Akzente

Gott auf dem Feld

Die FAZ veröffentlichte am 12. Oktober den Artikel „Gott auf dem Feld“ von Daniel Theweleit. Darin wird vor den Gefahren gewarnt, die von Fußballspielern wie Felix Nmecha ausgehen. Sie bekennen nämlich ihren christlichen Glauben mutig in der Öffentlichkeit.

Der Artikel erweckt zwar auf den ersten Blick den Eindruck, sachlich zu sein. Nach dem Motto: Warum fällt es uns so schwer, zu akzeptieren, dass Fußballer ihren Glauben bekennen? Aber tatsächlich ist der Beitrag ein Beleg für den Niedergang des seriösen Journalismus. So wird Felix Nmecha Homophobie unterstellt und indirekt vorgeworfen, durch seinen offenen Umgang mit dem Glauben die AfD stark zu machen. Und na klar: „Ein Merkmal ist für die allermeisten Evangelikalen typisch, … es gibt ein ganz klares binäres Geschlechtermodell.“ Das muss man sich mal vorstellen. Menschen, die meinen, es gibt nur zwei Geschlechter, werden als Problemfall für die Gesellschaft hingestellt. 

Besonders schlimm finde ich folgenden Abschnitt:  

Klar ist, dass Nmecha Kontakt zu wichtigen Leuten hat, die die evangelikale Bewegung aus den USA nach Europa transportieren wollen und dazu die sogenannte Awakening Church gegründet haben. Nach dem Champions-League-Finale 2024, das Nmecha mit dem BVB gegen Real Madrid bestritt, postete der ehemalige Fußballprofi und heutige Aktivist John Bostock auf Instagram ein Bild des Dortmunder Mittelfeldspielers im Stadion, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „I belong to Jesus“ trägt. Weitere Fotos zeigen, dass Bostock von Ben Fitzgerald zu dem Spiel begleitet wurde, der nach eigener Aussage von Gott damit beauftragt wurde, den evangelikalen Glauben mit Hilfe der Awakening Church in Europa größer zu machen. „Es ist schwer vorstellbar, dass Felix Nmecha nichts mit der Spitze der Filiale zu tun hat“, sagt Jobst Paul vor dem Hintergrund dieser Verbindungen. Bostock betreibt den Podcast „Ballers in God“ und bezeichnet den deutschen Nationalspieler in einem Interview mit der englischen „Sun“ als „einen von unseren Ballers in God“. Nmecha selbst wirbt zwar nicht explizit für die Awakening Church, als Testimonial für den Glauben ist er aber schon unterwegs: In einem Youtube-Kanal des gemeinnützigen und überkonfessionellen Vereins „Fußball mit Vision“ sagt er, untermalt von sphärischen Klängen: „Dort ist so viel Frieden, Freude und Wahrheit in Jesus. Ich ermutige die Menschen einfach, einen Schritt zu wagen, denn wenn Sie das einmal erlebt haben, wird Ihr Leben nie wieder dasselbe sein. So bin ich zu Christus gekommen.“

Also: John Bostock hat ein Fußballspiel zwischen dem BVB und Real Madrid besucht und ein Foto von Felix Nmecha auf Instagram gepostet. Ben Fitzgerald von der Bethel Church bzw. Awakening Europe war auch dabei. Deshalb ist es schwer vorstellbar, dass Felix Nmecha nicht zur Spitze der Filiale von Awakening Europe gehört. Dies umso mehr, als er in einem Video des Vereins „Fußball mit Vision“ gesagt hat, dass in Jesus Frieden, Freude und Wahrheit zu finden ist. 

So die Argumentationskette. Da ist so viel falsch. Bethel steht nun gerade nicht für die evangelikale Bewegung. Nur weil ein paar Leute gleichzeitig ein Fußballspiel besucht haben, bedeutet das nicht, dass sie im engen Kontakt stehen. „Fußball mit Vision“ ist sicher kein Produkt der Bethel Church. 

Das erinnert mehr an eine Hexenjagd als an Journalismus. Sehr schade, dass die FAZ so etwas durchgehen lässt.

Schreibt freundliche, aber klare Leserbriefe! 

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

Die scheinbare Überlegenheit des modernen Menschen

Die Physikerin und Philosophin Sibylle Anderl nimmt die Leser der ZEIT mit hinein in ihre Suche nach dem richtigen Glauben. Ihre Fragen sind klug und hilfreich. Leider setzt sie aber wie Rudolf Bultmann selbstverständlich voraus, dass wir heute klüger sind als die Menschen in der Antike und unser Wissensstand und „Weltbild“ darüber entscheidet, was wir uns aus der Bibel herauspicken. Ich wäre ja zurückhaltender: In mancherlei Hinsicht sind wir heute reicher und klüger, und in mancherlei Hinsicht ärmer und dümmer. Vielleicht ist ja das Weltbild, das Wunder oder ein Letztes Gericht kategorisch ausschließt, das eigentlich mythologische. Spätestens am Tag des Herrn wird das offenbar werden: „Vor Jesus müssen einmal alle auf die Knie fallen: alle im Himmel, auf der Erde und im Totenreich“ (Phil 2,10).

Hier das Zitat (DIE ZEIT, 05.06.2025, Nr. 24, S. 30):

Unser menschliches Wissen verändert sich mit der Zeit. Einst Rätselhaftes wird verstanden. Manches Verstandene wird wieder vergessen. Fest steht, dass sich unser heutiges Wissen grundlegend von dem der Menschen unterscheidet, die zur Entstehungszeit der Bibel lebten.

Der evangelische Theologe Rudolf Bultmann sah darin vor achtzig Jahren den Grund, warum sogar viele Christen sich damit schwertun, das Neue Testament wörtlich zu nehmen: Die objektive Welt, wie wir sie erleben, existierte für die Menschen damals nicht. Sie besaßen keinen wissenschaftlichen Zugang zur Realität, es gab für sie keine Atome, keine chemischen Reaktionen und keine fernen Galaxien. Sie lebten in einer mythischen Wirklichkeit, in der ganz selbstverständlich übernatürliche Mächte wirkten, Gott, die Engel, Satan und dessen Dämonen. Tote konnten auferstehen, und das Jüngste Gericht wurde jederzeit erwartet. Dieses Weltbild sei das einer vergangenen Zeit, schreibt Bultmann, zu unserem wissenschaftlichen Denken passe es nicht mehr.

Laut Bultmann ist es eine Zumutung, als Christ das vergangene mythische Weltbild als wahr anerkennen zu müssen, obwohl es im krassen Widerspruch zu unserem modernen Wissen steht.

Ich stimme Bultmann zu: Es ist eine Zumutung. Und ich finde die Lösung sinnvoll, die er vorschlägt. Die biblischen Texte so zu interpretieren, dass sie auch in unserer Zeit funktionieren. Sich zu fragen, welche Inhalte wir wörtlich nehmen müssen und was auf die mythische Denkweise von damals zurückzuführen sein mag. Wahrscheinlich bin ich dabei teils sogar toleranter als Bultmann, weil ich weiß, dass die Grenzen unseres naturwissenschaftlichen Wissens weniger starr sind, als wir gemeinhin glauben.

