Apologetik

Apologetik der christlichen Sexualethik

Die christliche Sexualethik weise zu verteidigen, ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Evangelium21 hat eine Erklärung in deutscher Sprache veröffentlicht, die genau dieses Anliegen verfolgt. Die 47. Generalsynode der Presbyterian Church in America (PCA) beauftragte im Jahr 2019 einen Studienausschuss (zu dem u.a. Bryan Chapell, Kevin DeYoung und Tim Keller gehörten), eine Stellungnahme zum Thema der menschlichen Sexualität zu erarbeiten. Diese Stellungnahme wurde im Mai 2020 veröffentlicht und im Juni 2021 von der verspätet stattfindenden 48. Generalsynode entgegengenommen. 

Hier ein Auszug:

Zweitens sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass die moderne Bewegung der sexuellen Befreiung in vieler Hinsicht ein Rückschritt ist. Sie dreht die Uhr zurück auf die zugrundeliegende Logik Roms. Die moderne Kultur hat die Verbindung zwischen Sex und Gott aufgehoben und Sex wieder mit der sozialen Ordnung verknüpft. Damit ist Sex wiederum losgelöst von der Forderung einer lebenslangen Bindung durch die Ehe. Erneut geht es beim Sex um Selbsterfüllung, nicht um Selbsthingabe. Doch wie Harper bemerkt, behält die moderne sexuelle Revolution einige der christlichen Gaben an die Welt bei: das Konzept der Einvernehmlichkeit und dass Sex etwas Gutes ist. Daher ist die heutige sexuelle Kultur zwar weniger brutal als die damalige heidnische Kultur (dank der verbliebenen christlichen Elemente), sie entpersonalisiert aber dennoch und macht zum Objekt. Es gibt zahlreiche Studien und Erfahrungsberichte, die zeigen, dass die Menschen deutlich einsamer sind, da Sex nun nicht nur von der Ehe abgekoppelt wird, sondern durch das riesige, raffinierte Reich der Pornografie von persönlicher Beziehung überhaupt. Im alten Rom gab es gewöhnlich einen Beteiligten – den mit der Macht –, der den anderen Beteiligten als Objekt benutzte, um seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Heute benutzen sich die Beteiligten oft gegenseitig, indem sie den anderen als Objekt zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse gebrauchen – mit dem man nur so lange in Beziehung steht, wie diese Bedürfnisse befriedigt werden.

Das Bemühen der modernen Kultur, einige Teile der christlichen Sexualethik beizubehalten, aber andere nicht, hat enorme Spannungen erzeugt.

Der Gedanke der Einvernehmlichkeit passt am besten zu einem Bund, nicht zu sexuellen Abenteuern. Insbesondere Frauen können sich als Objekt missbraucht fühlen. Die frühen Christen wurden mit dem gleichen Vorwurf wie wir konfrontiert – dass unsere Sexualethik erdrückend, eine Spaßbremse, negativ, repressiv und unrealistisch sei. Doch sie wussten auch: Selbst wenn sexuelle Selbstbeherrschung auf kurze Sicht schwer ist, ist doch die christliche Sexualethik auf lange Sicht erfüllender und weniger entmenschlichend. Wir müssen auch heute Wege finden, um zuversichtlich über die revolutionär gute Nachricht des Christentums bezüglich Sex zu sprechen.

Mehr: www.evangelium21.net.

Der Glaube an Gott im säkularen Zeitalter

Nachfolgend eine Rezension zu dem Buch (zuerst erschienen in Glauben und Denken heute, 1/2020, Nr. 25, S. 69–71):

  • Gerhard Kardinal Müller. Der Glaube an Gott im säkularen Zeitalter. Freiburg, Basel u. Wien: Verlag Herder, 2020. 495 S., 58,00 Euro.


Gerhard Kardinal Müller, von 1982 bis 2002 Professor für Dogmatik an der Universität München, von 2002 bis 2012 Bischof von Regensburg und von 2012 bis 2017 Präfekt der Kongregation für Glaubenslehre, ist einer der bedeutendsten katholischen Denker der Gegenwart. Viele nicht-katholische Theologen kennen ihn durch seine Dogmatik, die inzwischen in zehn Auflagen bei Herder erschienen und in mehrere Sprachen übersetzt worden ist. Der kürzlich verstorbene Neutestamentler Klaus Berger, der übrigens nach eigener Aussage bis 1995 kein Lehrbuch der Systematischen Theologie besessen hat, bezeichnete das Lehrwerk als „ein didaktisch gelungenes Buch“ mit „gediegenen Informationen, die stets das Wesentliche bieten“ (FAZ, 12.04.1995, Nr. 87, S. 11). Ich greife genau aus diesen Gründen gern auf das kompakte Lehrbuch zurück. Entsprechend groß waren meine Erwartungen, als ich mit der Lektüre von Der Glaube an Gott im säkularen Zeitalter begonnen habe.

Der Band geht auf Vorlesungen sowie frühere Beiträge, die aktualisiert wurden, zurück. Auf Einladung der Katholischen Universität Lublin in Polen unterrichtete Kardinal Müller vom 7. bis 21. Oktober 2018 für Hörer aller Fakultäten. Viele Studenten und Professoren erbaten im Anschluss die hier besprochene Veröffentlichung, die übrigens nicht als systematisches Lehrbuch oder geschlossene Monographie verstanden werden darf (vgl. S. 19–20). In einer Zeit, in der der Glaube nur noch ein Angebot unter anderen ist, möchte Müller zu zentralen Fragen und neuralgischen Punkten Stellung nehmen. Er schreibt dabei auch als Seelsorger, der die Fragen und Nöte der Menschen kennt (vgl. S. 22).

Müller trägt seine Apologetik auf der Grundlage der katholischen Gnaden- und Erkenntnislehre vor, wie wir sie eingängig etwa bei Thomas von Aquin finden. Er steht methodisch also in der Schuld Aristoteles’, dessen Philosophie „ihrem Wesen nach nicht heidnisch, also vom Götterglauben durchdrungen, sondern vernünftig und darum geeignet“ ist, „sich argumentativ mit der durch die Vernunft erfassten Wirklichkeit von Mensch, Welt und Gott auseinanderzusetzen“ (S. 291).

