Film

TV: Jeden Freitag derselbe Krimi

Der ÖRR steckt nicht nur in einer System- und Personalkrise, sondern auch in einer Qualitätskrise. Giovanni di Lorenzo wies etwa kürzlich darauf hin, dass konservative Stimmen dort gar nicht mehr auftauchen (vgl. hier):

»Es sind ihrer vier: Kostenblöcke wie die für Gehälter und Pensionen, die sich nicht einfach reduzieren lassen. Die Altersstruktur der Zuschauer. Die Frage, worauf sich das Programmangebot konzentrieren soll. Und der Umstand, dass sich ein Teil der Bevölkerung vom Weltbild vieler öffentlich-rechtlicher Journalisten nicht repräsentiert fühlt, obwohl auch er für das Programm bezahlt. So gibt es heute im öffentlich-rechtlichen Fernsehen keine einzige profilierte konservative Stimme mehr.«

Claudius Seidl hat für die FAZ die desaströse Lage im Bereich Film so wunderbar beschrieben, dass ich es hier gern mal wiedergebe: 

Wie diese Gebühren verschwendet werden, offenbart sich nicht nur in der Affäre Schlesinger. Es genügt ein Blick ins Fernsehprogramm. Eine Folge „In aller Freundschaft“ kostet ungefähr ein Intendantenjahresgehalt. Ein Rosamunde-Pilcher-Film hat das gleiche Budget wie die Renovierung der RBB-Chefetage. Gegen beides wäre, da es ja seine Zuschauer findet, viel weniger zu sagen, wenn es nicht so viel davon gäbe. Zu viel, wie jede Stichprobe zeigt. An einem Montag: Donna Leon im Ersten, Bodensee-Krimi im Zweiten. An einem Dienstag: „Die Kanzlei“, danach „In aller Freundschaft“. Es gibt „Sokos“, fast schon aus jeder Mittelstadt, es gibt Barcelona-Krimis, Mordkommission Istanbul, alles aus deutscher Produktion. Und natürlich Spreewald-Krimis, Erzgebirgskrimis, „München Mord“. Was nicht nur die Verengung fast aller narrativen Möglichkeiten auf die Aufklärung von Morden und das Erfinden immer neuer und einander doch so schrecklich ähnlicher Motive zur Folge hat – letztlich also ein Bild der Gesellschaft als Ansammlung von Verdächtigen. Wer zum Beispiel die Angewohnheit hat, freitags das „heute journal“ zu sehen, und, um nichts zu versäumen, ein paar Minuten zu früh einschaltet, muss den Eindruck haben, es werde jeden Freitag derselbe Krimi immer wieder gesendet: so ununterscheidbar sind die betroffenen Gesichter, die Umarmungen der Davongekommenen, die Musik scheint ein endloser Loop zu sein.

Mehr: www.faz.net.

Tenet – ein säkulares Dogma

Don’t try to understand it, feel it.

Christopher Nolan hat es mal wieder geschafft. Ein Meisterwerk von einem Film: einmalig, neuartig, ästhetisch anspruchsvoll (voll von schönen Menschen in schöner Kleidung) und total abgefahren.

Wie ein Schüler von mir sagte: „Der Regisseur wollte zu viel in dem Film“. Ein namenloser CIA Geheimagent (gespielt von Denzel Washingtons Sohn) wird zu einem noch geheimeren Geheimdienst berufen: TENET. Es gilt den dritten Weltkrieg zu verhindern, aber keinen Atomkrieg, sondern einen Angriff der Zukunft auf die Gegenwart.1 In der ZEIT (no pun intended) heißt es dazu:

Eine zukünftige Technologie macht es möglich, durch die quantenmechanische Umkehrung der Entropie eines Körpers die Richtung zu ändern, in der dieser sich durch die Zeit bewegt. Das „invertierte“ Projektil unterliegt den gleichen Naturgesetzen wie unsere gegenwärtige Welt. Es scheint aber aus unserer Perspektive von der Wirkung zur Ursache, dem Abfeuern der Waffe, zurückzufliegen.“2

