Film

Film, Gesellschaft

Schweigen, wo es laut sein müsste

Fast die gesamte deutsche Filmbranche ignoriere den neuen Fünf-Punkte-Plan gegen Antisemitismus, kritisiert Produzent Martin Moszkowicz. Obwohl Sensibilität gegenüber Minderheiten verlangt werde, nehme er bei Angriffen auf Juden ein „irritierendes Schweigen“ wahr.

In der FAZ schreibt er (19.09.2025, Nr. 218, S. 15):

Natürlich stehen viele deutsche Juden hinter Israel und seinem Existenzrecht. Doch wie in Israel selbst gibt es auch hier eine große Bandbreite politischer Positionen – von linken Regierungskritikern bis hin zu ultraorthodoxen Gruppen, die dem Staat Israel distanziert oder ablehnend gegenüberstehen. Antisemitismus aber macht diese Unterschiede irrelevant. Er trifft nicht „die israelische Regierung“. Er trifft Menschen. Juden. Unabhängig davon, wie sie politisch denken. Wer antisemitische Angriffe relativiert, weil sie angeblich „nur Israel“ gelten, verkennt diese Realität – und macht sich mitschuldig.

Der Fünf-Punkte-Plan endet mit einem Satz, der nicht deutlicher sein könnte: „Verantwortung zeigt sich nicht in Absichtserklärungen – sondern in Taten.“ Die erste, einfachste Tat wäre das Unterzeichnen. Jede Hochschule, jeder Berufsverband, jeder Sender, jede Produktionsfirma könnte es noch heute tun. Dass dies bislang nicht geschieht, verweist auf ein tiefgreifendes Problem. Eine Branche, die sonst lautstark Diversität und gesellschaftliche Verantwortung fordert, schweigt, wenn es um den Schutz jüdischen Lebens geht. Illouz liefert dafür eine bittere Erklärung: Es ist bequemer, sich im selbstgerechten moralischen Diskurs einzurichten, als sich offen und unmissverständlich gegen den ältesten Hass der Welt zu stellen.

Bücher, Feuilleton, Film

Der narzisstische Film

Lars Henrik Gass hat mit Objektverlust: Film in der narzisstischen Gesellschaft (Berlin: XS-Verlag 2025) einen viel beachteten Essay über den Film in einer narzisstischen Gesellschaft geschrieben. Seine These: Mit der Dominanz der sozialen Medien und Streamingdiensten verändert sich auch der zeitgenössische Kinofilm allmählich zu einem Produkt einer neuartigen sozialen Kybernetik. Diese entspricht einem radikal veränderten Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Der Blick neuer Filme richtet sich nicht mehr neugierig oder aus Erkenntnisinteresse auf eine äußere Wirklichkeit, sondern auf einen Fundus überlieferter Bilder, denen ihre historische und gesellschaftliche Bedeutung genommen wurde. Kurz gesagt: Der postmoderne Film ist zur Propaganda einer Welt ohne Außen geworden.

Andreas Scheiner hat das Buch für die NZZ vorgestellt. Ein Auszug: 

Am Anfang des Kinos stand das Staunen. Der neuartige Apparat erlaubte es den Menschen, mit Neugierde auf die Wirklichkeit zu schauen. Filme beförderten „die gesellschaftliche Teilhabe und eine universalistische Sicht auf die Welt“, wie der Filmtheoretiker festhält. Heute befördern die Filme vor allem noch den Narzissmus des Einzelnen.Wir leben in einer selbstverliebten Gesellschaft, in der laut Gass „die mitunter schmerzliche, fremdartige Begegnung mit dem Anderen, Neuen, Nichtidentischen“ keinen Platz mehr habe. Der Narzissmus „will nur noch erfahren und haben, was er kennt“. Und so sehen die Filme dann auch aus.Sie richten sich an Menschen, die 20 Franken im Monat für Netflix ausgeben. Oder ähnlich viel für ein Kinobillett. „Die Mittelschichten betrachten sich in diesen Filmen selbst“, schreibt Gass. Allerdings „nicht im Sinne einer womöglich kritischen Darstellung der materiellen Bedingungen ihrer Existenz“.

Exemplarisch sind für ihn die Filme von Ruben Östlund („Triangle of Sadness“) und Paolo Sorrentino („Parthenope“), aber auch eine Serie wie „The White Lotus“ liesse sich anführen: Diese Stoffe vertreten eine „vulgäre Kapitalismuskritik samt eingebauter Verstehanleitung“. Dem Anschein nach werden soziale Missstände offengelegt, „über die man selbst natürlich erhaben ist dank einem hypersensiblen Mindset“.Alles ist nur noch PoseAber diese Produktionen interessieren sich nicht für eine Rea lität, sondern sie „inszenieren Geschmack“. Gass, der sich auch über das gutbürgerliche Arthouse-Kino von Joachim Trier, Wes Anderson oder Mia Hansen-Löve auslässt, kritisiert zu Recht, dass im typischen Gegenwartsfilm alles zur Pose wird, „die man umstandslos einnehmen kann, zur Ausstattung – ohne Entwicklung, ohne Komplexität, ohne Widersprüche“.

