Reinhard Flogaus beschreibt in einem Gastbeitrag für die FAZ (27.01.2022, Nr. 301, S. 15), dass die politische, mediale und kirchliche Propaganda in Russland zunehmend religiöse Bilder für die Rechtfertigung des Krieges mit der Ukraine in Anspruch nimmt. Die verwendeten Assoziationen und Sinnbilder sind absurd. Ich befürchte jedoch, dass es Anhänger gibt, die darauf reinfallen.
Einige Beispiele:
Der von Putin gegen den Westen gerichtete Vorwurf des Satanismus war schon im April von dem russischen Ultranationalisten Alexander Dugin zur Rechtfertigung des Krieges in der Ukraine benutzt worden. In einem Artikel bezeichnete Dugin den Krieg in der Ukraine als Auseinandersetzung zwischen „geistigen Wirklichkeiten“. Entweder die Ukraine komme wieder „unter die Herrschaft Christi und seiner unbefleckten Mutter, oder sie wird unter der Herrschaft Satans bleiben“, so Dugin. Mit dem Kampf in der Ukraine habe die große endzeitliche Schlacht zwischen der „Orthodoxen Zivilisation“ und „der Welt des westlichen Antichrists“ begonnen. Auf die Pest der Corona-Pandemie folge nun der zeite apokalyptische Reiter – der Krieg. Nicht Russland brauche die Ukraine, wohl aber Christus.
Fanden Dugins Endzeitphantasien zunächst kein großes Echo, so änderte sich dies nach Putins Anprangerung des angeblichen „Satanismus“ des Westens. Zu den Kriegszielen der Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine kam in der russischen Propaganda nun auch das der „Entsatanisierung“. Als Erster forderte dies das Oberhaupt der Republik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow. Aber auch Alexej Pawlow, der stellvertretende Sekretär des Russischen Sicherheitsrates, behauptete, die satanischen Kulte nähmen in der Ukraine überhand und Russland müsse die Ukraine „entsatanisieren“. Schon der Umsturz in der Ukraine 2014 sei ein Werk neuheidnischer Kräfte gewesen. Und Ex-Präsident Dmitrij Medwedjew, der sich seit geraumer Zeit als der radikalste Kremlvertreter zu profilieren sucht, beschimpfte am 4. November, dem russischen „Tag der Einheit des Volkes“, die ukrainische Regierung als einen „Haufen von Wahnsinnigen und Drogensüchtigen“ und erklärte, es sei die Aufgabe Russlands, in der Ukraine den obersten Herrscher der Hölle zu stoppen, egal welchen Namen er trage – „Satan, Luzifer oder Iblis“. Anfang Dezember wurde im russischen Staatsfernsehen allen Ernstes diskutiert, ob Selenskyj selbst der Antichrist sei oder nur einer seiner Dämonen.
Hallo Ron, natürlich sind und werden darauf welche reinfallen. Das folgende soll das Denken Putins beschreiben, ist aber nicht meine Ansicht. Putin sieht sich als Bewahrer traditioneller Werte und findet damit Rückhalt in der orthodoxen, islamischen und asiatischen Welt sowie in Ländern wie Ungarn. Er sieht sich im Krieg gegen den schlechten moralischen Einfluss, den die westlichen Werte in ihren Ländern ausüben und will Volk, Religion und Nation schützen. Da schließt er gerade auch die westlichen christlichen Kirchen ein. Das ist auch der Grund, warum der neben NGOs den Einfluss von westlich geprägten Kirchen in Russland massiv begrenzen will. Daher, aus seiner Sicht, alles logisch aufeinander aufbauend.
Die Frage ist doch, was absurder ist: Selenskyj als Antichrist oder die in der Christenheit etablierte „endzeitliche Figur“ des Antichrists. Wenn die Kirchen jahrhundertelang Humbug erzählen, müssen sie sich nicht wundern, dass dieser Humbug immer wieder aufgegriffen und auch mal ideologisch instrumentalisiert wird. Da ist Putler nicht der erste und auch nicht der letzte, der den Antichristen bemüht.
@Alex aus Cloppenburg
Wenn wir den Antichristen der in der Schrift steht als nicht existent ansehen was ist dann mit Satan? Wenn es den auch nicht gibt braucht es dann einen Erlöser von Schuld und Sünde?
