April 2016

Handschriftliche Notizen machen klug

Notebooks und Tablet-Computer lassen Stift und Papier scheinbar alt aussehen. Neue Studien zeigen jedoch, dass Studenten, die sich handschriftliche Notizen machen, besser lernen also solche, die Vorlesungsmitschriften über die Tastatur eingeben. Die „Handwerker“ begreifen neue Ideen schneller und behalten die Informationen länger.

Einzelheiten hier: www.wsj.com.

Inklusionspastoral

Die FAZ bedenkt heute das päpstliche Schreiben „Amoris Laetitia“ (dt. Freude der Liebe), das bereits in einer deutschen Übersetzung hier eingesehen werden kann, gleich mit drei Beiträgen. Ich habe das nachsynodale Schreiben bisher nur grob überflogen und dabei viel Gutes gefunden. Erkennbar wird – freilich nicht überraschend – eine hohe Sicht von Ehe, Geschlechtlichkeit und Familie. Papst Franziskus warnt völlig zurecht vor dem Druck, den einige westliche Länder und Hilfsorganisationen in den Fragen der Ethik auf ärmeren Staaten ausüben (S. 222–223):

»Was die Pläne betrifft, die Verbindungen zwischen homosexuellen Personen der Ehe gleichzustellen, gibt es keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensge- meinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn.« Es ist unannehmbar, » dass auf die Ortskirchen in dieser Frage Druck ausgeübt wird und dass die internationalen Organisationen Finanzhilfen für arme Länder von einer Einführung der „Ehe“ unter Personen des gleichen Geschlechts in ihrer Gesetzgebung abhängig machen«.

Wenn Franziskus jedoch der kalten oder leblosen Lehre bzw. Schreibtisch-Moral die barmherzige Liebe gegenüberstellt, dann handelt es sich um einen rhetorischen Schachzug. Christian Geyer schreibt zurecht: „Ist die Norm erst einmal als „kalt“ diffamiert, kann jede Berufung auf sie schnell als „kleinlich“ gelten. Kalt und kleinlich gehören denn auch zu den Suggestivbegriffen, mit denen das Dokument einen Reformgeist vorspiegelt, den es nicht einlöst“ (FAZ vom 09.04.2016, Nr. 83, S. 13).

Großartig ebenfalls, wie Geyer auf ein Grundsatzproblem einer alles umarmenden Inklusionspastoral hinweist (ebd.):

Mit dem Refrain „unterscheide!, unterscheide!, unterscheide!“ gerät die Unterscheidung der Tatbestandsmerkmale derart zu einem Supergebot …, dass nichts mehr zu urteilen übrig bleibt. Die Materie, die zu beurteilen wäre, hat sich schlichtweg in ihre Atome aufgelöst (ohnehin scheint „urteilen“ im päpstlichen Text mit ‚„verurteilen“ assoziationspsychologisch verbunden zu sein, was ja begrifflich von Haus aus gar nicht geboten ist).

Man mache nur einmal die Gegenprobe: Ist nach Lektüre des Schreibens irgendein „Fall“ denkbar, der nach gebotener pastoraler Unterscheidungsarbeit noch einer kirchlichen Exklusion zur Verfügung steht? Nein, jeder Fall ist eingemeindet. Zugespitzt gesagt: Der Atheist, der darauf Wert legt, Atheist zu sein, hat vor der kirchlichen Inklusionspastoral keine Chance, als Atheist draußen bleiben zu können. Ein Sünder, der sich seiner Verfehlungen wegen nicht imstande sieht, zur Kommunion zu gehen, aber auch die Beichte scheut und darob eine kirchliche Auszeit anpeilt (statt zu sagen: Ich bin okay, Gott ist okay), versteht plötzlich seine Bedenken nicht mehr, gerät er erst einmal unter den exzessiven Unterscheidungsimperativ, mit dem man ihn beinahe schon penetrant zum „differenzierten Blick“ auf „unterschiedliche Situationen“ anhält.

Man möge bitte verstehen, schreibt Franziskus, „dass man von der Synode oder von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte“. Eben dies hat aber niemand erwartet: weder die Reformer noch die Beharrer. Man hätte einfach nur gerne gewusst, was gelten soll. Um dann selbst entscheiden zu können, ob und unter welchen Bedingungen man sich daran halten möchte oder nicht.