Lars Henrik Gass nennt es den narzisstischen Film. Dieser bildet eine Gesellschaft ab, die immer seltener ins Kino geht, aber ihr Selbstbild auch im Film wiederfinden möchte. Auf Netflix muss sie nicht lange suchen. Der narzisstische Film, fasst Gass zusammen, sei „eine Art All-inclusive-Angebot für den Mittelstand als Zielgruppe, der hier sein Zeitporträt erhält, sein Epos“.

Wird es irgendwann wieder besser? Die grosse Chance für das Kino ist ausgerechnet seine grösste Bedrohung: die KI. Paradoxerweise wird die Technik durch die Technik obsolet: Weil es immer weniger Mittel braucht, um Filme zu machen. Man muss nicht James Cameron heissen und mehrere hundert Millionen Dollar aufwenden, um „Avatar“ in die Länge zu ziehen. In naher Zukunft kann praktisch jeder auf Pandora drehen und Geschichten von blauen humanoiden Mondbewohnern erzählen. Womit sich dann kein Mensch mehr dafür interessieren wird.Blockbuster werden ihre Anziehungskraft verlieren. Denn selbst an noch so spektakulären Bildern hat sich das Publikum irgendwann sattgesehen. Was sich nicht erschöpft, sind die Geschichten. Solche, die sich keine KI ausdenken kann. Und die sich nicht darum drehen, was ohnehin jeder schon kennt, sondern die das eigene Weltbild herausfordern. Wenn es so kommt, dann kommt die beste Zeit für das Kino erst noch.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.nzz.ch.

Akzente, Film

Hollywood: Alles so woke hier

In dem Artikel Kino im Herzen habe ich im April 2021 darauf hingewiesen, dass die Filmindustrie eine Mission verfolgt. Ich schrieb damals:

Manche Jugendliche lassen sich von Filmen zeigen, wer sie sind und was ihnen wichtig ist. Diese Beobachtung ist erst einmal neutral gemeint. Es gibt Filme, die pädagogisch wertvoll sind, etwa indem sie die Liebe zu Tieren fördern oder dabei helfen, mit Konflikten konstruktiv umzugehen. Filme werden genau wegen ihrer intensiven Wirkung dafür eingesetzt, bestimmte Vorstellungen über Religion, Familie, Gerechtigkeit, Lebenssinn oder Sexualität zu verstetigen. Sie transportieren gezielte Botschaften, häufig auf fast unmerkliche Weise (manchmal als „Subtexte“ bezeichnet). So nehmen sie Einfluss auf die Art und Weise, wie wir denken, fühlen und handeln. Sie stoßen quasi Verinnerlichungsprozesse an, bei denen die Haltungen filmischer Vorbilder von den Betrachtern übernommen werden.

Genau deshalb lassen sich Spielfilme wunderbar verzwecken. Tatsächlich orientieren sich immer mehr Einrichtungen der Unterhaltungsindustrie an Vorgaben, die von politischen oder kulturellen Institutionen eingefordert werden. So hat kürzlich die Oscar-Akademie bekannt gegeben, dass Filme ohne bestimmte inhaltliche Standards gar nicht mehr für die Kategorie „bester Film“ nominiert werden dürfen. Filmbeiträge sollen Themen behandeln, die sich um Frauen, Minderheiten, Menschen mit Behinderungen oder LGBT-Inhalte – also Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans-Menschen drehen.

Die UFA hat sich als erstes deutsches Unternehmen kürzlich explizit zu mehr Diversität vor und hinter der Kamera verpflichtet. Als Orientierung dient dabei der Zensus der Bundesregierung: Ziel sei es, „den Anspruch von Diverstität, Inklusion, Chancengleichheit und Toleranz als Selbstverständlichkeit zu leben“. Die UFA fokussiert sich deshalb vorrangig auf Frauen, LGBTIQ*, People of Color sowie Menschen mit Beeinträchtigungen. Sie will Diversität als Normalität zeigen, statt stereotypische Narrative durch Geschichten und Besetzung zu verstärken. Um die Zielsetzung der Selbstverpflichtung zu erreichen und alle Aktivitäten zu bündeln und voranzutreiben, „haben Mitarbeiterinnen einen internen Diversity-Circle gegründet. Dieser besteht aus Patinnen und Paten zu den vier Fokusthemen Gender, LGBTIQ, People of Color sowie Menschen mit Beeinträchtigungen“. 

Inzwischen gibt es erste Anzeichen dafür, dass die Menschen nicht bereit sind, diese Woke-Kultur langfristig mitzutragen. Der neue „Indiana Jones“ ist ein Kassenflop. Die Zuschauer haben keine Lust mehr auf Identitätspolitik im Kinosaal. Langsam scheinen das auch die Produzenten zu merken. Es gibt erste Entlassungen. Jörg Wimalasena schreibt für die WELT:

Und wie bei Lucasfilm läuft es auch in anderen Disney-Produktionen und anderen Konzernen. Wokeness regiert. Im Marvel-Universum hält die weibliche Version von Hulk (She-Hulk) Vorträge darüber, wie schwer es ist, eine Frau zu sein. Bei „Star Trek“ wird der weiße hochnäsige Sternenflotten-Offizier beim „mansplainen“ von einem Asteroiden getötet und in dem Amazon-Prequel zu „Der Herr der Ringe“, in dem Elben, Zwerge und Hobbits natürlich auch ethnisch divers sind, gibt Galadriel als wackere und praktisch unbesiegbare und unbeirrbare Heldin den Ton an.