Die postmoderne Vereinnahmung von James K.A. Smith

Wer bisher daran gezweifelt hat, dass sich James K.A. Smith (Calvin University, USA) für die Anliegen der LGBTQ+-Lobby geöffnet hat, ist in den letzten Wochen eines Bessere belehrt worden. Smith hat einen knappen, aber klaren Brief veröffentlicht, in dem er fordert, dass seine Hochschule sich von der kirchlichen Denomination, der sie angehört, trennt. Der Grund: Die Denomination, die Christian Reformed Church of North America, sei in Fragen der Sexualethik enger geworden und lasse die wünschenswerte Vielfalt nicht mehr zu, die eine zukunftsfähige Hochschule benötige, um anschlussfähig zu sein.

Wer mehr darüber wissen möchte, sollte den Kommentar von Stephen McAlpine lesen: James K.A. Smith „sagte uns, dass man ist, was man liebt. Und er sagte, dass das, was man liebt, durch das geprägt wird, was man tut. … Unsere Sehnsüchte formen uns zu Handlungen, die wiederum unsere Sehnsüchte verankern, die unsere Handlungen verstärken. … An diesem Punkt wird Smith in seine eigene Schlinge hineingezogen.“

Im Unterschied zu Stephen McAlpine bin ich von der Entwicklung nicht überrascht. Da sich James K.A. Smith schon vor vielen Jahren dem Postmodernismus verschrieben hat (vgl. sein Who’s Afraid of Postmodernism: Taking Derrida, Lyotard, and Foucault to Church, 2006), war es nur eine Frage der Zeit, bis das, was er liebt, auch seine Ethik prägt.

Falls jemand mehr darüber wissen möchte, kann er sich durch die Abhandlung Warum das Christentum für François Lyotard eine Emanzipationserzählung informieren.

Ist der „späte“ Augustinus ein Missverständnis?

In der Augustinusforschung der letzten 100 Jahre wird immer wieder die so genannte „Diskontinuitätsthese“ ins Spiel gebracht und diskutiert. Diese These entstand als Gegenbewegung zu einer bis dahin eher einheitlich gedachten Augustinusrezeption.

Ein erster Vertreter der Diskontinuitätsthese war Hermann Dörries (1895–1977). In seinem Buch Die Entstehung der augustinischen Gnadenlehre (1930) diagnostizierte er einen Wandel in Augustinus’ Gnaden- und Freiheitsverständnis vor und nach der Auseinandersetzung mit Pelagius. Um das Jahr 412/413 habe es die markante Wende in Augustins Theologie gegeben. Auch der bekannte Biograph Peter Brown verteidigt die Diskontinuität zwischen dem frühen und dem späten Augustinus (Augustinus von Hippo, 1982).

Die Diskontinuitätsthese steht im Spannungsfeld zur „Kontinuitätsthese“, die einen scharfen Bruch oder mehrere sanfte Brüche in der Gnadentheologie des Kirchenvaters verneint. Einer der bekanntesten Vertreter der kontinuierlichen Entwicklung der Gnadentheologie bei Augustinus ist Volker Drecoll, der Herausgeber des Augustinus Handbuchs (2007).

Vor einigen Jahren hat Kenneth Wilson in einer Promotionsarbeit die Diskontinuitätsthese noch weiter radikalisiert, indem er nicht nur einen Bruch durch das Werk Ad Simplicianum de Diversis Quaestionibus (dt. An Simplicianus über verschiedene Fragen) behauptet, sondern mittels Redaktionskritik dieses Werk ins Jahr 412 transferiert (die allg. angenommene Entstehungszeit liegt bei 396/397 n. Chr.). Nach Wilson war also Augustinus schon über 60 Jahre alt, als er seine prädestinatorische Theologie entwickelte. Im deutschsprachigen Raum hat z.B. Roger Liebi für diese radikale Diskontinuitätsthese von Ken Wilson geworben (vgl. Hat Augustinus die abendländische „Ursünde“ erfunden?).

In den deutschsprachigen Akademikerkreisen hat sich besonders Kurt Flasch für einen radikalen Bruch innerhalb der Theologie Augustins ausgesprochen. Der Philosophiehistoriker hat sich schon früh vom christlichen Glauben verabschiedet und gilt als fundierter und unaufgeregter Kritiker des christlichen Glaubens (vgl. sein Warum ich kein Christ bin, 2013 u. sein Interview über den Glaubensverlust hier). In zwei neuen Veröffentlichungen hat er inzwischen auf Ken Wilsons These reagiert und damit seine Kritik an der der Ursündentheologie untermauert. Hartmut Leppin schreibt in seiner Rezension von Augustins letztes Wort: Prädestination und Augustin neu lesen: Diskussionsbeitrag zu Kenneth M. Wilson (beide erschienen im Verlag Vittorio Klostermann, 2024):

Die Reaktionen auf Wilsons Arbeit waren teils skeptisch, teils enthusiastisch zustimmend. Kurt Flasch hat aufgrund der Lektüre Wilsons seine bisherige Auffassung revidiert – und bekennt das freimütig. Welche Konsequenzen sich daraus ergeben, diskutiert er in zwei kurzen, mit pointierten Titeln versehenen Büchern. In „Augustins letztes Wort“ widmet Flasch sich späteren Schriften des Kirchenvaters, vor allem jenen zur Prädestination, aus denen er weitere Passagen übersetzt, sowie abendländischen Texten, auf die Augustin einwirkte, namentlich solche von Thomas von Aquino und Johannes Calvin, aus dessen Werk Flasch eine Sammlung einschlägiger lateinischer Zitate zusammenstellt.

Im zweiten, ausdrücklich als Diskussionsbeitrag gekennzeichneten Werk, „Augustin neu lesen“, dessen Vorwort nur knapp drei Wochen später datiert ist, erörtert Flasch explizit Wilsons Arbeit, ferner Passagen aus „Ad Simplicianum“, einem Werk Augustins, das als grundlegend für die Gnadenlehre gilt und das Wilson in zentralen Teilen umdatiert hat. Zudem behandelt er lange, neu übersetzte Abschnitte aus den „Bekenntnissen“, die nach bisheriger Meinung mit jenen Teilen zusammenhingen. In beiden Werken verbinden sich die höchst qualitätsvollen Übersetzungen (hier leider gewöhnlich ohne lateinisches Original) mit eindringlichen Interpretationen, die auf eine systematische Auseinandersetzung mit der verästelten Forschung verzichten, dieser auch nicht bedürfen. (FAZ vom 05.04.2025, Nr. 80, S. 12)

Inzwischen liegt außerdem eine umfangreiche Untersuchung zu Augustinus und dem Pelagianismus vor, in der ebenfalls die Spannung von Kontinuität und Diskontinuität berührt wird. David Burkhart Janssen hat 2024 seine Dissertation Inimici gratiae Dei: Augustinus’ Konstruktion des Pelagianismus und die Entwicklung seiner Gnadenlehre nach 418 veröffentlicht (Brill u. Schöningh, 2024). Janssen war mehrere Jahre Assistent am Lehrstuhl von Drecoll in Tübingen und hat das Dissertationsprojekt unter dessen Betreuung durchgeführt.