Oxford: Weniger Christentum im Theologiestudium

Die berühmte Universität Oxford tilgt beim Theologiestudium nach dem ersten Jahr das Christentum als Pflichtfach. Wie die FAZ in ihrer Ausgabe vom 6. April meldet (Nr. 80, S. 12), begründet der Vorsitzende der Fakultät die Lehrplanänderungen gegenüber der Fachzeitschrift Times Higher Education mit dem „dramatischen Wandel“ in der Art und Weise, „in der Religion in Britannien ausgeübt und wahrgenommen werde“.

Denn:

Die Vorherrschaft der Kirche von England gehe zwar zurück, aber die Religion sei nicht verschwunden. Statt das Christentum zu studieren, könnten sich Studenten künftig mit „Buddhismus in Raum und Zeit“ oder mit „feministischen Ansätzen an Religion und Theologie“ befassen. Die Neuerungen spiegelten die Fachkenntnisse der Lehrer sowie das Interesse und die Erfahrungen der Studenten genauer.

Na denn.

Jesus nachfolgen

E21 2016 Regio

Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Folgt mir nach“ (Mk 1,17). Das ist unsere Identität als Christen: Wir sind Nachfolger unseres Herrn. Wie das konkret aussieht, was für Herausforderungen damit verbunden sind und was unser Auftrag ist, das wollen wir gemeinsam auf der E21-Regionalkonferenz in Bonn vom 1. bis 2. Juli 2016 entdecken.

Pete und Anne Woodcock
Pete und Anne Woodcock

Hauptredner ist Pete Woodcock aus England: Pete wurde mit 19 Jahren ein Nachfolger Jesu und hat ihm seitdem in vielen verschiedenen Bereichen gedient. Er ist viel in Großbritannien unterwegs gewesen, hat bei Missionsveranstaltungen auf dem europäischen Festland und in Indonesien mitgewirkt und kehrt auch immer mal wieder nach Australien zurück. Er hat Contagious, eine Bibelkonferenz für junge Leute, gegründet, die mittlerweile an 6 Orten mit über 1000 jungen Menschen stattfindet. Pete ist zurzeit als Hauptpastor der Cornerstone Church in Kingston tätig, die er selbst vor 13 Jahren mit gegründet hat.

Wie wichtig Pete die Gemeinde ist, erklärt er in dem Artikel „Warum Engel über die Gemeinde staunen“. Wir leben in einer Zeit, in der die Selbstverwirklichung ganz groß geschrieben wird. Viele Menschen, auch Christen, leben „Ich“-orientiert. Pete glaubt, dass Gott uns von einem selbstbezogenen Lebensstil befreien will. Die Gemeinde ist der Ort, wo Gemeinschaft eingeübt und erlebt werden kann:

„Unter dem Einfluss des Zeitgeistes neigen wir zu der Meinung, im Christentum gehe es um „Jesus und mich“. Nach dem Motto:  „Ich folge Jesus. Warum brauche ich eine Gemeinde?“ Doch dieses Denken findet sich nicht im Neuen Testament. In der Apostelgeschichte wird ständig daran erinnert, dass die Geretteten „hinzugetan“ wurden, d. h. dass sie sich der Gemeinde anschlossen.“

Michael Martens wird ebenfalls einen Hauptvortrag halten. Er hat Theologie an der FTH (Gießen) studiert und war danach in einer Gemeindegründungsarbeit tätig. Anschließend ging er für ein Studium im Bereich Seelsorge nach Philadelphia/USA (CCEF/Westminster Theological Seminary). Er ist Pastor der FeG Syke bei Bremen und unterrichtet an verschiedenen Bibelschulen. Außerdem gehört er zur Leitung des Netzwerks Biblische Seelsorge (NBS).

Geplant sind außerdem einige sehr interessante Workshops:

  • Evangelism – how to summarize and tell the gospel (Pete Woodcock, nur auf Englisch)
  • How to be a content woman (Anne Woodcock, nur auf Englisch)
  • Den Kindern das Evangelium bringen (Judith Nickel)
  • Hat Gott auch die Künstler geschaffen? – Kunst und christliche Weltanschauung (Victoria Parsons)
  • Seht unsern Gott! Christuszentrierter Einsatz von Musik in der Gemeinde (Rudolf Tissen)

Weitere Informationen, u.a. das genaue Konferenzprogramm, entnehmen Sie bitte dem Flyer (PDF)  Das Anmeldeformular gibt es hier: www.evangelium21.net.

Porno als Bedrohung der Männlichkeit

Belinda Luscombe hat für die aktuelle Ausgabe des Time Magazine den alarmierenden Artikel „Porno und die Bedrohung der Männlichkeit“ verfasst. Sie beschreibt dort die erste Generation junger Männer, die mit uferloser Online-Pornographie aufwächst und vor ganz neuen Herausforderungen steht (leider ist der Artikel nicht frei zugänglich).

