Der Neutestamentler Andrie du Toit wurde während seiner Promotionszeit in Basel von Karl Barth und Oscar Cullmann geprägt, bevor er sich in Südafrika als Experte für neutestamentliche und jüdische Exegese etablierte.
Eher zufällig fand ich in einem Vortrag, den er bereits 1985 in Trondheim gehalten hatte und der 1988 erstmalig veröffentlicht wurde, kritische Anfragen von du Toit an E.P. Sanders. Obwohl wahrscheinlich nur diejenigen etwas mit dem Zitat anfangen können, die sich mit der so genannten „Neuen Pauluspektive“ befassen, gebe ich den Auszug nachfolgend unkommentiert wieder (Andrie du Toit, Focusing on Paul, hrsg. von Cilliers Breytenbach u. David S. du Toit, Walter de Gruyter, 2007, S. 316):
Die Fragen mehren sich: Hat Sanders den Kontext und die Eigenart seiner Dokumente genügend beachtet? Wieviel sonstiges Zeugnis für eine Soteriologie des Verdienstes ist seiner eklektischen Methode zum Opfer gefallen? Wird ein Spezialist wie Billerbeck, der 16 Jahre an diesem Material gearbeitet hat, sich wirklich völlig geirrt haben? War Sanders Methode ausreichend, um die Grundstimmung (bzw. Grundstimmungen) des palästinensischen Judentums gründlich aufzufangen? Haben auch die Synoptiker, beziehungsweise ihre Quellen, diese Grundstimmung so völlig mißverstanden? Wie ist die jüdische καύχησις mit einem echt durchlebten Gnadenbewußtsein zu reimen? Oder müssen wir annehmen, sie sei eine Illusion des Paulus gewesen? Konnten nicht auch Erwähltsein aus Gnade und Zugehörigkeit zum Bunde zu Formeln erstarren oder sogar, wie aus der Kirchengeschichte zu belegen ist, eventuell zu einem Status vor Gott werden? Hätte man den damaligen Inhalt dieser Begriffe nicht gründlicher analysieren sollen? Ist die Art des jüdischen Sündenbewußtseins im ersten Jahrhundert genügend untersucht? Sündenbewußtsein bestimmt ja weitgehend, wie man die Gnade versteht und erlebt.
Methodologisch gibt es aber noch eine andere ernste Frage: Die „soteriologischen“ Aussagen in den jüdischen Dokumenten sind, wie die christlichen, alle eschatologisch bestimmt, das heißt sie haben mit dem Zugang zum endzeitlichen Heil zu tun. Dann aber liegt der kritische Vergleichspunkt nicht zwischen den jüdischen Auffassungen über den Zugang zum Bund und dem paulinischen Erlösungskerygma, sondern zwischen den jüdischen und den christlichen Aussagen über den Zugang zum endzeitlichen Heil. Sobald das jedoch geschieht, kommen die ἔργα jedoch wieder ganz neu ins Spiel! (Die paulinische Rechtfertigung ist ja eine Vorwegnahme des eschatologischen Urteils des himmlischen Richters.) Selbstverständlich gab es im jüdischen Denken eine starke Korrelation zwischen dem Zugang zum Bund und zum endzeitlichen Heil. Prinzipiell waren sie aber keineswegs identisch. Paulus wäre mit der Behauptung, daß Israel aus Gnade zum Bunde erwählt wurde, völlig einverstanden (vgl. Rom 11:28f.; 9:4). Seine Kritik liegt anderswo.