Bibelübersetzungen

„μονογενής“

Der griechische Begriff  μονογενής [monogenēs] hat es in sich. Das NT gebraucht dieses Wort zum Beispiel in Joh 3,16, wo fast alle deutschsprachigen Übersetzungen schreiben: „einzigen Sohn“. Auch die neueste Revision der English Standard Version (ESV) hat sich für „only Son“ entschieden. 

Luther 2017 übersetzt anders, nämlich: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Hier steht Luther 2017 in Kontinuität zum nizänischen Glaubensbekenntnis (325 n. Chr.), das in der deutschen Übertragen das τὸν Υἱὸν τοῦ Θεοῦ τὸν μονογενῆ [ton Hyion tou Theou ton monogenē] mit „den eingeborenen Sohn Gottes“ wiedergibt. 

Charles Lee Irons hat am 9. Mai einen lesenswerten Debattenbeitrag zur Übersetzung von μονογενής [monogenēs] veröffentlicht. Darin heißt es: 

In den letzten Jahren hat es eine Debatte darüber gegeben, wie das griechische Wort μονογενής im Neuen Testament am besten zu übersetzen ist. Dieses Wort kommt im griechischen Neuen Testament neunmal vor – fünfmal in christologischen Kontexten (alle in der johanneischen Literatur: Joh 1,14.18; 3,16.18; 1 Joh 4,9) und viermal in nicht-christologischen Kontexten (Lk 7,12; 8,42; 9,38; Hebr 11,17). In den nicht-christlichen Kontexten bezieht es sich auf ein gewöhnliches „einziges Kind“ oder einen „einzigen Sohn“ und beinhaltet nicht notwendigerweise eine Vorstellung wie den Akt des Vaters, ein Kind zu zeugen oder ein Kind zu zeugen. In Lukas 9,38 lesen wir zum Beispiel, dass ein Mann aus der Menge Jesus zurief: „Lehrer, ich bitte dich, sieh dir meinen Sohn an, denn er ist mein einziges Kind“. Es wäre durchaus vernünftig, μονογενής in diesen nicht-christologischen Fällen als „einziger Sohn“ oder „einziges Kind“ wiederzugeben (wie es die ESV und NIV tun), und es gibt keinen zwingenden kontextuellen Grund, hier das schwerfällige Wort „gezeugt“ zu verwenden.

Die christologische Verwendung des Wortes im Evangelium und im Ersten Johannesbrief ist jedoch umstritten. Das bekannteste Beispiel ist Johannes 3,16, das viele von uns nach der King James Version im Gedächtnis haben: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“ Hier haben wir eine lebhaftere Debatte. Bei der christologischen Verwendung des Wortes steht viel mehr auf dem Spiel, denn jetzt kommen wir in den Bereich der Christologie und der trinitarischen Theologie. 

In dieser Debatte zeichnen sich drei Hauptansätze ab. Der erste Ansatz besteht darin, der traditionellen Übersetzung von William Tyndale und der King James Version zu folgen und zumindest in den fünf johanneischen Begebenheiten die Wiedergabe „eingeboren“ anzunehmen. Zugegebenermaßen ist diese Übersetzung eine gewisse Herausforderung für moderne Leser, für die das Wort „gezeugt“ archaisch ist und keine klare Bedeutung hat. Aber sie hat den Vorteil, dass sie mit dem nizänischen Glauben und der historischen Tyndale-King James-Tradition der englischen Bibel übereinstimmt. Nur eine Handvoll moderner Gelehrter verteidigt „only begotten“.

Der zweite Ansatz behauptet, dass μονογενής „einzigartig“ bedeutet. Die Befürworter dieses Ansatzes lehnen die traditionelle Wiedergabe als einen Fall von kirchlichem Dogma ab, das in ein griechisches Wort hineingelesen wird. Soweit ich weiß, war B. F. Westcott einer der ersten Gelehrten, der den Begriff „eingeboren“ in der johanneischen Literatur in seinen Kommentaren zum Johannesevangelium und den Johannesbriefen in Frage stellte. Seinem Ansatz folgten Ferdinand Kattenbusch, Moulton und Milligan, Francis Marion Warden, Dale Moody, Joseph Fitzmyer und viele andere. Es war die Mehrheitsmeinung unter evangelikalen Bibelwissenschaftlern während des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts und ist es bis heute. Ich nenne diese Ansicht die „revisionistische“ Ansicht. 