Das Schema ähnelt sich in vielen Produktionen. Neben der Dekonstruktion des „alten weißen Mannes“ tauscht man häufig weiße durch schwarze oder asiatische Charaktere aus, oder macht aus männlichen Protagonisten weibliche. So gab es Neuauflagen der Heist-Filmserie „Ocean‘s Eleven“ mit weiblichen Hauptrollen und eine Frauenversion von „Ghostbusters“ (die floppte).

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Feuilleton

Mit 50 bist du zu alt

Auf dem Filmfest München beklagen Regisseure Formen von Altersdiskriminierung. Junge Leute und Frauen würden von den Anstalten auffällig bevorzugt. Jörg Seewald schreibt: „Wenn es stimmt, dass das Fernsehen gesellschaftliche Verhältnisse abbildet, dann sollte das auch für das Personal hinter der Kamera gelten. Und dann ist neben der die Gesellschaft eher zersetzenden Genderdebatte ein zweiter Kampfplatz eröffnet: die Altersdiskriminierung.“

Weiter heißt es: 

Einer, der nichts mehr zu verlieren hat, weil er schon einmal kalt gestellt wurde, ist der Autor und Regisseur Rolf Silber, ein unabhängiger Kopf, Mitgründer der U5-Filmproduktion in Frankfurt und einer von fünf Vorständen im Bundesverband Regie. „Den Jungen“, sagte er, komme zurzeit entgegen, „dass die Branche – noch – dreht, bis der Arzt kommt und angeblich bei den Sendern die Devise ausgegeben wurde: ,Bring mir wen, der unter Dreißig ist und möglichst Frau‘“. Zugleich meldeten sich junge Kollegen, denen Vertrags- und Drehbedingungen präsentiert werden, die man Älteren nicht vorzulegen gewagt hätte. „Und wir fragen uns, ob da Zusammenhänge bestehen.“ Silber weiß zu berichten, dass man schon mit Fünfzig als „alt“ gilt. „Ein Alter also, das mal eines war, wo man von Regisseurinnen und Regisseuren Filme erwartete, die dem Höhepunkt ihres Schaffens entsprangen.“ Nun sei das Problem „existenziell, weil – manchmal über Nacht – Karrieren und damit Existenzen vernichtet werden.“ Der Regisseur Thomas Jauch sagte, er sei froh, dass er sich schon „im Sonnenuntergang“ seiner Karriere befinde. „Wenn ich 50 wäre, hätte ich Angst.“ Auch ihm sei es nicht nur einmal passiert, dass ihm eine Regie angeboten wurde „und zwei Wochen später hieß es: Du machst das doch nicht. Das soll jetzt eine Frau machen.“

Mehr: www.faz.net.

Feuilleton, Akzente

Das Kino im Herzen

Was passieren kann, wenn Filme oder Serien unsere Herzen „formatieren“, beschreibe ich in dem Artikel „Das Kino im Herzen“. 

Manche Jugendliche lassen sich von Filmen zeigen, wer sie sind und was ihnen wichtig ist. Diese Beobachtung ist erst einmal neutral gemeint. Es gibt Filme, die pädagogisch wertvoll sind, etwa indem sie die Liebe zu Tieren fördern oder dabei helfen, mit Konflikten konstruktiv umzugehen. Filme werden genau wegen ihrer intensiven Wirkung dafür eingesetzt, bestimmte Vorstellungen über Religion, Familie, Gerechtigkeit, Lebenssinn oder Sexualität zu verstetigen. Sie transportieren gezielte Botschaften, häufig auf fast unmerkliche Weise (manchmal als „Subtexte“ bezeichnet). So nehmen sie Einfluss auf die Art und Weise, wie wir denken, fühlen und handeln. Sie stoßen quasi Verinnerlichungsprozesse an, bei denen die Haltungen filmischer Vorbilder von den Betrachtern übernommen werden.

Mehr dazu hier: www.evangelium21.net.

Film

Tenet – ein säkulares Dogma

Don’t try to understand it, feel it.

Christopher Nolan hat es mal wieder geschafft. Ein Meisterwerk von einem Film: einmalig, neuartig, ästhetisch anspruchsvoll (voll von schönen Menschen in schöner Kleidung) und total abgefahren.

Wie ein Schüler von mir sagte: „Der Regisseur wollte zu viel in dem Film“. Ein namenloser CIA Geheimagent (gespielt von Denzel Washingtons Sohn) wird zu einem noch geheimeren Geheimdienst berufen: TENET. Es gilt den dritten Weltkrieg zu verhindern, aber keinen Atomkrieg, sondern einen Angriff der Zukunft auf die Gegenwart.1 In der ZEIT (no pun intended) heißt es dazu:

Eine zukünftige Technologie macht es möglich, durch die quantenmechanische Umkehrung der Entropie eines Körpers die Richtung zu ändern, in der dieser sich durch die Zeit bewegt. Das „invertierte“ Projektil unterliegt den gleichen Naturgesetzen wie unsere gegenwärtige Welt. Es scheint aber aus unserer Perspektive von der Wirkung zur Ursache, dem Abfeuern der Waffe, zurückzufliegen.“2

Diese Inversionen werden in cineastisch atemberaubender Weise visualisiert; z.B. in Kampfszenen in denen der Protagonist Kugeln ausweicht, welche vom Einschussloch zurück in die Waffe fliegen. Ein Tanz von Gewalt und ihrer Rücknahme,3 indem sich die Zeitebenen überlagern.4

