines Erachtens gebe es keinen Grund, warum sexuelle Beziehungen, in die Kinder einwilligen, nicht erlaubt sein sollten: »Jedenfalls hat eine gesetzlich festgelegte Altersgrenze keinen Sinn. Noch einmal, man kann dem Kind zutrauen, selbst zu sagen, ob ihm Gewalt angetan worden ist oder nicht.«

Die linke Elite und die Pansexualisierung des Alltags

Als der emeritierte Papst Joseph Ratzinger der 68er-Generation eine Mitverantwortung an der sexuellen Verwahrlosung und dem verbreiteten Missbrauch unter Minderjährigen gab, löste dies im Feuilleton eine Welle der Entrüstung aus. Die TAZ sprach schnell von einer Umkehrung. Ratzinger erkläre die Täter, also vor allem die Geistlichen, zu Opfern. Den Emanzipationsprozess, den die 68er herbeigeführt hätten, instrumentalisiere er nur, um die totalitäre Herrschaft der Kirche zu sichern.

Ich will die Probleme in den Kirchen nicht kleinreden. Allerdings bin ich der Auffassung, dass die journalistische Elite gern übersieht, wie tief das existentialistische und postmoderne Vordenkermilieu in die Pansexualisierung des Alltags verstrickt ist. Wer mir nicht glaubt, beschäftige sich etwa mit Georges Bataille oder den Überschreitungen von Michel Foucault (dem großen Pädagogen der Gegenwart, siehe dazu z.B. hier). Und Libération, früher maoistisches Kampfblatt der Linken in Frankreich, setzte in den 70ern starke Akzente für die Entkriminalisierung und kulturelle Wertschätzung der Pädophilie. Offensichtlich durften sich manche Mentoren der Bewegung bis in unsere Tage hinein austoben, ohne das jemand daran Anstoß genommen hat.

Das sollte sich ändern. Der aktuelle Skandal um den Schriftsteller Gabriel Matzneff, der gerade den Kulturbetrieb Frankreichs erschüttert, dürfte nur ein Vorbeben sein.

Die FAZ berichtet:

Im Jahr 1977 erschien in „Le Monde“ ein Aufruf, in dem die Aufhebung des französischen Verbots der Pädophilie gefordert wurde. Anlass war ein Prozess wegen Unzucht mit Zwölfjährigen. Unterzeichnet hatten den Text Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, Louis Aragon, Roland Barthes, Gilles Deleuze. Auch Jacques Derrida, Françoise Dolto, Louis Althusser, André Glucksmann, Philippe Sollers und Catherine Millet. Die späteren Minister Bernard Kouchner (Ärzte ohne Grenzen) und Jack Lang, die emblematische Figur der linken Kulturpolitik, zählten gleichfalls zu den Unterzeichnern. „Es reicht“, forderte die Petition: „Drei Jahre Gefängnis für Zärtlichkeiten und Küsse ohne Gewalt“ drohten den Angeklagten.

Wenn Ratzinger als zentrale Ursache für Missbrauch die Gottlosigkeit nennt, dürfte er – das werden wohl die meisten erst im Rückblick verstehen – Recht haben. Ergänzen sollten wir freilich: Die Gottlosigkeit fühlt sich auch in den Kirchen recht wohl.

Eine klare Leseempfehlung, auch wenn es für manche schwere Kost sein dürfte: www.faz.net.

Ein Junge in Mädchenkleidern

Die FAZ berichtet in der Ausgabe vom 2. Januar 2020 über Bemühungen in den USA, unter Kindern die Geschlechteridentität gezielt zu dekonstruieren. In dem Artikel „Ein Junge in Mädchenkleidern“ schildert Christiane Heil die missionarischen Aktivitäten von Dragqueens (eine Dragqueen ist ein Mann, der sich wie eine Frau kleidet und verhält) in Spiel- und Lesestunden unter zwei- bis ungefähr fünfjährigen Kindern (FAZ, Nr. 1, 02.01.2010, S. 9). Ausführungen dieser sogenannten „Drag Queen Story Hour“ gibt es inzwischen in etwa 30 Bundesstaaten.

Was soll damit erreicht werden?

Das Ziel des Projekts „Drag Queen Story Hour“? „Vorstellungskraft und Spiel der kindlichen Gender-Fluidität zu unterstützen und Kindern glamouröse, positive und unverfrorene queere Vorbilderzu präsentieren“ , heißt es im Programm des im Jahr 2015 in San Francisco gegründeten Vereins. Seit zwei Jahren ist auch Harmonica Sunbeam dabei. In den Zeiten von Identitätspolitik und Diversität will sie einen Beitrag für mehr Toleranz leisten. Die Dragqueen tritt seit fast 30 Jahren in Nachtclubs, Bars und Fernsehserien wie „Law & Order“ oder „The Deuce“ auf. Zu Vorlesungsstunden in Frauenkleidern war es eher ein kleiner Schritt: „Dragqueens wissen, wie man mit Publikum umgeht. Kleine Kinder sind betrunkenen Erwachsenen nicht unähnlich.“