Diese Inversionen werden in cineastisch atemberaubender Weise visualisiert; z.B. in Kampfszenen in denen der Protagonist Kugeln ausweicht, welche vom Einschussloch zurück in die Waffe fliegen. Ein Tanz von Gewalt und ihrer Rücknahme,3 indem sich die Zeitebenen überlagern.4

The Guardian schreibt:

„Tenet ist ein gigantisch verwirrender, gigantisch unterhaltender und gigantisch gigantischer metaphysischer Actionthriller, indem der Protagonist nur Der Protagonist heißt. Dieser kämpft gegen kosmische Eingriffe aus der Zukunft, während die Zeit gleichzeitig rückwärts und vorwärtsläuft.“5

Die Dynamik der Umkehrung transzendiert die Zeit, um sie anschließend wieder in die Immanenz einzubetten. Eine Art säkularer Magie, durch die letztlich die Transzendenz in der Immanenz aufgelöst wird.6 Das ist die Metaphysik der Erzählung.7

Die Essenz von Tenet ist die Überschneidung der Zeitebenen. Aus diesem chronologischen Antagonismus zieht der Film seine Kraft. Das Palindrome Narrativ des Films manifestiert sich in seinem Titel (T-E-N-E-T),8 wobei das N für den Konvergenzpunkt der Zeitachsen steht.  

Dieser Logos ist die Erlösung. Die Chronologie wird zur Soteriologie und Christus zu Chronos.

Der Drehbuchautor Christopher Nolan ist weniger Materialist, als Temporalist; am meisten wohl Physikalist. In der chiastischen Struktur (T-E-N-E-T) findet der säkulare Glaube seine eschatologische Form. Nolan präsentiert eine Philosophie der Zeit, welche dem biblischen Verständnis fremd ist. Die christliche Theologie der Zeit kennt einen konkreten Anfang, Linearität und einen Endpunkt.9

Nicht die Inversion des Menschen, sondern die Inkarnation des LOGOS initiiert die Erlösung.10

Nicht die Inversion des Subjekts, sondern die Konversion des Sünders führt zum Heil.

Die Vergöttlichung der Zeit in Tenet ist hochproblematisch; jedoch nicht neu. Bereits aus der griechischen Mythologie ist Chronos bekannt: der Zeitgott. Tenet bringt den Chronos-Mythos auf die Leinwand des 21igsten Jahrhunderts. Heute ist die Antwort darauf die gleiche wie immer:

Christus allein ist der Herr. In Ihm und durch Ihn wurden alle Dinge erschaffen – auch die Zeit.11 Christus, nicht Chronos, ist Herr über die Zeit!

Lars Reeh

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Die Filmbesprechung wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht.

Oscar-Akademie: Ein historischer Einschnitt

Die Oscar-Akademie hat eine Entscheidung getroffen, die es wirklich in sich hat. Filme, die nicht bestimmte inhaltliche Standards erfüllen, sollen in Zukunft gar nicht mehr für den besten Film nominiert werden dürfen. Gefordert wird mehr Inklusion und Diversität.

Die Zeitschrift Die Welt meldet:

Den Produzenten stehen dabei mehrere Optionen offen. Beispielsweise könnte eine Darstellerin oder ein Darsteller in einer wichtigen Rolle einer Minderheit angehören, etwa asiatischer oder hispanischer Abstammung sein.

Als ein weiteres Kriterium führt die Filmakademie inhaltliche Aspekte an: Filmbeiträge sollten demnach ein Thema behandeln, das sich um Frauen, Minderheiten, Menschen mit Behinderungen oder LGBT-Inhalte dreht – also Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans-Menschen.

Weitere mögliche Standards erhebt der Filmverband nun via Diversitäts-Quoten für die gesamte Rollenbesetzung oder für das Produktionsteam. Denkbar sei etwa, dass mindestens 30 Prozent der Zweitrollen von unterrepräsentierten Gruppen besetzt werden müssen. Möglich ist auch, dass es inhaltlich insgesamt um eine „unterrepräsentierte Gruppe“ geht – laut der Filmakademie könnten dies Frauen, Minderheiten, Menschen mit Behinderung sowie Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender sein.