The Guardian schreibt:

„Tenet ist ein gigantisch verwirrender, gigantisch unterhaltender und gigantisch gigantischer metaphysischer Actionthriller, indem der Protagonist nur Der Protagonist heißt. Dieser kämpft gegen kosmische Eingriffe aus der Zukunft, während die Zeit gleichzeitig rückwärts und vorwärtsläuft.“5

Die Dynamik der Umkehrung transzendiert die Zeit, um sie anschließend wieder in die Immanenz einzubetten. Eine Art säkularer Magie, durch die letztlich die Transzendenz in der Immanenz aufgelöst wird.6 Das ist die Metaphysik der Erzählung.7

Die Essenz von Tenet ist die Überschneidung der Zeitebenen. Aus diesem chronologischen Antagonismus zieht der Film seine Kraft. Das Palindrome Narrativ des Films manifestiert sich in seinem Titel (T-E-N-E-T),8 wobei das N für den Konvergenzpunkt der Zeitachsen steht.  

Dieser Logos ist die Erlösung. Die Chronologie wird zur Soteriologie und Christus zu Chronos.

Der Drehbuchautor Christopher Nolan ist weniger Materialist, als Temporalist; am meisten wohl Physikalist. In der chiastischen Struktur (T-E-N-E-T) findet der säkulare Glaube seine eschatologische Form. Nolan präsentiert eine Philosophie der Zeit, welche dem biblischen Verständnis fremd ist. Die christliche Theologie der Zeit kennt einen konkreten Anfang, Linearität und einen Endpunkt.9

Nicht die Inversion des Menschen, sondern die Inkarnation des LOGOS initiiert die Erlösung.10

Nicht die Inversion des Subjekts, sondern die Konversion des Sünders führt zum Heil.

Die Vergöttlichung der Zeit in Tenet ist hochproblematisch; jedoch nicht neu. Bereits aus der griechischen Mythologie ist Chronos bekannt: der Zeitgott. Tenet bringt den Chronos-Mythos auf die Leinwand des 21igsten Jahrhunderts. Heute ist die Antwort darauf die gleiche wie immer:

Christus allein ist der Herr. In Ihm und durch Ihn wurden alle Dinge erschaffen – auch die Zeit.11 Christus, nicht Chronos, ist Herr über die Zeit!

Lars Reeh

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Die Filmbesprechung wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht.

Feuilleton, Film

Oscar-Akademie: Ein historischer Einschnitt

Die Oscar-Akademie hat eine Entscheidung getroffen, die es wirklich in sich hat. Filme, die nicht bestimmte inhaltliche Standards erfüllen, sollen in Zukunft gar nicht mehr für den besten Film nominiert werden dürfen. Gefordert wird mehr Inklusion und Diversität.

Die Zeitschrift Die Welt meldet:

Den Produzenten stehen dabei mehrere Optionen offen. Beispielsweise könnte eine Darstellerin oder ein Darsteller in einer wichtigen Rolle einer Minderheit angehören, etwa asiatischer oder hispanischer Abstammung sein.

Als ein weiteres Kriterium führt die Filmakademie inhaltliche Aspekte an: Filmbeiträge sollten demnach ein Thema behandeln, das sich um Frauen, Minderheiten, Menschen mit Behinderungen oder LGBT-Inhalte dreht – also Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans-Menschen.

Weitere mögliche Standards erhebt der Filmverband nun via Diversitäts-Quoten für die gesamte Rollenbesetzung oder für das Produktionsteam. Denkbar sei etwa, dass mindestens 30 Prozent der Zweitrollen von unterrepräsentierten Gruppen besetzt werden müssen. Möglich ist auch, dass es inhaltlich insgesamt um eine „unterrepräsentierte Gruppe“ geht – laut der Filmakademie könnten dies Frauen, Minderheiten, Menschen mit Behinderung sowie Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender sein.

Aus meiner Sicht wird auf diese Art und Weise die künstlerische Freiheit stark eingeschränkt. Ich kann nur hoffen, dass mit so einem Eingriff die Bedeutung der Oscars weiter zurückgeht. Produzenten, Drehbuchautoren, Regisseure oder Schauspieler sollten keine Belehrungsgehilfen einer kulturellen Elite sein, sondern die Freiheit haben, die Kunst zu schaffen, die sie erschaffen wollen. Kunst, die aufgrund von politischen Vorgaben für die „Volkserziehung“ instrumentalisiert wird, hat schon genug Schaden angerichtet.

Hier die Meldung: www.welt.de.