Durch solche Verstörungen wird die intuitive Identität von Kindern geschwächt, um sie auf die Annahme konstruierter sozialer Identitäten vorzubereiten. Ein verunsichertes Kind ist nämlich offener für eine Neuformatierung. Vor 13 Jahren schrieb ich dazu (Die Postmoderne, 2007, S. 54–55):

Auch die geschlechtliche Polarität, die in der Bibel mit dem göttlichen Schöpfungsakt begründet wird (vgl. 1. Mose 1,27) und die in der Neuzeit noch selbstverständlich akzeptiert wurde, löst sich allmählich auf. Die Zweigeschlechtlichkeit wird unmerklich durch ein multiples Geschlechterkonzept ersetzt, das die Fixierung auf die Pole „männlich“ und „weiblich“ fallen lässt.

Möglich wird dies durch die Unterscheidung zwischen biologischen und sozial erlernbaren Geschlechterrollen. Sprachlich differenziert man im Englischen zwischen biologischem (engl. sex) und soziokulturellem Geschlecht (engl. gender). Die biologischen Anlagen sind nicht determinierend, sondern lassen eine Geschlechterentwicklung entlang eines Spektrums zwischen männlich und weiblich zu. Die geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen werden sozial erlernt. Die Politik der Zukunft habe sich an diesem erlernten Geschlecht zu orientieren, die Genderaspekte und -perspektiven hätten in das Zentrum der Gleichstellungspolitik zu rücken.

Schon mehrere Feministinnen hatten die Orientierung am biologischen Geschlecht kritisiert. Allerdings akzeptierten sie das biologische Geschlecht als naturgegeben. Die in der Tradition Michel Foucaults stehende amerikanische Literaturwissenschaftlerin Judith Butler (*1956) hat die moderne feministische Kritik an den Geschlechterrollen weiter radikalisiert und sich gegen eine „Zwangsheterosexualität“ gestemmt. Durch eine Neubesetzung der Sprache müssten die bestehenden Kategorien von Mann und Frau verwischt werden. Konstantin Mascher schreibt über Butler: „Durch Parodie und Travestie (Verkleidung) werde, so schreibt sie, die Brüchigkeit der Zuordnungsmuster am deutlichsten entlarvt. Die offensichtliche Unnatürlichkeit der Maskerade hinterfrage die ‚Natürlichkeit‘ jeglicher ‚Geschlechtsidentität‘. Nach diesen Maßstäben wird die medienträchtige karnevalistische ‚Gay Pride‘ oder ‚Gay Parade‘ zur politisch wirksamsten Demonstration einer sich neu formierenden ‚fließenden Identität‘.“

Das Geschlecht wird nach Meinung führender Gender-Propagandisten durch soziale Interaktionen erzeugt. Die Art und Weise, wie sich Menschen mit ihren Körpern zueinander verhalten, gestaltet das Geschlecht (Doing Gender). Das Geschlecht ist also nicht fixiert, sondern fließend und grenzüberschreitend. Menschen können es im Verlauf ihres Lebens (mehrmals) wechseln, und die Festlegung auf nur zwei Geschlechter ist obsolet. Geschlechtliche Identität ist keine Frage der biologischen Statik, sondern der dynamischen Performanz.

Auch die staatlich und europäisch geförderte Politik des Gender Mainstreaming ist von gemäßigten Versionen dieses Ansatzes beeinflusst. Es handelt sich dabei um eine „Strategie, um alle Akteure in allen Handlungsfeldern, wie z.B. Rechtsetzung, Berichtswesen oder Forschung, sowie in allen Sachgebieten, wie z.B. Wirtschaft, Finanzen oder Familie, zu befähigen, gleichstellungsorientiert zu handeln“. „Jeder soll ein neues so genanntes kulturelles, ‚soziales Geschlecht‘ bekommen, ein Gender, das er selbst bestimmen kann, und dies völlig unabhängig von seinem biologischen Geschlecht.“

Politische Geschlechtsumwandlung

Wir haben hier schon mehrfach über die Bedeutung von „Gender Mainstreaming“ diskutiert (z.B. hier). Ich empfehle an dieser Stelle ein Büchlein, das Volker Zastrow vor 11 Jahren herausgebracht hat. Die These des FAS-Redakteurs:

Die Gender-Theorie ist eine sozialrevolutionäre Ideologie, die darauf zielt, die Geschlechterrollen zu zerstören – weil sie diese Rollen für künstlich, also beliebig formbar hält. Und das „Mainstreaming“-Konzept ist eine politische Technik, die das durchsetzen soll. Die EU hat sie sich zu eigen gemacht, die Bundesrepublik Deutschland inzwischen auch. Was heute die Politik bestimmt, begann vor vierzig Jahren in Baltimore mit einem unverantwortlichen Menschenversuch …

Ein längeres Zitat (Gender: Politische Geschlechtsumwandlung, 4. Aufl., 2016, 60 S., S. 14–17):

