Warum ich meine Meinung über Thomas von Aquin geändert habe

Scott Clark erzählt in einem Beitrag für das Journal Credo, dass er durch den Einfluss von Cornelius Van Til und Francis Schaeffer große Vorbehalte gegenüber Thomas von Aquin entwickelt hatte. Bei der Lektüre klassischer reformierter Theologen fiel ihm dann freilich auf, dass sie Thomas durchaus schätzten. Daher änderte auch Clark seine Meinung über den größten Theologen des Mittelalters.

Er schreibt:

Als ich in den Jahren 1980/81 durch Francis Schaffer und Cornelius Van Til damit begann, das reformierte Glaubensbekenntnis für mich zu entdecken, hatte ich eine ziemlich starke Voreingenommenheit gegenüber Thomas, den ich selbst nie gelesen hatte. Ich kannte ihn nur als den römisch-katholischen Theologen par excellence. Von Van Til kannte ich Thomas nur als „den großen Meister der Scholastik“, und ich schloss daraus, dass „Scholastik“ ein Code für Rationalismus war, d.h. dafür, dass man der Vernunft die Position eines Lehrers (magister) statt der eines Dieners (ancilla) zubilligte. Ich hatte den Eindruck, dass Thomas von Aristoteles vereinnahmt worden war. Tatsächlich wurde mir der Eindruck vermittelt, dass Thomas die Quelle für vieles war, was das Christentum krank macht. In einer Tour de Force springt Van Til von Aristoteles über Aquin zu Immanuel Kant (1724–1804). Die beiden wichtigsten Dinge, die ich aus meinen kurzen frühen Begegnungen mit Thomas mitnahm (mea culpa), waren, dass er versuchte, die Existenz Gottes auf „fünf Wegen“ zu beweisen (ST, 1a.2, Art. 3), und dass er einen „Natur-Gnaden-Dualismus“ lehrte.

Als ich begann, die orthodoxen reformierten Autoren selbst zu lesen, war ich jedoch überrascht, wie positiv sie Thomas gegenüber eingestellt waren. Das stellte mich vor die Wahl: entweder die neo-calvinistische Darstellung unseres Verhältnisses zu Thomas (und anderen) oder der klassische reformierte Ansatz. Nachdem ich mich eingehender mit Thomas beschäftigt hatte, entschied ich mich schließlich für Letzteres.

Falls sich jemand fragt, wie ich zu dieser Frage (und vielleicht auch der „Debatte“ zwischen Westminster Philadelphia und California) stehe: Ich kann Scott Clark gut verstehen und ermutige dazu, Thomas mal aus erster Hand zu lesen. Im Bereich der Gotteslehre wünsche ich mir, noch viel von Thomas zu lernen. Ich habe auch nichts gegen sauberes methodisches Vorgehen im Bereich von Theologie und Philosophie. Es ist schade, dass die Protestanten die Teleologie so vernachlässigt haben. Aquin war ein Genie. Zugleich bin und bleibe ich möglicherweise Thomas gegenüber kritischer als Clark, nicht nur im Blick auf einzelne Lehrpunkte wie Eucharistie oder Erwählung, sondern auch in Bezug auf sehr grundsätzliche Fragen wie Offenbarungslehre, Epistemologie und Soteriologie. So genau weiß ich das allerdings nicht, da ich Clark zu diesen Themen weder gelesen noch gehört habe. 

Hier der Artikel: credomag.com.

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11 Kommentare
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Johannes G.
1 Jahr zuvor
  1. Besser spät als nie… 😉 Erninnert mich zudem daran, dass ich ans Bücherregal gehen endlich „Aquinas Among the Protestants“ lesen sollte. Wer es noch etwas kontroverser mag, für den könnte „Never Doubt Thomas: The Catholic Aquinas as Evangelical and Protestant“ von Francis Beckwith interessant sein.
Udo
1 Jahr zuvor

Ich habe neulich gelesen, dass Thomas von Aquin jährlich durchschnittlich 4000 Seiten verfasst hat. Er hatte wohl bis zu 4 Sekretäre beschäftigt. Da ist es schon intellektuell sehr herausfordernd, sich ein umfassendes Bild von ihm zu machen, zumal es viele seiner Schriften nur in lateinischer Sprache gibt. Einige sind auch in deutscher Übersetzung im Internet verfügbar: https://www.thomas-von-aquin.de/thomas-von-aquin/schriften/index.html Thomas von Aquin zu lesen wäre jetzt nicht unbedingt meine erste Priorität 😉 Insgesamt finde ich Francis Schaeffers Kritik da schon recht schlüssig. Dennoch wird man ihn sicher auch mit Gewinn lesen können. Um so erstaunlicher, dass er gerade in der katholischen Theologenausbildung eher nur am Rand erscheint, wie ich gelesen habe. Mich interessierte, was er zu Römer 1 in seinem Römerbrief-Kommentar sagt (Stichwort: praktizierte Homosexualität): „Denn wenn schon die Sünden des Fleisches insgesamt verwerflich sind, da sie den Menschen zu dem, was in ihm tierisch ist, herabziehen, um wieviel mehr noch die Sünde gegen die Natur, durch die der Mensch sogar von… Weiterlesen »

