Syrien

Interview mit Albrecht Hauser zur Lage in Aleppo

Kirchenrat i.R. Albrecht Hauser gehört zu den Theologen mit viel Expertise in der Missionswissenschaft, die zahlreiche Kontakte zu verfolgten Christen haben und sich immer wieder für die bedrängte Gemeinde stark machen. Noch gestern hat er mit Christen in Syrien telefoniert und sich ein Bild von der sich dramatisch zuspitzenden Lage gemacht.

Ich habe kurz mit ihm gesprochen:

TheoBlog: Herr Kirchenrat i.R., Sie haben gestern mit Christen in Aleppo telefoniert. Wie ist die aktuelle Lage in der Stadt?

Gestern Abend um 20 Uhr erhielt ich einen Not-Anruf, da seit dem frühen Morgen die noch von der Regierung gehaltenen Stadtteile Aleppos mit stündlich zwischen 20 bis 30 Geschossen von den Stellungen der Rebellen aus bombardiert wurden. Von den 134 Krankenhäusern der Stadt im Jahre 2011 waren bis jetzt nur noch 18 funktionsfähig. Gestern wurden zwei weitere Krankenhäuser getroffen und zerstört, darunter auch ein Mutter und Kind-Krankenhaus. Es wurde berichtet, dass es dort 35 Tote gab, Frauen und Kinder, zwei davon starben auf dem Operationstisch. Die Lage ist katastrophal, wie ein Vorgeschmack der Hölle. Angst und Schrecken und die Suche nach Schutz prägt augenblicklich den Alltag der Menschen.

TheoBlog: Es gibt das Gerücht, dass zum 101. Gedenktag des Armenischen Genozids, also am 24. April 2016, besonders viele Raketen in Aleppo eingeschlagen sind.

In Aleppo leben inzwischen weniger als 40.000 Christen, da viele in den letzten Jahren geflohen sind. Die Rebellen beschießen aber ganz gezielt die christlichen Stadtteile von Aleppo, weil sie die Christen vertreiben wollen. Am 101. Gedenktag des Armenischen Genozid, am 24. April, wurden 120 Raketen in den christlichen Stadtteil geschossen. Es gab über 60 Tote und etwas mehr als 130 Verletzte. Tags darauf trafen sogar 1.200 Geschosse die von der Regierung gehaltenen Stadtteile und mehr als die Hälfte davon seien gezielt auf die christlichen Viertel abgeschossen worden. Die Regierung habe daraufhin, wohl auch mit Hilfe der Russen, die Abschussstellen bombardiert, darunter auch das schon seit 2012 zerstörte Al Quds-Krankenhaus. Von dort aus seien mehr als 300 Raketen auf die christlichen Viertel abgeschossen worden. Die Regierung habe vor der Beschießung die Menschen mit Flugblättern gewarnt, doch die Rebellen würden gezielt Menschen als Schutzschilder zum Bleiben zwingen. Mein Gesprächspartner fragte, warum dies in der westlichen Presse nicht berichtet würde. Der dort getötete Arzt sei bekannt gewesen, aktiv auf der Seite der Rebellen mitzuwirken.

TheoBlog: Wie reagieren die Christen, die noch in der Stadt sind?

Die evangelischen, orthodoxen und katholischen Christen in Aleppo kommen an Christi Himmelfahrt, Donnerstag 5. Mai abends um 19.00 Uhr (18.00 Uhr bei uns), zu einer gemeinsamen Gebetszeit zusammen, um vor Gott in die Bresche zu treten und in dieser verzweifelten Lage in Fürbitte und Anbetung vor den erhöhten Herrn zu treten. Sie bitten die Mitchristen in aller Welt, mit ihnen zusammen in Fürbitte für ihre Situation einzustehen, dass doch bald Frieden geschaffen werde und dieses hölleninspirierte Treiben ein Ende nehme. Die Not Aleppos hat die christlichen Geschwister über Konfessionsgrenzen hinweg geistlich und in gemeinsamen Hilfsmaßnahmen zusammen gebracht.

TheoBlog: Was wünschen sich die Gläubigen in Syrien von uns Christen aus Europa?

Dass wir sie in ihrer Not nicht allein lassen und ihre Situation bekannt machen, ja dass wir für sie eintreten in Fürbitte und auf darauf drängen, dass der Westen nicht länger diejenigen Kräfte unterstützt, welche die Zerstörung der Kirche und Vertreibung der Christen als ihr oberstes Ziel sehen.

TheoBlog: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Land des Paulus verliert seine Christen

In Syrien wird noch das Aramäische, die Sprache Jesu, gesprochen, doch fürchtet jetzt die christlich geprägte Bevölkerung, von der politischen Krise zerrieben zu werden. Der Jurist und Schriftsteller Fawwaz Haddad schildert in einem Beitrag für die FAZ die komplizierte Situation im Land:

Die meisten Kirchenführer unterstützten schon im ersten Jahr des Aufstandes öffentlich die Repressionspolitik des Präsidenten. Sie warnten ihre Gläubigen davor, sich der Revolution anzuschließen, wobei sie die Sicherheit hervorhoben, in der sie seit Hafiz al-Assad, dem Vater des heutigen Präsidenten, gelebt hätten. Syrische Christen stellen Minister und Abgeordnete, sie haben Posten in Staat und Militär. Viele glauben, es sei das Assad-Regime, das sie vor der muslimischen Mehrheit schützt und ihnen die freie Ausübung ihres Glaubens garantiert. Die offiziellen syrischen Kirchen erklären zudem, ihre Haltung sei der Furcht vor Chaos geschuldet. Sie hielten nicht zu Baschar al-Assad als Person, sondern wollten nur ihre gesellschaftliche Gleichberechtigung sowie Recht und Ordnung bewahren. Zwar sei das heutige Regime nicht demokratisch, doch man könne Demokratie nicht mit Gewalt und Waffen erlangen. Sie seien nicht gegen ihre muslimischen Mitbürger, nur gegen Extremisten in der Opposition.

Manche syrischen Kleriker unterstützen das Regime freilich nicht nur verbal, sondern tragen Assads gewalttätige Repressionspolitik gegen die Opposition förmlich mit. Besonders eifrige Kirchenführer drohten einzelnen Christen, die sich auf die Seite der Revolution gestellt hatten, über soziale Netzwerke. Selbsternannte „Shabbiha des Messias“ schickten Todesdrohungen an oppositionelle Christen. In Marmarita hängten sie, um die dort ansässigen Sunniten zu provozieren, in der ganzen Stadt Assad-Bilder auf. Im Wadi an-Nasara westlich von Homs schmückten Bewohner christlicher Dörfer ihre Häuser mit weißen Seidentüchern, womit man traditionell der Toten gedenkt, und beschrieben sie mit Segenswünschen für die syrische Armee im Kampf gegen ihre Feinde. Auch sponserten christliche Unternehmer, in der Hoffnung auf Gegenleistungen, Propagandaaktionen des Regimes. Andere beteiligten sich an der gewaltsamen Auflösung von Protestdemonstrationen, indem sie mit dem Segen ihrer Kirchenführung Kampfverbände gründeten, die im Wadi an-Nasara „Nationale Verteidigungstruppe“ hießen, anderswo „Marias Armee“.

Hier der vollständige Beitrag: www.faz.net.

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