Da der thomistische Ansatz bei der Behandlung konkreter Sachverhalte vorausgesetzt wird, sei er kurz skizziert: Unser Wissen von Gott kann nicht aus der Gottesidee logisch deduziert und damit rationalisiert werden. Wir können uns aber durch die Vernunft der Existenz Gottes versichern und sie vermittels seiner Wirkungen argumentativ darstellen, wenn er sich „im ‚Gleichnis des Seins‘ durch die Werke der Schöpfung (Röm 1,10 [vermutlich Röm 1,20, Anm. R. K.]) und im Urteilsspruch des Gewissens (Röm 2,16 [vermutlich Röm 2,15, Anm. R. K.])“ kundtut, ohne „dass er sein Wesen und Sein kund macht, so dass er mittels der Begriffsbildung unter die Herrschaft einer endlichen Vernunft geraten und somit verdinglicht werden könnte“ (S. 62–63). „Dem Glauben des Menschen an Gott geht die Liebe Gottes zu ihm voraus, die unser Herz öffnet und den Geist empfänglich macht, so dass der Glaube an Gott im Menschen nichts weniger als die antwortetende Liebe ist“ (S. 64). Der Mensch erkennt den sich offenbarenden Gott nicht „kraft des eigenen Lichts seines natürlichen Denkvermögens (lumen naturale), sondern durch das eingegossene Licht des Glaubens (lumen fidei)“ (S. 64). Wir Menschen können also mit der Vernunft die Welt denkend erkennen und durchdringen. Gotteserkenntnis braucht hingegen die Unterstützung von „Gnade und Offenbarung“, die quasi die natürliche Reichweite unendlich steigert (vgl. S. 64). Die Aufgabe der Theologie ist es, die „innere Vernünftigkeit aufzuzeigen, die sich aus der Selbstmitteilung Gottes als ‚Gnade und Wahrheit‘ (Joh 1,17) ergibt, um zum rechten Handeln in Kirche und Welt anzuleiten“ (S. 65). Versuche, den Glauben rationalistisch, also mit der natürlichen Vernunft begründen zu wollen, bedeuteten nur, den christlichen Glauben „dem Spott der Ungläubigen auszusetzen“ (S. 65–66). „Der Glaubende ist gehalten, jedem der nach dem Logos des Glaubens fragt (1Petr 3,15), eine rationale Antwort (= Apo-Logia) zu geben und Schwierigkeiten seiner freien Annahme zu überwinden. Der Glaube bleibt aber frei und kann nicht durch Vernunftgründe logisch erzwungen werden oder rationalistisch ad absurdum geführt werden. Der theologale Glaube ist von Seiten Gottes ein Geschenk seiner Gnade; aber von Seiten des Menschen eine Sache des freien Willens – credere est voluntatis“ (S. 289). Die natürliche Vernunft erkennt maximal, dass Gott ist. Wer Gott ist, kann aus dem Seienden nicht erschlossen werden. Kardinal Müller beruft sich hier auf Gedanken, die Dietrich Bonhoeffer in seiner Habilitationsschrift Akt und Sein (1931) geäußert hat: „Einen Gott, den ‚es gibt‘, gibt es nicht; Gott ‚ist‘ im Person-bezug, und das Sein ist sein Personsein“ (S. 67–68). Die Offenbarung Gottes durch Jesus Christus in seinem Wort geht über die Wirkungen der Schöpfung hinaus und vermittelt uns Menschen diese personale Beziehung zu Gott dank der inneren Kraft des Heiligen Geistes (vgl. S. 67).

Von diesen Voraussetzungen ausgehend nähert sich Müller nun den verschiedenen Anfragen, mit denen der christliche Glauben im säkularen Zeitalter konfrontiert wird. Wenn er vom säkularen Zeitalter spricht, dann bezieht er sich vor allem auf die Analyse des kanadischen Philosophen Charles Taylor, nach der der Glaube nicht mehr die alles bestimmende Wirklichkeit, sondern nur eine Option ist.1 „Gott darf im öffentlichen Leben, im Staat und allen Kulturinstitutionen, den Wissenschaften, dem öffentlichen Recht, der Moral, der Wirtschaft und Politik, der Schule und Erziehung, der Kunst und Literatur nicht mehr vorkommen. Er gilt nicht mehr fraglos als gemeinsamer Bezugspunkt der Wirklichkeitserschließung und Lebensbewältigung“ (S. 96).

Kardinal Müller erörtert insgesamt 20 Themen. Der Band wird mit einem Beitrag über Polen, ein Land, das die Freiheit liebt und einen christlichen Humanismus hervorgebracht hat, eröffnet. Es folgen Kapitel über die Gotteslehre, die kirchliche Tradition, die Selbstsäkularisierung des Christentums, Glaube und Vernunft, die Dreieinigkeitslehre, die Theodizee und so fort. Er kritisiert Atheismus, Posthumanismus, Relativismus und die Genderideologie. Stellenweise deckt der Kardinal den totalitären Anspruch atheistischer oder positivistischer Strömungen rigoros auf: „Gegenwärtig erleben wir im ‚Westen‘ eine neue Phase der De-Christianisierung von Gesellschaft, Kultur, der Wissenschaften, Erziehung und den Medien. Sie wird vorangetrieben durch demokratisch nicht legitimierte überstaatliche Organisationen“ (S. 371). Gleich anschließend schreibt er:

Der nihilistische Atheismus hat unübersehbare Konsequenzen für das im Glauben an Gott den Schöpfer und Erlöser gründende christliche Menschenbild. Wo er sich als Staatsideologie und in kämpferischen Atheistenclubs unter den [sic!] Slogan ‚Religion ist Privatsache‘ die Vernichtung der Kirche Christi oder ihre Marginalisierung zum erklärten Ziel gesetzt hat, bewirbt er sich als neuer selbsterlöserischer Humanismus im Namen von Vernunft und Wissenschaft, Freiheit und Fortschritt in der Technik. Sein Ziel ist die restlose Kontrolle über die Natur und die Gesellschaft und über die Sprache und die innersten Gedanken und das Gewissen jedes einzelnen und aller Menschen. Wir stehen in einer totalen Gesinnungsdiktatur, wie sie die Welt noch nicht kannte oder lückenlos durchsetzen konnte. (S. 372)