@Matze: Dass der Antichrist, der lediglich in den Johannesbriefen erwähnt wird, etwas mit meiner Sünde oder Erlösungsbedürftigkeit zu tun hat, ist mir neu. Und ja, Putin ist aus meiner Sicht ein Anti-Christ. Daher auch existent. Ich glaube allerdings nicht an DEN Antichristen.
Der Satan himself hat bei vielen Frommen eine zu große Fangemeinde. Er war bspw. für die Erzväter oder die Exodus-Leute nicht „nötig“, um munter drauf loszusündigen. Das AT kommt weitestgehend ohne ihn aus. Weniger Dualismus wagen…
@Alex: Meine erste Assoziation mit dem Antichristen sind weniger die Johannesbriefe als vielmehr die Offenbarung. Da wird schon recht deutlich vom Tier und dem falschen Propheten gesprochen, wenn auch der Begriff „Antichrist“ nicht auftaucht. Aber es wirkt irgendwie wie eine falsche Dreieinigkeit: Der Teufel, ein menschlicher Diktator und ein Propagandaminister, die ein reigiöses System aufbauen, dem sich die ganze Menschheit bei Drohung mit der Todesstrafe unterwerfen muss. Natürlich gibt es da verschiedene Deutungen, auch solche aus der Vergangenheit (Kaiser Nero, diverse Päpste etc.). Allerdings geht aus dem Zusammenhang eher hervor, dass es sich um Mächte handelt, die kurz vor der Wiederkunft von Jesus auftreten. Letztlich wissen wir (noch) nicht, um wen es sich handelt, aber irgendwann könnte es jedem klar sein, wer es ist. Bei Selenskyj kann ich es mir im Moment aber beim besten Willen nicht vorstellen. Im Moment bin ich mir auch nicht sicher, ob es nach heutigem Verständnis ein politisch „rechtes“ oder „linkes“ System sein wird.
@ Johannes:
Gehen wir mal davon aus, dass es diesen endzeitlichen Herrscher kurz vor der Wiederkunft Jesu geben wird- ob er nun Antichrist, Tier oder wie auch immer er genannt werden wird.
Dass wir diese sogenannte Endzeit erleben werden, ist doch rein statistisch unwahrscheinlich. Viele Generationen vor uns wähnten sich in der Endzeit. Und es werden auch viele nach uns daran glauben, in den letzten Tagen zu leben.
Klar, jeder Mensch lebt – so gesehen – in der Endzeit, weil wir immer mit einem Bein im Grab stehen. Jeder Augenblick könnte der letzte sein – logisch daher, dass wir jederzeit bereit sein müssen, uns vor Gott zu verantworten.
Dass sich aber erwachsene Menschen Gedanken um irgendwelche Endzeit-Szenarien, Entrückung oder ausstehende Endzeit-Prophetien aus der Offenbarung kümmern, ist doch wirklich schräg. Als gäbe es einen Fahrplan – den wir zudem auch noch zu lesen im Stande wären.
Es ist schon erstaunlich, dass in unserer säkularen Gesellschaft und Zeit religiöse Begriffe missbraucht werden. Ob von den Russen den Ukrainern gegenüber oder auch anders herum. Im Westen hingegen ist es die Klimabewegung, die immer religiöser wird, mit unhinterfragbaren Dogmen, Häretikern und der Inquisition.
Was mir allerdings immer wieder auffällt, wenn es um die Endzeit geht, ist: Du kannst anhand der Bibel noch so oft belegen, dass wir seit Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu in der Endzeit leben, es kommt bei vielen einfach nicht an. Nach Johannes leben wir in der letzten Stunde, im Hebräerbrief heißt es, am Ende dieser Tage. Aber egal was die Bibel in diesem Zusammenhang sagt, die Dispiprägung ist fast unüberwindlich. 😉 Endzeit ist erst kurz vor dem zweiten Kommen Jesu.
Die weltweite Gemeinde hat fast nichts von der Brüderbewegung übernommen. Aber ausgerechnet der Dispensationalismus hat einen Siegeszug angetreten. Was soll man dazu sagen?
