Immer öfter werden gesellschaftliche Probleme wie Arbeitsbedingungen oder das Schulsystem für die „Psychomacken“ Einzelner verantwortlich gemacht. Zu Unrecht, meint der Medizinjournalist Jörg Blech in seinem neuen Buch Die Psychofalle. Bei SPIEGEL ONINLE ist ein Auszug erschienen. Die Untersuchung der Epidemiologen um Dirk Richter vom Universitätsklinikum Münster zur Verbreitung seelischer Störungen bei Erwachsenen sowie bei Kindern und Jugendlichen wird darin wie folg interpretiert:
Diese Übersichtsanalyse offenbart, dass in den Industriestaaten des Westens die psychischen Störungen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zugenommen haben. Der vermutete Anstieg der psychiatrischen Krankheiten hat nicht stattgefunden. Die Münsteraner Epidemiologen stellen klar: „Die unterstellte Zunahme psychischer Störungen aufgrund des sozialen Wandels kann nicht bestätigt werden.“
Bei steigenden Raten psychischer Erkrankungen in einer Gesellschaft wäre auch zu erwarten, dass die Lebensqualität sinkt. Auch diesen Aspekt haben die Münsteraner untersucht: In den Studien fragten Forscher Einwohner bestimmter Länder von 1946 an, inwiefern sie sich als glücklich und zufrieden bezeichnen würden. In Westeuropa und Nordamerika hatte die Lebenszufriedenheit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg leicht zugenommen und hat sich, ungeachtet der gesellschaftlichen Veränderungen, seither kaum verändert. Alles in allem verweist das auf eine Zufriedenheit auf einem stabilen, hohen Niveau.
In westlichen Staaten geht schließlich auch die Zahl der Suizide stark zurück. In Deutschland ist sie seit Anfang der achtziger Jahre ungefähr um die Hälfte gesunken. Jeden Tag nehmen sich rund 20 Menschen weniger das Leben als vor dreißig Jahren. Die Abnahme der Suizidrate, die Zahlen zur Lebenszufriedenheit sowie die Studienergebnisse zur Verbreitung der psychischen Störungen bieten „sogar die Möglichkeit, über eine Abnahme eben dieser zu spekulieren“, sagen die Münsteraner Forscher. Die Epidemie der psychischen Störungen ist ein Mythos.
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