Stark ist sein Verweis auf das Selbstmissverständnis, dass jede Theologie oder Epoche der Theologiegeschichte „sich der jeweils vorherrschenden philosophischen Richtung oder einem Systemdenker kritiklos“ anschließt (S. 310). Der Mahnung, dass ein Theologe die Welt in Kultur und Wissenschaft nicht sich selbst als „Raum des Unglaubens und der Gottlosigkeit“ überlassen darf, werden viele christliche Sozialethiker gern zustimmen (S. 366). Brillant auch die – aus seiner Sicht von Thomas herkommende – Überzeugung, dass nicht nur konkrete Evidenzen säkularen Denkens beantwortet werden müssen, sondern auch ihre Entstehungszusammenhänge auszuloten sind: Die Theologie „muss vielmehr die soziologischen und intellektuellen Bedingungen des Geisteslebens der modernen Welt in den Blick nehmen, um aus ihnen heraus den Zugang zur Tatsache der Selbsterschließung Gottes in Jesus Christus als das Heil jedes Menschen offenzuhalten. (S. 368)

Wer das Buch Der Glaube an Gott im säkularen Zeitalter genau liest, wird freilich schnell merken, dass der Titel eigentlich für „Der katholische Glaube an Gott im säkularen Zeitalter“ steht. Die vorgetragene Apologetik richtet sich nämlich nicht nur gegen gottlose Denkwege, sondern fernerhin gegen die Theologie der Reformation. Das folgende Zitat ist dafür programmatisch:

Die reformatorischen Formal- und Materialprinzipien (solus Christus, sola fide et gratia, sola scriptura) erfassen das Gott-Menschverhältnis dialektisch als eine Widerspruchs-Einheit auf [sic.]. Die katholische Theologie geht von einer analogen Vermittlung aus, so dass Vernunft und Glaube, Natur und Gnade, menschliche Empfänglichkeit und göttliche Gabe eher als Synthese gedacht werden, die in der Annahme der menschlichen Natur durch das göttliche Wort ihr tragendes Fundament und das Prinzip ihres Erkenntniswerdens hat. Die Analogia entis ist die Voraussetzung der Analogia fidei. Daraus ergibt sich das katholische et-et; aber in der unumkehrbaren Reihenfolge: Christus und die Kirche, Glaube und Vernunft, Gnade und Sakramente, Gottesliebe und Nächstenliebe (gute Werke). (S. 402)

Die Apologetik der katholischen Theologie blitzt da auf, wo Gerhard Müller die Heiligenverehrung verteidigt (S. 58) oder unter Berufung auf Stefan Zweig dem Genfer Reformator Johannes Calvin vorwirft, die grausame Hinrichtung des Miguel Serveto betrieben zu haben (vgl. S. 36–37). Müllers Sicht auf Calvin verwundert, hat doch die Forschung bereits vor vielen Jahren nachgewiesen, dass Zweig Castellio gegen Calvin in agitatorischer Absicht verfasste und Calvin nicht der Hauptverantwortliche für die Hinrichtung von Serveto war.2

Die weitreichende Differenz zwischen katholischer und protestantischer Apologetik tritt vor allem dort offen zutage, wo Müller herausstreicht, dass nach katholischer Ursündenlehre die Fähigkeiten der natürlichen Vernunft nicht gravierend betroffen sind, auch nicht im Blick auf den theologischen Horizont der Ontologie, also „der Erkenntnis der Existenz Gottes durch die natürliche Vernunft“ (S. 312). Hier grenzt er sich drastisch von der reformatorischen Erkenntnislehre ab, nach der die menschliche Vernunft keinen Weg zu Gott findet, da sie selbst erlösungsbedürftig ist. Reformatorische Theologie deutet den Menschen nicht als ein Geschöpf, das seinen Schöpfer sehnsüchtig sucht und ihn hören will (vgl. dagegen S. 74), sondern als „Feind Gottes“ (Röm 5,10; Kol 1,21; Eph 2,16) und „Gotthasser“ (Röm 1,30). Der Mensch lebt im Stand der Sünde eben nicht im neutralen Raum auf die Gnade wartend, sondern im aktiven Widerspruch gegen Gott. Es braucht einen göttlichen Eingriff, der ihn in die Krise stürzt und zugleich zu neuem Leben erweckt.

Gerhard Kardinal Müller hat mit Der Glaube an Gott im säkularen Zeitalter einen respektablen Sammelband zur Fundamentaltheologie vorgelegt. Er formuliert seine Argumente erwartungsgemäß präzise und glänzt stellenweise mit seiner Kritik des Zeitgeistes. Dass er als ehemaliger Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre ein durch und durch katholisches Buch geschrieben hat, wird ihm niemand vorwerfen. Vor allem katholische Christen werden daher gern auf das Buch zurückgreifen. Protestanten können von der Lektüre ebenfalls profitieren, da es solide und aktuell in die konfessionelle Fundamentaltheologie einführt und die Unterschiede zwischen thomistischer und reformatorischer Verteidigung des Glaubens veranschaulicht.

Jonathan Edwards: Der christliche Glaube ist vernünftig

Jonathan Edwards schreibt über die vernünftige Basis des christlichen Glaubens (zitiert aus: Gott allein!, Herold Verlag, 2019, S. 89–90):

[Jonathan Edwards] war davon überzeugt, dass Gottes Herrlichkeit, wenn sie mit den geistlichen Augen gesehen wird, auch als majestätisch und überzeugend angesehen wird. Edwards schlägt aber noch einen anderen Weg ein. Er betont zudem noch, dass unser Glaube an die Wahrheit des Evangeliums sowohl vernünftig als auch geistlich sein muss. Die Herrlichkeit Gottes im Evangelium ist der Schlüssel für beides.

