Gotteslob als Berufung des Menschen

Horst W. Beck in: Marxistischer Materialismus im Schafspelz der Wissenschaft (Wuppertal, 1975, S. 16–17.):

Der biblische Glaube beginnt in der Geschichte der Menschheit mit einer unableitbaren und eigenständigen Gotteserfahrung einer „erwählten“ und kleinen Menschengruppe. Der „Gott Abrahams, Isaacs und Jakobs“ ist nicht der Gott der frommen Spekulation oder gar, wie man moderner zu sagen pflegt, das Produkt eines aus Angst vor unbewältigten Mächten einen Übermächtigen projizierenden Bewusstseins, noch der „Gott der Philosophen“.

Der in der Bibel bezeugte Gott tritt Menschen überraschend in den Weg; er beruft und erwählt. Er macht seinen Willen kund und stellt erwählte Menschen in einen Auftrag und einen Spannungsbogen von Verheißung und Erfüllung. Menschen, die auf die sie bergende und fordernde Gotteserfahrung und seine Verheißung im Glaubensgehorsam, in der Anbetung, im Vertrauen und Hoffen antworten, bekommen folgerichtig eine neue Sicht: von der Menschheitsgeschichte, vom einzelnen in seiner Stellung zu Gott sowie von der gesamten Kreatur, der Erde, der Gestirne, des Alls. Die Qualifizierung von Mensch, Kreatur und übriger Lebenswelt ist einmalig in der Völkergeschichte. Die ganze Kreatur und Natur wird geschaut als das „Geschaffene“. Die Geschichte der Welt und des Menschen haben einen von Gott gesetzten Anfang und erfüllen sich in einem von Gott gesetzten Ziel. Die Gestirne und die Naturgewalten werden entgöttert und entzaubert. Das ist ein Vorgang, der beispiellos ist in der Religionsgeschichte. Der Mensch ist geschaffen zum Verwalter der Schöpfung und zur Anbetung! Hier gilt es einem verbreiteten „christlichen“ Mißverständnis zu wehren: Des Menschen letzte Bestimmung liegt nicht im Beherrschen des Geschaffenen, sondern im Gotteslob im Einklang mit der ganzen übrigen Schöpfung (1. Mose 1,28).

Was in der biblischen „Ur“-Geschichte freilich „erzählt“ wird (1. Mose 1—11), nämlich daß es nur von Gott Geschaffenes gibt, daß ein Anfang ins Dasein gerufen wurde, daß der Mensch zum anbetenden Partner und Schöpfungswalter berufen ist, daß er in seiner Berufung scheitern kann und gescheitert ist, daß deshalb der Schöpfung dem Menschen seinen Lebensraum wieder entziehen kann als Gericht (1. Mose 6—8); ja, daß die ursprünglich „paradiesisch“ gewollte Schöpfung der Zweideutigkeit und Nichtigkeit unterworfen wurde (1. Mose 3; Römer 8) und daß der Mensch aus eigener Kraft das Paradies nicht mehr schaffen kann (1. Mose 11), sondern daß die ganze Kreatur, Getier, Mensch und All auf Erlösung und Wiederherstellung harrt, ja sich nach Erlösung sehnt und unter dem Todesbann seufzt (Römer 8), — das alles ist ein Wissen, ein „Ur“-Wissen, das nicht mit der Schärfe des Verstandes ergründet oder gar durch wissenschaftliche Forschung „bewiesen“ worden wäre oder werden könnte. Es ist dem glaubenden Menschen geschenkte Einsicht, wörtlich: „Offenbarung“.

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10 Jahre zuvor

„Gott-gewollt“ „Während also heute die so genannte „Überproduktion“ (die kein Überfluss ist) von Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen, von Not und Entbehrung begleitet ist, beruht die echte, die natürliche Überproduktion auf einem wirklichen Überfluss an Ersparnissen und verursacht daher Erholung, Luxus und Lebensgenuss für alle, die es durch Fleiß und Sparsamkeit verdient haben. Man sagt, dass ganze Erdteile, die heute von Millionen Menschen bewohnt sind, in prähistorischen Zeiten unter Wasser gestanden hätten. Auch der Kapitalzins setzt große Gebiete der Volkswirtschaft gleichsam unter Wasser. Ihre Nutzbarmachung und Bearbeitung wird durch 4 bis 5 Prozent Zins ebenso unmöglich gemacht, als wenn ein Landgebiet von einem 4 bis 5 Meter hohen Wasserstand bedeckt ist. Was muss z. B. heute alles unterbleiben, weil es sich nicht „rentiert“ und was könnte morgen alles in Angriff genommen werden, wenn es sich nicht zu rentieren, sondern nur die Kosten, nur die Löhne zu decken brauchte! Durch die Freigeld-Reform wird, wie am Schöpfungstage, „Land“ und „Wasser“ voneinander geschieden, und… Weiterlesen »

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