Aus meiner Sicht wird auf diese Art und Weise die künstlerische Freiheit stark eingeschränkt. Ich kann nur hoffen, dass mit so einem Eingriff die Bedeutung der Oscars weiter zurückgeht. Produzenten, Drehbuchautoren, Regisseure oder Schauspieler sollten keine Belehrungsgehilfen einer kulturellen Elite sein, sondern die Freiheit haben, die Kunst zu schaffen, die sie erschaffen wollen. Kunst, die aufgrund von politischen Vorgaben für die „Volkserziehung“ instrumentalisiert wird, hat schon genug Schaden angerichtet.

Hier die Meldung: www.welt.de.

„Marriage Story“: Scheiden tut weh

Josh Panos hat Noah Baumbachs Film „Marriage Story“ besprochen. Fazit:

Es ist nicht relevant, wie sehr die Gesellschaft versucht, die Ehe kleinzureden, sie umzudefinieren oder den Prozess der Scheidung zu vereinfachen. Menschen werden immer instinktiv wissen, dass Ehe wichtig und Scheidung furchtbar ist. Diese Wahrheit finden wir in der Bibel, wir finden sie aber auch in den Büchern, die wir lesen, und den Filmen, die wir schauen. Wenn Filme wie Noah Baumbachs Marriage Story entstehen – die die Wichtigkeit der Ehe erfassen und das Trauma der Scheidung lebendig werden lassen –, sollten Christen das begrüßen. Auch wenn es hart ist, diesen Film zu schauen, bietet er doch eine notwendige, ernüchternde und unnachgiebige Sicht auf einen Schrecken, von dem die Gesellschaft versucht, den ihm innewohnenden Horror zu entkräften.

Mehr bei Evangelium21: www.evangelium21.net.

Ein offenes Geheimnis

In meinen Gesprächen über den christlichen Glauben werde ich gern mit Erzählungen und Argumenten konfrontiert, die über Hollywood filmisch verbreitet worden sind. Beispielsweise: Film XYZ zeigt doch eindeutig, dass das Christentum eine verfälschte Bibel unters Volk gebracht hat. Oder: Dieser Film legt offen, dass (alle) Christen fürchterliche Heuchler sind. Manchmal habe ich den Eindruck, die neue Übererzählung, die uns heute vermeintlich helfen soll, in einer komplizierten Welt unseren Weg zu finden, stammt aus den Filmstudios.

Leider ist wahrscheinlich genau diese Branche verlogener als manche Institution, die wir so gern vor den moralischen Gerichtshof ziehen. Hollywood ist eine übergroße Inszenierung und in weiten Kreisen ziemlich verlogen.

Der Weinstein-Skandal, der ans Licht brachte, dass ein einflussreicher Produzent (z.B. Pulp Fiction, Shakespeare in Love, Inglourious Basterds, Mandela – Der lange Weg zur Freiheit) Frauen sexuell ausgebeutet hat, kratzt da nur an der Oberfläche. Kevin Spacey’s (American Beauty, House of Cards) geduldete Ausbeuterei werden wir in ein paar Monaten wahrscheinlich wieder vergessen haben. Ein anderes Kaliber ist allerdings Amy Bergs Dokumentarfilm „An Open Secret“ über Pädophilie in Hollywood. Ich habe den Film gesehen und mir wurde dabei schlecht. Kinderstars, deren Leinwandlächeln wir beim Familienabend gemeinsam bestaunt und beklatscht haben, wurden möglicherweise systematisch sexuell versklavt. Es war (und ist?) kein Geheimnis!