Edwards sagt, dass eine Person zwar in Bezug auf die Wahrheiten des Evangeliums starke religiöse Gefühle hegen kann, diese jedoch vollkommen wertlos sind, wenn „diese Überzeugung nicht eine vernünftige Überzeugung ist“. Was meint Edwards mit „vernünftig“?

„Mit einer vernünftigen Überzeugung meine ich eine Überzeugung, die auf reellen Beweisen oder einer guten Grundlage beruht. Jemand kann die starke Überzeugung vertreten, dass die christliche Religion wahr ist, während ihre Überzeugung überhaupt nicht auf Beweisen gründet, sondern eher der Erziehung oder der Meinung anderer geschuldet ist.
So sind viele Muslime stark von der Wahrheit ihrer Religion überzeugt, weil ihre Väter, ihre Nachbarn usw. daran glauben. So scheint im Fall des rein kulturell christlichen Glaubens zwar die Ausrichtung besser zu sein, doch der Glaube an sich ist nicht besser. Denn das, woran man glaubt, mag wahr sein, während sich der Glaube doch nicht auf die Wahrheit gründet, sondern auf die Erziehung. Somit wäre diese „christliche“ Überzeugung auch nicht besser als die der Muslime. Ebenso sind die Auswirkungen, die aus dieser Überzeugung resultieren, im Prinzip nicht besser als die der Muslime.

Bullinger: Geistlicher Ehebruch

Heinrich Bullinger über die falschen Lehrer (H. Bullinger, Schriften V, S. 120).

Und in der Tat wird in der Heiligen Schrift oft vom Bild des geistigen Ehebruchs und der geistigen Hurerei Gebrauch gemacht. Alle Reden der Propheten sind voll von solchen Bildreden. Kirchen oder Menschen, die da anderen Samen, d.h. eine andere Lehre als die des Wortes Gottes, annehmen, nennen sie Ehebrecher, Huren und Hurer. Denn solche, die Ehebruch an Gott betreiben, hängen nicht nur Gott an, lieben nicht nur ihn aus ganzem Herzen, beten nicht nur ihn an, verehren nicht nur ihn und rufen nicht nur ihn an. Sie suchen vielmehr andere für sich aus, die sie entweder anstelle von Gott oder zusammen mit Gott verehren und anrufen.

Christliche Apologetik go home?

Die Internetseite „Worthaus“ hat einen Vortrag der Theologin Christiane Tietz mit dem Thema „Glaube und Zweifel“ veröffentlicht. Frau Tietz äußert sich darin kritisch zu Gottesbeweisen im Allgemeinen und speziell zum Ansatz des „Intelligent Design“, den sie in der Tradition des teleologischen Gottesbeweises von Thomas von Aquin sieht. Die Ausführungen von Frau Tietz laufen auf eine Abschaffung von Apologetik hinaus. Denn sie argumentiert – in der Tradition von Karl Barth (und damit auch Kierkegaards) stehend – gegen apologetische Arbeit, die positiv für die Wahrheit des biblischen Schöpfungszeugnisses eintritt. Dagegen sollte man den Verstand nutzen, um das Geglaubte zu durchdenken, aber auch um die Lehren des Christentums kritisch zu hinterfragen. 

Reinhard Junker hat den Vortrag analysiert und etliche Rückfragen:

Nach diesen Ausführungen über die Distanziertheit und die vermeintliche Gefahr der Irreleitung durch Gottesbeweise wirft Frau Tietz die Frage auf: „Wenn es so ist, dass das Denken diesen Gott nicht beweisen kann, … gibt es dennoch die Möglichkeit, nachzudenken über Gott, ohne dass der Glaube dabei verloren geht?“ Diese Frage wird bejaht, denn zum christlichen Glauben gehöre auch das Verstehen. Es gehe um ein Hinterherdenken dem, was man glaubt, um eine kritische Reflexion über das, was man glaubt. Sie akzeptiert ein Nachdenken dem, was vorgegeben ist, nämlich Gottes Selbstoffenbarung in Christus. Man könne über den Glauben nachdenken; wie das im Glauben Geglaubte zu verstehen ist. Aber was ist, wenn genau dagegen unter Berufung auf Wissenschaft Einwände erhoben werden? Dann muss man wohl oder übel sich doch apologetischer Arbeit unterziehen. Frau Tietz fragt selber: „Wenn man behaupten würde, man darf noch nicht einmal anfangen, die Lehren des Christentums zu hinterfragen, sonst geht der Glaube kaputt, dann würde man den Menschen zwingen, seinen Verstand quasi vor der Kirchentür anzugeben, und das kann langfristig nicht gut gehen, weil der Mensch auch ein Verstandeswesen ist.“ Ja, natürlich soll niemand von kritischem Nachdenken abgehalten oder dafür getadelt werden. Aber auf solche kritische Fragen gibt es in vielen Fällen gute apologetische Antworten. Warum Frau Tietz, wie es scheint, einer positiv argumentierenden Apologetik nichts abgewinnen kann, ist unverständlich. Denn mit demselben Verstand, mit dem wir das Geglaubte denkerisch durchdringen und der dabei Fragen aufwirft, können wir auch versuchen, Antworten zu geben, die die Glaubwürdigkeit der Bibel auch in ihren historischen  Aussagen stützen und den Glauben zu stärken, dass die Bibel Gottes verlässliches Wort an uns ist. Genau aus diesem Grunde ist christliche Apologetik unverzichtbar. Und ein wichtiger Teil von ihr ist der Design-Ansatz.

Der vollständige Text wurde im Blog von Markus Till veröffentlicht: blog.aigg.de.