Inimici gratiae Dei (dt. Feinde der Gnade Gottes) ist mit über 900 Seiten eine sehr gründliche Auseinandersetzung zum Thema Gnadentheologie. Janssen hat die Quellen akribisch untersucht und die Entwicklung der antipelagianischen Gnadenlehre so detailiert nachgezeichnet wie m.W. bisher niemand sonst.

Für alle, die sich mit neuen Perspektiven auf Pelagius oder Augustinus beschäftigen, ist es eine wahre Fundgrube. Die Kirchengeschichtsschreibung sah bis zur Jahrtausendwende den Pelagianismus überwiegend kritisch. Adolf von Harnack sagte noch: „Aber man wird urtheilen müssen, dass ihre Lehre [d.h., die der Pelagianer] den Jammer der Sünde und des Uebels verkennt, dass sie im tiefsten Sinne gottlos ist, dass sie von Erlösung nichts weiss und wissen will“ Dogmengeschichte, Bd. 3, 1890, S. 183).

In den letzten Jahren hat es mehrere Rehabilitierungsversuche der pelagianischen Theologie gegeben. So wird Augustinus vorgeworfen, in seinen späten Jahren Manichäer gewesen zu sein (der so genannte Manichäismusvorwurf). Am Bekanntesten ist The Myth of Pelagianism von Ali Bonner (2018). Bonner hat behauptet, dass im 4. Jahrhundert Pelagius eine Mehrheitsmeinung vertreten habe und vielmehr Augustinus mit seiner Betonung des geknechteten Willens und der Vorherbestimmung die Ausnahme gewesen sei. Bonner behauptet sogar, dass die Positionen, die Pelagius durch seine Gegner zugeschrieben bekam, in seinen Schriften gar nicht zu finden seien und es keine pelagianische Bewegung im engere Sinne gegeben habe. Allerdings konnte sie die Fachwelt nicht überzeugen. Andrew C. Chronister zieht in seiner Buchbesprechung das Fazit: „Alles in allem hat Bonner’s Studie den Leser nicht überzeugt“ (Augustinian Studies, Bd. 51, Ausgabe 1, 2020, S. 119). David Bukrhart Janssen schreibt (S. 27, Fn. 79):

Auch wenn – bis heute – umstritten ist, inwiefern sich Augustinus’ Theologie aus der Tradition speist, ist doch zu statuieren, dass im vierten Jahrhundert unterschiedliche Lehransätze mit einem häufig nicht ganz geklärten Nebeneinander von Gnade und menschlichem Wirken bestanden …; ebenfalls bezogen sich Augustinus und Pelagius wie ihre Vorgänger gemeinsam in diesen Fragen auf das paulinische Corpus.

Zu Kenneth Wilsons These konstatiert Janssen, dass die von ihm vollzogenen Umdatierung von Ad Simplicianum de Diversis Quaestionibus der Quellenlage widerspricht (vgl. S. 20, Fn. 54). Einen radikalen Bruch kann er bei Augustinus in der Gnadenfrage nicht finden, wohl aber eine konsequente und kontininuierliche Fortentwicklung seiner eigenen Sichtweise. Die Untersuchung schließt mit den Worten (S. 778):

Der antipelagianische, „späte“ oder alte Augustinus ist der gleiche Theologe wie der junge, der allerdings das, was er bereits in vielen Jahrzehnten angelegt hatte, in Reaktion auf die Pelagianische Kontroverse spezifizierte, zuspitzte und systematisierte. In den antipelagianischen Schriften begegnet eine situativ bedingte, aber dennoch konsequente und kontinuierliche Fortentwicklung der augustinischen Theologie.

Augustinus hat in besonderer Konsequenz die paulinische Grundansicht durchdacht, dass der Mensch Erlösung nicht aus sich selbst heraus erlangen kann, sondern der Gnade in und durch Christus bedarf. Die Schlussfolgerungen, die Augustinus daraus gezogen hat, insbesondere die Vorstellung von der Sündhaftigkeit und Gnadenbedürftigkeit aller, die Betonung des Kreuzes sowie die Prädestinationslehre, waren damals wie heute umstritten. Die Untersuchung von Augustinus’ Konstruktion und Widerlegung des Pelagianismus zeigt jedoch, dass Versuche, aus seiner Theologie den einen oder anderen Aspekt (etwa die Prädestinations- oder die tradux peccati originalis-Lehre) herauszulösen, weitreichende Änderungen an der soteriologischen Grundaussage des afrikanischen Kirchenvaters zur Folge haben: Der Mensch erlangt Rettung nur durch die Gnade des treuen und barmherzigen Gottes.

Olympia 2024: Die „Todeswerke“ der Eröffnungsfeier

Die gestrige Eröffnungsfeier für die Olympischen Sommerspiele in Paris war gewiss ein kreatives Feuerwerk. Verschiedenste Leitmedien sind regelrecht ins Schwärmen geraten. MARCA aus Spanien schreibt zum Beispiel: „Paris beendet die beste Zeremonie in der Geschichte der Spiele“ (Beleg und andere Pressestimmen hat der Standard hier aufgeführt). 

Natürlich gab es auch Kritik, insbesondere aus christlichen Kreisen. Und das zu Recht. Die Zeremonie war nämlich gespickt mit Symbolen, die sich direkt gegen den christlichen Glauben richteten. Die Einehe wurde etwa ins Lächerliche gezogen und durch eine Dreierbeziehung überboten. Offensichtlicher Höhepunkt der blasphemischen Inszenierungen war eine queere Abendmahlsfeier, über die das Nachrichtenmagazin IDEA wie folgt berichtet:

Auf scharfe internationale Kritik ist die Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele in Paris gestoßen. Am 26. Juli wurde dort auf einer Brücke über der Seine eine Art „queeres Abendmahl“ inszeniert. Dabei gruppierten sich mehrere Vertreter sexueller Minderheiten, insbesondere männliche Transvestiten, um eine Tafel herum, sodass die Szenerie stark an das Gemälde „Das Letzte Abendmahl“ von Leonardo Da Vinci (1452–1519) erinnerte.

X- und Tesla-Chef Elon Musk nannte die Inszenierung „extrem respektlos“ gegenüber den Christen. Auf seinem Kurznachrichtendienst äußerten sich bereits mehrere Journalisten und Kirchenvertreter aus verschiedenen Ländern dazu.

Der römisch-katholische Erzbischof von San Francisco, Salvatore Cordileone, stellte in einem Beitrag fest, dass der „säkulare Fundamentalismus“ nun die Olympischen Spiele infiltriert habe und sogar so weit gehe, „die Religion von über einer Milliarde Menschen“ zu lästern. „Würden sie das auch mit jeder anderen Religion tun?“ Er bitte alle Bürger, für „die Wiederherstellung von Wohlwollen und Respekt“ zu beten.

