Sexueller Missbrauch

Das Ende des geheimen Deutschlands

Acht Jahre sind vergangen, seitdem die Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule öffentlich geworden sind. Mehr als hundert Kinder, vor allem Jungen, wurden dort zwischen 1960 und 1990 von ihren Lehrern sexuell missbraucht (siehe z.B. hier und hier).

In die Etablierung der reformpädagogischen Erziehung war ein elitäres Netzwerk eingebunden. Illustre Namen waren mit der Bewegung, für die die Odenwaldschule ein pädagogisches Vorzeigeprojekt gewesen ist, verbunden. Bekannt sind gewiss Richard von Weizsäcker, von 1984 bis 1994 der sechste Bundespräsident, oder Marion Gräfin von Dönhoff, die langjährige Chefredakteurin und Mitherausgeberin der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT. Der spätere Mitbegründer der TAZ soll sogar aktiv in den Missbrauch involviert gewesen sein (siehe hier).

Derjenige, auf den sich die Reformpädagogen der Bundesrepublik gern beriefen, war der Dichter Stefan George. Er war so etwas wie ein geistiger Übervater der Reformpädagogik (siehe hier).

Inzwischen wird immer deutlicher, dass der George-Kreis nicht nur autoritär geführt wurde, sondern geradezu sektengleich die „Schüler“ abhängig machte. Eine zentrale Rolle spielte nach dem 2. Weltkrieg das von dem Deutschen Wolfgang Frommel betriebene „Castrum Peregrini“ in Amsterdam. Um zum engeren Kreis zu gehören, brauchte es eine initiierende Weihe. Das Ritual war, so vermutet man inzwischen, stark sexuell konnotiert. Da trafen sich deutsche und holländische Jungs und Männer, die bei rituellen Festen Efeukränze auf ihren Köpfen trugen und im Kerzenlicht George-Gedichte lasen. Einige Teilnehmer verglichen die Initiation mit einer Vergewaltigung. Es deutet auch viel darauf hin, dass es zwischen dem Geist Stefan Georges und der Odenwaldschule eine direkte Verbindung gab. Erste Opfer brechen ihr Schweigen. Finstere Abgründe deuten sich an (siehe auch diesen niederländischen Artikel).

Die FAS schreibt in der Ausgaben vom 13. Mai 2018 (Nr. 19, S. 45–46):

Zum ersten Mal wird im George-Kontext offen gesprochen und die Praktiken des Kults werden explizit benannt. Es ist nicht bloß einer, der jetzt spricht, es sind mehrere; nicht nur Männer, sondern auch Frauen, und möglicherweise werden ihnen noch andere folgen. Was bleibt übrig vom „geheimen Deutschland“, wenn die Geheimnistuerei wegfällt? Kann es sein, dass wir dabei zusehen können, wie eine Elite nicht nur demontiert wird, sondern sich mit ihren Mythen selbst demontiert?

Am 12. Juli hat der Dichter Stefan George 150. Geburtstag. Die Frage ist: Was gibt es zu feiern? Was gilt es zu benennen? Mit dem Jahrestag steht, so, wie es aussieht, vor allem der mit einer Kultur des Verschweigens verschränkte George-Kult ums Geheimnis zur Diskussion. Denn es ist ja nicht so, dass das Geraune und die Geheimnistuerei in der George-Forschung aufgehört haben. Es geht ja immer so weiter. Ulrich Raulff bestätigt am Telefon, dass in der George-Forschung, „soweit sie den Namen verdient“, der konservative, apologetische Flügel wieder Oberwasser erlangt habe. „Die Georgeaner, mittlerweile in der vierten Generation, vermeiden bis heute, Klartext zu reden, gerade was das Sexuelle angeht. Ich denke mittlerweile, dass das historisch eine enorme Vernebelung und moralisch ein entsetzlicher Schmus ist.“

„Das Ende des geheimen Deutschlands“ ist ein mutiger und empfehlenswerter Artikel, der hoffentlich dazu beiträgt, mehr Licht in das Dunkel des „pädagogischen Eros“ hineinzubringen. Leider ist er noch nicht öffentlich einsehbar. Er kann aber über ein Probeabo oder einen Tagespass gelesen werden: www.faz.net.