Dankenswerterweise berichtet die FAS über den Dokumentarfilm, der seit einigen Wochen endlich so ernst genommen wird, wie er es verdient hat. Die FAS schreibt:

Die Regisseurin Amy Berg zum Beispiel musste erleben, wie die Tagline zu ihrem Film „An Open Secret“ auf hässliche Weise wahr wurde. „The film Hollywood doesn’t want you to see“ hieß es, als er 2014 herauskam, und tatsächlich gab es ihn jenseits von drei oder vier nicht allzu großen Festivals auch kaum irgendwo zu sehen. Obwohl die Kritiken positiv waren, mochte kein Verleih, kein Sender, kein Streamingportal die Rechte erwerben. Als dann der Skandal um Harvey Weinstein losbrach, machte der Produzent den Film auf dem Portal Vimeo gratis zugänglich. Seit dem 12. Oktober hat er mehr als drei Millionen Viewings gehabt.

Amy Berg lässt in ihrer Dokumentation ehemalige Kinderstars zu Wort kommen, die davon erzählen, wie sie auf verschiedene Weise in Hollywood missbraucht wurden. Man sieht die Commercials und Shows, in denen sie auftraten, man hört die Eltern, die fassungslos sind und sich bisweilen für ihre Blindheit zu rechtfertigen versuchen, man erfährt einiges über die traumatischen Folgen. Niemand ist hier verpixelt; bei Berg kommen nur Opfer vor, die auch bereit waren, vor die Kamera zu treten. Das reicht mühelos, um die Strukturen eines langjährigen Pädophilen-Netzwerks zu erkennen.

Mehr: www.faz.net.

Heißt das nun, dass alles, was aus Hollywood kommt, verwerflich ist, dass es dort keine integren Akteure gibt? Nein! Wir sollten uns jedoch nicht blenden lassen!

„Pilgerreise“ wird verfilmt

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John Bunyan: Eines Christen Reise nach der seligen Ewigkeit, Titelseite der Züricher Übersetzung von 1765. Bild: Wikipedia.

Der bekannte christliche Roman Pilgerreise zur seligen Ewigkeit des englischen Predigers John Bunyan soll verfilmt werden. Der Regisseur verspricht einen Glaubensfilm.

Das Medienmagazin PRO schreibt:

Das Buch, das nun für einen Film als Vorlage dient, erschien 1678 unter dem Titel „A Pilgrim’s Progress“ („Der Fortschritt eines Pilgers“). Der Autor, der englische Baptistenprediger John Bunyan, unterstellte sich nicht der anglikanischen Staatskirche und wurde deswegen 1660 während eines Gottesdienstes verhaftet. In der zwölf Jahre währenden Haft schrieb er mehrere Bücher. Drei Jahre nach seiner Entlassung wurde er erneut inhaftiert – wegen Missachtung des Predigtverbots. In dieser Zeit schrieb er sein Hauptwerk, die „Pilgerreise zur seligen Ewigkeit“.

Erst am Ende seines Lebens hörten die Banachteiligungen wegen seines Glaubens auf. Im Jahr 1687, ein Jahr vor Bunyans Tod, gab der englische König Jakob II. den zuvor unterdrückten Glaubensgemeinschaften mehr Freiheiten. John Bunyan starb am 31. August 1688, er wurde in London beerdigt.

Seine „Pilgerreise“ wurde inzwischen in 200 Sprachen übersetzt und gehört zu den bedeutendsten Werken der englischen christlichen Literatur. Manche Theologen sagen, die Pilgerreise sei nach der Bibel das am zweithäufigsten gelesene christliche Buch. Es gab bereits 1912, 1978 und 2008 Versuche, den Stoff zu verfilmen.

Die Hauptperson mit dem Namen Christ (im Original Christian) ist auf dem Weg aus der „Stadt der Zerstörung“ (als Allegorie auf die irdische Welt) in die „Himmlische Stadt“ Zion. Doch die Sünde sowie andere Umstände behindern seine Reise. Der Protagonist begegnet einer Reihe von Personen, die allegorisch für die Herausforderungen im Leben eines Christen stehen, also etwa den Männern Simpel, Faul und Dünkel sowie dem Palast Schönheit und dem Tal der Demütigung.

