Ausgerechnet die TAZ-Redakteurin Friederike Gräff hat vor gut einem Jahr treffliche Fragen zum Zustand des Protestantismus in Deutschland gestellt:
Wenn ich mein Ungenügen an der evangelischen Kirche in einem Wort zusammenfassen müsste, dann ist es ihre Leisetreterei. Hauptanliegen der Kirche scheint es zu sein, niemanden vor den Kopf zu stoßen, sei es mit den unerfreulichen Geschichten des Alten Testaments, mit Ideen, was ein gläubiger Christ nicht tun sollte, oder laut gesprochenen Gebeten in kirchlichen Einrichtungen. Als ich bei der für religionspädagogische Fragen Zuständigen in der EKD nachfragte, wie man es damit in kirchlichen Kindergärten halte, sagte sie, dass es da keine einheitliche Richtlinie gebe. Aber sie verwies darauf, dass Studien zufolge Religiosität zu größerer Resilienz bei Kindern führe. Ich finde es deprimierend, wenn die Kirche glaubt, Werbeargumente finden zu müssen; demnächst wird sie Statistiken suchen, wonach religiöse Jugendliche bessere Noten bekommen und später glücklichere Ehen führen.
Natürlich ist es nicht so, dass die Kirche keine Positionen vertreten würde: Sie ist für den Klimaschutz und gegen Menschenhandel, sie ist gegen Massenvernichtungswaffen und für gerechten Handel. Sie ist für alles, wofür bürgerliche Mehrheiten sind. Im Grunde vertritt sie das Prinzip Merkel, sich nicht zu früh und nicht zu spät die Meinungen des Wahlvolks auf die Fahne zu schreiben und dann so zu tun, als hätte man sie als Erste geschwungen. Die evangelische Kirche prangert die Exzesse des Kapitalismus an, so wie es heute zum guten Ton gehört, und sieht mit der gleichen Verve wie die Mehrheit der Bevölkerung darauf, dass sich ihr Geld möglichst stark vermehrt. Sie fordert gerechte und sozial verträgliche Arbeitsbedingungen und wehrt sich gegen Tarifverträge für ihre Angestellten. Sie will Leben schützen und sagt gern, dass alles Leben gleich viel wert sei, aber ein klares Wort gegen Pränataldiagnostik kann sie sich nicht abringen.
Frau Gräff hat eine Antwort aus dem Raum der Evangelischen Kirchen in Deutschland erhalten. Diese Antwort hat es in sich, denn sie bestätigt die Klagen in fast jeder Hinsicht. Höhepunkt: Gott tut uns nicht den Gefallen, dass er sich so verbiegen lässt wie man es für richtig hält. Kurz: Gott erfüllt nicht alle Wünsche! Aha? Würde doch die Kirche wenigstens damit Ernst machen.
Aber lesen Sie selbst:
So mangelhaft wie wir Protestanten in den Augen der Autorin auch sein mögen, so sehr wissen wir aber auch dass wir selbst – und zwar wir alle in den Gemeinden – diese Mängel nach und nach beseitigen können. Dass wir Kritik annehmen und dass wir versuchen unser Möglichstes und Bestes zu tun um unseren Glauben zu leben. Und das kann anders aussehen als die Autorin das gerne haben möchte.Ja, natürlich: Wenn wir erlöster aussehen würden, könnten wir natürlich auch deutlicher unseren Glauben als Frohe Botschaft veständlich machen. Keine Frage. Aber der Glaube manifestiert sich halt nicht immer in feurigen Gesten, in flammenden Missionsbotschaften – das Verständnis der evangelischen Kirche beruht auf dem, was Martin Luther entdeckte. Das alleine ist der Grund. Mag sein, dass wir uns vor den unangenehmen Bibelstellen drücken – mag sein, dass wir ab und an zu leise auftreten – mag auch sein, dass die Protestanten nicht so viel über Gott und Jesus in der Öffentlichkeit reden wie Frau Gräff das gerne hätte. Ja, auch an der Willkommenskultur könnte man etwas arbeiten und Zielgruppenarbeit ist auch etwas, was bisweilen brachliegt. Aber: Gott und Jesus, Frau Gräff, kommen in jedem Gottesdienst der evangelischen Kirche vor. In jedem Text. In jedem gesungenen Lied. In jedem Glaubensbekenntnis. Mag sein nicht unbedingt in jeder Predigt, aber ja, Gott ist mit Sicherheit noch anwesend mitten unter uns. Nur halt nicht unbedingt so wie man es sich generell wünscht – also so als Mensch. Oder besser formuliert: So wie man es als Mensch nun mal gerne hätte. Diesen Gefallen macht Gott uns nun nicht, dass er sich so verbiegen lässt wie man es für richtig hält. Wäre ja furchtbar, da könnte man ja gar nicht mehr protestieren …
VD: AG
Gott lässt sich nicht verbiegen. Ein Jammer das die EKD das ständig versucht.
Ein Glaube in wechem Gott nur am Sonntag Platz hat, ist keiner. So einfach ist das. Ich selbst bin ein Mensch der seinen Glauben sehr ernst nimmt und diesbezüglich keine Kompromisse eingeht. Alleine deswegen kann ich die EKD schon seit langer Zeit nicht mehr ernst nehmen. Schade das sich die EKD mit ihren weltlichen „wir müssen es allen recht machen“ selbst systematisch demontiert.
Die Evangelische Kirche hat keinen Papst und keine Kardinäle, die mit Amtsautorität definieren, wie Christen zu denken und was sie zu glauben haben. Bei uns muss jede Stellungnahme „der Kirche“ in Gremien beschlossen werden, in denen ehrenamtliche Mitarbeitende stets in der Mehrheit sind. Ein Bischof, der eine eindeutige Position für „die Kirche“ postuliert, die von der Mehrheit der Mitglieder abgelehnt wird, käme nicht weit – was ja aufregende persönliche Stellungnahmen keineswegs ausschließt. Letztlich kann denn die EKD, können ihre Landeskirchen nicht eindeutiger und mutiger sein als ihre Mitglieder. Das ist der Preis der (willkommenen) demokratischen Strukturen in der Evangelischen Kirche.