Johannes Calvin

Calvin: Tiefeingefressene Vorurteile

Hier ein Zitat von Thomas Schirrmacher aus der Einleitung zur Institutio von 1536 (RVB):

Walter Kreck schrieb bereits 1960: »Der Zugang zu Calvin ist uns nicht
leicht gemacht. Tiefeingefressene Vorurteile versperren uns oft den
Weg.« Während Luther schon lange von vielen studiert und Bucer
schlicht und einfach weitgehend vergessen wurde, bestimme immer
noch das polemische Calvinbild der Gegner die meisten Leser Calvins.

Robert L. Reymond benennt die wichtigsten verheerenden Calvinbiografien
der Geschichte von Bolsec bis Stefan Zweig, die allesamt nicht auf
Forschung beruhten, sondern billige Polemik lieferten. 1577 erschien
als erste dieser Art eine Biografie Calvins von dessen persönlichem Feind
Jérome-Hermès Bolsec. Der Karmelit wurde zunächst Protestant, stritt
dann mit Calvin über die Prädestinationslehre und kehrte dann zur
katholischen Kirche zurück. Er schildert Calvin als arrogant, grausam
und dumm und behauptet, Calvin sei bisexuell gewesen und habe viele
wechselnde sexuelle Beziehungen zu Frauen und Männern gehabt.

Der scharfzüngige französische Religionskritiker Voltaire (1694–1778,
eigentlich François Marie Arouet) schoss sich, um auf den eineinhalb
Jahrhunderte zuvor lebenden Calvin, der das Frankreich des 18 Jh. nicht
beeinflusste, schärfer ein, als auf die zeitgenössische katholische Kirche
seines Landes, wie überhaupt Calvin zum Inbegriff nicht nur alles
Bösen am Protestantismus, sondern alles Bösen am Christentum überhaupt
wurde. Und manch ein Deutscher auf der Straße weiß nichts
über die Reformation, aber dass Calvin ein grausamer und eiskalter Politiker
war, ist ihm selbstverständlich.

Es sind vor allem katholische und säkulare Forscher aus Frankreich
gewesen, die das Calvinbild aufgrund historischer Forschungen grundlegend
revidiert und gezeigt haben, dass die meisten der Anklagen gegen
Calvin aus heutiger Sicht falsche Gerüchte waren.

Trotzdem halten sich bis heute viele dieser Gerüchte und charakterlichen
Fehleinschätzung nicht nur bei den innerprotestantischen Gegnern
(z.B. Lutheraner oder Täufer), sondern selbst im evangelikalen und
reformierten Bereich …

Die »Institutio«, gleich zweimal

Glaubenslehre.jpgDie Neukirchener Verlagsgesellschaft veröffentlicht zum Calvinjahr 2009 eine Reihe interessanter Bücher. Auch das seit langem vergriffene Hauptwerk von Johannes Calvin, die Institutio Christianae Religionis, wird anlässlich des Jubiläums in der Übersetzung von Otto Weber neu aufgelegt. Nicht nur jüngere Leser werden sich darüber freuen, dass das Buch diesmal in lateinischer Schrift besonders leserfreundlich gesetzt wird.

Wer nicht warten (und Geld sparen) möchte, kann die vom Verlag RVB soeben herausgegebene erste Auflage der Institutio von 1536 erwerben. Diese kürzeste Auflage erschien erst 1887 in deutscher Sprache in der Übersetzung von Bernhard Spiess. Für die Neuauflage wurde die Übersetzung von Spiess von Mitarbeitern und Studenten des Martin Bucer Seminars sprachlich und orthographisch modernisiert. Zudem wurden die Abkürzungen und Verweise gleichgeschaltet, die biblischen Belegstellen überprüft und neue Zwischenüberschriften zur schnelleren Orientierung eingefügt.

Das Buch kann hier bestellt werden: www.amazon.de. Außerdem gibt es eine kleine Leseprobe: calvin_leseprobe1.pdf.

Calvin über Sündenerkenntnis und Sündenvergebung

Johannes Calvin schrieb 1536 über Sündenerkenntnis und Vergebung der Sünden:

Nunmehr lässt sich leicht einsehen, was man aus dem Gesetze zu lernen hat. Es sind folgende Wahrheiten: Gott ist unser Schöpfer, Herr und Vater; aus diesem Grunde schulden wir Ihm Lob, Ehrfurcht und Liebe. Da aber niemand von uns seine Aufgabe erfüllt, so verdienen wir alle Fluch und Verdammnis und schließlich den ewigen Tod. Einen andern Weg des Heils also müssen wir suchen, als den durch die Gerechtigkeit unserer Werke. Dieser aber ist die Vergebung der Sünden. Sodann, da es nicht in unserer Tüchtigkeit noch Fähigkeit liegt zu leisten, was wir dem Gesetze schuldig sind, so müssen wir an uns verzweifeln und anderswoher Hilfe suchen und erwarten. Sind wir in diese Demut und Erniedrigung herabgestiegen, alsdann leuchtet uns sofort Gott entgegen und zeigt sich gefällig, gütig, milde und nachsichtig, wie denn von Ihm geschrieben steht: »Er widersteht den Hoffärtigen, den Demütigen aber gibt Er Gnade« (Jak 4,6; 1 Petr 5,6). Und sobald wir Seinen Zorn mit vertrauensvollem Bitten abwenden und Verzeihung erflehen, gewährt Er dieselbe zweifellos, erlässt alles, was auch nur unsere Sünden verdient, und nimmt uns zu Gnaden an.
Doch damit nicht genug. Wenn wir erst einmal Seine Hilfe und schützende Hand anflehen, in der festen Überzeugung, dass wir, mit Seinen Schutzmitteln ausgerüstet, alles können, so schenkt Er uns nach Seinem gütigen Willen ein neues Herz mit (Ezechiel 36, 26ff), durch welches wir wünschen, eine neue Kraft, durch welche wir vermögen Seine Aufträge zu befolgen. Und zwar spendet Er uns dieses alles um Jesu Christi willen, unseres Herrn, der, als Er allein beim Vater war (Joh 1,1–14), unser Fleisch annahm, um dadurch einen Bund mit uns einzugehen und uns mit Gott aufs Innigste zu verbinden, die wir durch Sünden in weitem Abstand von Ihm getrennt waren (Jes 53,4–6). Er hat sogar durch Seines Todes Verdienst unsere Verpflichtungen gegenüber der Gerechtigkeit Gottes ausgelöst und Seinen Zorn besänftigt, indem Er uns von Fluch und Verdammnis, der wir verfallen waren, loskaufte und die Strafe der Sünde an Seinem Leibe ertrug, um uns von derselben loszusprechen (Eph 2,4–6; Kol 1,13.14). Er hat alle Fülle himmlischer Güter zur Erde herniedersteigend mit sich gebracht, um dieselbe mit reichlich spendender Hand auf uns auszugießen (Joh 1,14.16; 7,38; Röm 8,32). Dies sind aber die Gaben des Heiligen Geistes, durch welchen wir wiedergeboren, aus der Gewalt und den Fesseln des Teufels befreit, zu Söhnen Gottes aus Gnaden (unentgeltlich) angenommen und zu jedem guten Werke geheiligt werden. Durch Ihn ersterben auch, solange wir in diesem sterblichen Leibe gehalten werden, in uns die schlechten Begierden und Fleischeslüste, kurz, alles Böse, was nur noch die verdrehte und verkehrte Verderbtheit unserer Natur erzeugt; durch Ihn werden wir von Tag zu Tag erneuert, um in einem neuen Leben (in der Erneuerung des Lebens) zu wandeln und der Gerechtigkeit zu leben.

Reine Narren werden sie sein

JCalvin.jpgJohannes Calvin schrieb 1536 über eitle geistliche Leiter, die ihre eigenen Gedanken mehr lieben als das Wort Gottes:

Es hätte sich freilich für jene (Kirchenhäupter) geschickt, Beschützer und Wächter des Friedens und Heils zu sein, für dessen Erhaltung sie bestimmt sind. Doch ist es etwas anderes zu leisten, was man schuldig ist, und zu schulden, was man nicht leistet. Und doch wolle man nicht diese unsere Worte in dem Sinne aufnehmen, als sei ich dafür, dass man das Ansehen der Hirten ohne Unterschied, Überlegung und Auswahl erschüttern solle. Nur möchte ich unter ihnen selbst eine Auswahl getroffen sehen, damit man nicht alle, die da Pastoren (Hirten) heißen, sofort als solche anzusehen brauche. Denn daran müssen wir doch schlechterdings festhalten, dass ihre ganze Amtstätigkeit durch den Dienst am Worte Gottes, ihre ganze Weisheit durch die Erkenntnis dieses Wortes, ihre ganze Beredsamkeit durch die Verkündigung dieses Wortes begrenzt sei. Weichen sie davon ab, so müssen sie nach ihrer Einsicht für matt und stumpf, nach ihrer Zungenfertigkeit für Stammler und nach allen Seiten hin für unzuverlässige und pflichtvergessene Menschen gelten, mögen sie nun Propheten sein oder Bischöfe oder Lehrer oder gar nochirgend etwas Größeres! Nicht von dem einen oder andern will ich reden: nein, die gesamte Körperschaft der Priester wird, falls sie Gottes Wort hintansetzen und so von ihrem eigenen Sinne sollte sich treiben lassen, zu reinen Narren werden.

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