Ob sich die Evangelische Kirche in Deutschland noch meldet? Ich bin skeptisch.

Was ich eigentlich sagen möchte: Die Eröffnungsfeier eignet sich hervorragend dafür, zu verstehen, was mit den subversiven „Todeswerken“ gemeint ist, von denen der jüdische Soziologe Philip Rieff gesprochen hat. Kulturen, die sich vom „Heiligen“ verabschiedet haben, also säkulare Kulturen wie Frankreich, entwickeln gegenüber dem „Heiligen“ keine Toleranz, sondern zielen darauf ab, es zu zerstören. Und um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten sie mit „Todeswerken“, die besonders im Raum der Künste anzutreffen sind.

Ich zitiere Carl Trueman ausführlich aus seinem Buch Der Siegeszug des modernen Selbst (2023, S. 110–111):

Wie aber wurde der intellektuelle Umsturztrieb von Leuten wie Voltaire, Rousseau und Hume zu dem, was die breite Masse wollte? Für Rieff liegt die Antwort in dem, was er »Todeswerke« nennt. Er definiert das Konzept wie folgt: »… einen umfassenden Angriff auf etwas, das für die bestehende Kultur von Bedeutung ist. Jedes Todeswerk stellt einen bewundernswerten finalen Angriff auf die Objekte seiner Bewunderung dar: die heiligen Ordnungen, die sie in ihrer Kunst in gewisser Weise selbst zum Ausdruck bringen, im repressiven Modus.«

Um Rieff hier genau zu verstehen, erinnern wir uns an sein prinzipielles Einvernehmen mit Freud über das Wesen der Kultur und Zivilisation: Kultur definiert sich durch das, was sie verbietet. Die Frustration, die solche Regeln hervorrufen, findet ein Ventil in der Kunst. Kunstwerke sind also konstitutiv für die Kultur und spiegeln in gewisser Weise die bestehenden Verbote wider. Ein Todeswerk stellt nun umgekehrt einen Angriff auf die etablierten kulturellen Kunstformen dar. Es zielt darauf ab, die tiefere moralische Struktur der Gesellschaft auszuhebeln. Man könnte hinzufügen, dass Todeswerke eine mächtige Wirkung haben, weil sie ein bedeutsamer Faktor bei der Veränderung des gesellschaftlichen Ethos sind. Sie beeinflussen das soziale Vorstellungsschema, mit und nach dem wir leben. Todeswerke lassen die alten Werte lächerlich erscheinen. Sie bringen weniger Argumente gegen die alte Ordnung vor, sondern unterwandern sie vielmehr geschickt. Sie zielen darauf ab, den ästhetischen Geschmack und die Sympathien der Gesellschaft so zu lenken, dass die Gebote, auf denen sie beruht, untergraben werden.

Eines von Rieffs Kernbeispielen ist Andres Serranos berüchtigtes Werk Piss Christ. Dort wird ein Kruzifix gezeigt, das in den Urin des Künstlers getaucht ist. In vielerlei Hinsicht ist dies ein Paradebeispiel für das, worauf Rieff hinweist: Ein Symbol für etwas, das der zweiten Welt zutiefst heilig ist, wird in einer Form präsentiert, die es entwürdigt und gänzlich abstoßend macht. Serrano belustigt sich mit diesem Kunstwerk nicht nur über die heilige Ordnung. Er hat sie in etwas Schmutziges, Ekelhaftes und Abscheuliches verwandelt. Die höchste Instanz der zweiten Welt, Gott, wird buchstäblich in die Kloake, in das Allerniedrigste, geworfen. Das Sakramentale wird zum Exkrementalen. Dies ist kein schlichter Angriff auf die privaten religiösen Gefühle von Katholiken. Es ist eine Attacke auf die Autorität selbst. Ein Angriff auf die heilige Ordnung, durch die die zweite Welt legitimiert wird. Seine Kraft liegt nicht in einem Argument, das vorgebracht wird, sondern vielmehr in der Art und Weise, wie das Reine durch das Schmutzige subversiv untergraben wird. Die Religion wird nicht als unwahr hingestellt, sondern als geschmacklos und abstoßend.

Die Abendmahlsfeier bei der Eröffnungszeremonie war genau so ein Todeswerk.

Es gäbe noch viel mehr über diese Veranstaltung zu sagen. Zum Beispiel, dass hier der Sport offen mit dem Thema Sexualität und Identität verknüpft wurde. Die große Bühne von rund 23 Millionen Zuschauern wurde also von einer Elite genutzt, um die Kultur der sexuellen Vielfalt im Gedächtnis der Sportinteressierten zu verankern.

Ich kann nur empfehlen, zur Vertiefung dieser Thematik das Buch Der Siegeszug des modernen Selbst zu lesen oder als Hörbuch zu hören.

Schließen möchte ich mit einem Gebet, dass ich bei Chris Steyn, einem befreundeteten Arzt aus den Niederlanden (Healthcare Christian Fellowship International), gefunden habe:

Our Father, have mercy on France for the horribly blasphemous way they have dishonoured Your Holy Son and despised Your Holy Word. In Jesus Name, Amen

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Hat der Protestantismus in Europa eine Zukunft?

Die katholische TAGESPOST schreibt

Noch im 19. Jahrhundert schienen in Deutschland Nationalromantik, Modernismus, Zukunftsvertrauen, Patriotismus, Hohenzollern und Protestantismus mehr oder weniger Hand in Hand zu gehen; „Rom“ galt mit allem, wofür es historisch und theologisch stand, als anachronistisch und „undeutsch“. Nun aber müssen die Protestanten nicht nur in Deutschland, sondern weiten Teilen Europas sich der Aussicht stellen, dass sie in absehbarer Zeit als Volks- und Traditionskirchen aussterben und den Menschen nur noch in Geschichtsbüchern oder hoch volatilen Freikirchen entgegentreten. In der Geschichte wäre das freilich nichts Neues: Auch der Buddhismus, einst zentrale reformatorische Kraft gegen den „Formalismus“ und Ritualismus des Hinduismus, ist letztlich auf dem Subkontinent ausgestorben und kann dort nur noch museal bestaunt werden. Lediglich in Ostasien hat er durch die Symbiose mit Animismus, Daoismus und Konfuzianismus überlebt. Ist es angesichts der analogen Implosion der Church of England und des skandinavischen Protestantismus unmöglich, sich ein Europa vorzustellen, in dem der Protestantismus nur noch eine historische Reminiszenz ist?

Wie groß die Verzweiflung und Orientierungslosigkeit in der Evangelischen Kirche ist, zeigt auch ein Pläydoyer der Pfarrerin Hanna Jacobs. Sie schlägt vor, die Sonntagsgottesdienste ganz abzuschaffen. Das sei würdevoller, als so lange zu warten, bis keiner mehr kommt. Die Vorstellung – so Jacobs, dass sich eine Gemeinschaft darüber konstituiere, dass alle, die dazugehören, zur selben Zeit am selben Ort sein müssen, entstamme dem vormodernen Denken.