Feuilleton

Joker: Das Lachen der Postmoderne

„I used to think that my life was a tragedy but now I realize
it’s a comedy.“

Joker

Dieser Film ist brutal7 Das Setting ist Gotham City im Jahre 1981 während eines Müllstreikes. Der Protagonist heißt Arthur Fleck (gespielt von Joaquin Phoenix), ist Anfang dreißig, wohnt bei seiner kranken Mutter (die er pflegt) und arbeitet als Aushilfsclown, wobei er von einer Karriere als Standup Comedian träumt. Arthur Fleck ist ein Außenseiter, der aufgrund seines zwanghaften Lachens Verwirrung auslöst, verachtet und verhöhnt wird. Der Bruch in Flecks Biographie summiert sich aus Missbrauch in der Kindheit, mentaler Krankheit, Mobbing, Armut, Einsamkeit, Arbeitslosigkeit, Vaterlosigkeit, Gewalt, Abweisung, sexueller Frustration und Verhöhnung. „Als die Demütigungen zu viel werden, reagiert er mit Gewalt und wird zum berüchtigten „Joker“. Der Film zeichnet die Charakterstudie eines Mannes, der eigentlich eine tragische Figur ist, aber zum Täter wird und damit obendrein zu einem dunklen Massenidol.“12 Nachdem der Hauptdarsteller auf dem nach Hause Weg in der U-Bahn, noch in Arbeitskleidung (Clownskostüm) drei Yuppies erschießt, wird er zum Auslöser einer gesellschaftlichen Protestbewegung, deren Symbol die Clownsmaske ist. Der sozialpolitische Protest entzündet sich hierbei zwischen Arm und Reich. Menschen aus den unteren Schichten werden in einer Szene von dem Milliardär Thomas Wayne (Batmans Vater) als „Clowns“ bezeichnet, was möglicherweise eine Anspielung an Hillary Clintons „basket of deplorables“ ist. Überhaupt ist der Joker als Vorbild einer sozialen Bewegung eine Referenz zu unserer Zeit. Ein Clown als Führungsfigur ist die maximale Kritik an den politischen Verhältnissen. Es ist als würde der Populismus dem Establishment zurufen: „Seht her, selbst der Kasper kann es besser als ihr.“13 Jedoch entzieht sich der Joker in typisch postmoderner Manier einer gesellschaftspolitischen Eindeutigkeit:

„Konservative Kritiker warfen dem Film vor, eine linke Agenda zu verfolgen. Was nicht von der Hand zu weisen ist: Eine Nebenhandlung ist eine vom „Joker“ inspirierte Protestbewegung, welche gewalttätig gegen die soziale Ungleichheit in Gotham City demonstriert. Die Reichen sind das Feindbild. Linke Kritiker wiederum werfen dem Film „toxische Maskulinität“ vor. Er legitimiere zudem genau die Agenda, die Trump ins Amt brachte.“14

Für den Charakter des Jokers gibt es bisher keine definitive Ursprungsgeschichte15, somit ist dieser Film vom Regisseur Todd Phillips als Versuch der Kanonisierung der Gründungserzählung zu verstehen.16

Joker zeigt die Metamorphose eines Mannes zum Mephisto von Gotham. Mit jedem Mord den Arthur Fleck/Joker begeht (es sind mindestens sechs) steigert sich seine Amoralität. Die Verwandlung von Mensch zum Mythos erlebt ihren Höhepunkt, als der Protagonist in die Live Comedy Show seines Vorbildes Murray Franklin (Robert DeNiro) eingeladen wird. Dort lässt er sich bereits als Joker vorstellen, propagiert Subjektivismus („comedy is subjective“) und moralischen Relativismus, bekennt sich zu den U-Bahn Morden und erschießt schließlich sein (Ex-)Vorbild vor laufender Kamera. Der Joker ist eine fluide Persönlichkeit; ein Trickster und ein Nihilist. „Der Trickster ist eine stark ambivalente Figur. Er verkörpert das Prinzip der Vereinigung von Gegensätzen […]“17 Gegen Ende des Films sagt der Joker: „I don’t believe in anything“ und „I have nothing left to lose.“ Dies sind typische nihilistische Glaubenssätze. Er akzeptiert keine Moral, die über sein eigenes Selbst hinausgeht. Daher überrascht es nicht, dass der Joker als ein Beispiel für Nietzsches Übermenschen beschrieben wird.18

Ein Unterschied besteht darin, dass der Joker weniger vom Willen zur Macht als vom Willen zum Chaos getrieben wird. Macht und Gewalt sind Mittel zum Chaos, wobei er Chaos als Zustand der Erlösung begreift. In der Anti-Philosophie des Jokers ist diese Selbstermächtigung durch Gewalt nur durch die Verneinung der Transzendenz möglich. Die Selbstverwirklichung des Jokers vollzieht sich ausschließlich im Kontext der Immanenz: Er ist ein säkularer Satan. Das Lachen des Jokers entpuppt sich als die vertonte Fratze des souveränen Selbst. Die Leistung des Films besteht darin, diesen Sachverhält durch einen tanzenden und tötenden Clown ästhetisch düster zu veranschaulichen und somit unserer Kultur den Spiegel vorzuhalten. 19 Der Joker ist ein extremes Beispiel für die spätmoderne Tendenz der westlichen Gesellschaften keine objektiven moralischen Maßstäbe anzuerkennen. Absolute sind out! In der letzten Comedy Show Szene konfrontiert der Joker Gothams Meinungsführer mit genau diesem Sachverhalt. Als er sich zu den U-Bahn-Morden bekennt wird er verurteilt; seine Rechtfertigung besteht im Verweis auf einen radikalen Subjektivismus, dem sich die Bürger Gothams längst unterworfen haben. Dadurch wird die Gesellschaft der moralischen Heuchelei überführt. Ein Unterschied zwischen der Mehrheitsgesellschaft und dem Joker besteht jedoch möglicherweise darin, dass sich erstere auf einen Konsens des Gruppenrelativismus geeinigt hat, dem sich der Joker nicht mehr anschließt. Moral ist in Gotham letztlich nur noch eine Frage der Mehrheitsverhältnisse. Die Kritik weiterer Charaktere an dem Joker lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: „Du liegst falsch, weil wir es sagen.“ Das ist eine sehr dünne Begründung für Ethik. Genau hier liegt die Krux: Die Verneinung der Transzendenz führt in ihrer Konsequenz zum Joker. Er ist der personifizierte Nihilismus, der Über-Mensch; ein wahrer Nihilist. Für den Joker ist dieser Weg der Pfad der Erlösung. Die Absolutsetzung des Ichs befreit ihn von gesellschaftlichen Zwängen, sie befreit ihn von der herabwürdigenden Außenwahrnehmung seiner Mitmenschen und letztendlich befreit sie ihn davor sich selbst zu problematisieren. Die Ursünde, totale Autonomie, wird zur Erlösung verklärt. 20 Das ist das Anti-Evangelium des Jokers. Dieser Film ist auf drei Ebenen zutiefst antichristlich:

Erstens in der Verneinung der Transzendenz. Joker widerspricht dem biblischen Weltbild; die 122 Minuten Spielzeit sind durchtränkt von einer tiefen Gottlosigkeit.

Zweitens predigt der Film Selbsterlösung. Joker verkennt, dass Erlösung von Schuld und Pein nicht im Selbst, sondern in Jesus Christus liegt. Nicht Selbstermächtigung durch radikalen Subjektivismus ist der Weg, sondern Selbstkreuzigung als Folge des rettenden Glaubens an den Sohn Gottes. Wie gut, dass der Arm Gottes nicht zu kurz ist, um selbst einen Joker (und dessen Nachfolger) zu erreichen.

Drittens in Bezug auf die Zukunftsperspektive. Die filmische Erzählung ist von einer starken Hoffnungslosigkeit geprägt.21 Das Narrativ lässt es am Ende zumindest offen, ob der Joker in der Lage sein wird das Evangelium der Selbsterlösung durch einen konstanten performativen Akt aufrechtzuerhalten. Das Christentum hingegen bietet eine bessere Zukunftsperspektive. Die christliche Offenbarung kommuniziert das Metanarrativ der Hoffnung, denn der, welcher ein gutes Werk in den Christen begonnen hat, wird es auch vollenden bis auf den Tag Jesu Christi (Phil. 1,6).

Lars Reeh

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Die Filmbesprechung wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht.

Film, Zeitgeist

„Axolotl Overkill“

Helene Hegemann wurde 2007 wie ein Wunderkind durch die Feuilletons gereicht. Sie hatte den postmodernen Roman „Axolotl Roadkill“ veröffentlicht und ist damit berühmt geworden. Der Romanstoff wurde zusammengeklaut (vgl. hier). Macht nichts: „Originalität gibt’s sowieso nicht, nur Echtheit.“

Der Roman handelt von wohlstandsverwahrlosten Jugendlichen in Berlin. Intertextuell. Es sind Fragmente, oft zusammenhangslos. Zu lesen sind dann fast schon faschistisch anmutende Sätze, wie:

„Ich bin in Berlin. Es geht um meine Wahnvorstellungen“ – und wenn dann hauptsächlich vom Ficken und vom Kotzen, vom Scheißen, vom Saufen und vom Kiffen die Rede ist, dann nicht, weil das Leben „in Berlin“ so ist, sondern weil da gar kein Leben ist.

„Mir bereitet es keine Schwierigkeiten, dabei zuzusehen, wie einer Sechsjährigen bei vollem Bewusstsein gleichzeitig mit kochendem Schwefel die Netzhaut ausgebrannt und irgendein Schwanz in den Arsch gerammt wird, und danach verblutet sie halt mit weit geöffneten Augen auf einem Parkplatz“ …

Mit dem Film „Axolotl Overkill“ hat es der Roman nun in die Kinos geschafft. Helene Hegemann selbst hat Regie geführt. Trotz guter Schauspieler, Kulisse und Bildqualität kann „Axolotl Overkill“ aber manche Kritiker nicht überzeugen. Andrea Diener empfiehlt in ihrer „bösen“ Filmbesprechung, die Zeit lieber für einen Spaziergang oder eine leckere Pizza zu nutzen.

Hier die Kritik: www.faz.net.

Akzente, Film, Religionsfreiheit, Rezensionen

„Silence“

Wer den Skandalfilm „Die letzte Versuchung Christi“ (1988) oder „Shutter Island“ (2010) und zuletzt „The Wolf of Wall Street“ (2013) gesehen hat, dürfte überrascht sein, zu hören, dass sich der Regisseur Martin Scorsese von Jugend an suchend mit dem christlichen Glauben auseinandersetzt. Ein nachhaltiger Impuls zur Suche stammt aus dem Jahr 1988. Nach einer Sondervorführung von „Die letzte Versuchung Christi“ (in dem Film wird Jesus eine Beziehung zu Maria Magdalena unterstellt), überreichte Erzbischof Paul Moore dem Filmemacher eine Ausgabe von Shūsaku Endōs historischem Roman „Schweigen“. Das Buch hinterließ einen tiefen Eindruck. „Das Thema, das Endō hier behandelt, ist in meinem Leben seit meiner frühesten Jugend präsent“, so der Regisseur. „Ich wurde in einer streng katholischen Familie groß und beschäftigte mich stark mit Religion. Die Spiritualität des römischen Katholizismus, in die ich als Kind eintauchte, ist das Fundament meines Lebens, und diese Spiritualität hing mit dem Glauben zusammen.“ Während Scorsese den Roman las, fand er sich zu seiner eigenen Überraschung mit tiefgreifenden Fragen des Christentums konfrontiert, mit denen er „noch immer“ ringt, wie er sagt. „In der heutigen Phase meines Lebens grüble ich ständig über Themen wie Glauben und Zweifel, Schwäche oder das Schicksal des Menschen nach – und Endōs Buch berührt diese ganz direkt.“

