Philosophie

Irrungen der „linken“ Evangelikalen

Chelsen Vicari hat für das Magazin Charisma einen aufrüttelnden Artikel über die Irrungen der „linken“, „postmodernen“ oder „progressiven“ Evangelikalen geschrieben. Darin heißt es:

Popular liberal evangelical writers and preachers tell young evangelicals that if they accept abortion and same-sex marriage, then the media, academia and Hollywood will finally accept Christians. Out of fear of being falsely dubbed „intolerant“ or „uncompassionate,“ many young Christians are buying into theological falsehoods. Instead of standing up as a voice for the innocent unborn or marriage as God intended, millennials are forgoing the authority of Scripture and embracing a couch potato, cafeteria-style Christianity all in the name of tolerance.

This contemporary mindset is what Dietrich Bonhoeffer, the German theologian whose Christian convictions put him at odds with the Nazis and cost him his life, called „cheap grace.“ In his book The Cost of Discipleship Bonhoeffer wrote: „Cheap grace is the preaching of forgiveness without requiring repentance, baptism without church discipline, Communion without confession, absolution without personal confession. Cheap grace is grace without discipleship, grace without the cross, grace without Jesus Christ, living and incarnate.“

Right now cheap grace theology is proliferating around evangelical Bible colleges, seminaries and Christian ministries.

Mehr: www.charismamag.com.

Os Guinness‘ Freundschaft mit Francis Schaeffer

In dem folgenden Vortrag spricht Os Guinness über Francis Schaeffer und den postmodernen Skeptizismus. Diesen Vortrag sollte sich jeder anhören, der sich für Schaeffer interessiert. Vielleicht findet ja sogar jemand die Zeit für eine Übersetzung?

Hier der Vortrag: www.bethinking.org.

Die Rückkehr des Absoluten

Im 20. Jahrhundert ist das moderne Weltbild, das stark von den Naturwissenschaften und der Suche nach  Einheit geprägt war, zunehmend unter Druck geraten. Nicht mehr die Wirklichkeit, an der sich verschiedenste Deutungen abarbeiten und bewähren müssen, stand im Zentrum menschlicher Erkenntnisbemühungen, sondern ihre ausschließlich in Sprache entworfenen Interpretationen. Anstelle der Annahme, Sprache sei ein geeignetes Mittel, um Wirklichkeit abzubilden, zu verstehen und zu vermitteln, trat die Überzeugung, Sprache sei eine unhintergehbare Bedingung menschlichen Denkens. Jede menschliche Erkenntnis sei durch Sprache strukturiert. Alle Realität jenseits von Sprache bleibe für immer unerreichbar. Der Mensch sei wie in einem Gefängnis eingeschlossen in der Welt seiner Sprache.

So wurden Dekonstruktivismus, Konstruktivismus und Relativismus populär: Da die Bedeutung unserer Begriffe durch ihren Gebrauch innerhalb von sozialen Gemeinschaften (oder Kulturen) bestimmt wird, stellen wir Wirklichkeit in einem andauernden Vollzug des miteinander Redens und Handelns her. Jede Gemeinschaft spricht dabei ihre eigene Sprache, schafft sich je eigene Welten (oder Sprachspiele). So gibt es so viele Welten, wie es soziale Gemeinschaften gibt und so viele Wahrheiten wie Gemeinschaften. Philosophie beschreibt folglich nicht die Welt, wie sie ist, sondern ist Vorstellung, die in verschiedenen Gruppenkulturen und Kontexten entworfen wird. Die Suche nach Einheit kann unter diesen Voraussetzungen nur in den Terror führen. Einer der achtenswertesten Denker der Postmoderne forderte entsprechend: „Krieg dem Ganzen, …, aktivieren wir die Widerstreite“ „Jean-François Lyotard, „Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?“, in: Peter Engelmann (Hg.), Postmoderne und Dekonstruktion, 1990, S. 33–48, hier S. 48).