Zitat: 

Am Sonntagmorgen wird für die kleine Schar der Anwesenden eine Volkskirche inszeniert, die es nicht mehr gibt. Für Protestanten mag das überwältigende Desinteresse an diesem flächendeckenden Erbauungsangebot bitter sein, für katholische Geistliche muss es ärgerlich bis absurd sein. Unter enormem Kraftaufwand ermöglichen die immer weniger (und älter!) werdenden Priester es den Gläubigen, ihrer Sonntagspflicht nachzukommen. Denn jeder Mensch katholischen Glaubens ist eigentlich dazu verpflichtet, am Sonntag an einer Messe teilzunehmen, wobei der Samstagabend großzügigerweise ebenfalls gilt. Doch mehr als 94 Prozent der Katholiken setzen sich über diese Pflicht hinweg, Tendenz steigend.

Dass die beiden Großkirchen stoisch am Gottesdienst als ihrem Aushängeschild schlechthin festhalten, ist Realitätsverweigerung. In den Generalvikariaten und Landeskirchenämtern weiß man um die Randständigkeit des Sonntagsgottesdienstes, mitunter wird er auch öffentlich als Auslaufmodell bezeichnet. Ironischerweise ist das auch ein Symptom des andauernden Schrumpfungsprozesses, denn anhand der Ratio ein „Gottesdienst pro Kirche“ können personelle Ressourcen relativ vergleichbar verteilt werden. Fusionieren zwei Gemeinden, wird penibel darauf geachtet, dass die sogenannte „gottesdienstliche Versorgung“ in allen bestehenden Kirchengebäuden aufrechterhalten wird, und zwar gerecht verteilt. Für Gottesdienste im wöchentlichen Wechsel oder nacheinander fällt dann halt etwas anderes weg, der Kindernachmittag oder das Seniorenfrühstück. Der Ritus hat Vorrang. 

Ich sehe das anders. Eine Kirchengemeinde, die sich als Trägerin des göttlichen Wortes erweist und das Evangelium auf den Leuchter stellt, hat etwas zu sagen, was sich die Welt selbst nicht geben kann. Dort, wo die Gute Nachricht laut zu hören ist, werden auch in Zukunft Menschen zusammenkommen, um „den Namen unsres Herrn Jesus Christus“ an zurufen (1Kor 1,2).

Spaltet das ChristusForum die Gemeinden?

Im April 1937 wurden die so genannten „geschlossenen“ Brüdergemeinden vom NS-Staat verboten, da ihnen eine staatsfeindliche Gesinnung vorgehalten wurde. Bereits im Mai 1937 konnte sich der größte Teil der „geschlossenen Brüder“ mit Genehmigung der Behörden als Bund freikirchlicher Christen (BfC) neu organisieren. Diesem Bund schlossen sich im November 1937 auch die „Offenen Brüder“ an. 1942 fusionierte der BfC mit dem Bund der Baptisten zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (BEFG). 1980 wurde die „Arbeitsgemeinschaft der Brüdergemeinden“ (AGB) gegründet, um die Anliegen der Brüdergemeinden innerhalb des BEFG angemessen zu vertreten. Diese AGB benannte sich 2020 in das „ChristusForum Deutschland“ um, um einen internen Wandlungsprozesses auch sprachlich besser abzubilden (Einzelheiten können folgender Broschüre entnommen werden).

Dieses ChristusForum Deutschland hat in den letzten Tagen für Aufregung gesorgt, indem es seinen Austritt aus dem BEFG ankündigte. Auf der Jahreskonferenz des Forums vom 12.–13. April 2024 hatte eine große Mehrheit der Delegierten dafür gestimmt, eigene Körperschaftsrechte und damit die Unabhängigkeit vom Bund anzustreben. Mit dem Austritt würde der BEFG etwa ein Achtel seiner Mitglieder verlieren.

Die Gründe für den Austritt hat der Geschäftsführer des ChristusForums, Alexander Rockstroh, in einem idea-Interview beschrieben. Als Hauptgrund nennt er die Abschaffung von Doppelstrukturen. Hinzu kommen theologische Differenzen: „Wir sehen die geistliche Einheit als gefährdet. Zwischen Brüder- und Baptistengemeinden wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder kontrovers theologisch diskutiert. Heute besteht die Trennlinie nicht mehr zwischen ChristusForum und Baptisten, sondern zwischen theologisch konservativen und progressiven Gemeinden.“ Laut einer Klärungsdokumentation sieht das ChristusForums die Einheilt in folgenden theologischen Fragen gefährdert:

  • Infragestellung einer leibhaftigen, historisch realen Auferstehung Jesu;
  • Infragestellen des Sühneopfertodes Christi;
  • Infragestellung der Jungfrauengeburt;
  • Die Ordination von nicht-heterosexuell liebender und queerer Personen, die dies praktizieren und leben;
  • das Gleichsetzen von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe zwischen Mann und Frau;

Zitat (Klärungsdokumentation „Wo stehen wir?“, S. 12):

Es reicht unserer Meinung nach nicht aus, eine „Kirche des Dialogs“ zu sein. Miteinander sprechen und im Dialog zu sein ist gut und wichtig. Für die Fragen, bei denen man Homogenität voraussetzt, um eine Einheitsein zu können, braucht es ein gewisses Maß an Klarheit. Wenn die Rechenschaft vom Glauben unsere gemeinsame Bekenntnisschrift ist, dann müssten sich Positionen auch genau daran orientieren. Lehrmeinungen, Überzeugungen und Positionen, die nicht mit der Bekenntnisgrundlage übereinstimmen oder ihr sogar widersprechen, gehören nicht zur gewünschten Vielfalt, weil sie im Kern die geistliche Einheit zerstören. Dies muss auch in intensiven Diskussionsphasen beim Bundesrat etc. seitens des Präsidiums durch Klarstellung ihrer Sicht (z.B. durch eine Stellungnahme zu dem Buch „Glaube, Liebe, Hoffen“), deutlich gemacht werden.

Präsident Michael Noss und Generalsekretär Christoph Stiba haben inzwischen eine Erklärung zu den Trennungsabsichten des Forums für ihren Bund abgegeben. Darin heißt es:

Die Trennung wird mit einem Zerrbild des Bundes begründet und geht von falschen Annahmen aus. Nur ein Beispiel: Vom CFD ist zu hören, im BEFG stelle man den Sühneopfertod und die Auferstehung Jesu infrage. Wer sich damit befasst und sich beispielsweise Statements und Andachten leitender Verantwortlicher durchliest oder sich den aktuellen Podcast der Theologischen Hochschule Elstal anhört, merkt schnell, wie unfair und übertrieben solch verallgemeinernde Aussagen sind. Auch in Fragen der Sexualethik wird mitunter der Eindruck erweckt, im BEFG gebe es ausschließlich liberale Positionen. Richtig ist, dass es in unserem Bund respektiert wird, wenn Gemeinden zu unterschiedlichen Erkenntnissen kommen; auch darin drückt sich die Selbstständigkeit der Ortsgemeinde im Sinne des Kongregationalismus aus. Wir möchten unser Ringen in Erkenntnisfragen nicht über Grenzziehungen oder rote Linien definieren, sondern am gemeinsamen Bekenntnis festhalten.