Eine dritte Möglichkeit, die sich in letzter Zeit herausgebildet hat, besteht darin, meiner Kritik an „einzigartig“ zuzustimmen, aber nicht davon überzeugt zu sein, dass „eingeboren“ richtig ist. Diejenigen, die sich für die dritte Option entscheiden, stimmen mit meiner Kritik an den Revisionisten überein, d. h. sie stimmen zu, dass μονογενής im Neuen Testament (sowohl in den christologischen als auch in den nicht-christologischen Passagen) nicht „einzigartig“ bedeutet. Der Grund dafür ist, dass das Neue Testament das Wort nur in familiären Kontexten verwendet, in Bezug auf einen menschlichen Vater, der einen einzigen Sohn hat. In den christologischen Zusammenhängen, in Analogie zu einem menschlichen Vater, der einen einzigen Sohn hat, hat auch Gott „seinen einzigen Sohn“. Die Befürworter der dritten Option argumentieren jedoch, dass es zu weit ginge, den dogmatischen Begriff „gezeugt“ einzufügen. Diese Gelehrten schlagen vor, dass wir einfach dem nicht-christlichen Sprachgebrauch im Lukasevangelium folgen und die Formulierung „einziger Sohn“ annehmen sollten. Damit wird zwar die dem Wort innewohnende Idee der Sohnschaft erfasst, nicht aber die Idee der Zeugung. Dieser weitere Gedanke der Zeugung stammt aus der lateinischen Übersetzung unigenitus, nicht aus dem griechischen Wort μονογενής, das einfach „einziges Kind, d. h. ohne Geschwister“ bedeutet. Dieser Ansatz wird von Dr. Seumas MacDonald vertreten, einem Griechischlehrer und Patristik-Experten, der wissenschaftliche Artikel im Blog The Patrologist verfasst. Es scheint auch der Ansatz zu sein, den das ESV Translation Oversight Committee kürzlich in der Aktualisierung 2025 verfolgt hat.

Mehr hier: bulletin.kenwoodinstitute.org.

Generation Woke: Queere Bibel

Die Aktivisten der Woke-Kultur sind besonders „wach“, was die Inhalte und Botschaften von Vorträgen, Büchern oder Filmen anbetrifft. Frühere moralische Bewegungen wandten sich gegen Verletzungen von Bürger- oder Frauenrechten und alles, was den Weltfrieden gefährdet. Sie haben sich mit der Politik und Gesetzen befasst. Die Woken sind basisorientiert. Susanne Keuchel schreibt in Politik & Kultur über ihre Anliegen (S. 15):

Die Kritik der Woke-Aktivisten vollzieht sich dagegen „bottom-up“. Kritisiert wird „unkorrektes“ Verhalten innerhalb des sozialen Umfelds, aber auch bezogen auf Buch- oder Filminhalte. Ihr Anspruch besteht darin, Gesellschaft von innen heraus zu verändern. Das Bereinigen von überlieferter Literatur gehört zu den Aufgaben der Generation „Woke“. Romane und Erzählungen werden daraufhin abgeklopft, ob sie dem Mainstream der Gegenwart entsprechen. Falls nicht, werden sie verbannt, geschönt oder zumindest durch erklärende Anmerkungen ergänzt. 

So ist es alles andere als überraschend, dass postmoderne Bibelausgaben darum bemüht sind, Textstellen zu ergänzen, die feministischen oder queeren Lesarten im Weg stehen. Mentari Baumann und Meinrad Furrer arbeiten an so einem Update für die Heilige Schrift. Die Bibel soll der queeren Community zugänglich gemacht werden. Um das Ziel zu erreichen, werden vermeintlich queerfreundliche Bibelstellen hervorgehoben und queerfeindliche Texte um neu geschaffene Textschichten erweitert. Ausgangspunkt ist die Zürcher Bibelübersetzung.

Der SRF berichtet: 

„Jetzt schreibe ich Paulus einen Brief und erkläre ihm, was ich an seinen Gedanken spannend finde und was aus heutiger Sicht problematisch ist. Ich erzähle ihm, was sein Text für eine Wirkungsgeschichte hatte und wie wir das heute lesen“, sagt Furrer. Dieser literarische Antwortbrief liegt dann auf einem gesonderten Blatt der entsprechenden Stelle in der Zürcher Bibel bei. Meinrad Furrer will zudem vermeintlich queerfreundliche Stellen hervorheben, etwa in der Josefsgeschichte. Dort heisst es, dass Josef von seinem Vater ein Gewand erhält, das an anderen Stellen als Prinzessinnenkleid bezeichnet wird. Furrer macht daraus eine Geschichte über einen begabten, hypersensiblen jungen Mann und wie er damit in seiner Familie umgeht. Er stellt die Frage, was eine queere Identität damit zu tun haben könnte. Es sind Erweiterungen wie diese, die in der Luzerner Bibel enthalten sind.

Und dann gibt es einige Textstellen in der Bibel, die gar keine Sexualität enthalten, die man aber queer denken könnte. So gibt es Passagen, die aussagen: So wie ich gemacht bin, bin ich gut. „Es gibt viele solcher inspirierenden Stellen, und wir heben diese hervor“, betont Meinrad Furrer.

Die Frage, ob es sinnvoll ist, die Heilige Schrift an den Zeitgeist anzupassen, wird von den Aktivisten wie folgt beantwortet: „Die biblischen Bücher sind in einem sehr langen Prozess von Neudeutungen entstanden. Das kann die Forschung belegen“, erklärt Furrer: „Es ist vollkommen natürlich, die Bibel weiterzuschreiben und neues Wissen in die alten Texte miteinfliessen zu lassen.“

Das ist natürlich Quatsch. Ich vermute alleredings, im nächsten Schritt wird ergänzend zur geschlechtergerechten Bibel direkt in die Texte eingegriffen und eine „Queere Bibel“ herausgegeben. Wohl dem, der dann noch nach der zutreffenden Übersetzung fragt und vergleichen oder übersetzen kann. Dass die queeren Deutungen mit einer gründlichen Exegese der Bibel nichts zu tun haben, zeige ich übrigens in dem Artikel „Hermeneutisches Cruising“

Mehr: www.srf.ch.