Liebe Grüße
Schlotti
Man muss kein Fan von Selenskyj sein, um zu erkennen, was für eine unverschämte Hetzkampagne der russische Staat da betreibt. Der russische Staat muss natürlich auch hetzen, denn dann hat man nicht so ein schlechtes Gewissen, wenn man die Ukrainer abknallt. Sie wären ja schön blöd, wenn sie Selenskyj jetzt loben würden, das wäre ja ganz schlecht für die Kriegspropaganda. Religion als Werkzeug für Kriegspropaganda ist in der Geschichte leider ein uralter Trick, der leider besser funktioniert, als uns allen lieb ist. 🙁 Natürlich dürfen und müssen wir die Herrscher der Nationen kritisieren. Auch Selenskyj. Aber was da abgeht, ist keine Kritik mehr, das ist einfach nur Verleumdung, um eine tödliche Invasion zu rechtfertigen. Es geht hier einfach nur darum, Menschen zum Feind zu erklären und zu entmenschlichen. Dieser Quatsch mit Satan und so soll dafür sorgen, dass man kein Mitleid mehr hat, wenn Menschen ermordet werden. Im Gegenteil: Das Volk soll sich sogar freuen, wenn sie sterben, weil man… Read more »
@schlotti
Also Leben wir seit knapp 2000 Jahren in der Endzeit? Oder verstehe ich dich da falsch? Wenn nicht, dann finde ich diesen Gedanken schwer nachzuvollziehen…
Du hast Recht, nach dem NT beginnt die Endzeit tatsächlich schon nach Tod und Auferstehung Jesu. Jedoch bedeutet dies gleichzeitig aber auch, dass diese tatsächlich mit seiner Wiederkunft verbunden worden ist, die ja allem Anschein nach nicht stattgefunden hat. Ein Problem dem sich nur leider wenige Evangelikale (sorry für die Pauschalisierung) ehrlich stellen….
Die Endzeit gibt es nicht.
Es gibt eine Zeit des Endes.
Gemeint ist die Zeit 66-70 n. Chr.
Damit ist der Alte Bund an sein Ende gekommen.
Nero war das Tier aus dem Meer.
Der „Antichrist“ war vermutlich Cerinth.
Die letzte Stunde – das sind nciht 2000 Jahre, sondern wenige Monate bzw. Jahre. Alles andere ist Mißbrauch der klaren Worte der Heiligen Schrift.
Paulus schrieb den Korinthern, das Ende der Zeiten sei auf sie gekommen – das sind Monate oder Jahre. Wer anders lehrt, mißachtet die klaren Worte der Schrift.
Der Antichrist ist kein politischer Führer gewesen, sondern ein religiöser Verführer.
@Ernst Bei allem nötigen Respekt, aber mir sind Leute suspekt, die derart von ihrer Auslegung in Fragen der Eschatologie überzeugt sind. Aussagen wie „Alles andere ist Mißbrauch der klaren Worte der Heiligen Schrift“ schießen doch weit über das Ziel hinaus. Missbrauch der Heiligen Schrift ist schon starker Tobak, wenn es um ein Verständnis der Endzeit geht. Manchmal bekommt man den Eindruck, in einigen Kreisen würde ein bestimmtes Verständnis der Eschatologie zum Maßstab der Treue zur Schrift erhoben. Da mache ich nicht mit. Sie mögen das anders sehen, aber es ist nicht klares Zeugnis der Heiligen Schrift, dass die Zeit des Endes, wie sie es nennen, die Zeit von 66 bis 70 n. Chr. ist. Das ist ihre Auslegung. Genauso ist es „nur“ eine Auslegung, dass das Tier aus dem Meer Nero war. @Alin Nein, du verstehst mich nicht falsch. Ich bin tatsächlich davon überzeugt, dass wir seit Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu, also seit 2000 Jahren in der Endzeit leben.… Read more »
Wie gesagt, viel zu spät.
Der Tag des Herrn, als Gericht. Nicht Tag des Herrn und dann Gericht.