Unknown 1Mit zwei neuen geisteswissenschaftlichen Strömungen, dem „Neue Realismus“ und dem „Spekulative Realismus“, kehrt das Absolute nun allmählich zurück. Unter dem Dekonstruktionsdrang der postmodernen Denkkultur ist ihrer Meinung nach die wirkliche Welt zu einer Fabel geworden (M. Ferraris, Manifest des neuen Realismus  2014, S. 15–17). Die Kinder und Enkelkinder der postmodernen Geisteswissenschaften bereiten einen „Paradigmenwechsel“ vor. Ihr gemeinsamer Absetzungspunkt ist eine „spätestens seit Ende des 20. Jahrhunderts erschöpfte (post)moderne Kondition“. Charakteristisch für die Denkansätze ist „ihr positives Verhältnis zur Ontologie und ihr entspannter Umgang mit der Metaphysik“ (A. Avanessian (Hg.), Realismus jetzt, 2013, S. 6.). „Im Zentrum des Interesses steht eine Realität“, schreibt Avenessian, „die sich indifferent zur subjektiv-humanen Erkenntnis verhält und sich nicht über ein subjektivistisch oder anthropozentrisch bedingtes Wissen vermitteln lässt, also nicht primär kulturell, linguistisch, politisch oder historisch kodifiziert ist“ (A. Avanessian (Hg.), Realismus jetzt, 2013, S. 8).

Wolfgang Welsch trauert dem alten Denken mit keiner Silbe nach. Er schreibt (Wolfgang Welsch, Mensch und Welt, 2012, S. 23–24):

„Denn das Befangensein in dieser [postmodernen, R.K.] Denkform lähmt unser Denken. Man weiß immer schon die Antwort auf alle Fragen. Sie lautet: ‚Es ist der Mensch.‘ Diese Trivialität aber erstickt unser Denken, statt ihm Atem zu verleihen. In der Tat scheint die zeitgenössische philosophische und intellektuelle Szenerie eigentümlich gelähmt. Gewiss ist die Betriebsamkeit immens und die Differenziertheit im Detail beeindruckend. Aber alles dreht sich in einem zum Überdruss bekannten Kreis. Bei allem, was wir im Einzelnen noch nicht wissen mögen und uns zu erforschen vornehmen, halten wir doch eines stets vorweg schon für sicher: dass all unser Erkennen, das gegenwärtige wie das zukünftige, menschlich gebunden ist und nichts anderes als menschlich bedingte und bloß menschlich gültige Einsichten hervorbringen wird. Noch das heutige Alltagsbewusstsein ist davon bis zur Bewusstlosigkeit durchdrungen. Wenn wir in der Moderne noch eine Gemeinsamkeit haben, dann den Glauben, dass unser Weltzugang in allem menschgebunden (kontext-, sozial-, kulturgebunden) ist. Das ist die tiefste communis opinio des modernen Menschen. Wenn jemand diese Auffassung hingegen nicht teilt und kritische Fragen zu stellen beginnt, dann reibt man sich verwundert die Augen: Dieser Kerl scheint nicht von dieser Welt zu sein – anscheinend ist er verrückt.“

UnknownDer Postmodernismus ist aus der Überzeugung erwachsen, „dass alles Wesentliche oder überhaupt alles konstruiert sei – von der Sprache, von den Begriffsschemata, von den Medien“ (M. Ferraris, „Was ist der neue Realismus?“, in: M., Der Neue Realismus  2014, S. 52–75, hier S. 52). Viele zeitgenössischen Philosophen sagen dagegen: „Nein, irgendetwas, sogar deutlich mehr, als wir üblicherweise bereit sind zuzugeben, ist nicht konstruiert, und das ist ein Glück, andernfalls könnten wir zwischen Traum und Wirklichkeit nicht unterscheiden“ (M. Ferraris, „Was ist der neue Realismus?“, 2014, S. 52). „Es gibt ein Absolutes, das nicht auf das Denken angewiesen ist, sondern unabhängig von jeder kognitiven Bezugnahme existiert“ (A. Avanessian, „Editorial“, in: Armen Avanessian (Hg.), Realismus jetzt, 2013, S. 7).

31XCHlQGryL AA160Die Kultur des „anything goes“, die sowieso nur in einigen elitären Zirkeln und im Medienpopulismus zelebriert wird, erfährt also eine Umwandlung. Das neue Denken richtet sich wieder stärker an einer vorgegebenen Wirklichkeit aus. Die realistischen Strömungen rehabilitieren die durch den Postmodernismus verwischte Unterscheidung zwischen dem, was es gibt (Ontologie) und jenem, was wir erkennen (Epistemologie).

Christen, die im Blick auf die Kultur des Unglaubens sprachfähig bleiben möchten, sind gut beraten, wenn sie sich auf das neue Klima einstellen. Das Reale, die Metaphysik, das Vernünftige, das Klare, werden zurückkehren.