„Silence“

Mit dem Film „Silence“, der auf dem Buch von Endō beruht, hat der Meisterregisseur nun ein Werk in die Kinos gebracht, das fast keine große Frage ausläßt. Der Film thematisiert, was Theologen, Religionsphilosophen oder Missionare umtreibt. Um einige Themen zu nennen: Was ist Wahrheit? Wie können wir das Evangelium kontextualisieren? Wie sollen sich Christen in Verfolgungssituationen verhalten? Zerstört die christliche Mission fremde Kulturen? Gibt es nach dem Abfall vom Glauben eine weitere Chance zur Umkehr? Und natürlich die übergroße Frage: Warum schweigt Gott?

Die Handlung

Der Film dreht sich um Pater Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und Pater Francisco Garpe (Adam Driver), die 1638 von Portugal ins für die westliche Welt völlig abgeschottete Japan aufbrechen, um der Wahrheit hinter den Gerüchten nachzugehen, dass ihr berühmter Lehrer Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) seinem Glauben abgeschworen habe. Ferreira, ein Vorbild für viele junge Priester in Portugal, soll nicht nur dem Christentum den Rücken zugekehrt, sondern sogar zum Buddhismus übergetreten sein und eine Japanerin geheiratet haben.

Nachdem Rodrigues und Garpe im Hafen Macaus angekommen sind, zeichnet sich das Bild der christlichen Mission in Japan durch Gespräche mit Augenzeugen immer düsterer. Christen sind in Japan von ständiger Verfolgung der Feudalherren bedroht und werden durch Folter zum Glaubensabfall gezwungen.

In einer Kneipe finden die Priester den einzigen Japaner von Macau. Obwohl Kichijirō ein zwiespältiger Trunkenbold ist, scheint nur er sie unentdeckt nach Japan führen zu können. Angeblich stammt Kichijirō aus einer christlichen Familie. Während diese ihrem Glauben treu blieb und grausam hingerichtet wurde, verleugnete er das Christentum und wurde von seinen Peinigern in seinem Heimatdorf zurückgelassen. Er hatte es dann fluchtartig wegen plagender Schuld- und Schamgefühle verlassen. Nun betäubt er sein schlechtes Gewissen im Rausch.

Doch Kichijirō tut scheinbar alles, um sich zu rehabilitieren: Kurz nach der Landung in einer entlegenen Küstenregion nahe Nagasaki bringt er die beiden Jesuiten mit den ärmlichen Dorfbewohnern Tomogis zusammen, die alle dem von den Missionaren gebrachten Katholizismus treu geblieben sind und ihren Glauben im Geheimen praktizieren. Für sie sind die beiden Priester sprichwörtlich ein Geschenk Gottes: Endlich haben sie Geistliche, die ihnen die Sakramente spenden. Die Jesuiten selbst sind von dieser Aufgabe tief bewegt, auch wenn sie zunehmend begreifen, dass die Dörfler eine Art improvisiertes Christentum praktizieren und womöglich nicht alle Inhalte des Glaubens voll verstehen.

Tagsüber müssen sich die Priester verstecken. Erst in der Dunkelheit können Rodrigues und Garpe ihre seelsorgerischen Aufgaben wahrnehmen. Nach katholischer Lehre braucht es für den Zuspruch der Vergebung die Beichte bei einem Priester. Endlich sind sind sie da. Die Bauern bekennen ihre Sünden. Auch wenn die Priester nicht immer verstehen, um was es geht, erteilen sie die Absolution. (Als Protestant musste ich während dieser Szene an Luther denken. Dieser schrieb: Gott „schüttet also seine Christen noch viel reichlicher und decket ihnen mit Vergebung der Sünden alle Winkel voll, auf dass sie nicht allein in der Gemeinde Vergebung der Sünden finden sollen, sondern auch daheim im Hause, auf dem Felde, im Garten, und wo einer nur zum andern kommt, da soll er Trost und Rettung haben.“)

Als sich die befreundeten Priester auch bei Tageslicht hervorwagen, werden sie Zeuge eines grausamen Zwischenfalls: Samurai-Truppen marschieren in Tomogi ein und zwingen die Bewohner zur Glaubensprüfung. Sie müssen auf Bildern von Jesus, Maria oder Kruzifixen herumtrampeln, um damit zu beweisen, dass sie nicht dem Christentum folgen. Kichijiro, dem Pater Rodrigues erst zuvor noch die Beichte abgenommen hatte, verleugnet seinen Glauben erneut und läuft eilig davon. Letztlich werden drei aus dem Dorf, die sich der zynischen Kontrolle verweigert haben, zum Tod durch Kreuzigung verurteilt. Fassungslos sehen die beiden Pater mit an, wie die Märtyrer in der Meeresbrandung gekreuzigt werden. Sie sterben unter dem Anprall der Wellen langsam und unter großen Qualen vor Erschöpfung. Ihre Leichen werden verbrannt und die Asche wird verstreut, um sie einer kultischen Verehrung zu entziehen. Verzweifelt beginnt Rodrigues in seinen Gebeten angesichts des erlebten Leidens seiner Glaubensbrüder das Schweigen Gottes ins Feld zu führen.

Die eigentliche Aufgabe der Jesuiten ist allerdings noch nicht erfüllt: Das Schicksal von Pater Ferreira ist weiterhin ungeklärt. Gegen das sehnliche Bitten der Dorfbewohner verlassen Rodrigues und Garpe das Dorf Tomogi und teilen sich auf, um jeder für sich, weiter ins Land vorzudringen. Hier spitzt sich dann die Handlung dramatisch zu.

Erste Eindrücke

(1) Um es gleich zu sagen: „Silence“ ist ein beeindruckender Film. Ich kann mich nicht daran erinnern, einen Kinosaal jemals beklommener verlassen zu haben (und Spielbergs Film „Schindlers Liste“ hatte mir schon einiges abverlangt). Die Wucht der Bilder, die kurzen aber präzisen Dialoge, die offenbarten leiblichen und seelischen Qualen, haben mir fast den Atem genommen.

(2) Die Schauspieler glänzen durchweg. Ob Adam Driver (Garpe), Liam Neeson (Ferreira, er spielte Oskar Schindler in Schindlers Liste) oder Yōsuke Kubozuka (Kichijirō), sie spielen grandios. Andrew Garfield (Rodrigues) hat einen Oscar verdient.

(3) Für den Film braucht es Nerven wie Stahl. Schon die Eingangsszene zeigt die Brutalität, mit der die Inquisition die Christen gefoltert und gemordet hat. Die einheimischen Gläubigen werden mit kochend heißem Wasser aus Vulkanquellen übergossen. Besonders grausam war die Technik des ‚ana-tsurushi’, die im Film zu sehen ist: Das Opfer wurde von einem Gerüst mit dem Kopf nach unten in eine Grube gehängt, der Körper fest verschnürt, um die Blutzirkulation zu hemmen. Während es unerträglichen Druck auf den Kopf litt, tropfte ihm langsam Blut aus Mund und Nase oder einer Schnittwunde. Bis der Tod eintrat, dauerte es oft bis zu einer Woche. Ich kann nicht nachvollziehen, dass der Film ab 12 freigegeben wurde.

(4) Die problematische Theologie und die Missionsmethodik von Franz Xaver (1506–1552) und den Jesuiten will ich hier nicht erörtern. Es ist jedoch einen Hinweis wert, dass die Bibel – zumindest im Film – so gut wie keine Rolle spielt. Obwohl ich Filmen gern eine zweite Chance gebe, ist das schon jetzt für mich die Erklärung für das vorgebliche Schweigen Gottes. Ich kann mich sogar an eine Szene erinnern, in der (vermeintlich) Jesus doch spricht. Im Schweigen vernimmt Rodrigues seine Stimme, die zum Glaubensabfall aufruft. Die Heilige Schrift, die ja Verfolgung und Martyrium deutlich anspricht, bezeugt auf breiter Grundlage, dass es gerade das Wort Gottes ist, dass in Stunden schwerster Anfechtung und Not Orientierung, Halt und Trost gibt. Gott spricht durch sein Wort.

(5) Der Film stellt Fragen, viele gute Fragen. Antworten gibt er nicht. Deutet er Antworten an, sind sie unorthodox und mystisch. Trotzdem kann „Silence“ zum tiefschürfenden Gespräch anstiften.

(6) Wieder einmal ist deutlich geworden, wie wichtig solide Begründungen der Religionstoleranz sind und das sie geschützt werden muss.

(7) Die japanische Inquisition hat den Gläubigen einen „Abfall vom Glauben“ leicht gemacht. Die Apostasie wird scheibchenweise serviert: „Das ist nur eine Formsache. Es reicht eine Geste, mehr wollen wir nicht.“ Doch die erste Überschreitung hat die Herzen der Menschen gebrochen und weitere Schritte vorbereitet.

(8) Mehr als einmal habe ich mich während des Films gefragt: Was hätte ich wohl in dieser Situation getan? Wäre ich standhaft geblieben?

Als der Film „Taxi Driver“ 1976 in New York uraufgeführt wurde, war das ein Ereignis der amerikanischen Popkultur. Aus dem jungen Robert de Niro wurde über Nacht ein großer Darsteller und Scorsese gilt seit dem als gefeierter Kultregisseur. „Taxi Driver“ entwickelte sich zum Referenzwerk postmodernen Filmstils und die Kritiker haben sich beim Ringen um die richtige Interpretation die Finger wundgeschrieben. Diese Aufmerksamkeit wird „Silence“ nicht bekommen. Ein Ereignis ist der Streifen über Glaube, Zweifel, Martyrium und Apostasie allemal.

Ron Kubsch

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Der Film kommt am 2. März 2017 bundesweit in die Kinos.
FSK ab 12 freigegeben.
162 Minuten.
Internet: www.silence-film.de.

 

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Bild: © 2017 Concorde Filmverleih GmbH

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