In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts betonte Francis Schaeffer in seinen Vorträgen und Büchern, dass die moderne und spätmoderne Philosophie mit ihrem Anthropozentrismus („Der Mensch ist das Maß aller Dinge“) in eine Sackgasse geraten sei. Von den großen Fragen der klassischen Philosophie habe man sich abgewandt und damit begonnen, sich auf die vielen Einzelfragen der analytischen Philosophie zu konzentrieren. Im Blick auf die wichtigen Fragen des Lebens sei von der Philosophie nicht mehr viel zu erwarten. Die Philosphie der Gegenwart sei eine „Antiphilosophie“ (siehe dazu z.B. Francis Schaeffer, Gott ist keine Illusion , 1974, S. 23–25).
Bei Wolfgang Welsch, dem meiner Meinung nach versiertesten Postmodernismus-Kenner im deutschsprachigen Raum, finde ich nun eine ganz ähnliche Einschätzung der Lage (obwohl er wahrlich aus einer anderen (evolutionären) Perspektive schreibt als Schaeffer). In seiner Anthropologievorlesung begründet Welsch die dringliche Kritik an den anthropischen Denkformen mit der aus ihr hervorgegangenen Lähmung des Denkes (Wolfgang Welsch, Mensch und Welt, 2012, S. 23–24):
Denn das Befangensein in dieser Denkform lähmt unser Denken. Man weiß immer schon die Antwort auf alle Fragen. Sie lautet: „Es ist der Mensch.“ Diese Trivialität aber erstickt unser Denken, statt ihm Atem zu verleihen. In der Tat scheint die zeitgenössische philosophische und intellektuelle Szenerie eigentümlich gelähmt. Gewiss ist die Betriebsamkeit immens und die Differenziertheit im Detail beeindruckend. Aber alles dreht sich in einem zum Überdruss bekannten Kreis. Bei allem, was wir im Einzelnen noch nicht wissen mögen und uns zu erforschen vornehmen, halten wir doch eines stets vorweg schon für sicher: dass all unser Erkennen, das gegenwärtige wie das zukünftige, menschlich gebunden ist und nichts anderes als menschlich bedingte und bloß menschlich gültige Einsichten hervorbringen wird. Noch das heutige Alltagsbewusstsein ist davon bis zur Bewusstlosigkeit durchdrungen. Wenn wir in der Moderne noch eine Gemeinsamkeit haben, dann den Glauben, dass unser Weltzugang in allem menschgebunden (kontext-, sozial-, kulturgebunden) ist. Das ist die tiefste communis opinio des modernen Menschen. Wenn jemand diese Auffassung hingegen nicht teilt und kritische Fragen zu stellen beginnt, dann reibt man sich verwundert die Augen: Dieser Kerl scheint nicht von dieser Welt zu sein – anscheinend ist er verrückt.
Für die Leute, die nicht von dieser Welt sind, ist also die Zeit gekommen, die modernen und postmodernen Denkformen zu hinterfragen. Habt den Mut, wieder klar über die Offenbarung nachzudenken und laut von ihr zu sprechen!
Wenn man auf den Link „Gott ist keine Illusion“ geht, erscheint ironischerweise „Nothing found for Postmoderne – Inhalt nicht gefunden“. 😉
Danke! Korrigiert.
Liebe Grüße, Ron
@markus, der war gut: „Inhalt nicht gefunden“, wie treffend… 🙂
A propos Francis Schaeffer. Da habe ich gestern doch ein wenig in der Bibliothek unserer Gemeinde gestöbert und – siehe da – Schaeffers „Preisgabe der Vernunft“ gefunden! Wie schön, jetzt habe ich endlich die Trilogie zusammen. Bei Amazon sind die alten Ausgaben nämlich sehr teuer.
Ich habe übrigens gerade D.A.Carsons „Christ and Culture Revisited“ gelesen. Er setzt dich da u.a. in einem Kapitel mit J.K.A.Smith „Who’s Afraid of Postmodernism?: Taking Derrida, Lyotard, and Foucault to Church “ auseinander. Carsons Beitrag lohnt! Er setzt sich kritisch und keineswegs pauschal ablehnend mit dem Thema Postmoderne und auch Kultur (Niebuhr „Christ and Cultur“) und Kontextualität auseinander. Und er gewinnt Derrida und Lyotard einige Aspekte ab, über die es seiner Meinung nach lohnt weiter nachzudenken.
@Markus: Zu Jamie Smith siehe:
http://theoblog.de/warum-das-christentum-eine-grose-erzahlung-ist-eine-kritik-der-lyotardinterpretation-von-ka-smith/24/
Carson hat meiner Analyse übrigens zugestimmt.
Liebe Grüße, Ron
@Theo
Glückspilz!
@Ron: danke für den link. werde es mit interesse lesen!