@schlotti Danke für die Antwort! Hätte noch jeweils eine Anmerkung zu deinen Aussagen: Gehört Apostel Paulus für dich dann auch noch zu den Israeliten, die von einer falschen Annahme ausgingen? Schließlich war er ja davon überzeugt, dass Jesus noch während seiner eigenen Lebzeit wiederkommt. Also war Jesu Botschaft in dieser Hinsicht eigentlich unmissverständlich… zumindest für Paulus. Auch wüsste ich nicht, wann er diesbezüglich seine Meinung geändert haben sollte…und er war nicht der einzige, der in dieser Naherwartung lebte. Das berühmte, gleichzeitige „schon“ und „noch nicht“ bietet sich natürlich immer sehr gut dann als Erklärung an, wenn gewisse Erwartungen nicht eingetroffen sind. Denn eine angebliche Wirklichkeit in einer wie auch immer gearteten geistlichen Sphäre ist einfach nicht zu wiederlegen (siehe genauso auch bei den Zeugen Jehovas). Und das Gott nicht verzögert, sondern will, dass Menschen gerettet werden, hört sich doch etwas widersprüchlich und sogar ziemlich zynisch an, oder? Zumindest wenn man davon ausgeht, dass aller Wahrscheinlichkeit nach nicht jeder Mensch in… Read more »
@Alin Ich möchte nur kurz auf deine drei Hinweise eingehen. (1) Paulus und die Wiederkunft Jesu Ich bin nicht überzeugt davon, dass Paulus absolut davon überzeugt war, die Wiederkunft Jesu noch zu erleben und dies explizit gelehrt hat. Ich denke seine Aussagen zeigen schon, wie er mit der Möglichkeit rechnete. Aber nirgendwo in den Paulusbriefen entwirft er einen genauen Zeitplan. Es ist eine Sache, mit etwas zu rechnen, eine andere, es als absolut sicher darzustellen. Ersteres tut Paulus, zweites nicht. Man könnte von 1. Thess 4,15-17 darauf kommen, Paulus hätte damit gerechnet, die Wiederkunft Jesu selbst zu erleben. Immerhin spricht er von „wir die Lebenden“ oder „danach werden wir, die Lebenden“. Für mich zeigt diese Aussage, dass Paulus wohl wirklich überrascht wäre, wenn er gewusst hätte, dass Jesus auch nach 2000 Jahren nicht wiedergekommen ist. Er rechnete mit einer baldigen Wiederkunft. Aber das heißt nicht, dass er sich geirrt hat, was seine generelle Eschatologie angeht. Nirgendwo in seinen Briefen zeigt… Read more »
Schlotti, Apostel Paulus war sich seiner Worte über eine baldige Wiederkunft Jesu so sehr gewiss (er beschreibt seine Worte als verlässlich), dass er in 1. Kor 7 jungen Männern empfiehlt, ihre verlobten Jungfrauen aufgrund der kommenden Not nicht zu heiraten (genau das empfahlen auch übrigens auch die Zeugen Jehovas in ihren unzähligen Terminierungen der Wiederkunft Jesu). Hört sich ganz schön nach einer Tatsachenverkündigung der baldigen Wiederkunft an, zumindest geht Paulus hier ein großes Risiko ein…Und darüber hinaus, Paulus ist doch nicht der einzige, der in dieser starken Naherwartung lebte: Die starke Naherwartung und die Parusieverzögerung ist ein neutestamentliches Problem, dass an zahlreichen Stellen deutlich wird. Das das „schon“ und „noch nicht“ das Zentrum der paulinischen Theologie darstellt wage ich zu bezweifeln (siehe Röm 6-8)… Du hast Recht, unsere Sichtweisen über Gottes Gnade in 2 Petr. unterscheiden sich fundamental, was ja erst Mal ok ist. Jedoch sind wir uns doch einig, dass die Bilanz der Gnade Gottes nach 2. Petr. 3,… Read more »
Was bedeutet: Wenn noch eine kleine, ganz kleine Weile, dann wird der kommen, der kommen soll, und wird nicht auf sich warten lassen? (Hebr 10,37) Heißt es nicht, den klaren Schriftsinn verdrehen, wenn man behauptet, man müsse bei biblischen Zeitangaben eben Gottes Maßstab heranziehen? Dann kann „bald“ eine sehr, sehr lange Zeit bedeuten. Heißt es nicht, den klaren Schriftsinn zu verdrehen, wenn man von einer 2000jährigen Endzeit redet?. Die Endzeit währte dann schon länger als die Geschichte Israels im Alten Bund. Heißt es nicht, den klaren Schriftsinn zu verdrehen, wenn man jene Stellen, wo von „nahe“ (z. B. der Herr ist nahe) die Rede ist, in die Ferne rückt? Heißt es nicht implizit die Inspiration der HS leugnen, wenn man behauptet, die Naherwartung der Jünger habe sich eben als Irrtum herausgestellt? Nein, Paulus dachte nicht an künftige Generationen, als er „wir“ sagte – solches Denken war ihm fremd. Er wusste, wovon er sprach, denn er war vom Heiligen Geist inspiriert,… Read more »