Die nächste Ausgabe von Glaube & Denken heute wird wieder einige sehr interessante Beiträge enthalten. Unter anderem wird der Aufsatz „Die Maßgeblichkeit der Bibel für die Ethik heute“ von Klaus Bockmühl dabei sein. Dieser bereits 1967 gehaltene Vortrag ist heute fast noch aktueller als damals. Nicht biblische Autorität, „sondern vielmehr Erfahrung, Experiment“ müssen demnach die Quelle der Ethik sein. Die Wende in der christlichen Ethik, die Bockmühl als eher elitäres Phänomen beschreibt und tadelt, vollzieht sich heute in Teilen der evangelikalen Szene.
Hier ein Auszug:
Im Griechischen ist das Gute Ziel einer philosophischen Erörterung oder sozialpolitischen Erforschung, zum Beispiel in Platons Staat. In der Bibel ist das Gute vielmehr Inhalt göttlicher Offenbarung: „Es ist dir gesagt, Mensch“ (er braucht nicht mehr zu experimentieren), „es ist dir gesagt, Mensch,“ es ist nicht mehr unbekannt, „was gut ist“, nämlich, „was der Herr von dir fordert“. Der Ton liegt hier in der Tat auf der Offenbarung des Willens des souveränen Gottes. Der biblischen Ethik geht es um die Frage der Autorität auf der einen und der Annahme und des Gehorsams auf der anderen Seite.
Wie erklärt man sich aber eine Haltung, für die die Heilige Schrift in ihrer Weisung unzulänglich und überholt ist? Die Reformatoren waren über eine solche Einstellung nicht erschrocken. Denn die Klarheit der Heiligen Schrift, lehrten sie, sei gar nicht für jeden vorhanden. So schreibt Luther: „Vielmehr der Geist ist erfordert, dass man die ganze Schrift oder irgend ein Stück daraus verstehe“. Darum kann die Göttlichkeit und Autorität der Schrift auch nur von dem Christen, der das Zeugnis des Heiligen Geistes über die Schrift zu erfahren vermag, erkannt werden.
So sagt Luther 1522: „Es ist nicht genug, dass du sagest, Luther, Petrus oder auch Paulus hat dies und dies gesagt, sondern du musst bei dir selbst im Gewissen fühlen, Christus selbst und unwänklich empfinden, dass es Gottes Wort sei, auch wenn alle Welt dawider stritte. Solange du das Fühlen noch nicht hast, solange hast du auch Gottes Wort noch nicht geschmeckt und hängst noch mit den Ohren an Menschenmund.“ Ebenso Calvin: „Durch die wir zum Gehorsam gezogen werden, das ist eine solche Überzeugung, die der Gründe nicht bedarf, eine solche Erkenntnis, der der allerbeste Grund feststeht. Ich rede von nichts anderem, als was jeder Gläubige bei sich selbst auch erfährt“. Nicht umsonst haben die alten reformatorischen Bekenntnisse und auch jetzt die neueste katholische Erklärung davon gesprochen, dass alles dies für das Volk Gottes gelte.
Allein die Kirche ist es, die so in Glaubens- und Lebensdingen von Gott gelehrt wird. Die wahre Erkenntnis der Heiligen Schrift ist also nur, wie es dort in der Reformation heißt, dem heilsbegierigen und dem gehorsamen Leser möglich. Der Gehorsam wird allerdings vorausgesetzt. In der Tat, ein Kreis, eine Kreisbewegung! Gott gibt nur da Weisung, wo die Bereitschaft zu gehorchen vorhanden ist, während, wie die Reformatoren sagen, der Unbekehrte sich höchstens eine theoretische und rein äußerliche Erkenntnis der biblischen Weisung aneignen kann: „… ecclesiam plene et perspicue erudiat“. Also allein die Kirche, die die Schrift als von Gott gegeben annimmt, genießt auch die Klarheit und Genügsamkeit der Heiligen Schrift. Wenn man den Satz umkehrt, dann folgt daraus, dass der, der die Autorität der Heiligen Schrift leugnet, sich außerhalb der Kirche gestellt hat. Wo die Heilige Schrift in ihrer Autorität geleugnet wird, liegen bereits andere Grundvoraussetzungen vor; und da soll der Gläubige, heißt es bei Luther, keinen Richter suchen, sondern die anderen dem Urteil Gottes überlassen, wenn sie sich schon nicht dem Urteil des geschriebenen Wortes Gottes fügen wollen. Die Autorität, die Klarheit, die Genügsamkeit der Heiligen Schrift beweist sich nur dem Glauben und die Richtigkeit der göttlichen Weisung beweist sich in ihrer Ausführung. Nach dem Gebot hat die Erfahrung ihren Platz.