Das Kentler-Experiment

Ende der Sechzigerjahre bringt der damals 41-Jährige homosexuelle Sexualwissenschaftler Helmut Kentler Straßenkinder bei pädophilen Pflegevätern unter. Das Berliner Jugendamt des SPD-geführten Senats begrüßte und förderte das „Modellprojekt“.

Wie war es möglich, dass eine prägende Gestalt der „Sexuellen Revolution“ ungeschoren Pädosexualität propagieren konnte? Immerhin arbeitete Kentler als Jugendbildungsreferent für die evangelische Kirche und zählt zu den bedeutendsten Vertretern der Sexualaufklärung der 1960er und 1970er Jahre. Das alles muss noch gründlich aufgearbeitet werden.

Erfreulicherweise hat das ARD Mittagsmagazin in der Sendung vom 14. März 2018 ausführlich über das Netzwerk von Helmut Kentler berichtet und lässt auch Opfer seines Pädo-Projekts zu Wort kommen.

Das Video gibt es hier (ab Minute 26:10): www.daserste.de.

 

Ein offenes Geheimnis

In meinen Gesprächen über den christlichen Glauben werde ich gern mit Erzählungen und Argumenten konfrontiert, die über Hollywood filmisch verbreitet worden sind. Beispielsweise: Film XYZ zeigt doch eindeutig, dass das Christentum eine verfälschte Bibel unters Volk gebracht hat. Oder: Dieser Film legt offen, dass (alle) Christen fürchterliche Heuchler sind. Manchmal habe ich den Eindruck, die neue Übererzählung, die uns heute vermeintlich helfen soll, in einer komplizierten Welt unseren Weg zu finden, stammt aus den Filmstudios.

Leider ist wahrscheinlich genau diese Branche verlogener als manche Institution, die wir so gern vor den moralischen Gerichtshof ziehen. Hollywood ist eine übergroße Inszenierung und in weiten Kreisen ziemlich verlogen.

Der Weinstein-Skandal, der ans Licht brachte, dass ein einflussreicher Produzent (z.B. Pulp Fiction, Shakespeare in Love, Inglourious Basterds, Mandela – Der lange Weg zur Freiheit) Frauen sexuell ausgebeutet hat, kratzt da nur an der Oberfläche. Kevin Spacey’s (American Beauty, House of Cards) geduldete Ausbeuterei werden wir in ein paar Monaten wahrscheinlich wieder vergessen haben. Ein anderes Kaliber ist allerdings Amy Bergs Dokumentarfilm „An Open Secret“ über Pädophilie in Hollywood. Ich habe den Film gesehen und mir wurde dabei schlecht. Kinderstars, deren Leinwandlächeln wir beim Familienabend gemeinsam bestaunt und beklatscht haben, wurden möglicherweise systematisch sexuell versklavt. Es war (und ist?) kein Geheimnis!

Dankenswerterweise berichtet die FAS über den Dokumentarfilm, der seit einigen Wochen endlich so ernst genommen wird, wie er es verdient hat. Die FAS schreibt:

Die Regisseurin Amy Berg zum Beispiel musste erleben, wie die Tagline zu ihrem Film „An Open Secret“ auf hässliche Weise wahr wurde. „The film Hollywood doesn’t want you to see“ hieß es, als er 2014 herauskam, und tatsächlich gab es ihn jenseits von drei oder vier nicht allzu großen Festivals auch kaum irgendwo zu sehen. Obwohl die Kritiken positiv waren, mochte kein Verleih, kein Sender, kein Streamingportal die Rechte erwerben. Als dann der Skandal um Harvey Weinstein losbrach, machte der Produzent den Film auf dem Portal Vimeo gratis zugänglich. Seit dem 12. Oktober hat er mehr als drei Millionen Viewings gehabt.