Mehr: www.pro-medienmagazin.de.

„Axolotl Overkill“

Helene Hegemann wurde 2007 wie ein Wunderkind durch die Feuilletons gereicht. Sie hatte den postmodernen Roman „Axolotl Roadkill“ veröffentlicht und ist damit berühmt geworden. Der Romanstoff wurde zusammengeklaut (vgl. hier). Macht nichts: „Originalität gibt’s sowieso nicht, nur Echtheit.“

Der Roman handelt von wohlstandsverwahrlosten Jugendlichen in Berlin. Intertextuell. Es sind Fragmente, oft zusammenhangslos. Zu lesen sind dann fast schon faschistisch anmutende Sätze, wie:

„Ich bin in Berlin. Es geht um meine Wahnvorstellungen“ – und wenn dann hauptsächlich vom Ficken und vom Kotzen, vom Scheißen, vom Saufen und vom Kiffen die Rede ist, dann nicht, weil das Leben „in Berlin“ so ist, sondern weil da gar kein Leben ist.

„Mir bereitet es keine Schwierigkeiten, dabei zuzusehen, wie einer Sechsjährigen bei vollem Bewusstsein gleichzeitig mit kochendem Schwefel die Netzhaut ausgebrannt und irgendein Schwanz in den Arsch gerammt wird, und danach verblutet sie halt mit weit geöffneten Augen auf einem Parkplatz“ …

Mit dem Film „Axolotl Overkill“ hat es der Roman nun in die Kinos geschafft. Helene Hegemann selbst hat Regie geführt. Trotz guter Schauspieler, Kulisse und Bildqualität kann „Axolotl Overkill“ aber manche Kritiker nicht überzeugen. Andrea Diener empfiehlt in ihrer „bösen“ Filmbesprechung, die Zeit lieber für einen Spaziergang oder eine leckere Pizza zu nutzen.

Hier die Kritik: www.faz.net.

Gott tanzt nach dem Essen

© 2017 Concorde Filmverleih GmbH

Vor neun Jahren sorgte das Buch „Die Hütte – ein Wochenende mit Gott“ von William Paul Young für Furore (vgl. hier). Obwohl Young in seinem letzten Buch Lügen über Gott, die wir glauben völlig unverblümt seine falschen Lehren über Gott und den Menschen präsentiert hat, wird „Die Hütte“ nach wie vor als christliches Buch vermarktet.

Um ein Beispiel für Youngs unchristliche Sichtweisen anzuführen: Nach ihm musste Jesus nicht am Kreuz von Golgatha sterben, um Sünde zu tragen und Rebellen mit Gott zu versöhnen (wie beispielsweise Römer 8,32 sagt: „Er [Gott, vgl. V. 31], der seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern für uns alle dahingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“; vgl. Joh 3,13–15). Wer so über Gott denke, meint Young, verehre einen „kosmischen Missbrauchstäter“ (Brian McLaren lässt grüßen). Das Kreuz ist für William Paul Young vielmehr die bildhafte Manifestation unserer menschlichen Bindungen an die Finsternis, der letzte Aufstand gegen die Liebe Gottes (Belege nachzulesen in der hilfreichen Rezension von Tim Challis).

Nicht alle lassen sich vom Evangelium der Mitmenschlichkeit blenden. Karsten Huhn, der sich für ideaSpektrum den Film angesehen hat, meint in seiner Filmkritik „Gott tanzt nach dem Essen“ (Nr.  14 vom 5. April 2017, S. 13):

Der Film betont Vergebung und Versöhnung und neigt dabei stark Richtung Allversöhnung. Zorn und Strafe sind dem Hütten-Gott völlig fremd: „Die Sünde ist in sich genug Strafe.“ … Die einen werden diesen Film als berührend und zu Herzen gehend empfinden, die anderen als so süßlich-kitschig, dass er einem auf den Magen schlägt.

