Bullinger: Ist es der Obrigkeit erlaubt, Krieg zu führen?

Ist es der Obrigkeit erlaubt, in einen Krieg zu ziehen? Darf auch ein Christ das Schwert führen? Was, wenn die Obrigkeit einen unrechten Krieg führt? Der Reformator aus Zürich gibt in der 9. Predigt seiner Dekaden herausfordernde Antworten. Hier einige kurze Auszüge (Schriften, Bd. 3, S. 390 ff.):

Zu dem Recht, vom Schwert Gebrauch zu machen, das der Obrigkeit von Gott verliehen wurde, gehört auch das Recht, Krieg zu führen. In meiner letzten Predigt habe ich gezeigt, dass der Gebrauch des Schwertes in den Händen der Obrigkeit ein doppelter ist: Entweder bestraft sie Schuldige, oder sie schlägt einen Feind zurück, der angreift oder angreifen will, oder sie schlägt widerspenstige oder aufrührerische Bürger nieder.

Viele ziehen nun aber in Zweifel, ob es der Obrigkeit erlaubt sei, Krieg zu führen. Es ist erstaunlich, dass man in einer gar klaren Sache so blind sein kann. Wenn die Obrigkeit nämlich nach göttlichem Recht Schuldige straft, Räuber oder andere Straftäter, wobei es nichts zur Sache tut, ob es wenige oder viel sind – wie ich in meiner gestrigen Predigt ausgeführt habe –, so kann sie widerspenstige und aufständische Bürger auch nach demselben Recht wie einen von außen angreifenden Feind bekriegen, zurückschlagen und aufreiben, wenn er unter dem Vorwand eines Feldzuges das versucht, was die Straßenräuber heimlich zu tun pflegen.

Nun sagte der göttliche Prophet, der über die Christen weissagte, unter anderem [Jes 2,4]: »Sie werden ih Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen zu Sicheln umschmelzen.« Christen leben doch mit allen Menschen in Fried‘ und brauchen keine Waffen: Denn jeder verhält sich gegenüb dem anderen so, wie er es auch vom anderen erwartet. Weil aber nicht alle Menschen so gesinnt sind, sonde zahlreiche Störenfriede, verbrecherische Wegelagerer und Unterdrücker unter den ehrbaren und umgänglichen Bürgern leb wie wilde Tiere unter friedlichen Tieren, hat Gott der Obrigkeit vom Himmel das Schwert zum Schutz der Unschuldigen gegeben. Nirgends steht nämlich zu lesen, es sei verboten, Wölfe Eber, Bären und andere wilde Tiere dieser Art, die Mensch und Vieh anfallen, zu erlegen und zu töten. Warum soll es da untersagt sein, in einem Krieg, der zu Recht begonnen wurde, die unrechtmäßige Gewalt von Räubern abzuwehren? Unterscheiden sich doch Wegelagerer, Räuber, feindliche Soldat und aufständische Bürger nur wenig oder in nichts von wilden Tieren! Sie werden ja auch von der Heiligen Schrift nicht anders denn als Tiere bezeichnet. Dem entspricht auch das allgemeine menschliche Empfinden, und ebenso stimmt die Glaubenslehre damit überein. Der Apostel Paulus sagt [Röm 12,18f.]: »Ist möglich, soviel an euch liegt, haltet mit allen Menschen Fried rächt euch nicht selbst!« Siehe, er sagt: »Soviel es an euch liegt« und »ist es möglich«, anderswo ergänzt er [Röm 13,4]: »Die Obrigkeit trägt das Schwert nicht umsonst«; sie führt es nämlich all jener wegen, welche die Friedfertigen behelligen und alles verwirren.

Aus dem Gesagten schließe ich auch, dass die Untertanen das Recht auf ihrer Seite haben und keine Schuld auf sich laden, wenn sie in den Krieg ziehen und kämpfen, sofern sie es aus Anordnung der Obrigkeit tun. Wenn die Obrigkeit jedoch weiterginge und Unschuldige töten wollte, dann — das habe ich in früheren Predigten gezeigt – ist ihren gottlosen Anweisungen nicht zu gehorchen. Die Obrigkeit achte also darauf, das Rech nicht zu missbrauchen.