Dabei hat unser Bund ein klares gemeinsames Glaubensfundament. Wir stehen auf der Grundlage der Heiligen Schrift. Unsere Glaubensbasis haben wir in der „Rechenschaft vom Glauben“ zusammengefasst, die wiederum Bezug nimmt auf das Apostolische Glaubensbekenntnis, das – wie die Heilige Schrift – alle Christen verbindet. Auf dieser Basis, deren unverrückbare Mitte Christus ist, sind wir eine Kirche des Dialogs. In der Diskussion um die Trennungsabsichten des CFD wird der falsche Eindruck erweckt, Dialog sei mit Beliebigkeit gleichzusetzen. An dieser Stelle möchten wir hierzu das wiederholen, was Präsidium, Bundesgeschäftsführung und die Leiterinnen und Leiter der Landesverbände im November 2023 in ihrer Stellungnahme „Gemeinsam sind wir Bund!“ über das Miteinander der konfessionellen Traditionen im BEFG geschrieben haben:

Eine solche Übereinkunft setzt […] einen anhaltenden Dialog voraus. Dazu gehört die Bereitschaft, diese Übereinstimmung immer wieder neu in den Blick zu nehmen und ihre Konkretion auch miteinander auszudiskutieren. Solche theologischen Gespräche sind nie einfach, brauchen Zeit, Gebet und dauern mitunter viele Jahre. Dabei sind das geistliche Miteinander und das Beieinanderbleiben in aller Unterschiedlichkeit ein starkes Zeugnis für die Menschen in unseren Gemeinden und darüber hinaus. Eine Trennung wäre ein fatales Signal. Wir haben einen gemeinsamen Auftrag. Wir sind mit hineingenommen in Gottes Mission. Wir sind dazu berufen, in Einheit der Welt die gute Nachricht von Jesus Christus zu verkündigen. Diese Einheit untereinander macht uns glaubwürdig, damit die Welt glaubt. Lasst uns diese Einheit bewahren, wo sie vorhanden ist, schützen, wo sie gefährdet ist, und neu suchen, wo sie abhandengekommen ist. Wir sind berufen, das Band des Friedens zu knüpfen, mögliche Schritte aufeinander zuzugehen, vorhandene Vorurteile abzubauen und Einwände respektvoll zu formulieren und zu vertreten, Verschiedenheiten untereinander anzuerkennen, voneinander zu lernen, füreinander zu beten und gemeinsam Christus in Wort und Tat zu verkündigen. In diesem Sinne wünschen wir uns, dass wir uns den Glauben gegenseitig glauben. Wir wollen die Vielfalt in der Einheit, in der Jesus Christus das Zentrum ist und bleibt.

Traurig müssen wir erkennen, dass Teile des Bundes anderen Teilen des Bundes ihren Glauben nicht glauben. Gemeinden, in deren Geschichte die baptistische und die Brüder-Tradition bedeutsam sind, stehen jetzt möglicherweise vor einer Zerreißprobe.

Nun bin ich kein Freund des Separatismus und gebe zu, dass solche Trennungserfahrungen immer mit Schmerzen verbunden sind und dort, wo möglich, vermieden werden sollten.

Was mich allerdings ärgert, ist, dass die Vertreter des BEFG den Eindruck erwecken möchten, das ChristusForum habe spalterische Absichten. Die Formel, dass „wir uns den Glauben gegenseitig glauben“, habe ich vor einigen Jahren mal von Ulrich Eggers gehört. Ich halte sie für völlig ungeeignet, notwendige theologische Klärungen herbeizuführen. Sie soll nämlich verschleiern, dass es substantielle Unterschiede im „Was-Glauben“ gibt (fides quae creditur), indem auf die gegenseitige Anerkenntnis des persönlichen Glaubensaktes verwiesen wird (fides qua creditur). Natürlich kann ein Christ glauben, dass ein Zeuge Jehovas seinen Glauben sehr ernst nimmt. Und doch wird er hoffentlich darauf verweisen, dass der Glaubensinhalt eines Zeugen Jehovas biblisch nicht gedeckt ist.

Wenn der WAS-Glaube sich von der Schrift entfernt hat, muss das notfalls zu Spaltungen führen (vgl. 1Kor 11,19). Die Verantwortung für diese Spaltungen tragen diejenigen, die es versäumt haben, an der heilsamen Lehre festzuhalten. Ein Kirchenbund, in dem alles geglaubt werden darf, ist wertlos. Ich zitiere dazu den Punkt 4 aus dem Dokument „Gemeinsam für das Evangelium“:

Die Einheit aller Christen ist ein von Gott bewirktes Wunder. Sie soll nicht durch Parteiung und Selbstsucht gefährdet werden. Abseits der Wahrheit des Evangeliums kann es keine Einheit geben. Echter Glaube wird nicht zuerst durch die individuelle Lebensgeschichte bestimmt. Unterschiede, die nicht zum Wesen des Evangeliums gehören, müssen ertragen werden. Vor falscher Lehre bezüglich des Evangeliums muss offen gewarnt werden.

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Hinweis: Der erste Absatz wurde nach dem Kommentar von Dr. A. Liese am 4. Mai 2024 überarbeitet.

Dürfen wir Martin Luther King Jr. kritisieren?

Justin Giboney hat in einem jüngst veröffentlichten Artikel Martin Luther King Jr. (MLK) gegenüber dem Vorwurf verteidigt, seine Theologie stünde nicht in der Tradition eines bekenntnistreuen christlichen Glaubens. Hintergrund seiner Apologie ist eine Aussage von John MacArthur, der Zweifel daran äußerte, dass King überhaupt Christ gewesen sei. MacArthur kritisierte in diesem Zusammenhang auch eine Konferenz der The Gospel Coalition zu Ehren von MLK (die MLK50-Konferenz 2018).

Giboney, der zu den Rednern dieser – in der Tat ambivalenten – MLK50-Konferenz gehörte, schreibt in seinem CT-Artikel

MacArthur mag mit einigen von Kings frühen theologischen Arbeiten nicht einverstanden sein, die die christliche Lehre in Frage stellten. Wie Mika Edmondson – selbst Pfarrer und systematischer Theologe – jedoch einsichtig erklärte, „spiegeln Kings frühe Seminararbeiten nicht seine endgültige, voll ausgebildete Theologie wider“. Ähnlich wie Abraham Kuyper und Dietrich Bonhoeffer rang King mit dem theologischen Liberalismus, schien aber später „zum Glauben seiner konservativen schwarz-baptistischen Erziehung zurückzukehren“.

Und man beachte, wie Edmondson auch erwähnt, dass Kuypers und Bonhoeffers Heil nie in Frage gestellt wird. „Ihnen wird der Vorteil des Zweifels zugestanden.“ Warum wird bei King ein anderer Maßstab angelegt? Selbst Theologen, die Sklavenhalter waren, werden in manchen christlichen Kreisen weniger kritisch betrachtet als King.