Kurz: Jugendliche kommen immer früher mit Pornographie in Berührung. Geschildert wird das Beispiel von Noah, der bereits mit 9 Jahren erste Videos heruntergeladen hat und mehrmals täglich Pornos konsumierte als er 15 war. Gemäß einer Studie der University of Bristol aus dem Jahre 2015 sehen fast 40% der Jungen aus Großbritannien im Alter von 14 bis 17 regelmäßig Pornos.

Irgendwann stimulieren diese Videos das Lustzentrum der Jugendlichen nicht mehr, was oft dazu verleitet, schärferes und sogar gewaltverherrlichendes Material zu konsumieren. Immer mehr Jugendlichen entwickeln mit der Zeit eine sogenannte „Porn-Induced Erectile Dysfunction“ (PIED). Sie verlieren also die Lust an der natürlichen Sexualität und sind unter Umständen auch gar nicht mehr in der Lage, diese zu erleben. So wird aus dem Pornokonsum eine Pornosucht. Die virtuelle Welt versperrt den Zugang zum Leben.

Belinda Luscombe:

Da die Jugendlichen, die die Pornographie verschlingen, das Material in einem Gehirn verdauen, das noch in der Entwicklung steckt, ist es möglich, dass sie besonders anfällig sind. Philip Zimbardo, emeritierter Professor für Psychologie an der Stanford University (und der Mann, der das berühmte Stanford-Prison-Experiment durchführte), stellt fest, dass Pornographie oft Hand in Hand mit Videospielen geht und ähnlich fein abgestimmt ist, um eine möglichst große Abhängigkeit zu erzeugen.

„Pornographie lässt dich in etwas versinken, was ich momentan als hedonistische Zeitzone bezeichne“, sagt er. „Du suchst die Lust und die Neuheit und lebst im Augenblick.“ Während sie nicht substanzungebunden süchtig macht, meint er, hat die Pornographie dennoch die gleiche Wirkung auf das Verhalten wie eine Drogenabhängigkeit: Einige Leute hören auf, sich um andere Dinge zu kümmern, nur damit sie ihrer Pornosucht nachgehen können. „Und dann ist das Problem, dass du mehr und mehr tust, da die Belohnungszentren des Gehirns die Fähigkeit zur Erregung verlieren“, fügt er an.

Belinda schildert anschließend verschiedenen Initiativen, die dabei helfen, aus der Sucht herauszukommen. Auch der eingangs genannte Noah unterstützt inzwischen Aussteiger und hat ein Buch dazu geschrieben. In diesem kurzen Video nennt er einige Punkte, die ihm dabei geholfen haben, wieder ein normales Leben zu führen:

Viele Tipps von Noah sind wirklich hilfreich. Freilich stehen Initiativen wie dieser die Ressourcen des Glaubens nicht zur Verfügung. Es fehlt die tiefere Analyse, zu der auch die Einsicht gehört, dass Pornographie eine Form des Götzendienstes ist und bei Jesus Christus Vergebung und Hilfe gefunden werden kann.

Inzwischen ist das Buch Finally Free: Fighting for Purity with the Power of Grace von Heath Lambert in deutscher Sprache erschienen. Der Verlag schreibt über die Publikation:

Kennen Sie den verzweifelten, aber anscheinend hoffnungslosen Kampf gegen die Faszination der Pornografie? Haben Sie je versucht, jemandem zu helfen, der in diesen verhängnisvollen Strudel geriet? Ist Ihnen bewusst, wie schwer es ist, davon loszukommen? Gibt es überhaupt echte Freiheit auf diesem Gebiet? Braucht man noch stärkere Bemühungen, einen festeren Entschluss, sich ändern zu wollen – oder neue Methoden und neue Programme?

Die gute Nachricht ist: Es gibt Einen, der Menschen wirklich frei machen kann, die der Pornosucht verfallen sind: Jesus Christus!

In diesem Buch beschreibt Dr. Heath Lambert acht biblisch fundierte Strategien zur Überwindung dieser Sucht. In jedem Kapitel weist er überzeugend nach, wie wichtig die biblischen Aussagen in diesem speziellen Kampf sind. Und er bezeugt, dass ungeachtet der Härte oder Länge des Kampfes der Herr jeden, der mit dem Wunsch nach Befreiung und der Sehnsucht nach einem Leben in Reinheit zu ihm kommt, frei machen kann. Er will es tun.

Daniel Röthlisberger hat zudem einen von verhaltenstherapeutischen Einsichten geprägten Ratgeber für Seelsorger verfasst.