Amy Berg lässt in ihrer Dokumentation ehemalige Kinderstars zu Wort kommen, die davon erzählen, wie sie auf verschiedene Weise in Hollywood missbraucht wurden. Man sieht die Commercials und Shows, in denen sie auftraten, man hört die Eltern, die fassungslos sind und sich bisweilen für ihre Blindheit zu rechtfertigen versuchen, man erfährt einiges über die traumatischen Folgen. Niemand ist hier verpixelt; bei Berg kommen nur Opfer vor, die auch bereit waren, vor die Kamera zu treten. Das reicht mühelos, um die Strukturen eines langjährigen Pädophilen-Netzwerks zu erkennen.

Mehr: www.faz.net.

Heißt das nun, dass alles, was aus Hollywood kommt, verwerflich ist, dass es dort keine integren Akteure gibt? Nein! Wir sollten uns jedoch nicht blenden lassen!

Frankreich: Kinder bezahlen für Sex

Französische Schulen berichten über eine erschreckende Entwicklung: Immer öfter kommt es zu Sexualstraftaten unter Kindern. Die einen sprechen von Vergewaltigung, die anderen von Prostitution. Es ist so traurig! Wann gibt es endlich ein Umdenken?

Der Oralverkehr auf dem Schulklo kostet 25 Euro. „Das glaubt mir nie jemand“, sagt Armelle Le Bigot Macaux, „aber die Prostitution hat Einzug in unsere Schulen gehalten.“ Die Französin ist Präsidentin des Vereins „Agir contre la prostitution des enfants“ (Handeln gegen die Prostitution von Kindern). Seit Jahren beobachtet sie, dass in Frankreich immer mehr Jugendliche Sex als Ware betrachten. „Wir sprechen hier von Zwölf- bis 14-Jährigen.“

Frankreich wagt sich derzeit an ein Thema, das wohl nicht nur dort verbreitet ist: Sexualstraftaten unter Kindern. Jungs reichen ihre Freundinnen an Kumpels weiter – gegen Geld. „Das ist alles nicht so schlimm. Die echten Küsse bekommt eh nur mein Freund“, beteuerten die Mädchen, die ihrerseits unter dem Vorwand des Liebesbeweises zum Sex gezwungen werden. Der Verein von Armelle Le Bigot Macaux tritt derzeit in neun solchen Fällen als Nebenkläger auf.

Oft handelten die Schülerinnen auch auf eigene Rechnung. Dann werde das Dumping um den Preis für den Oralverkehr schon mal zum Problem zwischen Mädchencliquen, berichtet Le Bigot Macaux, die darüber nur den Kopf schütteln kann. Das große Erwachen kommt in der Regel, wenn die Handlungen über die sozialen Netzwerke öffentlich werden. „Dann entlädt sich die ganze Häme über die Jugendlichen, und sie erkennen, dass es weder richtig noch normal war, was sie getan haben“, sagt Le Bigot Macaux.

Mehr: www.welt.de.

Als Buchempfehlung zum Thema: B. Siggelkow: Deutschlands sexuelle Tragödie: Wenn Kinder nicht mehr lernen, was Liebe ist, 2009.

Der Fall John Howard Yoder

John Howard Yoder war der mennonitische Vorzeigetheologe des 20. Jahrhunderts. Er hat Trendsetter wie Stanley Hauerwas, David Bosch, Jürgen Moltmann oder N.T. Wright beeinflusst, Linksevangelikale wie Ronald J. Sider oder Jim Wallis geprägt und der missionalen Reich Gottes-Theologie die Bahn geebnet. Sein Klassiker Die Politik Jesu, in deutscher Sprache vom Neufeld Verlag 2012 neu aufgelegt, ist von Christianity Today auf Platz 5 der 100 wichtigsten theologischen Bücher des 20. Jahrhunderts gewählt worden. Richard J. Foster schreibt über das Buch: „Eine drastische Studie christlicher Sozialethik – bei diesem Thema hat mich niemand stärker beeinflusst als Yoder. Seine Kapitel ,Christus und die Macht‘ so­wie ,Revolutionäre Unterordnung‘ sind schlicht das Beste, was zu diesem Thema geschrieben wurde.“

Nun zeigt sich immer deutlicher, was schon lange vermutet wurde: Der Theologe der Gewaltlosigkeit hat über viele Jahre hinweg seine Macht systematisch missbraucht. Die genaue Zahl seiner Opfer wird nie ermittelt werden. Zwei Experten für sexuellen Missbrauch, die ihn in den Jahren 1992 bis 1995 im Rahmen einer Disziplinarmaßnahme begleitet haben, gehen davon aus, dass mehr als 100 Frauen von ihm zu sexuellen Handlungen genötigt wurden.

Die Historikerin Rachel Waltner Goossen hat für Mennonite Quarterly Review den schwierigen und schmerzhaften Prozess der Aufarbeitung beschrieben. Eine gekürzte Version ihres Artikels ist öffentlich zugänglich (siehe auch den Beitrag der New York Times aus dem Jahr 2013). Sie schreibt dort:

Yoder had lectured extensively about the mandate of Matthew 18:15 for individual responsibility in confronting wrongdoing, and seminary president Miller, along with an entire generation of ordained leaders, had imbibed lessons on church discipline—in the biblical phrase, “binding and loosing”—from Yoder through his widely disseminated books and teaching.

Tragically, in seeking to apply the Matthew 18 mandate for resolving conflict, Miller and others in positions of authority responded with painstaking slowness to Yoder’s abuse of power. Years of wasted time, energy and denominational resources enabled the victimization of women living and studying on the seminary campus and beyond.

The peace theologian’s perpetration of sexual violence upon women had far-reaching consequences among families, within congregations and throughout church agencies—from AMBS to Mennonite Central Committee and missions programs to Mennonite-affiliated institutions across the globe.

Hier: themennonite.org.

VD: JW

Zoë Jenny: Weltverbesserer sind lernresistent

Lehrer mit Latzhosen, Stirnband und „Atomkraft? Nein danke“-Ansteckern sahen Kinder oft nur als Spielzeug, meint die Schriftstellerin Zoë Jenny. Sie erklärt im Rückblick auf ihre Zeit in einer reformpädagogischen Schule: „Im Zuge der sexuellen Revolution wurden die Erwachsenen vor allem von einem befreit: von ihrer Verantwortung.“

Die Vorstellung, dass man an dem Schlechten in der Welt auch selber schuld sein könnte: Es übersteigt das geistige Fassungsvermögen der Gutmenschen, dass sie vielleicht in Wahrheit gar nicht so gut sind. Die Weltverbesserer sind vor allem eines: lernresistent. Lieber zeigt man sich empört.

Wie Claudia Roth, die allen Ernstes zurückmaulte, dass man den über alles erhabenen Grünen – die sich nach wie vor als Retter der Welt verstehen – sicher nichts über Moral erklären müsse. Klar, denn das Böse und Monströse ist ja immer woanders. In der Psychologie nennt man das Projektion. Im Extremfall gipfelt es in der Metapher des Narziss, der selbstverliebt ins Wasser starrt, auf sein Spiegelbild – und dabei ertrinkt. Die Grünen sind geradezu besessen von ihrem Spiegelbild.

Mehr: www.welt.de.

Schwarzer über Daniel Cohn-Bendit

Die Feministin Alice Schwarzer hat sich kürzlich in einem DLF-Interview zu Daniel Cohn-Bendit und Volker Beck geäußert:

Ich bitte Sie, das fängt nun doch an, peinlich zu werden. Ich meine, Daniel Cohn-Bendit schreibt seine Lebenserinnerungen, und wenn dann eine Passage kommt, in der er berichtet, dass er als Kindergärtner mit einer Fünfjährigen sich genital gestreichelt hat, dann ist plötzlich diese Passage Fiktion. Und Volker Beck, der doch nun inzwischen ein erfahrener Politiker ist, der wird doch wohl nicht zulassen, dass man einen solchen Text von einer solchen Brisanz im Sinn verändert und – jetzt kommt es – der ist 88 erschienen. Er hatte genug Gelegenheit zu sagen, Moment mal, mit diesem Text, da habe ich nichts zu tun. Außerdem hat er den Text wie gesagt für eine Streitschrift geschrieben, in der es ausschließlich um die Legalisierung der Pädophilie geht. Also es wäre gut, wenn die Verantwortlichen, die Grünen und alle anderen, endlich mal erschrecken würden und sagen würden, was haben wir da eigentlich getan und wie weit hängt uns das jetzt noch in den Kleidern.

Ist die entsprechende Passage im Buch von Cohn-Bendit vielleicht doch Fiktion? Ich empfehle folgendes Interview mit dem Europapolitiker.  (Die Reaktion der Gesprächsteilnehmer zeigt übrigens, wie überfordert die Gesellschaft damals bei dem Thema war.)

VD: WS

Ferner Spiegel

Professor Dr. Franz Walter erforscht zusammen mit Dr. Stephan Klecha auf Bitte von Bündnis 90/Die Grünen „Umfang, Kontext und Auswirkungen pädophiler Forderungen in den Milieus der Neuen Sozialen Bewegung sowie der Grünen“. In der FAZ ist heute unter dem Titel „Distanzierungstango in der Pädofrage“ eine Art Zwischenbericht erschienen (12.08.2013, Nr. 185, S. 7). Demnach war die „Entgrenzung“ in den 70ern Programm, nicht nur bei den GRÜNEN:

Die pädophile Zuwendung avancierte zum Ferment einer Umwälzung des Alltags, des Zusammenlebens, der befreienden Liebe. So war es in Frankreich. So erlebte man es, ganz besonders, in den Niederlanden. Und so entwickelte sich auch ein Teil der deutschen „Neuen Linken“.

„Darum weg mit dem Scheißsystem, auf zur sexuellen Revolution! Fang heute damit an. Die stillen Revolutionen sind oft die wirkungsvolleren.“ So lautete der Schlachtruf eines der führenden PolitPädophilen, Olaf Stüben, in der linksalternativen „taz“ vom 16. November 1979. Schon im Januar 1977 war während eines Teach-in in der Universität Frankfurt vor Hunderten Zuhörern offen für Sex zwischen Erwachsenen und Kindern plädiert worden. Einige aus dieser Szene sollten bald ihren Marsch durch die Institutionen antreten – in der neuen Partei „Die Grünen“, aber nicht nur darin.

Daniel Deckers kommentiert treffend (FAZ vom 12.08.2013, Nr. 185, S. 1) :

Das Antidiskriminierungspathos der siebziger und achtziger Jahre, das mit der Pädophilie-Debatte einen perversen Höhepunkt erlebte, ist noch längst nicht verhallt. Mittlerweile hat es selbst das Bundesverfassungsgericht erfasst. Umso aktueller ist die Frage, ob das, was einer Minderheit nützt, immer auch dem Wohl der Allgemeinheit dient – die Umwertung des Ehebegriffs lässt grüßen. Wäre die Pädophilie-Debatte auch nur ein ferner Spiegel, in dem die Gefahr kollektiver Verblendung zu erkennen wäre, es wäre viel gewonnen.

Der kollektiven Verblendung werden wir nur entkommen, wenn wir uns mit geistigen Vätern und Müttern dieser Revolution kritisch auseinandersetzen. Solange Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir oder Michel Foucault besonders im universitären Umfeld und in der Pädagogenausbildung wie Heilige verehrt werden, bleibt das Spiegelbild unscharf.

Sie dazu auch: Die Kollateralschäden der sexuellen Revolution.

Das bleiche Herz der Revolution

Der sexuelle Kontakt mit Kindern galt in manchen 68er-Kreisen als gesund und politisch fortschrittlich. Die Schriftstellerin Sophie Dannenberg hatte das in ihrem Roman Das bleiche Herz der Revolution thematisiert. Bei Cicero Online lässt sie sie ihre eigenen Kinderladenerfahrungen Revue passieren. Ein sehr bewegender Schlusstext:

Ich bin jetzt älter als unsere Eltern damals waren. Sie könnten fast meine Kinder sein. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass ich so gern verzeihen möchte. Und dann fällt mir wieder ein, dass zum Verzeihen immer zwei gehören. Wo sich ein Täter vor der Barmherzigkeit verschließe, da werden die Tore der Hölle von innen zugehalten, las ich in einem Interview mit der Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkowitz. Ich bin es leid, von außen an diesen Toren zu rütteln. Die 68er haben entschieden, uns nichts zu geben. Keine Wahrheit, keine Demut. Ich glaube nicht mehr an die Möglichkeit, aber manchmal wünsche ich es mir noch immer – ein einziges ehrliches, trauriges Gespräch. Und danach wieder die Erinnerung an hohes Gras und Apfelbäume.

Hier Artikel auf CICERO Online: www.cicero.de.

Die Kollateralschäden der sexuellen Revolution

Revolutionen ohne Exzesse gibt es nicht, mahnt Jakob Augstein die Spießer von heute. In der Position des vermeintlichen Aufklärers wirbt er um Verständnis für die Libertinagen der sexuellen Revolution. Beim Lesen seiner seltsamen Verteidigungsschrift für Daniel Cohn-Benditdachte ich an den Begriff „Kollateralschaden“. Es hat vielleicht ein paar Kinder erwischt. Sei’s drum! Bisher hat sich keiner beschwert. Ohne den Einsatz damals könnten wir heute die Früchte der sexuellen Befreiung nicht ernten.

Es geht nicht um den Einzelfall und es gibt einen Unterschied zwischen den schrecklichen Missbrauchsfällen in der Kirche und der Lage der Linken in den 70er und 80er Jahren. In der Kirche gab und gibt es viel zu viele Leute, die sich nicht an das halten, was in ihr gilt. (Theologisch gesprochen: Alle Menschenkinder sind Sünder.) In Teilen der linken Szene war der Einsatz für die Entkriminalisierung der Pädosexualität Programm (siehe dazu hier oder auch den willkommenen Aufarbeitungsartikel der TAZ). Gelten sollte, was entlastet: Sex mit Kindern sei „für beide Teile angenehm, produktiv, entwicklungsfördernd, kurz: positiv“ (DIE WELT vom 20. März 1985, S.4, hier zitiert). Berufen konnten sich die Kämpfer für die Freiheit der Kinder auf große Linksintellektuelle wie Jean-Paul Sartre, Michel Foucault, Simone de Beauvoir, Gilles Deleuze oder Herbert Marcuse. Nicht nur die Sexualmoral, sondern auch die Familie galt als repressives System, das aufzusprengen sei. Matthias Kamann verweist in seinem Beitrag „Zeitgeist förderte bei Grünen gefährliche Tendenzen“ auf diese Doppelmoral:
Auf dem Höhepunkt des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche versuchte im Februar 2010 der damalige Augsburger Bischof Walter Mixa die Verbreitung von Pädophilie bei Priestern zu erklären. Mixa sagte: „Die sogenannte sexuelle Revolution, in deren Verlauf von besonders progressiven Moralkritikern auch die Legalisierung von sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gefordert wurde, ist daran sicher nicht unschuldig.“
Heftig widersprach ihm damals Grünen-Chefin Claudia Roth: „Es ist nicht nur haarsträubend, sondern auch eine beispiellose Verhöhnung der Opfer sexuellen Missbrauchs, wenn an diesem Skandal innerhalb der katholischen Kirche nun andere schuld sein sollen.“ Die anderen Bischöfe, so Roth in der „Augsburger Allgemeinen“, müssten sich „in aller Schärfe von diesen Entlastungsversuchen ihres Bischofs zu distanzieren“.
Falls Roth dies ernst gemeint hat, stehen die Grünen heute vor einem Problem.
Warum eigentlich erst heute? Nun, die Kultur des Zeitgeistes erstickte den Protest. Große Denker und die Masse hatten sich verrannt, schufen ein Klima, in dem die Namen für das Böse nicht mehr genannt werden durften. Wer nicht einverstanden war, galt als Spießer.
Was werden wir wohl in 40 Jahren über die Umbrüchen sagen, deren Zeuge wir heute sind?
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