„Silence“

Wer den Skandalfilm „Die letzte Versuchung Christi“ (1988) oder „Shutter Island“ (2010) und zuletzt „The Wolf of Wall Street“ (2013) gesehen hat, dürfte überrascht sein, zu hören, dass sich der Regisseur Martin Scorsese von Jugend an suchend mit dem christlichen Glauben auseinandersetzt. Ein nachhaltiger Impuls zur Suche stammt aus dem Jahr 1988. Nach einer Sondervorführung von „Die letzte Versuchung Christi“ (in dem Film wird Jesus eine Beziehung zu Maria Magdalena unterstellt), überreichte Erzbischof Paul Moore dem Filmemacher eine Ausgabe von Shūsaku Endōs historischem Roman „Schweigen“. Das Buch hinterließ einen tiefen Eindruck. „Das Thema, das Endō hier behandelt, ist in meinem Leben seit meiner frühesten Jugend präsent“, so der Regisseur. „Ich wurde in einer streng katholischen Familie groß und beschäftigte mich stark mit Religion. Die Spiritualität des römischen Katholizismus, in die ich als Kind eintauchte, ist das Fundament meines Lebens, und diese Spiritualität hing mit dem Glauben zusammen.“ Während Scorsese den Roman las, fand er sich zu seiner eigenen Überraschung mit tiefgreifenden Fragen des Christentums konfrontiert, mit denen er „noch immer“ ringt, wie er sagt. „In der heutigen Phase meines Lebens grüble ich ständig über Themen wie Glauben und Zweifel, Schwäche oder das Schicksal des Menschen nach – und Endōs Buch berührt diese ganz direkt.“

„Silence“

Mit dem Film „Silence“, der auf dem Buch von Endō beruht, hat der Meisterregisseur nun ein Werk in die Kinos gebracht, das fast keine große Frage ausläßt. Der Film thematisiert, was Theologen, Religionsphilosophen oder Missionare umtreibt. Um einige Themen zu nennen: Was ist Wahrheit? Wie können wir das Evangelium kontextualisieren? Wie sollen sich Christen in Verfolgungssituationen verhalten? Zerstört die christliche Mission fremde Kulturen? Gibt es nach dem Abfall vom Glauben eine weitere Chance zur Umkehr? Und natürlich die übergroße Frage: Warum schweigt Gott?

Die Handlung

Der Film dreht sich um Pater Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und Pater Francisco Garpe (Adam Driver), die 1638 von Portugal ins für die westliche Welt völlig abgeschottete Japan aufbrechen, um der Wahrheit hinter den Gerüchten nachzugehen, dass ihr berühmter Lehrer Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) seinem Glauben abgeschworen habe. Ferreira, ein Vorbild für viele junge Priester in Portugal, soll nicht nur dem Christentum den Rücken zugekehrt, sondern sogar zum Buddhismus übergetreten sein und eine Japanerin geheiratet haben.

Nachdem Rodrigues und Garpe im Hafen Macaus angekommen sind, zeichnet sich das Bild der christlichen Mission in Japan durch Gespräche mit Augenzeugen immer düsterer. Christen sind in Japan von ständiger Verfolgung der Feudalherren bedroht und werden durch Folter zum Glaubensabfall gezwungen.

In einer Kneipe finden die Priester den einzigen Japaner von Macau. Obwohl Kichijirō ein zwiespältiger Trunkenbold ist, scheint nur er sie unentdeckt nach Japan führen zu können. Angeblich stammt Kichijirō aus einer christlichen Familie. Während diese ihrem Glauben treu blieb und grausam hingerichtet wurde, verleugnete er das Christentum und wurde von seinen Peinigern in seinem Heimatdorf zurückgelassen. Er hatte es dann fluchtartig wegen plagender Schuld- und Schamgefühle verlassen. Nun betäubt er sein schlechtes Gewissen im Rausch.