Nix Genaues weiß man nicht

Der Musiker Jonnes hat in einem Video-Interview mit dem MEDIENMAGAZIN PRO darüber gesprochen, welche Rolle der Glaube in seinem Leben und in seiner Musik spielt. Dabei fällt ein Satz, der die Tragik der neuzeitlichen (und wohl auch post-evangelikalen) Theologie recht gut auf den Punkt bringt. Er sagt (ab Minute 4:55):

„Für mich ist meine Spiritualität, mein Glaube an Gott, ein pures Hoffen und Vertrauen. Weil ich kein Wissen habe. Ich weiß nix über Gott. Ich habe vier Jahre Theologie studiert und weiß nix über Gott. Aber ich glaube etwas über Gott.“

Das klingt ganz fromm. Aber es ist eben alles andere als fromm, wenn wir den Begriff „Glaube“ mit neuzeitlichen und nicht mit biblischen Verstehenskategorien füllen. Dahinter steckt nämlich die Trennung von Wissen und Glaube.

Erinnern wir uns, wie Augustinus Wissen und Glaube aufeinander bezieht. Der Glaube durchdringt nach ihm den gesamten Erkenntnisprozeß. Glaube und Vernunft sind nicht zwei logisch oder psychologisch streng zu unterscheidende Kapazitäten, sondern sie sind aufeinander bezogen.

In einer Predigt hat Augustinus seine Auflösung der dialektischen Beziehungen von Glaube und Wissen auf die Formel „crede, ut intelligas“ (dt. glaube, um erkennen zu können) gebracht. Diese Formel steht als Leitspruch über der Denktradition, die Raum schafft für eine Vernunftlehre im Rahmen des Glaubens. Die Vernunft regiert nicht den Glauben, sondern die Vernunft wird vom Glauben umschlossen. In seinem Werk Über den Lehrer schreibt Augustinus: „Was ich demnach erkenne, das glaube ich auch; aber nicht alles, was ich glaube, erkenne ich auch. Alles aber, was ich erkenne, weiß ich; nicht jedoch weiß ich alles, was ich glaube.“ Gewisse Dinge können demnach nur geglaubt werden, andere können dagegen gewusst werden. Die Denkinhalte, die gewusst werden, werden aber zugleich geglaubt. Es gilt also: Ohne Glaube kein Wissen, ohne Glaube kein Wissenserwerb, ja ohne Glaube kein Existieren (vgl. die Kind-Elternbeziehung).

So sinnvoll es also sein kann, zwischen Glaube und Wissen zu unter scheiden, so überflüssig ist die scharfe Trennung der Begriffe. Die Lösung von Augustinus lässt sich so darstellen:

Synthese Ver1 0

Im Anschluss an Kants Kritische Philosophie hat sich in der Neuzeit das Gefüge verschoben. Durch seine Leistungen setzte sich die Überzeugung durch, dass unbedingte Geltung nur Einsichten beanspruchen können, zu denen der aufgeklärte Mensch unabhängig von historischen Autoritäten aus eigener Erfahrung gelangen kann. Die bisherige Ordnung von natürlicher Theologie und offenbarter Theologie wird umgekehrt. Es geht nicht mehr – wie bei Augustinus – um Vernunft im Rahmen des Glaubens, sondern um „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.

Die kategorische Aufspaltung von Glauben und Wissen bei Kant veränderte das gesellschaftliche und kirchliche Leben mittelfristig auf entscheidende Weise. Die Antithese von Religion auf der einen Seite und Wissenschaft auf der anderen wurde Programm.

Kant erörtert die Frage, welche Art von Freiheit erforderlich sei, um die „Aufklärung“ voranzubringen und verlegt das wissenschaftliche Arbeiten in den öffentlichen Raum. Es bedürfe der Freiheit, „von seiner eigenen Vernunft in allen Stücken öffentlich Gebrauch zu machen“ (I. Kant, Aufklärung, S. 11). Unter öffentlichem Gebrauch versteht er „denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht“(I. Kant, Aufklärung, S. 9). Der Privatgebrauch der Vernunft könne dagegen eingeschränkt sein.

„Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: räsoniert nicht! Der Offizier sagt: räsoniert nicht, sondern exercirt! Der Finanzrat: räsoniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: räsoniert nicht, sondern glaubt! … Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich? welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich? – Ich antworte: der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zu Stande bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern.“ (I. Kant, Aufklärung, S. 9.)

Nun dürfen wir dankbar sein, dass Kant sich für die Freiheit des Denkens eingesetzt hat. Das intellektuelle Klima litt damals sehr unter Denkverboten und Kant selbst bekam die Zensur zu spüren. Aber in der Konsequenz bedeutet diese Aufspaltung, dass sich der öffentliche Diskurs streng wissenschaftlich vor dem Forum der Vernunft zu verantworten hat, während in Fragen der Pietät ‚unvernünftige‘ Gehorsamsschritte eingefordert werden dürfen. In der Folge wissen wir nichts über Gott, sondern verlagern – wie bei Schleiermacher – den Glauben ins Gefühl oder wagen – wie bei Kierkegaard, den Sprung in den Glauben (siehe dazu: Kierkegaards Sprung).

Solche Sprünge ins „Gemüt“ oder die „Beziehung“ mögen für eine gewisse Zeit Entlastung bringen, da sie vor dem Rechenschaftsdruck gegenüber einer kritischen Wissenschaft schützen. Eine wirklich Lösung bringen sie allerdings nicht, da diese Trennung die Theologie in die Sprachlosigkeit treibt und gemäß der Heiligen Schrift Wissen und Glaube nicht voneinander zu trennen sind.

Betrachten wir das Problem einmal mit Hilfe der aus der lutherischen Orthodoxie stammenden Unterscheidung von den drei Ebenen des Glaubens. Die erste Ebene ist notitia, die Kenntnis eines Glaubensinhaltes. Natürlich hatten die ersten Christen Gemeinschaft miteinander, sie beteten und feierten das Herrenmahl. Aber ihre liebevoll gelebten Beziehungen waren getragen von einer konkreten Lehre, der sie gehorsam folgten. Sie hielten fest an der Lehre der Apostel. Der griechische Begriff didache, den Lukas in Apg 2,42 verwendet, steht schon in der Apostelgeschichte und eindeutig in den Pastoralbriefen (vgl. z. B. 2Tim 4,2–3 u. Tit 1,9) für eine Lehrüberlieferung mit bewertbaren Inhalten.

