Ein Junge in Mädchenkleidern
Die FAZ berichtet in der Ausgabe vom 2. Januar 2020 über Bemühungen in den USA, unter Kindern die Geschlechteridentität gezielt zu dekonstruieren. In dem Artikel „Ein Junge in Mädchenkleidern“ schildert Christiane Heil die missionarischen Aktivitäten von Dragqueens (eine Dragqueen ist ein Mann, der sich wie eine Frau kleidet und verhält) in Spiel- und Lesestunden unter zwei- bis ungefähr fünfjährigen Kindern (FAZ, Nr. 1, 02.01.2010, S. 9). Ausführungen dieser sogenannten „Drag Queen Story Hour“ gibt es inzwischen in etwa 30 Bundesstaaten.
Was soll damit erreicht werden?
Das Ziel des Projekts „Drag Queen Story Hour“? „Vorstellungskraft und Spiel der kindlichen Gender-Fluidität zu unterstützen und Kindern glamouröse, positive und unverfrorene queere Vorbilderzu präsentieren“ , heißt es im Programm des im Jahr 2015 in San Francisco gegründeten Vereins. Seit zwei Jahren ist auch Harmonica Sunbeam dabei. In den Zeiten von Identitätspolitik und Diversität will sie einen Beitrag für mehr Toleranz leisten. Die Dragqueen tritt seit fast 30 Jahren in Nachtclubs, Bars und Fernsehserien wie „Law & Order“ oder „The Deuce“ auf. Zu Vorlesungsstunden in Frauenkleidern war es eher ein kleiner Schritt: „Dragqueens wissen, wie man mit Publikum umgeht. Kleine Kinder sind betrunkenen Erwachsenen nicht unähnlich.“
Durch solche Verstörungen wird die intuitive Identität von Kindern geschwächt, um sie auf die Annahme konstruierter sozialer Identitäten vorzubereiten. Ein verunsichertes Kind ist nämlich offener für eine Neuformatierung. Vor 13 Jahren schrieb ich dazu (Die Postmoderne, 2007, S. 54–55):
Auch die geschlechtliche Polarität, die in der Bibel mit dem göttlichen Schöpfungsakt begründet wird (vgl. 1. Mose 1,27) und die in der Neuzeit noch selbstverständlich akzeptiert wurde, löst sich allmählich auf. Die Zweigeschlechtlichkeit wird unmerklich durch ein multiples Geschlechterkonzept ersetzt, das die Fixierung auf die Pole „männlich“ und „weiblich“ fallen lässt.
Möglich wird dies durch die Unterscheidung zwischen biologischen und sozial erlernbaren Geschlechterrollen. Sprachlich differenziert man im Englischen zwischen biologischem (engl. sex) und soziokulturellem Geschlecht (engl. gender). Die biologischen Anlagen sind nicht determinierend, sondern lassen eine Geschlechterentwicklung entlang eines Spektrums zwischen männlich und weiblich zu. Die geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen werden sozial erlernt. Die Politik der Zukunft habe sich an diesem erlernten Geschlecht zu orientieren, die Genderaspekte und -perspektiven hätten in das Zentrum der Gleichstellungspolitik zu rücken.
Schon mehrere Feministinnen hatten die Orientierung am biologischen Geschlecht kritisiert. Allerdings akzeptierten sie das biologische Geschlecht als naturgegeben. Die in der Tradition Michel Foucaults stehende amerikanische Literaturwissenschaftlerin Judith Butler (*1956) hat die moderne feministische Kritik an den Geschlechterrollen weiter radikalisiert und sich gegen eine „Zwangsheterosexualität“ gestemmt. Durch eine Neubesetzung der Sprache müssten die bestehenden Kategorien von Mann und Frau verwischt werden. Konstantin Mascher schreibt über Butler: „Durch Parodie und Travestie (Verkleidung) werde, so schreibt sie, die Brüchigkeit der Zuordnungsmuster am deutlichsten entlarvt. Die offensichtliche Unnatürlichkeit der Maskerade hinterfrage die ‚Natürlichkeit‘ jeglicher ‚Geschlechtsidentität‘. Nach diesen Maßstäben wird die medienträchtige karnevalistische ‚Gay Pride‘ oder ‚Gay Parade‘ zur politisch wirksamsten Demonstration einer sich neu formierenden ‚fließenden Identität‘.“
Das Geschlecht wird nach Meinung führender Gender-Propagandisten durch soziale Interaktionen erzeugt. Die Art und Weise, wie sich Menschen mit ihren Körpern zueinander verhalten, gestaltet das Geschlecht (Doing Gender). Das Geschlecht ist also nicht fixiert, sondern fließend und grenzüberschreitend. Menschen können es im Verlauf ihres Lebens (mehrmals) wechseln, und die Festlegung auf nur zwei Geschlechter ist obsolet. Geschlechtliche Identität ist keine Frage der biologischen Statik, sondern der dynamischen Performanz.
Auch die staatlich und europäisch geförderte Politik des Gender Mainstreaming ist von gemäßigten Versionen dieses Ansatzes beeinflusst. Es handelt sich dabei um eine „Strategie, um alle Akteure in allen Handlungsfeldern, wie z.B. Rechtsetzung, Berichtswesen oder Forschung, sowie in allen Sachgebieten, wie z.B. Wirtschaft, Finanzen oder Familie, zu befähigen, gleichstellungsorientiert zu handeln“. „Jeder soll ein neues so genanntes kulturelles, ‚soziales Geschlecht‘ bekommen, ein Gender, das er selbst bestimmen kann, und dies völlig unabhängig von seinem biologischen Geschlecht.“