Pädagogik auf biblischer Grundlage

Pädagogisches Handeln ist zutiefst von unserer Sicht des Menschen, unserer Anthropologie, geprägt. Dies gilt auch für sämtliche pädagogischen Theorien und Ansätze.

Am kommenden Samstag wird Christian Pletsch im Studienzentrum München in die christliche Pädagogik einführen. Nach einem kurzen und exemplarischen Blick auf die Zusammenhänge zwischen Menschenbild und Pädagogik gibt das Seminar eine Einführung in die Thematik, wie Pädagogik auf einer biblischen Grundlage aufgebaut werden kann. Welche Ziele und welche Prinzipien lassen sich von der Bibel her für unser pädagogisches Handeln erarbeiten? Wie lassen sich auf dieser Grundlage pädagogische Ansätze zum Lehren und Lernen einordnen, bewerten und nutzen? Dabei bleibt der Blick nicht auf den Bereich der Kinderpädagogik beschränkt sondern wird ausgeweitet auf das gesamte (gemeinde-)pädagogischen Feld.

Informationen zum MBS-Studienzentrum München gibt es hier: www.bucer.de.

Auswendiglernen ade

Burkhard Weitz geht in der aktuellen chrismon-Ausgabe (April 2016, S. 25) der Frage nach, was die Konfirmation ist und begrüßt bei der Gelegenheit den verbreiteten Abschied von der Katechese:

Eines bekommen Konfirmanden heute nicht mehr: fertige Antworten auf fertige Fragen. Glaube ist Gewissenssache, er lässt sich nicht verordnen. Die Zeiten, als junge Konfirmanden Martin Luthers „Kleinen Katechismus“ auswendig lernten, sind vorbei. „Du sollst den Feiertag heiligen. Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern es heilig halten, gerne hören und lernen“, so ging es über viele Seiten.

Was Menschen auswendig gelernt haben, in sich tragen, hilft in Zeiten der Not – stellte man sich vor. Ob ausgerechnet der Katechismus hilft, hat damals niemand überprüft.

Wie kurzsichtig und armselig! Was dann bleibt, ist ein gefühliges Kauderwelsch oder die Anbetung des Zweifels. Das bedeutet in guten Zeiten nichts und kann in schlechten Zeiten nicht tragen. Ungezählt dagegen die Zeugen dafür, dass es gut ist, zu wissen, was der einzige Trost im Leben und im Sterben ist.

Um es klar zu sagen: Ohne Wiederbelebung der Katechese wird es in Deutschland keinen geistlichen Aufbruch geben. Wie wichtig schon in den ersten Gemeinden die biblische Unterweisung war, können wir einer Anspielung aus Galater 6,6 entnehmen: „Wer aber im Wort katechesiert wird, lasse den, der ihn katechesiert, an allen Gütern teilhaben.“

Als gute Einführung zur Katechese sei empfohlen:

  • J.I. Packer u. Gary A. Parrett, Grounded in the Gospel, BakerBooks, 2010

In den Köpfen Ramsch und Flickwerk

Für den Philosophen Matthias Gronemeyer ist von der vielbeschworenen Wissensgesellschaft nicht viel übrig geblieben. Er prognostiziert: Künftig haben immer mehr Menschen einen Hochschulabschluss, jeder weiß mit einem Klick alles, aber keiner kann mehr etwas. Zitat aus dem Beitrag für das Deutschlandradio:

Die Logik der Politik tendiert immer zur Vereinfachung: Wer den Menschen etwas abverlangt, macht sich unbeliebt.

Reinhören:

 

Glaube als Verdrängung?

Georg Huntemann geht in Angriff auf die Moderne der Frage nach, ob der Mensch, wie Freud behauptet hat, das Glück auch ohne Umweg über den Glauben finden kann (1966, S. 55–56):

Auf die Frage, ob die Religion dem Menschen irgendwie nützlich sein könnte, antwortet Freud: »Wenn der Gläubige sich endlich genötigt findet, von Gottes unerforschlichem Ratschluss zu reden, so gesteht er damit ein, daß ihm als letzte Trostmöglichkeit und Lustquelle im Leiden nur die bedingungslose Unterwerfung übrig geblieben ist. Und wenn er zu dieser bereit ist, hätte er sich wahrscheinlich den Umweg ersparen können.« Es stellen sich einige herausfordernde Fragen: Ist man nur »religiös«, weil man mit dem Leben nicht fertig wird? Sind nur diejenigen Christen, die sich in ihrem Leben nicht durchsetzen können?

