L’Abri

Was wir von Francis Schaeffer für die Gegenwart lernen können

Am Donnerstag, den 25. September 2025, bin ich in Zürich. Es gibt ein Seminar über Francis Schaeffer und seine Apologetik.

Francis August Schaeffer (1912–1984) zählt zu den bedeutendsten christlichen Apologeten des 20. Jahrhunderts. Durch seine Bücher (z. B. Gott ist keine Illusion, Wie sollen wir denn leben? oder Preisgabe der Vernunft), Vorträge und das 1955 gegründete Schweizer Studienzentrum L’Abri (dt. Zufluchtsort) wurden er und seine Frau Edith weltweit bekannt und halfen unzählbar vielen Menschen, ihren Glauben zu festigen sowie intellektuell verantwortbar und kulturrelevant zu bezeugen. In diesem Seminar wird sein Leben sowie seine apologetische Arbeitsweise vorgestellt. Beleuchtet wird jedoch ebenfalls der weniger bekannte Francis Schaeffer, z. B. seine Sicht auf das geistliche Leben, seine Kritik der Mediengläubigkeit oder des Hypercalvinismus.

Gasthörer sind herzlich willkommen.

Mehr Infos hier: 2025-09-25-MBS-Studientag.pdf.

Francis Schaeffers letzte Ansprache

Vor wenigen Tagen wurde Francis A. Schaeffers letze aufgezeichnete Rede auf der Plattform YouTube veröffentlicht. Schaeffer war schwer gezeichnet von seiner Krebserkrankung. Die Aufnahme entstand zwei Monate bevor er heimgegangen ist (während der L’Abri Conference 1984).

Hier: www.youtube.com.

Os Guinness: Meine Zeit mit Francis Schaeffer

Os Guinness berichtet in einem kurzen Interview über seine Zeit in L’Abri und seine drei Jahre Zusammenleben mit der Familie Schaeffer:

Frank Schaeffer in der NZZ

Die NZZ hat den Artikel „Der Mann, der die amerikanischen Abtreibungsgegner radikalisierte“ veröffentlicht, in dem vor allem die Sichtweise von Frank Schaeffer zu seinen Eltern und der Abtreibungshaltung der Evangelikalen protegiert wird. Es heißt in dem Artikel: 

Etwas mehr als zwanzig Jahre alt war Frank, als er seinen Vater zu einer Sache drängte, die er dann während seines weiteren Lebens bereuen sollte. Im Januar 1973 fällte der amerikanische Supreme Court das wegweisende Urteil «Roe v. Wade». Darin anerkannte das Oberste Gericht ein verfassungsmässiges Recht auf Abtreibung. Francis Schaeffer arbeitete zu diesem Zeitpunkt an seinem Buch und der gleichnamigen Dokumentarfilmserie «How should we then live?». Das Thema Abtreibung spielte darin keine Rolle. Es ging um eine Kulturgeschichte: darum, wie die Renaissance und die Aufklärung mit ihrem säkularen Humanismus angeblich den «christlichen Konsens» und damit auch die Grundlage der Freiheit in den USA zersetzen.

Doch Frank Schaeffer drängte seinen Vater dazu, das Skript umzuschreiben und das Recht auf Abtreibung zu kritisieren: «Wie kannst du sagen, dass du an die Einzigartigkeit jedes menschlichen Wesens glaubst, ohne für diese Sache einzustehen?» Doch Francis Schaeffer antwortete: «Ich will nichts zu tun haben mit dieser katholischen Angelegenheit.»

Francis Schaeffer war zu diesem Zeitpunkt bereits eine bekannte und ungewöhnliche Stimme in der evangelikalen Welt. Für ihn war jedes Wort in der Bibel wahr, aber er sprach nicht nur in Bibelversen. Er verstand sich nicht nur als Pastor, sondern auch als Kunsthistoriker und Philosoph. «Er konnte auch Vorlesungen über Bob Dylans Songtexte oder Woody Allens frühe Filme halten», erzählt Frank Schaeffer. Sein Vater teilte die Kritik der linken Hippiegeneration an der materialistischen Bourgeoise, nicht aber ihre Lösungen. Leute wie Jimmy Page, der Gitarrist von Led Zeppelin, oder Eric Clapton sollen Francis Schaeffers Buch «Escape from Reason» gelesen haben. Auch der LSD-Hohepriester Timothy Leary besuchte L’Abri.