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Auf der Internetseite des Familienministeriums wird das zuvor noch zurückhaltend dargebotene Gender Mainstreaming inzwischen prominenter präsentiert. Bei flüchtiger Lektüre gewinnt man den Eindruck, es gehe darum, Frauen wie Männern gleichermaßen zur Durchsetzung ihrer Wünsche zu verhelfen; bunte Bildchen wie aus Immobilienprospekten zeigen junge Fotomodelle mit glücklichen Zähnen. Forscht man ein wenig weiter, wird man damit vertraut gemacht, daß der Begriff „Gender“ sowohl „gesellschaftlich als auch sozial und kulturell geprägte Geschlechtsrollen“ bezeichne, die als „veränderbar“ charakterisiert werden.

Daß sie verändert werden sollen, schwingt mit, wird aber zunächst nicht gesagt. Der Sinn bleibt dunkel, denn die Reihung der Adjektive ist abstrus: „gesellschaftlich“ und „sozial“ bedeutet dasselbe, während „kulturell“ und „sozial“ nicht gegeneinander abgegrenzt werden kann. In einschlägigen Gender-Texten wird hier das Adjektiv „traditionell“ benutzt: gemeint sind also offenbar herkömmliche oder überkommene Vorstellungen vom Geschlecht.

Sodann erfährt man, daß vom Familienministerium aus das „Gender Mainstreaming“ als sogenannte „geschlechtersensible Sichtweise“ ressortübergreifend in die Arbeit der Bundesregierung „implementiert“, eingespeist, worden ist. Dabei ist das schon erwähnte „GenderKompetenzZentrum“ behilflich. Doch auch dessen öffentliche Selbstdarstellung macht es nicht einfach, einen Begriff davon zu bekommen, was „Gender Mainstreaming“ eigentlich bedeuten soll, wie man es übersetzen könnte, wer diesen Begriff oder seine Theorie eigentlich erdacht hat. Erst wenn man tiefer hinabtaucht, stößt man auf Material zur feministischen Theorie und „aktuelle Erkenntnisse der Geschlechterforschung zum Beispiel zu Männlichkeit, Weiblichkeit und Intersexualität“.

Die bedeutendsten intellektuellen Leitfiguren dieser Forschung sind der 1984 an Aids-Folgen verstorbene französische Philosoph Michel Foucault (geboren 1926) sowie die in Berkeley lehrende Amerikanerin Judith Butler (1959). Foucaults Aneignung durch den Feminismus ist verschiedenthch bemerkt worden, in erster Linie handelt es sich dabei aber um die Übernahme der Körper- und Identitätstheorien eines homosexuellen Mannes durch homosexuelle Frauen. Judith Butler ist auch dabei maßgeblich, spätestens seit Beginn der neunziger Jahre hat sie sich als eine Meisterdenkerin des Gender-Begriffs und seiner Fortentwicklung in der „Queer-Theorie“ etabliert. Diese wird treffend als „inclusive umbrella label for all gendernauts and sexual outlaws, a cover-all term for lesbians, bisexuals, gays and transgendered people“ beschrieben: als ein gemeinsamer Schirm für alle „Gendernauten“ und sexuell Gesetzlosen, ein Dach für Lesben, Bisexuelle, Schwule und „Hinübergeschlechtliche“, wie „transgendered people“ in der Szene scherzhaft übersetzt wird — die Ausdrücke „Transvestit“ und „Transsexueller“ sind dort verpönt.

Und damit endlich ist man beim theoretischen Kern des „Gender“-Begriffs. Er meint nämlich keineswegs die Existenz sozialer Geschlechterrollen und deren Merkmale: also eine Banalität, an die feministische Klassikerinnen wie Betty Friedan noch anknüpften. Vielmehr behauptet „Gender“ in letzter Konsequenz, daß es biologisches Geschlecht nicht gebe. Die Einteilung der Neugeborenen in Jungen und Mädchen sei Willkür, ebensowohl könnte man sie auch nach ganz anderen Gesichtspunkten unterscheiden, etwa in Große und Kleine. Daher hege bereits in der Annahme der Existenz von Geschlecht eine letztlich gewalthafte Zuweisung von Identität: die „heterosexuelle Matrix“.

Als einführendes Traktat kann ich Gender: Politische Geschlechtsumwandlung sehr empfehlen! Es ist bedrückend, zu lesen, wie sich die von John Money behauptete strenge Unterscheidung zwischen „gender identity“ und „gender role“ durchgesetzt hat, obwohl seine Forschungen kläglich und tragisch gescheitert sind und eine Begründung bis heute fehlt. In Deutschland haben u.a. Feministinnen wie Alice Schwarzer,  Barbara Herlfferich oder Ursula von der Leyen mit ihrer nachhaltigen Lobbyarbeit der sozialrevolutionären Ideologie zum Durchbruch verholfen. Die derzeit so gefeierte „Ehe für alle“ ist da nur ein Meilenstein, dem weitere folgen werden.

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