Markus Jesgarz
1 Jahr zuvor

Meine Meinung ist:
1. 
Zum Glück gibt es Zehntausende von Katholiken in Südamerika, die evangelikal geworden sind in Bezug auf die soteriologische (Erlösung) und ekklesiologische (Kirche) Lehre der Bibel.
https://www.facebook.com/markus.jesgarz.3/posts/pfbid02caZ8dqcCtf66DK2Bdzjj1R5cqbxj8b1f5Sh28q8RddjTpds9meWKcydnyvGm26hkl
2. 
Zum Glück enthält der Thomismus wichtige Wahrheiten in Prolegomena, Apologetik, Theologie und Metaphysik, die Evangelikale heute dringend brauchen.

Markus Jesgarz
1 Jahr zuvor

Meine Meinung ist: 
Leider haben viele Evangelikale die Ideen von Thomas von Aquin falsch dargestellt. 
https://www.facebook.com/markus.jesgarz.3/posts/pfbid02iX7VPFo9ttyrvCkGMuNrNzCeQP8s7QoXR1xT31behR8Cak4wZ2ufYFQ4y5kV4iehl

Markus Jesgarz
1 Jahr zuvor
Roderich
1 Jahr zuvor

Es gibt ja den witzigen Cartoon, bei dem Petrus am Himmelstor sagt: „Ah, Mr. Francis Schaeffer. I believe there is a certain Thomas Aquinas who would like to have a word with you“ 🙂
Hier zwei Links: Martin Cothran, 15.01.2009: „Where Francis Shaeffer goes wrong: Is the belief in natural theology the beginning of the end of Western culture?“
https://vereloqui.blogspot.com/2009/01/where-francis-shaeffer-goes-wrong-is.html

Siehe auch die Kommentare, v.a. von „GEM of the Kairos Initiative“ mit weiteren Links, v.a. zu einer Diskussion auf Uncommon Descent.

Sowie: Norman Geisler: Thomas Aquinas: He’s our man.
https://christianhistoryinstitute.org/magazine/article/thomas-aquinas-hes-our-man

Markus Jesgarz
1 Jahr zuvor

Meine Meinung ist:
Zum Glück lehnte Herr Francis Schaeffer den transzendentalen Thomismus ab. 
https://www.facebook.com/markus.jesgarz.3/posts/pfbid0293A2dHxxtWCCSc2iCGYyrYwD2oogbMH6ho7Nc8JtHHDuRB1pEDz8fXubuZX4YbQAl

Markus Jesgarz
1 Jahr zuvor

Meine Meinung ist:
Zum Glück schätze Herr Robert Charles Sproul die Arbeit des Thomas von Aquin wert. 
https://www.facebook.com/markus.jesgarz.3/posts/pfbid0293A2dHxxtWCCSc2iCGYyrYwD2oogbMH6ho7Nc8JtHHDuRB1pEDz8fXubuZX4YbQAl?comment_id=466815642107502

Markus Jesgarz
1 Jahr zuvor

Meine Meinung ist:
Eine sorgfältige Untersuchung von 2. Mose 3,13-15 legt eine thomistische Metaphysik nahe. 
https://www.facebook.com/markus.jesgarz.3/posts/pfbid033em6x3ZnNcZnKPBCLd1i8cnUsFPzVJNkZ6SWP8uD6EZegvzHRSHD3btRqdcea4LEl

Markus Jesgarz
1 Jahr zuvor

Meine Meinung ist:
1. 
Die biblischen Argumente für die Existenz des Schöpfers basieren auf der biblischen Naturphilosophie.​​​​​​​
https://www.facebook.com/markus.jesgarz.3/posts/pfbid02SwoTQBDABk7rqdmcKEiTCH2LioLg1jo4nKCwpcmHbeGEoyecDUrAqif1URAyxAoXl
2. 
Die fünf Beweise von Thomas Aquin beweisen den Gott der Bibel mithilfe der thomistischen Metaphysik, die der biblischen Naturphilosophie entspricht.

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