Zu dem Artikel gäbe es viel zu sagen (es gibt übrigens viele ähnliche Beiträge in der englischsprachigen Welt). Nur zwei kleine Hinweise:

(1) Frank erweckt den Eindruck, dass sein Vater sich bis zur Finalisierung des Drehbuchs zum Film Wie sollen wir denn leben? nicht für das Thema Abtreibung interessiert habe. Es sei eine „katholische Angelegenheit“ gewesen. Richtig ist, dass die Evangelikalen sich in den 70er-Jahren in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs nicht einig waren. Es stimmt auch, dass Frank seinen Vater davon überzeugt hat, das Thema politisch anzugehen (vgl. dazu: Barry Hankins, Francis Schaeffer an the Shaping of Evangelical America, 2008, S. 175). Freilich hatte Francis Schaeffer schon früher eine ethische Position zum Schwangerschaftsabbruch, wie etwa in seinem Buch Back to Freedom and Dignity (1972) deutlich wird. Er war allerdings skeptisch, was den Aktivismus anbetrifft und ist erst von seinem Sohn dazu überredet worden und dann tatsächlich zu einem Vorreiter der politischen bzw. religiösen Rechten geworden. Randall Balmer schreibt in „The Religious Right and the Abortion Myth“ (Politico):

Als Francis Schaeffer, der intellektuelle Pate der religiösen Rechten, in den späten 1970ern versuchte, Billy Graham für seine Anti-Abtreibungs-Kampanie zu gewinnen, lehnte Graham, der berühmteste Evangelikale des 20. Jahrhunderts, ab. Sogar James Dobson, der Gründer von Focus on the Family, der später zu einem unerbittlichen Gegner der Abtreibung wurde, räumte 1973 ein, dass die Bibel zu diesem Thema schweige und es daher für einen Evangelikalen plausibel sei zu glauben, dass „ein sich entwickelnder Embryo oder Fötus nicht als vollwertiges menschliches Wesen angesehen wird“.

Nun Francis Schaeffer als jemanden hinzustellen, der Trump den Weg geebnet hat, ist meines Erachtens Effekthascherei. Ich vermute, dass die Schaeffers gegenüber dem Trump-Kult genauso kritisch gewesen wären wie gegenüber einer Verehrung Obamas. 

(2) Die Sache mit Frank Schaeffer und seiner Bewertung der Arbeit seiner Eltern und L’Abri ist insgesamt recht kompliziert. Eine nach wie vor hilfreiche Quelle zur Wertung seiner Sichtweise ist eine Rezension, die Os Guinness anlässlich der Veröffentlichung des Buches Crazy for God: How I Grew Up as One of the Elect, Helped Found the Religious Right, and Lived to Take All von Frank Schaffer geschrieben hat. Er verteidigt dort, übrigens ohne zu beschönigen, die Schaeffers mit Haut und Haaren gegen den Vorwurf der Heuchelei:

Ich bestreite diesen zentralen Vorwurf von Frank mit allem, was ich habe. Ich und viele meiner engsten Freunde, die die Schaeffers gut kannten, sind sich sicher, dass sie sie ebenfalls in Frage stellen würden. Francis und Edith Schaeffer waren Verteidiger der Wahrheit für andere und selbst Menschen der Wahrheit.