Obwohl es der Obrigkeit aus gerechtem und zwingenden Anlass erlaubt ist, Krieg zu führen, ist der Krieg doch etwas sehr Gefährliches, da er meist eine unsägliche Kette von Leid und Übeln nach sich zieht. Zwar werden auf diese Weise dem gerechten Urteil Gottes gemäß all jene bestraft, die keine väterliche Ermahnung beeinflussen konnte, aber vielfach werden auch Unschuldige in Mitleidenschaft gezogen. Es kommt immer wieder vor, dass Soldaten ihr Recht missbrauchen und selbst den heftigen Zorn des Herrn auf sich ziehen. Beinahe alle Übel und alles Böse dieser Welt haben ihren Ort und Ursprung im Krieg. Aus dem Krieg entsteht sogleich eine allgemeine Teuerung und in der Folge eine todbringende Hungersnot. Verkehrswege werden belagert, Saaten niedergetreten, Häuser stehen in Flammen, Nahrungsmittel werden mutwillig verschleudert, alles Handwerk und Gewerbe kommt zum Erliegen, der Arme stirbt ebenso wie der Reiche. Gerade die Mutigsten fallen in der Schlacht, während die Furchtsamen an Flucht denken und dadurch lediglich erreichen, durch noch schwerere und grausamere Qualen zerfleischt zu werden. Denn die Übelsten werden erhöht, solche, die andere Menschen wie Vieh missbrauchen. Dann seufzen alle, Witwen und Waisen trauern, Reichtümer und Vermögen, die für künftige Notzeiten zusammengetragen worden sind, werden geplündert, Städte brennen zu Asche nieder, junge Frauen und Mädchen werden geschändet, jeder Scham wird Gewalt angetan, alte Männer werden misshandelt, Recht und Gesetz schweigen, Gottesfurcht und Wissenschaften hegen danieder, Gesetzesverächter und Frevler herrschen. Deshalb wird der Krieg in der Bibel als Geißel Gottes bezeichnet [vgl. Jes 10,26].

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3 Kommentare
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Udo
2 Jahre zuvor

Man kann Bullinger nur im vollem Maße zustimmen!

1 Jahr zuvor

[…] Heinrich Bullinger, Schriften, Bd. 3, S. 390 ff. Heinrich BullingerKriegObrigkeitStaat Von apologet 0 Kommentare […]

1 Jahr zuvor

[…] Obwohl es der Obrigkeit aus gerechtem und zwingenden Anlass erlaubt ist, Krieg zu führen, ist der Krieg doch etwas sehr Gefährliches, da er meist eine unsägliche Kette von Leid und Übeln nach sich zieht. Zwar werden auf diese Weise dem gerechten Urteil Gottes gemäß all jene bestraft, die keine väterliche Ermahnung beeinflussen konnte, aber vielfach werden auch Unschuldige in Mitleidenschaft gezogen. Es kommt immer wieder vor, dass Soldaten ihr Recht missbrauchen und selbst den heftigen Zorn des Herrn auf sich ziehen. Beinahe alle Übel und alles Böse dieser Welt haben ihren Ort und Ursprung im Krieg. Aus dem Krieg entsteht sogleich eine allgemeine Teuerung und in der Folge eine todbringende Hungersnot. Verkehrswege werden belagert, Saaten niedergetreten, Häuser stehen in Flammen, Nahrungsmittel werden mutwillig verschleudert, alles Handwerk und Gewerbe kommt zum Erliegen, der Arme stirbt ebenso wie der Reiche. Gerade die Mutigsten fallen in der Schlacht, während die Furchtsamen an Flucht denken und dadurch lediglich erreichen, durch noch schwerere und… Weiterlesen »

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