Doch Kichijirō tut scheinbar alles, um sich zu rehabilitieren: Kurz nach der Landung in einer entlegenen Küstenregion nahe Nagasaki bringt er die beiden Jesuiten mit den ärmlichen Dorfbewohnern Tomogis zusammen, die alle dem von den Missionaren gebrachten Katholizismus treu geblieben sind und ihren Glauben im Geheimen praktizieren. Für sie sind die beiden Priester sprichwörtlich ein Geschenk Gottes: Endlich haben sie Geistliche, die ihnen die Sakramente spenden. Die Jesuiten selbst sind von dieser Aufgabe tief bewegt, auch wenn sie zunehmend begreifen, dass die Dörfler eine Art improvisiertes Christentum praktizieren und womöglich nicht alle Inhalte des Glaubens voll verstehen.

Tagsüber müssen sich die Priester verstecken. Erst in der Dunkelheit können Rodrigues und Garpe ihre seelsorgerischen Aufgaben wahrnehmen. Nach katholischer Lehre braucht es für den Zuspruch der Vergebung die Beichte bei einem Priester. Endlich sind sind sie da. Die Bauern bekennen ihre Sünden. Auch wenn die Priester nicht immer verstehen, um was es geht, erteilen sie die Absolution. (Als Protestant musste ich während dieser Szene an Luther denken. Dieser schrieb: Gott „schüttet also seine Christen noch viel reichlicher und decket ihnen mit Vergebung der Sünden alle Winkel voll, auf dass sie nicht allein in der Gemeinde Vergebung der Sünden finden sollen, sondern auch daheim im Hause, auf dem Felde, im Garten, und wo einer nur zum andern kommt, da soll er Trost und Rettung haben.“)

Als sich die befreundeten Priester auch bei Tageslicht hervorwagen, werden sie Zeuge eines grausamen Zwischenfalls: Samurai-Truppen marschieren in Tomogi ein und zwingen die Bewohner zur Glaubensprüfung. Sie müssen auf Bildern von Jesus, Maria oder Kruzifixen herumtrampeln, um damit zu beweisen, dass sie nicht dem Christentum folgen. Kichijiro, dem Pater Rodrigues erst zuvor noch die Beichte abgenommen hatte, verleugnet seinen Glauben erneut und läuft eilig davon. Letztlich werden drei aus dem Dorf, die sich der zynischen Kontrolle verweigert haben, zum Tod durch Kreuzigung verurteilt. Fassungslos sehen die beiden Pater mit an, wie die Märtyrer in der Meeresbrandung gekreuzigt werden. Sie sterben unter dem Anprall der Wellen langsam und unter großen Qualen vor Erschöpfung. Ihre Leichen werden verbrannt und die Asche wird verstreut, um sie einer kultischen Verehrung zu entziehen. Verzweifelt beginnt Rodrigues in seinen Gebeten angesichts des erlebten Leidens seiner Glaubensbrüder das Schweigen Gottes ins Feld zu führen.

Die eigentliche Aufgabe der Jesuiten ist allerdings noch nicht erfüllt: Das Schicksal von Pater Ferreira ist weiterhin ungeklärt. Gegen das sehnliche Bitten der Dorfbewohner verlassen Rodrigues und Garpe das Dorf Tomogi und teilen sich auf, um jeder für sich, weiter ins Land vorzudringen. Hier spitzt sich dann die Handlung dramatisch zu.

Erste Eindrücke

(1) Um es gleich zu sagen: „Silence“ ist ein beeindruckender Film. Ich kann mich nicht daran erinnern, einen Kinosaal jemals beklommener verlassen zu haben (und Spielbergs Film „Schindlers Liste“ hatte mir schon einiges abverlangt). Die Wucht der Bilder, die kurzen aber präzisen Dialoge, die offenbarten leiblichen und seelischen Qualen, haben mir fast den Atem genommen.

(2) Die Schauspieler glänzen durchweg. Ob Adam Driver (Garpe), Liam Neeson (Ferreira, er spielte Oskar Schindler in Schindlers Liste) oder Yōsuke Kubozuka (Kichijirō), sie spielen grandios. Andrew Garfield (Rodrigues) hat einen Oscar verdient.