Die Marke Heidegger

Eggert stellt in einem ZEIT-Artikel die These auf, dass die Familie des Philosophen jahrzehntelang versuchte, dass Image des Denkers zu kontrollieren und kritische Stimmen klein zu halten.

Als Anfang des Jahres Martin Heideggers Schwarze Hefte veröffentlicht wurden, war das Entsetzen in der Öffentlichkeit groß. In seinen geheimen Notizbüchern legte der Philosoph eine Judenfeindschaft an den Tag, die selbst seine Kritiker kaum für möglich gehalten hätten. Heidegger sprach vom Krieg des „Weltjudentums”, und noch nach 1945 beklagte er eine jüdische „Rachsucht”, deren Ziel es sei, die „Deutschen geistig und geschichtlich auszulöschen”. Nicht einmal erwähnt, geschweige denn bedauert werden die Opfer des Holocausts.

Doch warum erfuhr die Öffentlichkeit erst so spät von Heideggers Judenfeindschaft? Und wenn der Antisemitismus seine Philosophie viel tiefer prägte als bisher gedacht: Sollten sich davon nicht Spuren in der Gesamtausgabe finden lassen, die seit 1975 im Verlag Vittorio Klostermann erscheint?

Es gibt Spuren, aber sie wurden von den Erben mit Eifer verwischt. Die Erben üben eine strikte Kontrolle über die Gesamtausgabe aus, sie beanspruchen Deutungshoheit über das Heidegger-Bild in der Öffentlichkeit und versuchen, kritische Stimmen klein zu halten.

Wie diese Kontrolle funktioniert, hat zum Beispiel Peter Trawny erlebt, heute Professor in Wuppertal und Herausgeber der Schwarzen Hefte. 1995 betrauten ihn Professor Friedrich-Wilhelm von Herrmann, letzter Privatassistent Martin Heideggers und „leitender Herausgeber” der Gesamtausgabe, sowie Hermann Heidegger, Sohn Martins und Nachlassverwalter, mit der Herausgabe von Band 69 – der um 1938 geschriebenen Geschichte des Seyns.

Trawny machte eine erschreckende Entdeckung. Er stieß in der Handschrift auf eine Passage, in der Heidegger fragt, „worin die eigentümliche Vorbestimmung der Judenschaft für das planetarische Verbrechertum begründet ist”. Soll der skandalträchtige Satz in die Gesamtausgabe aufgenommen werden? Er habe sehr dafür plädiert, sagt Trawny heute, sich aber damals, als 31-Jähriger ohne sichere akademische Stellung, gegen von Herrmann und Hermann Heidegger nicht durchsetzen können – der Satz wird unterschlagen. Laut Trawny mit der Begründung, dass die Gesamtausgabe eine Ausgabe „letzter Hand” sei, die den „Denkweg” des Meisters als abgeschlossenen Text wie aus einem Guss präsentiere – und keine historisch-kritische Ausgabe, die Änderungen des Autors kenntlich und so die Textgeschichte überprüfbar mache.

Nun fehlt Heideggers Überlegung über die „Vorbestimmung der Judenschaft zum planetarischen Verbrechertum” auch schon in einer Abschrift des Manuskripts, die sein Bruder Fritz später angefertigt hat. Martin Heidegger prüfte die Abschriften des Bruders immer nach, er dürfte die Auslassung mithin gebilligt haben. Hat also der Meister selbst bereits sein Bild retuschiert und gefälscht?

Hier mehr: www.zeit.de.

Plantinga: Ratschläge für christliche Philosophen

Warum erteilt der US-amerikanische Philosoph Alvin Plantinga christlichen Philosophen und anderen Wissenschaftlern und Künstlern Ratschläge? Ganz einfach:

Erstens ist es nicht nur in der Philosophie so, dass wir Christen stark von der Praxis und den Methoden unserer nicht-christlichen Kollegen beeinflusst sind. (Allerdings ist es wegen der Rechthaberei der Philosophen und der weitverbreiteten Streitigkeiten in der Philosophie vermutlich einfacher, dort ein Einzelgänger zu sein, als in den meisten anderen Disziplinen.) Dasselbe gilt für fast jede wichtige gegenwärtige intellektuelle Disziplin: Geschichte, Literatur- und Kunstkritik, Musikwissenschaft und die Sozial- und Naturwissenschaften. In allen diesen Bereichen gibt es Vorgehensweisen, allgegenwärtige Annahmen über das Wesen der Disziplin (zum Beispiel Annahmen über das Wesen der Wissenschaft und ihren Platz in unserer intellektuellen Welt), Annahmen darüber, wie wir in einer Disziplin Fortschritt erzielen können und wie ein wertvoller und lohnenswerter Beitrag von ihr aussehen könnte, und so weiter. Wir absorbieren diese Annahmen, wenn nicht mit der Muttermilch, so spätestens dann, wenn wir unsere eigentliche Disziplin erlernen. In all diesen Bereichen lernen wir, unser Fachgebiet unter der Leitung und dem Einfluss unserer Kollegen zu betreiben.