Ich finde den Vergleich Giboneys bzw. Edmondsons bemerkenswert. Wir wissen nicht nur aus den frühen Seminararbeiten von Martin Luther King Jr., dass er als Student sehr angetan von der liberalen Theologie und der deutschen Theologie des 20. Jahrhundert war (interessanterweise Tillich und Barth zugleich). Es gibt eindeutige Belege dafür, dass er nicht an die Jungfrauengeburt und die Auferstehung glaubte (siehe seine Ausarbeitung: The Humanity and Divinity of Jesus, 1949). Zur Frage der Göttlichkeit Jesu schrieb er ganz als Schleiermacherianer (ebd.):

Wo also können wir in der liberalen Tradition die göttliche Dimension in Jesus finden? Wir können die Göttlichkeit Christi nicht in seiner substantiellen Einheit mit Gott finden, sondern in seinem kindlichen Bewusstsein und in seiner einzigartigen Abhängigkeit von Gott. Es war sein Gefühl der absoluten Abhängigkeit von Gott, wie Schleiermacher sagen würde, das ihn göttlich machte. Ja, es war die Warmherzigkeit seiner Hingabe an Gott und die Innigkeit seines Vertrauens in Gott, die ihn zur höchsten Offenbarung Gottes ist. All dies zeigt uns, dass ein Mann endlich seine wahre göttliche Berufung erkannt hat: Ein wahrer Sohn des Menschen zu werden, indem er indem er ein wahrer Sohn Gottes wird. Es ist die Leistung eines Mannes, der, soweit wir das beurteilen können, sein Leben vollständig für den Einfluss des des göttlichen Geistes geöffnet hat.

An anderer Stelle behauptete King (The Sources of Fundamentalism and Liberalism Considered Historically and Psychologically, 1949):

Wenn der Fundamentalist über das Wesen des Menschen nachdenkt, findet er alle Antworten in der Bibel. Die Geschichte des Menschen im Garten Eden gibt eine schlüssige Antwort. Der Mensch wurde durch einen direkten Akt Gottes geschaffen. Außerdem wurde er nach dem Bilde Gottes geschaffen, aber durch das Wirken des Teufels wurde der Mensch zum Ungehorsam verleitet. Damit begannen alle menschlichen Übel: Mühsal und Arbeit, die Qualen der Geburt, Hass, Kummer, Leid und Tod. Der Fundamentalist ist sich der Tatsache bewusst, dass Gelehrte den Garten Eden, die Schlange, Satan und die Feuerhölle als Mythen betrachten, die denen anderer orientalischer Religionen entsprechen. Er weiß auch, dass sein Glaube von vielen mit Spott bedacht wird. Aber das erschüttert seinen Glauben nicht – es überzeugt ihn vielmehr von der Existenz des Teufels. Die Kritiker, sagt der Fundamentalist, würden sich nie auf solch skeptisches Denken einlassen, wenn der Teufel sie nicht beeinflusst hätte. Der Fundamentalist ist überzeugt, dass diese Skepsis der Gelehrten und der billige Humor der Laien die Offenbarung Gottes keineswegs verhindern können.

Andere Lehren wie ein übernatürlicher Heilsplan, die Dreieinigkeit, die stellvertretende Sühnetheorie und das zweite Kommen Christi sind im fundamentalistischen Denken sehr präsent. Diese Ansichten des Fundamentalisten zeigen, dass er gegen eine theologische Anpassung an den sozialen und kulturellen Wandel ist. Er sieht ein fortschrittliches wissenschaftliches Zeitalter als ein rückschrittliches geistliches Zeitalter. Inmitten des Wandels ist er bereit, bestimmte alte Ideen zu bewahren, auch wenn sie im Widerspruch zur Wissenschaft stehen.

Es wird viel darüber diskutiert, ob er seine Sichtweise später geändert hat. Entsprechende „Bekehrungstexte“ sind mir bisher nicht in die Hände gekommen. Und leider liefert auch Justin Giboney keinen Beleg dafür, dass King seine Sicht später grundlegend änderte.

Historisch bewiesen ist, dass auch der reife MLK 1958 Harry Emerson Fosdick, den prominenten Botschafter des liberalen Christentums, als größten Prediger und Propheten seiner Generation bezeichnete (siehe dazu hier).

Übrigens: Justin Giboney beruft sich in seinem Artikel ironischerweise genau auf jene Gamaliel-Strategie, mit der auch Fosdick im Jahr 1922 in seiner Predigt vor den Fundamentalisten gewarnt hatte. 

Was mir noch auf dem Herzen liegt: Man darf Martin Luther King Jr. theologisch kritisch bewerten und dennoch seinen gewaltfreien Einsatz gegen den Rassismus würdigen. Ich kann Mahatma Gandhis gewaltfreie Strategie im Kampf gegen das Kastenwesen schätzen, ohne zu behaupten, er wäre dabei christlicher Friedensethiker gewesen. Die große Schwäche von Giboneys Artikel ist, dass seiner Meinung nach das politische Handeln von Personen ihre theologische Positionen markiert. Korrelationen, die es zwischen diesen zwei Bereichen geben mag und geben darf, entscheiden nicht über die Qualität theologischer Urteilsfähigkeit.

Rechtes Christentum

Der kanadische Religionsphilosoph Charles Taylor hat in seinem Buch Das säkulare Zeitalter den Begriff „Soziales Vorstellungsschema“ entwickelt. Er beschreibt damit Überzeugungen, Verhaltensweisen, normativen Erwartungen und unbewussten Annahmen, die Angehörige einer Gesellschaft teilen und die ihren Alltag prägen. Zusammengefasst ist das soziale Vorstellungsschema die Art und Weise, wie Menschen sich die Welt vorstellen und intuitiv in ihr handeln.

Wie deutlich sich das Soziale Vorstellungsschema in den letzten Jahren auch in kirchlichen Kreisen gewandelt hat, offenbart ein frischer Text aus der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW). Martin Fritz geht dort der Frage nach, was „rechte Christen“ sind und wie man mit ihnen umgehen soll. Kurz: Wer die Sexuelle Revolution für eine Fehlentwicklung hält, wer für das Lebensrecht eintritt, wer gelebte Homosexualität nicht bejaht, wer die Verflüssigung von Geschlechtszuschreibungen und Geschlechterrollen (vgl. Judith Butler) ablehnt, ist laut Fritz im Netz einer rechtschristlichen Anti-Haltung gefangen. Wörtlich schreibt er:

Die Basis rechtschristlicher Anti-Haltung ist ein umfassendes Krisenbewusstsein. Die Protagonisten leiden an den kulturellen Wandlungen, die sie oftmals mit dem Symboljahr „1968“ verbinden und als allgemeinen „Linksruck“ beschreiben. Sexuelle Revolution, Straffreiheit von Abtreibung, Legalisierung und Akzeptanz der Homosexualität (bis hin zur „Homo-Ehe“), Verflüssigung von Geschlechtszuschreibungen und Geschlechterrollen („Genderismus“) – der Umbruch in diesen sexual- und genderethischen Fragen wird von vielen als „Kulturbruch“ empfunden. Hinzu kommen die ethnisch-kulturellen Verschiebungen durch die „Masseneinwanderung“, gerade aus mehrheitlich muslimischen Ländern, aber auch die Transformationswirkungen von globalisiertem Kapitalismus und technischem Fortschritt, die in der Wahrnehmung vieler eine geistentleerte Kultur der Zerstreuung und des Konsumismus hervorgebracht haben. Die öffentlich und mit Nachdruck erhobenen Forderungen radikalen Umdenkens und Umsteuerns in Fragen der Vergangenheitsaufarbeitung und Diskriminierungsprävention (Postkolonialismus, „Wokismus“, Gendersprache) sowie des Umwelt- und Klimaschutzes („Ökologismus“) werden schließlich von nicht wenigen als bedrohliche Eingriffe in ihre bewährten Selbstverständnisse und Lebensgewohnheiten erlebt.

