Auf einer Münchner Tagung wurde das Phänomen Bob Dylan unter allen Aspekten seiner Kunst und seiner Spiritualität in die Zange genommen. Eine schöne Einstimmung auf den siebzigsten Geburtstag der Folk-Legende. Edo Reents dazu:
Immer wieder und zu Recht wurde das Unterwegssein bemüht, das Dylan nicht nur in seinen Liedern thematisiert, sondern auch quasi persönlich verkörpert. Der Musikwissenschaftler Richard Klein bezeichnete die Gospelphase, die sich in drei Platten niederschlug, nach der Elektrifizierung 1965 als »Dylans zweiten Skandal«. Wieso Skandal? Sie wird bis heute und neuerlich wieder von Klaus Theweleit (gerade erschienen: »How Does It Feel? Das Bob-Dylan-Lesebuch«) als bedauerliche Verirrung abgetan. Klein gestand den auf Erweckung zielenden Liedtexten, die sich von der narrativen Brillanz derer von 1965/66 in der Tat himmelweit unterscheiden, zwar »ideologische Militanz« zu, beharrte aber darauf, dass diese Wende künstlerische Gründe hatte: Auch »im religiösen Fundamentalismus herrscht der Geist der Verweigerung«, die in Dylans nun sehr forciertem, bis zur totalen Selbstentblößung gehendem Gesang ihren Ausdruck finde: »Aggression, Kraft, Besessenheit« befeuerten ein »sehr freies Gebet«.
So wohltuend es war, dass Klein die Klischees beiseiteschob, die den Blick auf diese musikalisch unvermindert großartige Phase oft genug verstellten – seine Analyse von Dylans Strategie der Verzeitlichung und Zeitaufhebung, die in der never ending tour auch ihren strukturellen Ausdruck finde, ging etwas zu glatt auf und unterschlug, dass Dylan nach der Gospelphase für ein komplettes Jahrzehnt auf der Bühne wie im Studio Musik machte, die eine gleichsam metaphysische Überhöhung, wie Klein sie konsequent betrieb, weder braucht noch verdient hat.
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