Aber in vielen Fällen passen diese Annahmen und Vermutungen nicht so leicht mit der christlichen oder theistischen Weltsicht zusammen. Dies wird in vielen Bereichen ersichtlich: In der Literaturkritik und der Filmtheorie, wo sich der kreative Anti-Realismus (siehe unten) austobt, in der Soziologie und der Psychologie und den anderen Humanwissenschaften; in der Geschichtswissenschaft und sogar in einem großen Teil der gegenwärtigen (liberalen) Theologie. Obwohl weniger offensichtlich, trifft das ebenso auf die sogenannten Naturwissenschaften zu. Der australische Philosoph J. J. C. Smart bemerkte einst, dass ein (aus seiner naturalistischen Sichtweise) nützliches Argument, um diejenigen, die an die menschliche Freiheit glauben, vom Irrtum ihrer Sicht zu überzeugen, darin besteht, sie darauf hinzuweisen, dass die gegenwärtige mechanistische Biologie anscheinend keinen Raum für den freien Willen des Menschen lasse: Wie könne sich denn zum Beispiel so etwas wie freier Wille im evolutionären Lauf der Dinge entwickelt haben? Sogar in der Physik und Mathematik, jenen starken Bastionen der reinen Vernunft, kommen ähnliche Fragen auf. Diese Fragen haben mit dem Inhalt jener Wissenschaften zu tun, und der Art, wie sie sich entwickelt haben. Sie haben auch damit zu tun, wie (wenn sie wie heute üblich gelehrt und praktiziert werden) diese Disziplinen künstlich von den Fragen getrennt werden, die das Wesen der Objekte betreffen, welche sie untersuchen – eine Trennung, die nicht dadurch festgelegt wird, was am ehesten der Natur des Fachgebietes entspricht, sondern durch eine weitgehend positivistische Vorstellung des Wesens von Wissen und des Wesens der intellektuellen Aktivität des Menschen.

Und drittens brauchen hier, wie in der Philosophie, Christen eine Autonomie und Ganzheitlichkeit. Wenn die gegenwärtige mechanistische Biologie tatsächlich keinen Raum für die menschliche Freiheit lässt, dann braucht es eine Alternative zur mechanistischen Biologie, und die christliche Gemeinschaft muss sie entwickeln. Wenn die gegenwärtige Psychologie grundlegend naturalistisch ist, dann ist es Aufgabe der christlichen Psychologen, eine Alternative zu entwickeln, die gut mit dem christlichen Supranaturalismus [Anm.: Also der Sicht, dass es mehr als nur Materie gibt und dass der Mensch eine übernatürliche Seele hat.] zusammenpasst, die also ihren Anfang bei grundlegenden wissenschaftlichen Wahrheiten wie: Gott hat die Menschheit nach seinem Bild geschaffen, nimmt.

Die vollständige Abhandlung gibt es in der nächsten Ausgabe von Glauben & Denken heute. Ich danke hier schon mal sehr herzlich Jonas, Ivo und Roderich für die Übersetzungsarbeit!

„Drachenbrut“

Der Auftritt von Wolf Biermann gestern im Bundestag hat uns vorgeführt, wie geistig arm, opportunistisch und unfrei unsere Welt unter dem Eindruck der politischen Korrektheit geworden ist. Dass sie durch die political correctness nicht klüger, friedlicher oder besser geworden ist, sehen wir überall, z.B. im Deutschen Bundestag.

Danke Wolf Biermann! Ich hoffe, dass viele junge Leute von dir lernen, dass man mit Mut und Sprachgewalt gegen Gewalt und für die Freiheit kämpfen kann. Eine zweite Oktoberrevolution, das will ich hinzufügen, würde freilich keine Freiheit bringen.