(3) Für den Film braucht es Nerven wie Stahl. Schon die Eingangsszene zeigt die Brutalität, mit der die Inquisition die Christen gefoltert und gemordet hat. Die einheimischen Gläubigen werden mit kochend heißem Wasser aus Vulkanquellen übergossen. Besonders grausam war die Technik des ‚ana-tsurushi’, die im Film zu sehen ist: Das Opfer wurde von einem Gerüst mit dem Kopf nach unten in eine Grube gehängt, der Körper fest verschnürt, um die Blutzirkulation zu hemmen. Während es unerträglichen Druck auf den Kopf litt, tropfte ihm langsam Blut aus Mund und Nase oder einer Schnittwunde. Bis der Tod eintrat, dauerte es oft bis zu einer Woche. Ich kann nicht nachvollziehen, dass der Film ab 12 freigegeben wurde.

(4) Die problematische Theologie und die Missionsmethodik von Franz Xaver (1506–1552) und den Jesuiten will ich hier nicht erörtern. Es ist jedoch einen Hinweis wert, dass die Bibel – zumindest im Film – so gut wie keine Rolle spielt. Obwohl ich Filmen gern eine zweite Chance gebe, ist das schon jetzt für mich die Erklärung für das vorgebliche Schweigen Gottes. Ich kann mich sogar an eine Szene erinnern, in der (vermeintlich) Jesus doch spricht. Im Schweigen vernimmt Rodrigues seine Stimme, die zum Glaubensabfall aufruft. Die Heilige Schrift, die ja Verfolgung und Martyrium deutlich anspricht, bezeugt auf breiter Grundlage, dass es gerade das Wort Gottes ist, dass in Stunden schwerster Anfechtung und Not Orientierung, Halt und Trost gibt. Gott spricht durch sein Wort.

(5) Der Film stellt Fragen, viele gute Fragen. Antworten gibt er nicht. Deutet er Antworten an, sind sie unorthodox und mystisch. Trotzdem kann „Silence“ zum tiefschürfenden Gespräch anstiften.

(6) Wieder einmal ist deutlich geworden, wie wichtig solide Begründungen der Religionstoleranz sind und das sie geschützt werden muss.

(7) Die japanische Inquisition hat den Gläubigen einen „Abfall vom Glauben“ leicht gemacht. Die Apostasie wird scheibchenweise serviert: „Das ist nur eine Formsache. Es reicht eine Geste, mehr wollen wir nicht.“ Doch die erste Überschreitung hat die Herzen der Menschen gebrochen und weitere Schritte vorbereitet.

(8) Mehr als einmal habe ich mich während des Films gefragt: Was hätte ich wohl in dieser Situation getan? Wäre ich standhaft geblieben?

Als der Film „Taxi Driver“ 1976 in New York uraufgeführt wurde, war das ein Ereignis der amerikanischen Popkultur. Aus dem jungen Robert de Niro wurde über Nacht ein großer Darsteller und Scorsese gilt seit dem als gefeierter Kultregisseur. „Taxi Driver“ entwickelte sich zum Referenzwerk postmodernen Filmstils und die Kritiker haben sich beim Ringen um die richtige Interpretation die Finger wundgeschrieben. Diese Aufmerksamkeit wird „Silence“ nicht bekommen. Ein Ereignis ist der Streifen über Glaube, Zweifel, Martyrium und Apostasie allemal.

Ron Kubsch

– – –

Der Film kommt am 2. März 2017 bundesweit in die Kinos.
FSK ab 12 freigegeben.
162 Minuten.
Internet: www.silence-film.de.

 

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Bild: © 2017 Concorde Filmverleih GmbH

Tarkovskys Filme online

Andrei tarkovsky stamp russia 2007Andrei Tarkovsky (1932-1986) war ohne Zweifel einer der großen russischen Filmemacher im 20. Jahrhundert. Einige seiner Filme stehen online und können legal genossen werden. Allerdings sollte man dafür die russische Sprache gut beherrschen (was ich nicht kann).

Hier mehr: www.openculture.com.

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