Nun enthalten diese Behauptungen ja nichts Neues. Bezeichnend für den Wandel des Soziales Vorstellungsschemas ist die Tatsache, dass diese Zuschreibungen, die wir seit Jahren aus der FRANKFURTER RUNDSCHAU oder TAZ kennen, aus der EZW stammen.

Die EZW ist die Nachfolgeorganisation der Apologetischen Centrale, die nach dem Ersten Weltkrieg durch Innere Mission in Berlin gegründet wurde. Geleitet wurde sie viele Jahre von Walter Künneth (1901–1997). Künneth hat den Einsatz für das Lebensrecht, die historische christliche Sexualethik und die binäre Geschlechterordnung als wesensmäßig für den christlichen Glauben verstanden. Auch wenn er Vorbehalte gegenüber den Ideen einer „Schöpfungsordnung“ oder dem „Naturrecht“ hegte (weil er hier die Auswirkungen der Sünde zu wenig berücksichtigt fand), trat er doch entschieden für eine göttliche „Erhaltungsordnung“ ein, die der Kirche in der Botschaft der Heiligen Schrift anvertraut ist.

Aus der Sicht von Martin Fritz sind „ordnungstheologische Figuren“, egal, wie sie letztlich genannt werden, bereits Kennzeichen eines „rechten Christseins“ und damit Verirrungen. Es werden weltliche Vorstellungsschemata herangezogen, um christliches Denken und Leben zu dekonstruieren.

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Dramatisieren die Medien Schwangerschaftskonflikte?

Ich finde es erschreckend, wie unkritisch die FAZ Ansichten von Abtreibungsbefürtwortern propagiert und infolgedessen auch noch groben Unfug verbreitet. In dem Interview „Frau allein, traurig, depressiv“ darf die Filmemacherin Franzis Kabisch darlegen, wie es Abtreibungsgegner gelungen ist, mittels Fotos und bildgebender Verfahren die Kritik an Schwangerschaftsabbrüchen zu untermauern. Den Interviewer Matthias Dell, (schreibt auch für ZEIT, SPIEGEL und DEUTSCHLANDRADIO) scheint es zu erfreuen, wenn über die spielerische Leichtigkeit bei der seelischen Verarbeitung von Abtreibungen berichtet wird. 

Konkret: Kabisch behauptet: 

Mit der Personalisierung des Fötus. Viele Forscherinnen markieren das als einen wichtigen Punkt. Der Fötus wurde instrumentalisiert von rechten Gruppen – als eigene Person, die, wie die Historikerin Barbara Duden das nennt, zum „öffentlichen Fötus“ wurde. Der braucht nichts, sondern ist autonom und universal. Diese völlige Loslösung von der Schwangeren hat es einfach gemacht, sich für den Fötus einzusetzen. Der wird dagegen auch nie Widerstand leisten und so vereinnahmt für einen „Lebensdiskurs“, in dem die schwangere Person ihm entgegengesetzt ist als Bedrohung. Dabei ist niemand automatisch ein autonomer Mensch, auch das Baby braucht nach der Geburt Fürsorge, Nahrung.

Was passiert hier: Menschen, die davon überzeugt sind, dass auch ein ungeborenes Kind Person ist, werden in die rechte Ecke gestellt. Zugleich wird die These aufgestellt, dass diese Leute meinten, ein Fötus sei autonom und könne von einer schwangeren Frau völlig losgelöst betrachtet werden. Beide Behauptungen sind falsch.

Erwartbar wird in dem gesamten Interview auf das Forschungslage zur Situation der Frauen gar nicht eingegangen. Vermittelt werden soll: Die allermeisten Frauen sind glücklich mit ihrer Entscheidung, abgetrieben zu haben. Was über die Medien – insbesondere durch Bilder – vermittelt wird, dass nämlich Föten Personen seien und Frauen, die abgetrieben haben, Selbstzweifel hätten, ist nur konstruierte Wirklichkeit.

Dass der STERN 1971 mit seine Kampanie „Ich habe abgetrieben“ Frauen bewusst „in Szene gesetzt“ hat, wird nicht einmal erwähnt. Im Gegenteil! Kabisch behauptet: „Es stehen sogar die Namen darunter. Und die Frauen sehen eigentlich alle zufrieden aus, erleichtert oder einfach so, wie man sich Menschen im Alltag vorstellt, die nicht für ihr Leben traumatisiert sind.“

Haben die Kulturwissenschaftlerin Franzis Kabisch und der Medienjournalist Matthias Dell übersehen, dass es ein großer Bluff war, als Romy Schneider, Senta Berger und Alice Schwarzer zusammen mit 371 anderen Frauen im Stern bekannten „Wir haben abgetrieben!“? Alice Schwarzer hat zum Beispiel schlicht gelogen: „Aber das spielte keine Rolle. Wir hätten es getan, wenn wir ungewollt schwanger gewesen wären“ (vgl. hier).

Wenden wir uns kurz von der medialen Wirklichkeit ab. Die Ärztin Angelika Pokropp-Hippen zitiert in ihrem Aufsatz über das Post Abortion Syndrom (PAS) aus einer Studie des Elliot Institutes, bei der 260 Frauen von 15 bis 35 Jahren aus 35 verschiedenen Staaten der USA zu ihrem Gefühlszustand nach der Abtreibung befragt wurden: 

  • 92,60% der befragten Frauen leiden an starken Schuldgefühlen
  • 88,20 % leiden an Depressionen
  • 82,30 % haben ihr Selbstwertgefühl verloren
  • 55,80% haben Selbstmordgedanken
  • 66% beendeten die Beziehung zu ihrem Sexualpartner nach der Abtreibung
  • 40,60% begannen, Drogen zu nehmen
  • 36,50% flüchteten in den Alkohol

Johannes Gonser setzt sich in seinem Buch Abtreibung – ein Menschenrecht?: Argumentationshilfen zur Debatte um den Schwangerschaftsabbruch übrigens gründlich mit der Frage auseinander, ob ein ungeborener Mensch Person ist oder nicht. Das Buch ist meiner Meinung nach ein wichtiger Debattenbeitrag.

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