Wer den Aufritt verpasst hat, findet ihn hier:

Sigmund Freud und die Religion

Will man heute Freud angemessen gedenken, so braucht es ein gehöriges Maß “Entmythologisierung”. Besondere Beachtung verdiene laut Bonelli, Leiter der Forschungsgruppe Neuropsychiatrie an der Sigmund Freud Universität Wien, Freuds Verhältnis zur Religion sowie seine ausgeprägte Wissenschaftsgläubigkeit. Die Nachrichtenagentur KATHPRESS hat mit ihm gesprochen und meldet:

“Freud hat Religion schlichtweg abgelehnt, sie gar als Pathologie behandelt.” Religion sei für ihn immer “ein Reibebaum” gewesen: “Er hat sie abgelehnt, aber zugleich hat ihn Religion auch fasziniert”. Der Grund für diese Ablehnung sei “schlichtweg der Zeitgeist” gewesen: Es entsprach der Stimmung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dass Technik alles und Religion nichts war. “Darwin hat die Entstehung des Menschen erklärt, alles schien technisch machbar.” Gefangen im geschlossenen System Freud sei ganz dieser Weltanschauung verfallen gewesen, so Bonelli. Das werde nicht zuletzt bei Freuds Skizze der menschlichen Psyche als “psychischer Apparat” deutlich. “Bei Freud gibt es keinerlei Freiheit”, bringt Bonelli das Problem auf den Punkt: “Der Mensch ist eine Maschine, alles hat seinen Grund im Ich, Es oder Über-Ich”. Hinzu komme, dass Freuds Thesen – entgegen seinem eigenen Beharren auf strenger Wissenschaftlichkeit – bis heute “weder beweisbar noch falsifizierbar sind”, so Bonelli, sondern “ein eigenes, in sich geschlossenes System” darstellen. Dieses System habe Freud so sehr gegen Kritik immunisieren wollen, dass er sogar einzelne Fälle, die er selbst zur Stützung seiner Thesen heranzog, “gefaked” hat, so Bonelli. Damit jedoch sei klar, dass Freud nicht etwa nüchterner Beobachter gewesen sei, sondern “seine Weltanschauung, vor allem seinen Materialismus, tief hineingesenkt hat in seine Theoriebildung”. Als Person sei Freud ein schwieriger Charakter gewesen, so der Psychiater Bonelli weiter – “wie man es oft bei narzistischen Persönlichkeiten feststellen kann”: So verbat der aus jüdischer Familie stammende erklärte Atheist Freud etwa nach der Heirat mit seiner Frau Martha, einer gläubigen Jüdin, dieser jede Form der Religionsausübung. Seinen Kindern gegenüber sei Freud eher distanziert gewesen, wenngleich er sich für sie und ihre Entwicklung aus wissenschaftlich-psychologischer Sicht interessiert zeigte. Seinen Schülern und Mitarbeitern sei Freud “mal großväterlich, mal wie ein Tyrann” erschienen, der keine anderen Meinungen neben seinen eigenen duldete, so Bonelli.

Hier ein DLF-Gespräch über Freud mit Raphael Bonelli:

Friedrich Engels Abkehr vom Pietismus

Friedrich Engels stammt aus einer pietistischen Familie. Er wurde am 28. November 1820 in Barmen, heute ein Stadtteil Wuppertals, als Sohn eines erfolgreichen Fabrikanten geboren. Noch vor dem Abitur verließ er auf Wunsch des Vaters das Gymnasium und begann eine kaufmännische Ausbildung. 1850 begab er sich auf Dauer nach Manchester. Er arbeitete in einer Fabrik, die zur Hälfte seinem Vater gehörte. Auf dem Wege der Erbfolge wurde er später Miteigentümer und lebte in London.

Der folgende DLF-Beitrag schildert eindrücklich Friedrich Engels Abkehr vom Pietismus.

Zwei kurze Anmerkungen dazu:

(1) Bildungsfeindliche Frömmigkeit. Zur Zeit Engels predigte der große Friedrich Wilhelm Krummacher, der damals Pfarrer in Barmen-Gemarke und Elberfeld war. Unter Krummacher kam es zu aufrichtigen Erweckungen. Leider wurde unter seinem Einfluss aber auch eine unkritische Kulturfeindlichkeit gefördert, unter der insbesondere junge, neugierige Kirchgänger zu leiden hatten. Nicht jede Vergnügung ist Weltliebe und damit verwerflich. Nicht die Verteuflung weltlichen Lebens, sondern die christliche Durchdringung sollte das Anliegen der Prediger sein.