Wir können solche Inhalte auch Propositionen nennen. Propositionen sind Objekte mentaler Aktivitäten wie Wollen, Glauben oder Hoffen. Sätze oder Aussagen mit propositionalem Gehalt sind prüfbar, können wahr oder falsch sein. Die Apostel unterschieden zwischen wahren und falschen Glaubensinhalten, zwischen ungesunden Lehren und der heilsamen Lehre (vgl. Röm 16,17). Eine falsche Lehre steht im Widerspruch zu dem, was Gott denkt und offenbart hat. Die Apostel verkündigten die Lehre des Christus (2Joh 10), die scharf gegenüber fremden Lehren abgegrenzt werden kann (vgl. Hebr 13,9). Sie waren beispielsweise davon überzeugt, dass der Gott, dem sie sich anvertraut haben, nicht lügt (vgl. Tit 1,2 u. Hebr 6,18) oder Jesus Christus im Fleisch gekommen ist (1Joh 4,2; 2Joh 7). Menschen, die diese Propositionen ablehnten, waren in ihren Augen falsche Propheten.

Die zweite Ebene des Glaubens ist assensus, die Bejahung oder Annahme bestimmter Inhalte. Jemand, der einem Sachverhalt zustimmt, bekundet sein Interesse und Einverständnis mit dem, was er sachlich wahrgenommen hat. Stellen wir uns vor, wir interessierten uns für die Frage, ob Jesus Christus tatsächlich gelebt habe. Wir würden kritische und apologetische Bücher studieren, die sich mit der Frage des historischen Jesus befassen. Irgendwann formulierten wir dann ein Ergebnis unserer Untersuchungen. Das, was wir als Resultat unserer Bemühungen präsentierten, und sei es das zurückhaltende Bekenntnis „Wir können nichts Genaues dazu sagen!“, fände unsere Zustimmung. Wir hielten das, was wir ausgearbeitet hätten, für annehmbar und vertrauenswürdig.

Drei Ebenen des Glaubens

Die dritte Ebene, fiducia, ist schließlich das Gottvertrauen, der persönlich gelebte Glaube.

Keine der drei Ebenen des Glaubens darf fehlen. „Man kann Gott nicht anerkennen (= assensus), ohne ihn zu kennen (= notitia). Man kann Gott nicht vertrauen (= fiducia), ohne ihn anzuerkennen (= assensus). Oder man könnte auch sagen: Das (Gott)Gehören (= fiducia) setzt ein Gehorchen (= assensus), das Gehorchen ein Anhören (= notitia) voraus“ (H.G. Pöhlmann, Abriss der Dogmatik, 1985, S. 85). Der Gläubige soll nicht glauben, weil er Ungewusstes und Unverstandenes auf die Autorität der Kirche hin glaubt, sondern weil er sich darüber klar ist, woran er glaubt.

Selbstredend können wir über Gott nur insofern etwas wissen, so er sich uns Menschen offenbart. Wir werden ihn auch nicht erschöpfend verstehen. Aber die neuzeitliche Skepsis im Blick auf Glaubensdinge ist ganz und gar unangebracht, da Gott sich ja verbindlich offenbart hat. Die Skepsis entkernt nicht nur den Glauben, sie beraubt ihn auch der Fähigkeit, Geister zu unterscheiden.

Ich will zum Schluss noch an Paulus erinnern. Im Zweiten Timotheusbrief beschreibt er, dass er als Verkündiger, Apostel und Lehrer des Evangeliums eingesetzt worden ist. Aus diesem Grund hatte er allerlei Schwierigkeiten zu ertragen. So haben sich etwa viele enge Mitarbeiter von ihm abgewandt (vgl. 2Tim 1,15) oder so musste er im Gefängnis in Ketten liegen. Warum hat der Apostel das ohne Scham ertragen können? Weil er wusste, an wen er glaubt (2Tim 1,12; Griech. oida)! Er kannte Gott und er war sich sicher, dass dieser Gott hält, was er verspricht. Seine Hoffnung hatte nämlich einen vernünftigen Grund.

Was ist Apologetik?

Apologetik ist eine systematisch-theologische Disziplin, die den Gläubigen dabei hilft, den in 1Petr 3,15 formulierten Auftrag in die Tat umzusetzen. Apologetik ist demnach denkerische Rechtfertigung und Verteidigung der christlichen Hoffnung.

Ihren besonderen Charakter gewinnt die Apologetik dadurch, dass sie Fragen (und Klagen) Andersdenkender aufgreift und für diese formal nachvollziehbar zu beantworten sucht. Petrus erwartet von den Christen, dass sie den Grund für ihre Hoffnung vernünftig kommunizieren können. Ein Apologet glaubt nicht nur, er kann auch erklären und begründen, warum und woran er glaubt. Ein Apologet versucht plausibel darzulegen, warum ein Christ Christ ist und Nicht-Christen Nachfolger von Jesus Christus werden sollten.

Apologetik ist keine Disziplin für Spezialisten. Bei allen denkbaren Gelegenheiten und gegenüber jedermann (vgl. 1Petr 3,15) sollen Christen zur Rechenschaftslegung bereit sein. Somit ist nicht nur die akademische Auseinandersetzung Forum für die Apologetik, sondern das gesamte Gemeindeleben einschließlich der Katechese, Verkündigung, Seelsorge oder Evangelisation.

Wir können zwischen reflektierender, defensiver und offensiver Apologetik unterscheiden. (In der Literatur findet sich manchmal die Unterscheidung zwischen negativer und positiver Apologetik. Ich ziehe defensive und offensive Apologetik dieser traditionellen Bezeichnung vor, da sprachlich präziser.)

(a) Reflektierende Apologetik. Sie richtet sich nach innen, also an die Gemeinde der Christusgläubigen. Diese Form der Apologetik liefert den Gläubigen einsichtige und prüfbare Gründe für ihren Glauben. Auch Gläubige haben Zweifel und werden durch leere und verführerische Gedankengebäude angefochten (vgl. Kol 2,8). Jesus und die Apostel haben den Gläubigen überzeugende und tragfähige Gründe für ihre Nachfolge gezeigt (vgl. z. B. Joh 20,24–31; 1Kor 15,1–11). Reflektierende Apologetik hilft dabei, Vernunftsschlüsse, die sich gegen die Erkenntnis Gottes richten, aufzudecken und alles Denken in den Gehorsam gegenüber Christus zu führen (vgl. 2Kor 10,5).

