Die Befürworter eines Abtreibungsrechts melden sich vermehrt zu Wort, nachdem eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission empfohlen hat, in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft Abbrüche zu legalisieren (den Hinweis auf beide nachfolgend besprochene Stellungnahmen verdanke ich einem Beitrag der TAGESPOST).
Der Jurist und Journalist Heribert Prantl empfiehlt in einem Beitrag für die SZ die vollständige Abschaffung des § 218. Er beruft sich auf ein Votum der beiden Höchstrichter Ernst Gottfried Mahrenholz und Berthold Sommer zum letzten Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1993. Dort haben diese erklärt: „Zu den spezifischen Grundbestimmungen menschlichen Seins“ gehöre, dass „Sexualität und Kinderwunsch nicht übereinstimmen“. Prantl versteigt sich zu der Aussage: „Der 218 ist daher dem Buchstaben und dem Geiste nach immer noch ein Recht zur Ächtung der Frau … Paragraf 218 ist bis heute Ausdruck der Missachtung der Frau.“
In der WELT hat sich Professor Kai Möller gegen das Verbot der Abtreibung ausgesprochen. Er schreibt:
Klar erscheint mir jedoch, dass die in Deutschland geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfehlt ist, da sie das Demokratieprinzip verletzt. Zur Erinnerung: das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Legalisierung der Abtreibung nicht mit der Pflicht des Staates, menschliches Leben zu schützen, vereinbar ist. Nochmals: es ist aus moralischer Sicht natürlich gut vertretbar, gegen Abtreibung zu sein. Aber als verfassungsrechtliche Vorgabe ist diese Haltung verfehlt, denn sie erklärt die politischen Überzeugungen aller derjenigen, die aus guten, rechtfertigbaren Gründen für die Legalisierung der Abtreibung eintreten, für illegitim. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben in ihren Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch ihre eigenen moralischen Präferenzen dem ganzen Land aufgezwungen.
Möller bringt ein von der Philosophin Judith Jarvis Thomson entwickeltes Argument in die Debatte ein:
Für den Lebensschützer liegt das Hauptargument auf der Hand: Eine Abtreibung bedeutet die Zerstörung menschlichen Lebens. Niemanden, auch nicht Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, lässt dieser Punkt völlig kalt. Insofern kann ich nachvollziehen, wenn Menschen aus echter Überzeugung die Meinung vertreten, dass Abtreibung als Zerstörung menschlichen Lebens und insofern im Grundsatz als rechtswidrig anzusehen sein sollte, wie es dem geltenden Recht entspricht.
Für die Gegenposition gibt es auch gute Gründe. Das stärkste Argument wurde von der amerikanischen Philosophin Judith Jarvis Thomson entwickelt. Ihr Beispiel ist folgendes: Stellen Sie sich vor, dass während Ihres Schlafs ein berühmter Violinist, der eine schlimme Nierenkrankheit hat, an Sie angeschlossen wird, sodass er Ihre Nieren benutzt und so am Leben bleiben kann. Hätten Sie das Recht, die Verbindung zu kappen, wenn das den sicheren Tod des Musikers bedeuten würde?
Ganz klar lautet die Antwort: ja, das Recht hätten Sie, denn niemand darf Ihren Körper gegen Ihren Willen benutzen. Thomson argumentiert nun, dass es sich bei der Schwangerschaft ähnlich verhält. Selbst wenn man davon ausginge (was sie für zweifelhaft hält), dass der Fötus ein Recht auf Leben hat, bedeutet dies nicht, dass die Frau verpflichtet ist, ihm ihren Körper zur Verfügung zu stellen. Man könnte sagen: wenn sie dies tut, dann ist es ein Akt der Liebe, aber es liegt im Wesen der Liebe, das diese nicht erzwungen werden kann und darf.
Dieses Analogieargument wird von den Abtreibungsbefürwortern sehr gern herangezogen. Deshalb an dieser Stelle der Hinweis, dass sich Johannes Gonser in seinem Buch Abtreibung – ein Menschenrecht? (#ad) sehr gründlich damit befasst hat. Seiner Einschätzung nach ist nicht nur die Übertragbarkeit der Analogie problematisch. Er argumentiert auf Grundlage diverser ethischer Prinzipien für die These, dass dieses Argument selbst durch das Zugeständnis der Analogie fehlschlägt und zeigt auf, welche in moralischer Hinsicht weiteren problematischen Implikationen sich aus den darin propagierten Annahmen ergeben.
Lebensrechtler, die den Stellungnahmen von Prantl und Möller sachlich gut begründet widersprechen möchten, sind gut beraten, wenn sie die Abhandlung von Gonser gründlich studieren.
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