(2) Gespaltene Frömmigkeit. Engels erkannte früh, dass die pietistischen Unternehmer ihre Angestellten, zu denen damals auch Kinder gehörten, schlechter behandelten als umfromme Fabrikanten. Überspitzt: Die frömmsten Fabrikanten waren herzlose und ausbeuterische Arbeitgeber. Ähnliche Eindrücke bekam Engels später in England.

Obwohl ich bezweifle, dass das so pauschal ausgesagt werden kann, hatte ich schon manchmal, wenn ich dazu etwas bei Marx oder Engels las (siehe z.B. Das Kapital), das Empfinden, beide trieb dieses Problem wirklich um und vertiefte verständlicherweise ihre Solidarität mit dem „Proletariat“. Obwohl ein Fabrikant naturgemäß unternehmerisch denken und handelt muss, gilt: die Abspaltung des frommen Lebens vom Alltagsgeschäft ist dem Zeugnis des Glaubens nie förderlich. Jesus Christus möchte Herr im gesamten Leben sein. Kritischer Prüfstein ist nicht der Kirchgang, sondern der Alltag.

Hier der Beitrag:

M. Weber über den Einfluss des Christentums

Der 20-jährige Max Weber beglückwünschte 1884 seinen Bruder Alfred mit einem Brief zur Konfirmation. In dem Schreiben ist zu lesen:

[Die christliche Religion] ist eine der Hauptgrundlagen, auf denen alles Große beruht, was in dieser Zeit geschaffen ist; die Staaten, welche entstanden, alle großen Taten, welche dieselben geleistet, die großen Gesetze und Ordnungen, welche sie aufgezeichnet haben, ja auch die Wissenschaft und alle großen Gedanken des Menschengeschlechts haben sich hauptsächlich unter dem Einfluß des Christentums entwickelt. […] Das wird Dir, je mehr Du in die Geschichtstafeln der Menschheit blickst, um so klarer werden.

Tagung zur „Radical Orthodoxy“

Plakat radical orthodoxy„Radical Orthodoxy“ nennt sich seit den 1990-er Jahren eine in England entstandene theologische Bewegung, die eine radikale und umfassende christliche Alternative zu der voranschreitenden Säkularisierung der westlichen Welt entwickelt. „Radical Orthodoxy“ kritisiert die kantische Metaphysik und wendet sich gegen eine Resignation des Christentums in Bezug auf die Wahrheitsfähigkeit von sprachlichen Ausdrücken. Die Ideen der „RO“ werden im englischen Sprachraum und darüber hinaus inzwischen intensiv diskutiert.

Die Staatsunabhängige Theologische Hochschule (STH) Basel wird nun erstmals im deutschen Sprachraum eine kritische und konstruktive Debatte über die „RO“ anstoßen. Am 6. Dezember 2014 wird sie die Tagung:

  • Radical Orthodoxy: Eine christliche Alternative zum Säkularismus / A Christian Alternative to Secularism

veranstalten. Dazu kommen mit John Milbank und Adrian Pabst zwei prominente Vertreter der „RO“ nach Basel. Philosophen und Theologen evangelischer und katholischer Konfession werden mit Vorträgen, Stellungnahmen und Diskussionsbeiträgen sich beteiligen, darunter Harald Seubert und Daniel von Wachter.

Als deutschsprachige Einführung zur „Radical Orthodoxy“ empfehle ich den Aufsatz „‚Radical Orthodoxy‘ – Darstellung und Würdigung einer herausfordernden Theologie“ von Sven Grosse (NZSTh 2013; 55 (4), S. 437–464). Grosse sagt dort übrigens treffend:

Die Kluft, welche beseitigt werden muss, ist an erster Stelle nicht die Kluft, die im Denken entsteht, wenn man Gott als unendliches, die Kreatur aber als endliches Sein denkt (und zugleich »Sein« beide Male univok aussagt). Das, was zwischen die Natur und die Gnade, welche die Natur nicht aufhebt, sondern voraussetzt und vervollkommnet, hineinkommt, ist die Sünde, und diese ist die entscheidende Kluft. Sie besteht nicht erst im Denken, sondern objektiv und wird nicht durch eine Korrektur des Denkens, sondern durch den Sühnetod Christi und die Rechtfertigung aus Glauben überbrückt.

Hier der Flyer zur Konferenz: Einladung%20RO.pdf.

VD: FL

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