Sechs Jahre lang stand ich Frank so nahe wie niemand außerhalb seiner eigenen Familie, und wahrscheinlich näher als viele in seiner Familie. Ich war sein Trauzeuge bei seiner Hochzeit. Das Leben hat uns in den letzten dreißig Jahren in unterschiedliche Richtungen geführt. Aber ich betrachtete ihn als meinen lieben Freund und erlebte viele der Eskapaden, von denen er erzählt, und noch viele mehr, die es nicht wert wären, in gedruckter Form wiedergegeben zu werden. Es schmerzt mich daher zu sagen, dass sein Porträt grausam, verzerrt und eigennützig ist. Aber ich kann es nicht unwidersprochen lassen, ohne nachdrücklich auf eine andere Sichtweise der Geschichte zu drängen. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Fehlern und Heuchelei. Francis und Edith Schaeffer waren Löwen für die Wahrheit. Niemand könnte weiter von Betrügern entfernt sein, selbst von unwissentlichen Betrügern, als die Francis und Edith Schaeffer, die ich kannte, mit denen ich lebte und die ich liebte.

Hier die gesamte Rezension von Os Guinness in englischer Sprache: banneroftruth.org.

Zehn Anliegen, die Francis Schaffer mit ins Grab nahm

51lxk2nEgNL SX333 BO1 204 203 200Das kurz vor seinem Tod im Jahre 1984 verfasste Buch Die große Anpassung (eng. The Great Evangelical Desaster) lenkte die Aufmerksamkeit auf verschiedene Anliegen, die dem protestantischen Denker schwer auf dem Herzen lagen, bevor er in die Herrlichkeit einging.

Liest man Francis Schaeffers Buch drei Jahrzehnte später, mutet es beinahe prophetisch an: Der amerikanische Lehrer, der in der Schweiz lebte, wies gezielt auf wichtige Themen hin, die die evangelikale Welt von heute vor schwere Prüfungen stellen.

Ich möchte in diesem Artikel auf zehn wichtige Befürchtungen hinweisen, die Schaeffer mit ins Grab nahm und die auch uns heute, die wir uns mit dem evangeliumszentrierten, in der Reformation verwurzelten, protestantischen Glauben identifizieren, schwer auf dem Herzen liegen sollten.

1 Der wachsende Relativismus

Der Relativismus verdankt seine Entstehung der säkularen Aufklärung mit ihrem Augenmerk auf die Selbstbestimmung des Menschen. Nicht länger machte Gott die Regeln, nicht länger hatte Gott das Sagen, es war der Mensch, der von nun an vorgab, was gut und wahr, was schlecht und falsch war. Bereiche wie die der Ethik und Erkenntnistheorie wurden von einer unermesslichen Leidenschaft für Egoismus und Eigeninteresse aufgesogen. Die Öffentlichkeit verwarf das unfehlbare und irrtumslose Wort Gottes. Es folgte nichts, das seinen Platz hätte einnehmen können – es folgten menschliche Erdichtungen.

Schaeffer erkannte: Eine Kirche, die auf dem sandigen Grund des Relativismus erbaut ist, hatte dem Frontalangriff der gefallenen Vernunft nichts entgegenzusetzen. Nur die nicht verhandelbaren absoluten Maßstäbe der Schrift versetzten die Kirche in die Lage, den rechten Kampf zu kämpfen. Es war dieser feste Blick auf die absoluten Maßstäbe, „der es der frühen Kirche ermöglichte, dem Druck des Römischen Imperiums zu widerstehen“ (S. 66). Eine relativistische Kirche hat einer sündigen Kultur nichts zu sagen.

2 Disziplinlosigkeit

Angesichts des heidnischen Relativismus in unserer postmodernen Gesellschaft sind viele Gemeinden in die Falle der Verharmlosung christlicher Lehren (Absoluta) getappt, indem sie falschen Lehrern nicht entschieden entgegengetreten sind. Schaeffer hielt diese Disziplinlosigkeit der Kirche für den eigentlichen Nährboden der Irrlehrer. Genau dieser Mangel führte Anfang des 20. Jahrhundert unter den Presbyterianern in den USA zum Siegeszug der liberalen Theologie.