Reflektierende Apologetik klärt also Fragen des Glaubens und Unglaubens im Kreis der Kirche. Defensive und offensive Apologetik wendet sich vor allem an den Kreis der Menschen, die (noch) nicht an Jesus Christus glauben.

(b) Defensive Apologetik. Sie liefert Belege und Argumente für die Verteidigung des christlichen Glaubens gegenüber Einwänden und Angriffen. Sie reagiert auf Argumentationen, die von außen an die Kirche herangetragen werden. Einige Reden des Apostels Paulus gehören zu dieser Form der Apologetik, da er das Evangelium gegenüber Anklagen von Juden und Griechen verteidigte. Ebenso wurden viele Reden Jesu durch verbale Angriffe der Pharisäer und Schriftgelehrten provoziert (vgl. Abschnitt „Adressaten der Apologetik im Neuen Testament“). Wie wir bereits gesehen haben, sind Apologien überwiegend defensiv ausgerichtet. Theologen bemerken, dass die Gläubigen in den Gemeinden durch populäre Geistesströmungen verunsichert werden und bei ihren evangelistischen Bemühungen Überzeugungskraft verlieren. Um Zweifel auszuräumen und die Gemeinden geistlich, intellektuell und ethisch zu stärken, verteidigen sie das historische Christentum durch eigene Schriften.

(c) Offensive Apologetik. Sie präsentiert Argumente für die Wahrheit des christlichen Glaubens mit dem Ziel, die weltliche Weisheit als Torheit zu überführen (vgl. Spr 9,6; Ps 53,2; 1Kor 1,18–21). Offensive Apologetik ist also „angriffslustig“, sie attackiert die gottlosen Denksysteme und Lebensentwürfe mit der Offenbarung Gottes. Nicht-christliches Denken ist dem Wahn verfallen (Röm 1,21). Offensive Apologetik will nun dieses verfinsterte Denken aufdecken und überzeugende Denkalternativen entfalten. Apologetik in diesem Sinn zeigt, dass der Glaube an Christus wahr ist.

Der Begriff „Apologetik“ im NT

Der Begriff „Apologetik“ leitet sich vom griechischen apologia ab, das auch in 1Petr 3,15b–16, dem neutestamentlichen locus classicus der christlichen „Verteidigungswissenschaft“, zu finden ist. Wir lesen dort:

„Aber wenn ihr auch leiden solltet um der Gerechtigkeit willen, glückselig seid ihr! Fürchtet aber nicht ihren Schrecken, seid auch nicht bestürzt, sondern haltet den Herrn, den Christus, in euren Herzen heilig! Seid aber jederzeit bereit zur Verantwortung [griech. apologian] jedem gegenüber, der Rechenschaft [griech. logon] von euch über die Hoffnung in euch fordert, aber mit Sanftmut und Ehrerbietung! Und habt ein gutes Gewissen, damit die, welche euren guten Wandel in Christus verleumden, darin zuschanden werden, worin euch Übles nachgeredet wird.“

Wie hier überwiegt auch bei anderen Verwendungen des Begriffs im NT der prozessuale Anklang. Das Verb apologeomai bedeutet so viel wie „sich vor Gericht verteidigen“ (übliche dt. Übersetzungen lauten: „sich verteidigen“, „verantworten“ o. a. „Verhör“. Siehe: EWNT, S. 330). In einer klassischen gerichtlichen Verhandlung wurde der Angeklagte zuerst seiner Vergehen beschuldigt. Anschließend bekam der Beschuldigte die Gelegenheit, zu den Anklagepunkten Stellung zu nehmen. Der Versuch, die Anschuldigungen abzuweisen, wurde apologia genannt. (Von der Präposition apo mit der Bedeutung „von“ und logion mit der Bedeutung „Wort, Spruch“. Das zusammengesetzte Wort heißt also soviel wie: „wegsprechen der Anschuldigung“.)

Das älteste uns überlieferte Beispiel für eine Verteidigung diese Art ist die Rede des Sokrates (469–399 v. Chr.) vor dem Gericht in Athen im Jahre 399 v. Chr., als ihm Gotteslästerung (Einführung neuer Götter) und Verführung der athenischen Jugend vorgeworfen wurde. Da wir keine Schriften des Philosophen besitzen, kennen wir die Verteidigungsrede nur aus einem Dialog seines berühmten Schülers Platon. Der nannte die Verteidigung einfach Apologie.

Das Wort erscheint im NT als Verb oder Substantiv insgesamt 18-mal, davon 10-mal allein bei Lukas im Evangelium bzw. in der Apostelgeschichte (das Verb kommt im NT 10-mal vor (Lk 12,11; 21,14; Apg 19,33; 24,10; 25,8; 26,1f.24; Röm 2,15; 2Kor 12,19), das Substantiv 8-mal (Apg 22,1; 25,16; 1Kor 9,3; 2Kor 7,11; Phil 1,7.16; 2Tim 4,16; 1Petr 3,15)). Gegenüber Anklägern und Andersdenkenden wird der hoffnungsvolle Christusglaube gerechtfertigt. Anfeindungen oder Inhaftierung wegen des Bekenntnisses werden dabei in der Regel vorausgesetzt.

So benutzt Lukas den Begriff, um eine Verteidigungsrede des Paulus in Jerusalem wiederzugeben (Apg 21,27–28). Der Apostel wurde durch die Juden der Volksverhetzung bezichtigt. Als sie versuchten, ihn zu töten, wurde er durch die Römer festgenommen und stand damit unter ihrer Schutzmacht. Paulus bekam die Erlaubnis, Hebräisch mit dem Volk zu sprechen und rief ihnen zu: „Ihr Männer, Brüder und Väter! Hört, was ich euch zu meiner Verteidigung [griech. apologia] zu sagen habe“ (Apg 22,1).