Viele Schüler Freuds (sie bestimmen insbesondere in Amerika die psychologische Forschung) meinen: Die Triebe und Wünsche des Menschen müssen erfüllt werden. Wir müssen ihn locken und reizen, daß er seine Wünsche nicht unterdrückt. Der Mensch ist ein Triebwesen. Erfüllt ihm seine Wünsche, und die Religion wird überflüssig. Ist die Religion nicht schon überflüssig geworden, weil wir heute viel unbefangener unsere Wünsche aussprechen und erfüllen als in der »gläubigen«, letzten Endes »gehemmten« Welt unserer Väter und Großväter? Unsere Hobbys, unsere Reisen, unsere sexuellen Befriedigungen, die vielen Dinge auf dem Konsummarkt — die zunehmende Befreiung von der Qual der Arbeit — ist das alles nicht viel handfester als die letztlich ungedeckten Versprechungen der Religion? Haben wir nicht das Glück heute erfunden?

In vollem Ernst meinen viele Psychologen, den Menschen dadurch glücklich machen zu können, daß sie die Welt in einen riesigen Spielplatz für Erwachsene verwandeln und das Leben zu einem einzigen Vergnügen, in dem immer wieder neue Freuden ersonnen, geplant und geliefert werden.

Als Freud um die Jahrhundertwende seine Entdeckungen über die menschliche Seele verkündete, war man zunächst erschüttert. Man dachte, der Mensch sei ein moralisches und geistiges Wesen, das von Ideen, aber nicht von Trieben geleitet würde. Diese »Erschütterung« ist heute längst abgekühlt. Sie war eigentlich auch unberechtigt. In einem gewissen Sinne hatte Freud ja recht.

Die Bibel weiß seit je, daß der Mensch von der Gier nach Welt überfallen wird. Der Apostel Paulus gebraucht den Ausdruck »Fleisch«, wenn er die Zügellosigkeit der Weltverkrampfung meint. Stand nicht auf den ersten Seiten der Bibel, daß der Mensch — wissend geworden — sterben muß, daß Kain seinen Bruder Abel erschlägt, daß neben der Gier nach Leben die Lust am Zerstören und Morden steht?

In diesem Punkt aber unterscheiden wir uns von Freud und seinen Schülern: Die Kräfte der Seele können nicht wie die Wasser eines Stauwerkes manipuliert werden. Man kann dem Menschen keine restlose Triebbefriedigung »verschaffen«. Man würde ihn dadurch auch nicht glücklich machen können. Im Gegenteil: Wenn der Mensch alles bekommt, wonach er giert, dann hat er gar nichts mehr. Es ist noch etwas anderes in der Seele des Menschen. Es ist ein Verlangen, das die Welt nicht befriedigen kann, weil es über die Welt hinausgeht.

 

Margot Käßmanns romantischer Pazifismus

Mit Liebe müsse man den Brüsseler Terroristen begegnen, meint die evangelische Theologin Margot Käßmann. Liebe heißt hier natürlich nicht, die Mörder für ihre Grausamkeiten bestrafen, sondern ihnen vergeben, ihnen „mit Beten und Liebe zu begegnen“.

Freilich stimmt, dass der Islamismus nicht allein mit Waffen zu bekämpfen ist. Das kann nicht funktionieren und kommt bei den aktuellen Debatten viel zu kurz. Die Weltbilder, die den sinnlosen Mord an Zivilisten rechtfertigen und stimulieren, müssen widerlegt werden. Aufklärung, Religionskritik im guten Sinn, ist deshalb nötig. Diskutierten und rängen wir doch wieder um die Wahrheit (der Religionen)!

Dass allerdings ein Staat den Terrorismus kampflos hinnimmt, ist keine christliche Staatsethik, sondern romantische und gefährliche Schwärmerei. Hannes Stein hat für DIE WELT den Pazifismus der EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017 unter die Lupe genommen. Ich bin nicht mit allem einverstanden und vermisse die für die christliche Sozialethik so wichtige Unterscheidung zwischen einem geistlichen und politischen Reich. Dennoch sei die Pazifismuskritik empfohlen:

Das moralische Problem des Pazifismus ist Folgendes: Ich kann für mich selber zwar sagen, dass ich unter keinen Umständen Gewalt anwenden werde, dass ich mich lieber töten lasse, als einen anderen Menschen zu töten, dass ich mich gegen Übergriffe niemals zur Wehr setzen will. Aber schon für meinen kleinen Sohn kann ich das nicht mehr sagen.

Hier mehr: www.welt.de.

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