Schaffer ist hier sehr deutlich: „Die treuen Diener der Kirche hatten es versäumt, in konsequenter Weise Gemeindezucht zu üben“ (S. 113). Ohne Gemeindezucht und konfessionelle Disziplin aus Gründen der Lehre bleibt die Kirche vor dem Ansturm der Lawinen falscher Lehren ungeschützt. Daher schlug er vor: „Deshalb bedeutet das Ausleben der Reinheit der Kirche zuerst einmal Gemeindezucht an denen, die keine eindeutige Position in bezug auf die Lehre der Bibel vertreten“ (S. 114).

Weiter schreibt er: „Immer da, wo man sich von der historischen Auffassung über die Bibel und vom Gehorsam gegenüber Gottes Wort entfernt, müssen diejenigen, die solche Ansichten vertreten, unter Gemeindezucht gestellt werden“ (S. 117). Nur eine Hochschätzung der Heiligen Schrift könnte die Wiedereinführung der biblischen Disziplinierung rechtfertigen. Wie soll sich eine Gemeinde an die gesunde Lehre halten, wenn man sich mit ihren Mitarbeitern, die es mit der Lehre nicht so genau nehmen, nicht auseinandersetzt?

3 Kompromissbereitschaft

Vom Christen, so Schaeffer, darf erwartet werden, dass er sich für die Wahrheit einsetzt. Das traurige Merkmal seiner eigenen Zeit war ein ständiges Suchen nach Kompromissen an allen Fronten, sei es in Lehre oder Praxis. Schaffer war bestürzt darüber, wie viele Diener des Herrn nicht länger gewillt waren, die Gesellschaft mit der Wahrheit Gottes zu konfrontieren. Ein solcher Geist der Gleichgültigkeit führte die Kirche den rutschigen Weg hinab in die Abtrünnigkeit.

Schaeffer sagt: „Die Wahrheit bringt Konfrontation mit sich. Die Wahrheit verlangt nach Konfrontation, zwar liebevoller Konfrontation, aber immer noch Konfrontation. Wenn unsere Reflexhandlungen immer zur Anpassung tendieren und wir uns nicht bewußt werden, daß es hier doch um die zentrale Wahrheit geht, dann ist irgend etwas falsch“ (S. 86). Ohne tief empfundene Treue gegenüber dem Wahrheitsanspruch der Schrift, wie man sie etwa bei theologischen Riesen wie B. B. Warfield (1851–1921), James Orr (1844–1913) und J. Gresham Machen (1881–1937) beobachten konnte, wird die evangelikale Welt nicht in der Lage sein, ihre Kinder auf das vorzubereiten, was die kommenden dunklen Tage mit sich bringen werden.

4 Sozialarbeit

Statt sich auf das Evangelium zu konzentrieren, haben viele evangelikale Glaubensgemeinschaften eine liberale Richtung eingeschlagen und verwechseln „das Reich Gottes mit einem sozialistischen Programm“ (S. 141). Schaeffer leugnete keineswegs die Wichtigkeit, Unterdrückten zu helfen, machte sich aber große Sorgen darüber, wie viele leitende Gemeindemitglieder ihre Weltsicht auf marxistische Lehren, statt auf die Heilige Schrift, gründeten.

Die Sünde war Schaeffers Ansicht nach nicht auf ungerechte gesellschaftliche Umstände zurückzuführen, sondern auf die innere Bosheit des Menschen. Gottlosigkeit gibt es unter Armen und Reichen. Die Vorstellung, der Mensch könne sich selbst verbessern, stammt nicht aus der Heiligen Schrift, sondern aus dem gefallenen, menschenzentrierten Gedankengut der säkularen Aufklärung. Gerade in Ländern, in denen die politische Welt von kommunistischen Prinzipien regiert wurde, waren die Ergebnisse verheerend. Millionen Menschen wurden auf dem Altar des Sozialismus geopfert. Deshalb witzelte Schaeffer: „Die Antwort liegt nicht in einem sozialistischem Programm“ (S. 145). Freilich muss sich die Kirche um die Armen kümmern, sie muss aber Prioritäten setzen und die Verkündigung zur Vergebung der Sünden durch den Herrn Jesus Christus priorisieren.

5 Die Verlockung der Ökumene

Der Aufruf des Weltkirchenrats (WCC) zur ökumenischen Einheit beunruhigte Schaeffer zutiefst. Es gab im Weltkirchenrat pro-marxistische Tendenzen und es fehlte der ökumenischen Bewegung eine theologische Standfestigkeit. Aus Liebe zur kirchlichen Einheit wurde jeglicher unbiblischen theologischen Fantasterei Tür und Tor geöffnet; so lehnte etwa Dorothee Sölle (1929–2003) den Herrn der Schrift ab; der „himmlische Vater“ wurde zur „himmlischen Mutter“ umfunktioniert, nichtchristliche Religionen wurden als Zugang zum Göttlichen besungen usw. (vgl. S. 158–159).

Das war nichts anderes als falsche Prophetie. Der Weltkirchenrat wurde zum theologischen Giftquell: es war ein „anderes Evangelium“, nein, es war gar kein Evangelium. Nur das Festhalten an einer unfehlbaren und irrtumslosen Bibel kann dieses Kartenhaus des Weltkirchenrats einstürzen lassen.

6 Abtreibung

Statt bei weit verbreiteten und beschönigenden Umschreibungen Zuflucht zu nehmen („Lebensqualität“ oder „Glück und Wohlbefinden der Mutter“ oder „Jedes Kind muss auch gewollt sein“), war Schaeffer überzeugt: Abtreibung ist schlicht das Ergebnis einer wiederbelebten hedonistischen Haltung; das Wohlbefinden des Einzelnen steht demnach sogar über dem heiligen Respekt vor dem menschlichen Leben. Er konnte nicht verstehen, wie jemand den Namen Christi bekennen und gleichzeitig in einer Konfession verbleiben konnte, die die Abtreibung befürwortete.

Abtreibung ist und bleibt ein offener Angriff auf das kostbare Bild Gottes, das durch die Menschheit bekannt gemacht wird. „Das ungeborene Kind ist ein menschliches Wesen, das nach dem Bilde Gottes geschaffen worden ist, und dieses zu verleugnen heißt, die Autorität der Bibel zu verleugnen. Man kann unmöglich den 139. Psalm lesen und seinen Aussagen wirklich glauben, ohne zu erkennen, daß das Leben im Mutterleib wirklich schon menschliches Leben ist. Es ist unmöglich, wirklich an die Inkarnation zu glauben, ohne zu erkennen, daß das durch den Heiligen Geist von Maria empfangene Kind in der Tat vom Zeitpunkt der Empfängnis an Gottes Sohn war“ (S. 139–140).

7 Liberalismus

Die Frucht des theologischen Liberalismus hat viele ehemals intakte Gemeinden aller geistlichen Kraft beraubt. Der Modernismus, beeinflusst von der aus Deutschland stammenden historisch-kritischen Arbeitsweise, hatte die Kardinallehren der säkularen Aufklärung im Namen Christi einfach „getauft“. Was aber zog ein solches Vorgehen nach sich? Schaeffer zählt hier auf: die „Verneinung des Übernatürlichen –, durchdrungen vom Glauben an die allumfassende Fähigkeit der menschlichen Vernunft“, die „Zurückweisung des Sündenfalls“, die „Verneinung der Göttlichkeit Jesu Christi und seiner Auferstehung“, den „Glauben an die Fähigkeit des Menschen, sich selber zu vervollkommnen“, den „Willen, die Botschaft der Bibel zu zersetzen“  (S. 49).

Liberale Prediger wie der gefeierte Harry Emerson Fosdick (1878–1969) konnten sich in ihrer Predigt nicht mehr auf die Autorität der Bibel berufen. Der säkulare Humanismus trat ins Zentrum; eine Lehre, die das Hauptaugenmerk nicht auf den Menschen richtete, wurde zwangsläufig ins Abseits gedrängt. Anstatt, dass die Kirche Einfluss nahm auf die Welt, übernahm die Welt mit ihrem evangeliumsverleugnendem Verständnis die Zügel der Kirche.

8 Hedonismus

Hedonismus ist die Vorstellung, wonach der Sinn des Lebens im Grunde das Glück, das Vergnügen und das momentane Wohlbefinden des Menschen bedeutet. Diese hedonistische Stoßrichtung drängte die gegenwärtige Gesellschaft dazu, die christliche Moral im Namen der Selbstverwirklichung aufzugeben.

Schaeffer war darüber aufgebracht, dass das persönliche Wohlergehen mehr und mehr den Vorrang über das Leben erhielt, wie das etwa bei der Abtreibungsfrage der Fall ist: „Wir sind umgeben von einer Gesellschaft ohne feste Maßstäbe“, schreibt er, „einer Gesellschaft, die alles toleriert. Alles wird psychologisch abgekanzelt oder wegerklärt. Es gibt kein ‚richtig‘ und ‚falsch‘ mehr. Wie es mit dem ‚Wohlbefinden‘ der Mutter gegen das menschliche Leben steht, so wird auch alles, was sich dem ‚Wohlbefinden’ des einzelnen oder der Gesellschaft in den Weg stellt, beseitigt“ [dieses Zitat fehlt in der dt. Ausgabe, in der engl. Ausgabe zu finden auf S. 63; R. K.].

Das selbstsüchtige und unmoralische Wesen des Hedonismus war eine echte Gefahr für die Kirche in Schaeffers Tagen. Das hat sich in unserer Generation nicht geändert. Mancherorts ist die Kirche mehr um ihre „Kundenzufriedenheit“ besorgt als um die wahre Anbetung des dreieinigen Gottes.

9 Der Verlust der Offenbarung

Schaeffer beharrte auf der Notwendigkeit einer hohen Sicht der propositionalen Offenbarung für das geistige und akademische Wohlergehen des zeitgenössischen Protestantismus. Gott, der Schöpfer aller Dinge (auch der Sprache!), existiert und es ist nur natürlich, wenn er sich des Mittels der Sprache bedient, um der Welt seinen Willen anhand klarer Aussagen mitzuteilen.

Francis Schaeffer legte die Betonung nicht auf die subjektiven religiösen Erfahrungen des Gläubigen, sondern auf den objektiven Offenbarungsgehalt der Bibel. Die Erfahrung ist in dem Maße nützlich, wie sie sich an der Lehre der Bibel orientiert. „Worin besteht dieses Fundament?“, fragt Schaeffer. Er antwortet: „Es besteht darin, daß der unendlich-persönliche Gott, der wirklich lebt, nicht geschwiegen hat, sondern lehrsatzmäßige Wahrheit [engl. „propositional truth“; R. K.] in bezug auf alles, was die Bibel lehrt, ausgesprochen hat“ (S. 80–81). Lass die Offenbarung, die sich in klaren Aussagesätzen artikuliert, weg, und die Grundlage des Christentums ist aufgegeben!

10 Die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift

„Wir haben die unfehlbare Bibel“ (S. 86; [im Engl. „inerrant Scripture“, besser mit „irrtumslose Schrift“ zu übersetzen; R. K.]). Ein letztes und wichtiges Anliegen, das sich durch Schaeffers ganzes Buch zieht, ist die Sache der Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift. Schaeffer war bestürzt, dass Evangelikale aus den eigenen Reihen die volle Inspiration der Schrift mit der Behauptung infrage stellten, die Bibel könne durchaus geographische und geschichtliche Irrtümer enthalten, auch wenn ihre Lehre zu Glaube und Moral (meistens) wahr sei. So etwa dachten die neo-orthodoxen Theologen Karl Barth (1986–1968) oder Emil Brunner (1889–1966).

Schaeffer lehnte diese Sichtweise rundweg ab: Die Bibel „ist nicht nur dann unfehlbar [engl. „without error“; R. K.], wenn sie von Werten, dem Bedeutungssystem und religiösen Dingen spricht, sondern auch dann, wenn sie von der Geschichte und dem Kosmos spricht“ (S. 77). Der Amerikaner zielte damit auf die Sicht: Die Bibel ist voll und ganz Gottes Wort. Was Schaeffer betrifft, war eine irrtumsbehaftete Bibel – selbst wenn diese Irrtümer sich nur auf Wissenschaft und Geschichte bezögen – niemals unfehlbar. Unfehlbarkeit [engl. „infallibility“; R. K.] bedingt Irrtumslosigkeit (und umgekehrt).

Obwohl Barth, Brunner und eine Reihe Theologen-Kollegen Anfang des 20. Jahrhunderts eine antiliberale Revolution auf den Weg brachten, war Schaeffer weit davon entfernt, sich mit deren Neo-Orthodoxie zufriedenzugeben. Die Hauptsorge des Amerikaners war deren offenkundiger Verzicht, die Heilige Schrift voll und ganz als Wort Gottes zu betrachten, was auf einen übermäßig subjektiven Ansatz ihrer Theologie zurückzuführen war. Statt zu sagen, die Bibel „enthalte“ das Wort Gottes oder „werde“ zum Wort Gottes, etwa durch die existenzielle Begegnung mit dem auferstandenen Christus, war Schaeffer in dieser Hinsicht streng. Echter Evangelikalismus bekennt: Die Bibel ist „objektive, absolute Wahrheit auf allen Gebieten, die sie anspricht“ (S. 74).

Zusammenfassung

Schaeffers zehn Anliegen können zurückverfolgt werden in die [säkulare; R. K.] Aufklärung, in jene Zeit also, in der der Mensch seine „autonome“ Vernunft über und gegen die verbindliche Offenbarung Gottes in der Bibel stellte.

Es scheint, als stehe die evangelikale Welt heute vor derselben Entscheidung wie die Christen damals: Soll Gottes Wort oder das Gedankengut der gefallenen Menschheit unser Denken und unsere Praxis bestimmen? Wäre Schaeffer heute noch unter uns, hätte er zweifelsfrei für die erste Option gestimmt. Wie steht es mit Ihnen?

Will Graham

– – –

Der Artikel erschien zuerst bei EvangelicalFocus. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Übersetzt wurde der Beitrag von Ivo Carobbio. Die Zitate sind entommen: Francis A. Schaeffer, Die grosse Anpassung: Der Zeitgeist und die Evangelikalen, Asslar: Schulte u. Gerth, 1988. Das Buch ist als Sonderausgabe lieferbar.

Der Artikel kann hier im PDF-Format heruntergeladen werden: SchaeffersSorgen.pdf.

Interview mit Francis Schaeffer

So mancher wird sich fragen: „Wie kann es sein, dass Francis Schaeffer ausgerechnet bei „Pat“ Robertson im TV-Studio erschienen ist?“ Wie auch immer, hier ist das Gespräch zwischen Robertson und Schaeffer aus dem Jahre 1982:

D. Keyes: Die „Philosophie“ von L’Abri

Bisher habe ich keine so gute Einführung in die „Philosophie“ von L’Abri gehört wie die von Dick Keyes. Keyes sprach 1984 auf einer Konferenz in Knoxville (USA) über fünf Hauptideen der von Francis und Edith Schaeffer gegründeten Studiengemeinschaft. Diejenigen, die die Theologie des Niederländers Abraham Kuyper schätzen, werden sofort wissen, um was es geht. Für andere wird allerlei befremdlich klingen.

Ich selbst habe 1982 angefangen, Bücher von Francis Schaeffer zu lesen. Damals haben sie mir geholfen, mein Denken erneuern zu lassen und mein Christusvertrauen zu festigen. Wenn ich nun, 35 Jahre später, diesen Vortrag höre, denke ich: Wir brauchen diese Sichtweisen mehr als wir sie schon damals brauchten  (den Vortrag sollte m.E. jemand transkribieren und übersetzen). Hören wir mal auf ein Zitat von Schaeffer aus dem Jahr 1968 (Gott ist keine Illusion, 1974 (1968), S. 8):

Die Tragik unserer heutigen Situation liegt darin, dass die neue Einstellung zur Wahrheit Männer und Frauen in ihren Lebensgrundlagen erschüttert hat, ohne dass sie sich jemals Rechenschaft über den neuen Kurs gegeben haben. Die jungen Menschen werden zunächst im Rahmen des alten Wahrheitsverständnisses erzogen. Dann geraten sie unter den Einfluss der modernen Auffassung. Mit der Zeit werden sie unsicher, weil sie die ihnen vorgelegte Alternative nicht durchschauen. Diese Unsicherheit führt zu Verwirrung und bald zu einem inneren Zerbruch — unglücklicherweise nicht nur bei jungen Menschen, sondern auch bei vielen Pfarrern, Lehrern, Evangelisten und Missionaren.

Wie aktuell! Ich möchte hinzufügen: Wir sind inzwischen viel weiter. Etliche Leute, die ich treffe, haben das „alte Wahrheitsverständnis“ gar nicht mehr kennengelernt.

Eine Einführung in den Ansatz von L’Abri gibt es auf Deutsch in dem Buch Wahrheit und Liebe (besonders die Aufsätze „L’Abri – wie bitte?“ von Rüdiger Sumann und „Den Glauben verständlich machen in einer nichtchristlichen Gesellschaft“ von Dick Keyes).

Hier die fünf Hauptideen, die Dick Keyes erklärt:

  1. Christlicher Glaube als wahre Wahrheit
  2. Die Realität des Übernatürlichen
  3. Die Menschlichkeit der Geistlichkeit
  4. Leben im Schatten des Sündenfalls
  5. Die Herrschaft Jesu Christi über das gesamte Leben

Und hier der Vortragsmitschnitt (vielen Dank an Soundword):

40 Jahre „Wie sollen wir denn leben“

Illustration von Richard Sullivan (richardsullivanillustration.com).

Al Mohler, einer der Hauptreferenten auf der Evangelium21-Konferenz 2017, spricht über den Einfluss, den Francis Schaeffer auf sein Leben hatte:

The main title of the book struck me as odd. It still does. It is correct, in terms of English usage, but I found it an odd way to ask the question. Then again, Schaeffer was odd. He famously dressed as if he had come down from the Swiss mountains in a previous century. In one sense he had. Francis Schaeffer and his wife, Edith, had founded and then directed L’Abri Fellowship, a ministry in the Swiss mountains, drawing disaffected and confused young people from around the world, mostly the United States, and presenting them with the gospel of Christ and, strangely and wonderfully enough, answering their questions with a rational and demonstrative apologetic for biblical Christianity. While other leaders were building the evangelical empire, the Schaeffers took in scores of long-haired and intellectually agitated young people, engaging their minds and interpreting the culture.

Hier er Artikel „Francis Schaeffer’s ‚How Should We Then Live‘ after 40 years“: www.sbts.edu.

Zehn Dinge, die du über Francis Schaeffer wissen solltest

Bei Evangelium21 ist ein Beitrag von William Edgar, Professor für Apologetik am Westminster Theological Seminary in Philadelphia (USA), erschienen. Es heißt dort:

10 things schaeffer teaser

In den frühen 50er Jahren erlebte Francis eine tiefe, aufwühlende geistliche Krise. Während er beständig für die richtige Lehre eingetreten war und sie verteidigt hatte, sah er, wie sein eigenes geistliches Leben mit der Zeit verdorrte. Das brachte ihn dazu, angefangen bei den Grundlagen, alles noch einmal zu durchdenken.

Er ging aus der Krise hervor mit einem neuen Bewusstsein dafür, dass der christliche Glaube wirklich Realität ist. Er fragte seine Frau Edith einmal, ob es in ihrem Leben irgendeinen Unterschied machen würde, wenn alle Stellen in der Bibel über den Heiligen Geist und das Gebet gestrichen würden. Sie kamen zu der Einschätzung, dass es keinen Unterschied machen würde. Deshalb entschlossen sie sich zu einer neuen Abhängigkeit von der Realität des Geistes Gottes und des lebendigen Gebets.

Mehr: www.evangelium21.net.

 

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