Paulus selbst gebraucht das Wort vielförmig. In 1Kor 9,3 hält er es für angebracht, sich gegenüber seinen Kritikern als autorisierter Apostel zu verteidigen: „Meine Verteidigung [griech. apologia] vor denen, die mich kritisch überprüfen, ist diese: …“. In Röm 2 behandelt er die Ungerechtigkeit aller Menschen vor Gott. Alle Menschen sind vor dem gerechten Gott schuldig. Maßstab der Gerechtigkeit ist für die Juden unter dem Gesetz das Gesetz. Die Heiden ohne Gesetz sind sich selbst ein Gesetz, da das moralische Gesetz in ihre Herzen eingeschrieben ist und durch das Gewissen gespiegelt wird. Ihre Gedanken klagen einander an oder „verteidigen“ (griech. apologemenōn) sich (Röm 2,15).

Bisweilen erwächst aus einer ursprünglichen Verteidigungsrede Verkündigung. So schrieb Paulus am Ende seines Lebens beispielsweise in 2Tim 4,16–17 an seinen Mitarbeiter Timotheus (s. a. Apg 22,1ff; Phil 1,7):

„Bei meinem ersten Verhör [griech. apologia] stand mir niemand bei, sondern sie verließen mich alle. Es sei ihnen nicht zugerechnet. Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Botschaft ausgebreitet würde und alle Heiden sie hörten, so wurde ich erlöst aus dem Rachen des Löwen.“

In einem seiner Gefangenschaftsbriefe teilt der Apostel mit, dass er sich selbst als jemand versteht, der durch Gott zur Verteidigung des Evangeliums eingesetzt wurde (Phil 1,16):

„Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums [griech. apologian toun euiaggeliou] hier liege; …“

Es gibt neben apologia noch weitere relevante Begriffe. 10-mal finden wir das Verb dialegomai im NT, das meist so viel wie „argumentierend reden“ bedeutet. Der Evangelist benutzt den Begriff in Mk 9,34, um uns eine Debatte im Jüngerkreis darüber zu schildern, wer wohl der Größte unter ihnen sei. Von dem Apostel Paulus heißt es, dass er in Ephesus frei und offen drei Monate lang durch Unterredungen (griech. dialegomenos) die Menschen in der Synagoge „von den Dingen des Reiches Gottes zu überzeugen suchte“ (Apg 19,8 nach Schlachter). Lukas verwendet das Wort auch, um in Apg 20,7 mitzuteilen, dass Paulus in Troas am Sonntag in einer Synagoge mehrere Stunden predigte. Es ist offensichtlich eine argumentierende Verkündigung oder ein auf Gründe zurückführendes Gespräch gemeint. Schon die griechischen Logiker benutzten das Wort dialegomenos im Zusammenhang logischer Schlussverfahren.

Das Verb peithō ist 52-mal belegt und wird vorzugsweise von Lukas und Paulus benutzt. Im Passiv bedeutet es „vertrauen“ oder auch „gehorchen“. Bei aktivem Gebrauch kann es (eher negativ) mit „beschwatzen“ übersetzt werden.

Einige Verse gebrauchen das Verb allerdings im Sinne von „überzeugen“. So schreibt Lukas in Apg 18,4, dass Paulus in der Synagoge an den Sabbaten lehrte und Juden und Griechen „überzeugte“ (griech. epeiten, 3. Pers. Sing. Impf. akt. Ind.). In Apg 26,28 sagt Herodes Agrippa II. zu Paulus: „Es fehlt nicht viel, so wirst du mich noch überreden (griech. peiteis, 2. Pers. Sing. Präs. akt. Ind.) und einen Christen aus mir machen.“(Apg 26,28 ist textkritisch allerdings nicht ganz unproblematisch, da der Codex Alexandrinus peithē liest: „Du glaubst (o. denkst), Du kannst aus mir einen Christen machen.“)

Nach Apg 21,14 lies Paulus sich von Mitarbeitern und Einheimischen nicht „überreden“ (griech. peitomenou), wegen einer drohenden Gefangenschaft die Reise nach Jerusalem abzubrechen. Das Verb findet sich ebenfalls in dem bereits zitierten Vers aus Apg 19,8. Paulus versuchte in Ephesus seine Zuhörer durch „Überredungen“ (griech. dialegomenos) von den Dingen des Reiches Gottes zu „überzeugen“ (griech. peitōn).

Diese Textstellen zeigen neben vielen anderen, dass es den Aposteln bei ihren evangelistischen Bemühungen zwar nicht ausschließlich um gute Argumente ging, sie jedoch sehr an einer verständlichen und logisch nachvollziehbaren Verkündigung interessiert waren. Treffend schreibt Michael Green in seinem Klassiker Evangelisation zur Zeit der ersten Christen:

„Natürlich hat weder Paulus, noch irgend jemand sonst in der urchristlichen Mission daran gedacht, daß man durch Debatten allein Menschen ins Reich Gottes bringen könnte. Aber man wußte, daß sich dadurch Schranken niederreißen ließen, die den Menschen nicht erkennen ließen, was sich in sittlicher und persönlicher Hinsicht für ihn daraus ergab, wenn er Christus annahm oder nicht.“(M. Green, Evangelisation, 1970, S. 237)

Das Wort Gottes und die Kultur

Francis Schaeffer (Die große Anpassung, 1988, S. 75):

Oder, um es anders zu formulieren: die Kultur muß ständig aufgrund der Bibel beurteilt und nicht etwa die Bibel ständig der sie umgebenden Kultur unterworfen werden. Die frühe Kirche nahm die Bibel zum Maßstab, um damit die römischgriechische Kultur ihrer Tage zu beurteilen. Die Reformation tat dies zu ihrer Zeit in bezug auf die Ende des Mittelalters auftretende Kultur. Und wir dürfen nicht vergessen, daß all die großen Erweckungsprediger dasselbe taten, als sie die Kultur ihrer Tage beurteilten. Die christliche Kirche tat dies in jeder ihrer großen Epochen in der Geschichte.

 

Nach oben scrollen
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner