Schweiz

Wer Schwule nicht segnet, riskiert eine Klage

Drei Rechtsgelehrte kommen in einer Analyse zu dem Schluss, dass zumindest die öffentlichrechtlich anerkannten Kirchen in der Schweiz Trauungen oder wenigstens Segnungen von homosexuellen Paaren zulassen sollten. Mehr noch. Ein Pfarrer, der dies verweigert, könnte sich unter Umständen gar strafbar machen. Die NZZ am Sonntag schreibt:

Aufgrund ihres ­speziellen Status seien diese Gemeinschaften nicht nur Grundrechtsträgerinnen, sondern auch Grundrechtsadressatinnen. Und als solche hätten sie auch die Vorgaben von Verfassung und Gesetz zu beachten, zum Beispiel das Diskriminierungsverbot und die neue Rassismusstrafnorm. Diese wurde bekanntlich vom Volk im letzten Jahr erweitert und schützt seither auch Homosexuelle.

Hafner, Zurkinden und Reimann folgern daraus, dass bei diesen Kirchen eine Güterabwägung zwischen ihrer Autonomie und dem Schutz vor Diskriminierung vorgenommen werden muss. Und in ihrer eigenen Abwägung kommen sie dabei zum Schluss: «Es wäre – insbesondere auch angesichts des Verhältnismässigkeitsprinzips – zu fordern, dass Kantonalkirchen beziehungsweise die Kirchgemeinden in theologischer Hinsicht nach Spielräumen suchen, um homosexuellen Paaren Trauungen oder zumindest trauungsähnliche Einsegnungen zu ermöglichen.»

Heikel kann diese Einschätzung vor allem für die Seelsorgenden werden, die im Alltag für die Trauungen zuständig sind. Denn gemäss der neuen Rassismusstrafnorm macht sich strafbar, wer jemandem eine Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einzig aufgrund der sexuellen Orientierung verweigert. Die drei Autoren argumentieren, eine kirchliche Trauung sei eine solche Leistung, da sie prinzipiell an alle Trauungswilligen der betreffenden Kirche gerichtet sei.

Da kann ich nur hoffen, dass die Kirchen sich gegen diese möglichen Übergriffe des Staates wehren. Übrigens: In der Überschrift heißt es: „Rechtsgelehrte sagen: Staatskirchen sollten homosexuelle Paare trauen“. Ich glaube nicht, dass es in der Schweiz Staatskirchen gibt.

Hier mehr: nzzas.nzz.ch.

Sterbehilfe: Ihr Wille geschehe

Anne ist 36 Jahre alt und will keine Halbwaise sein. Doch der Entschluss der Mutter steht fest: „Ich mag nicht mehr!“ Am Ende bleiben Wut und eine grosse Frage: Wem gehört das eigene Leben? Die NZZ erzählt einen Fall der Sterbehilfe und die damit verbundenen Nöte:

Als die letzte Stunde ihrer Mutter anbricht, zieht Anne ihren Mantel an und macht sich auf den Weg zum Bahnhof. In Kyoto wartet sie auf den Zug. Die Digitalanzeige am Gleis zeigt 17:34, die Uhr tickt. Um kurz nach sechs beginnt Annes Unterricht in der Shakuhachi-Flöte.

In einem kleinen Dorf am östlichen Rand der Schweiz, viele Flugstunden entfernt, liegt ihre Mutter Dora, die 75 Jahre alt ist, auf dem Sofa im Wohnzimmer. Zuvor hat sie ihren Sterbewunsch bekräftigt, eine Frau von der Sterbehilfeorganisation Exit filmte. Seit dem Aufstehen am Morgen ist Dora blendender Laune. Noch tags zuvor hat sie den Kühlschrank mit Lebensmitteln aufgefüllt. Es ist Kaffee und auch genug Kuchen da. Lange hat sie sich auf diesen Tag gefreut. 8 Uhr 30 Schweizer Zeit – sie telefoniert ein letztes Mal mit Anne, bei der es schon fast Abend ist. «Lustig, wie das schneit», sagt Dora. «Das gefällt mir. Genau so habe ich mir das vorgestellt.» Anne fühlt sich starr. Eigentlich will sie der Mutter noch alles sagen, was sie ihr die letzten Jahre nicht gesagt hat. Sie will nachher nicht bereuen, irgendetwas vergessen zu haben. Doch in ihr drin schreit es: «Das kann doch alles nicht sein!» Sie bleibt still. «Also dann, tschau», sagt Dora und hängt den Hörer auf. Anne mag nicht einfach nur dasitzen und der Zeit zuschauen. Wenig später steigt sie in den Zug. Der ist voller Menschen, einige sind in heiterer Stimmung, andere müde. Anne ist das heute alles egal. Gedanken an den baldigen Tod ihrer Mutter quälen sie.

Jetzt liegt sie wahrscheinlich schon auf dem Sofa. Sie wird es sich bestimmt nicht nochmals überlegen! Sie war schon immer eine starke Person – und stur. Der Zug hält, die Anzeige zeigt 17:44. Fast vergisst Anne auszusteigen. Sie geht durch eine dunkle Gasse. Noch acht Minuten bis zum Termin um sechs. Nieselregen, alles ist düster. Dann zeigt die Uhr 18:02 – ob es schon vorbei ist? Tränen strömen über ihr Gesicht, endlich kann sie weinen. Als sie beim Haus des Flötenlehrers ankommt, fällt ihr das Atmen schwer.

Es ist 18:10, und ihre Mutter ist tot.

Mehr: www.nzz.ch.

VD: FL

Sexualaufklärung auch für Kindergärtler

Sexualerziehung in der Schule, erst recht im Kindergarten, sorgt in der Schweiz für Konfliktstoff und rote Köpfe. Vor unverantwortlicher Sexualisierung der Kleinkinder warnen die einen, für dringend notwendige Aufklärung plädieren die andern. Der Streit um die Sexualerziehung wird von unterschiedlichen Werthaltungen diktiert.

Die Volksinitiative „Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primarschule“ will den obligatorischen Sexualkundeunterricht erst ab dem 12. Altersjahr zulassen. Über die biologischen Fragen der Fortpflanzung dürfe zwar gesprochen werden, nicht aber über die emotionalen Dimensionen der Sexualität, die gerade Pubertierende besonders beschäftigen. Das sei Sache der Eltern. Nur sie können wissen, was und zu welchem Zeitpunkt richtig für ihre Kinder sei. Befürchtet wird zudem, dass die Kinder unnötig früh sexualisiert würden.

Heute Abend gibt es um 22.00 Uhr dazu eine Diskussionsrunde im SRF 1. Helene Koch, die auf teilnehmen wird, verdient Zustimmung, wenn sie sagt:

Die obligatorische Sexualerziehung im Kindergarten nimmt keine Rücksicht auf den Entwicklungsstand der Kinder. Der Staat greift in ein Privatterritorium ein. Die Erziehungsverantwortung liegt jedoch bei den Eltern. Ich will keinen systematischen Unterricht für alle ab Kindergarten, sondern mehr Zeit für die Aufklärung in der Familie, die auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder und ihren Entwicklungsstand eingeht. Diese haben ein Anrecht darauf.

Mehr Informationen unter: www.srf.ch.

Kultur des Todes (3): Sterbehilfe für Senioren

Der Vorstand der Schweizer Organisation Exit will sich verstärkt für den Altersfreitod engagieren. Das ist einigen Mitgliedern allerdings zu wenig. Sie wollen in Zukunft gesunden Senioren die Freitodbegleitung anbieten. Die NZZ berichtet:

Aus strafrechtlicher Sicht ist zwar nichts gegen Freitodbegleitung von Gesunden einzuwenden, solange sie nicht aus selbstsüchtigen Gründen geschieht. Und sofern der Sterbewillige urteilsfähig ist. Standesrechtlich hingegen riskiert der Arzt, der das tödliche Barbiturat einem Gesunden verschreibt, den Entzug seiner Praxisbewilligung.

Auch moralisch ist die Suizidhilfe an gesunden Menschen stark umstritten. Frank Mathwig, Ethiker beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund und Mitglied der Nationalen Ethikkommission, sagt in der Zeitung «Reformiert»: «Hier werden prophylaktisch Todesängste bewirtschaftet.» Und Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin des Instituts Dialog Ethik, weist darauf hin, dass viele ältere Menschen vereinsamen: «In dieser Situation den sogenannten Altersfreitod anzubieten, ist zynisch und wirft ein düsteres Bild auf die Humanität unserer Gesellschaft.» Befürchtet wird allgemein, dass der Druck auf Betagte, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden, weitersteigt. Vor diesem Hintergrund spielt Exit-Vizepräsident Sutter die Bedeutung der Statutenänderung herunter: «In der Praxis wird sich gar nichts ändern», sagt er. «Die Leidenskriterien in den Statuten bleiben dieselben. Exit kann und will weiterhin keine Gesunden begleiten.» Unter stärkerem Engagement für den Altersfreitod sei vor allem Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit zu verstehen. Man wolle Verständnis fördern für den autonomen Entscheid des Menschen, aus dem Leben zu scheiden – unabhängig von seinem Gesundheitszustand. Ein juristischer Kampf für den Altersfreitod sei aber nicht vorgesehen.

In Deutschland hat die Ärztekammer Nordrhein in der Debatte um aktive Sterbehilfe und assistierten Suizid Stellung bezogen und sich für ein Verbot jeder organisierten Form der Beihilfe zur Selbsttötung ausgesprochen. Zur Frage „Aktive Sterbehilfe – Ausweg oder Irrweg“ gibt es hier einen Beitrag von Dr. Stephan Holthaus und Timo Jahnke: Sterbehilfe.pdf.

Wo die Freikirchen blühen

Der Schweizer Radiosender SR DRS hat gestern einen fast halbstündigen Beitrag zum Thema „Freikirchen blühen in der Schweiz“ ausgestrahlt.

Während Landeskirchen sich stetig leeren, finden Freikirchen immer mehr Mitglieder. An Wochenenden versammlen sich doppelt so viele Menschen in Freikirchen wie in reformierten Kirchen. Eine Studie des Schweizerischen Nationalfonds dokumentiert diesen Erfolg. Antonia Moser hat den Studienleiter Jörg Stolz befragt und dazu einen Gottesdienst einer Freikirche in Rapperswil besucht.

Ein Abschlussbericht der National Congregations Study Switzerland (NCSS) zur Studie:

  • Jörg Stolz, Mark Chaves, Christophe Monnot, Laurent Amiotte-Suchet: Die Religiösen Gemeinschaften in der Schweiz: Eigenschaften, Aktivitäten, Entwicklung, Université de Lausanne Institut de Sciences Sociales des Religions Contemporaines, 2011

kann an dieser Stelle heruntergeladen werden: 126_Schlussbericht_Stolz_Chaves.pdf.

Hier der Radiobeitrag:

[podcast]http://pod.drs.ch/mp3/kontext/kontext_201201161002_10208234.mp3[/podcast]

Die verschwindende Religiosität der Schweizer

Hanniel stellt eine Studie zur Religiosität der Schweizer vor. Inbesondere die Typisierung ist beachtenswert. Die Studie unterscheidet zwischen vier Haupttypen der Religiosität;

  1. Institutionelle
  2. Alternative
  3. Distanzierte
  4. Säkulare

Zum Ergebnis der Studie heißt es:

Auch wenn einzelne Individuen komplizierte Glaubensbiographien in fast jeder erdenklichen Richtung aufweisen können, sind die Entwicklungen im Aggregat relativ klar: Es finden sich – im Durchschnitt gesehen – keine Anzeichen dafür, dass sich die Säkularen und die Distanzierten in Richtung einer alternativen Religiosität entwickeln; die Gesamtentwicklung deutet bis jetzt eher in Richtung einer weiteren Distanzierung und schliesslich einer Religionslosigkeit.

Hier mehr: www.hanniel.ch.

Politik: Freikirchler kommen auf den Geschmack

Ob im Schweizer Bundeshaus oder bei lokalen Wahlen: Mitglieder von Freikirchen versuchen mehr Einfluss in der Politik zu gewinnen. Die Zeiten sind vorbei, wo sie sich nur um das persönliche Seelenheil kümmerten.

Matthias Herren schreibt für die NZZ:

Dass sich Mitglieder von Freikirchen für Politik interessieren und gar ihre Vorstellungen einbringen, ist eine neuere Entwicklung. Viele der freien Gemeinden entstanden im 19. Jahrhundert mit dem Ziel, dass sich die Gläubigen ganz dem persönlichen Seelenheil widmen. Daran änderte sich bis vor wenigen Jahren wenig. Wichtig war, sich auf die persönliche Beziehung zu Gott und sein Reich zu konzentrieren. Was in den weltlichen Ratsstuben oder Parlamentssälen entschieden werde, sei von dieser, dem Untergang geweihten Welt – so die Haltung vieler Freikirchler.

Hier der vollständige Artikel: www.nzz.ch.

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