VD: AS

Logos: Zürcher Bibel mit Interlineardatensatz

Zürcher Plus InterlinearDie Zürcher Bibel möchte einen möglichst unverstellten Zugang zu den biblischen Texten eröffnen. Es gehört zu ihrer Tradition, dass die Übersetzung so wenig wie möglich interpretiert und in Bezug auf Erläuterungen und Kommentare zurückhaltend ist. Das macht sie zu einer der großen deutschsprachigen Bibelausgaben. 

Endlich gibt es die Zürcher Bibel unter der Bibel-Software Logos mit Interlineardatensatz. Damit wird die Textausgabe unmittelbar mit dem hebräischen und griechischen Grundtext verknüpft. Auf diese Weise können Entscheidungen der Übersetzer auf einen Blick nachvollzogen und mit den leistungsstarken exegetischen Werkzeugen wichtige Erkenntnisse über den Bibeltext gewonnen werden. Sehr gut! 

Hier: www.logos.com.

Bullinger: Wortlaut der Vulgata muss an Ursprachen geprüft werden

Das Konzil von Trient stellte 1546 im sogenannten Dekret über die Vulgata-Ausgabe der Bibel klar, dass die lateinische Übersetzung als authentisch zu gelten hat. Wörtlich heißt es in dem Erlaß (DH, 1506–1507):

Erwägend, daß der Kirche Gottes nicht wenig an Nutzen zuteil werden könne, wenn bekannt wird, welche von allen lateinischen Ausgaben, die von den heiligen Büchern im Umlauf sind, für authentisch zu halten ist, beschließt und erklärt dasselbe hochheilige Konzil überdies, daß diese alte Vulgata-Ausgabe, die durch den langen Gebrauch so vieler Jahrhunderte in der Kirche anerkannt ist, bei öffentlichen Lesungen, Disputationen, Predigten und Auslegungen als authentisch gelten soll, und daß niemand wagen oder sich unterstehen soll, diese unter irgendeinem Vorwand zu verwerfen. Außerdem beschließt es, um leichtfertige Geister zu zügeln, daß niemand wagen soll, auf eigene Klugheit gestützt in Fragen des Glaubens und der Sitten, soweit sie zum Gebäude christlicher Lehre gehören, die heilige Schrift nach den eigenen Ansichten zu verdrehen und diese selbe heilige Schrift gegen jenen Sinn, den die heilige Mutter Kirche festgehalten hat und festhält, deren Aufgabe es ist, über den wahren Sinn und die Auslegung der heiligen Schriften zu urteilen, oder auch gegen die einmütige Übereinstimmung der Väter auszulegen, auch wenn diese Auslegungen zu gar keiner Zeit für die Veröffentlichung bestimmt sein sollten.

Der Reformator Heinrich Bullinger hat in seiner Fünften Dekade gezeigt, dass Augustinus anderer Auffassung gewesen ist. Der Kirchenvater bestand darauf, die Vulgata in Zweifelsfällen an den Ursprachen zu überprüfen. Der Antistes der Zürcher reformierten Kirche vertrat insgesamt eine ausgewogene Position. Die Vulgata ist seiner Meinung nach hilfreich. Aber „wir alle fordern dazu auf, an zweifelhaften, umstrittenen, unklar übersetzten oder verfälschten Stellen auf griechische oder hebräische Quellen zurückzugehen. Authentisch ist nämlich das Buch, das hebräisch und griechisch abgefasst ist, schrieben doch weder die Propheten noch die Apostel lateinisch, sondern die Apostel griechisch und die Propheten hebräisch.“

Hier das Zitat im Zusammenhang (Schriften, Bd. V, 2006, S. 20–22):

Was ferner die allgemein verbreitete lateinische Übersetzung der Bibel betrifft, so verdammt oder verwirft sie kein vernünftiger Mensch schlechthin. Aber wir alle fordern dazu auf, an zweifelhaften, umstrittenen, unklar übersetzten oder verfälschten Stellen auf griechische oder hebräische Quellen zurückzugehen. Authentisch ist nämlich das Buch, das hebräisch und griechisch abgefasst ist, schrieben doch weder die Propheten noch die Apostel lateinisch, sondern die Apostel griechisch und die Propheten hebräisch. Wir verlangen hier nichts Ungehöriges und nichts, was die Papisten früher nicht selbst erlaubt hätten. So ist im Decretum Gratani, Distinktion 9, folgende Bestimmung zu lesen: »Der zuverlässige Wortlaut der altestamentarischen Bücher muss anhand der hebräischen Schriften überprüft werden, ebenso verlangt der zuverlässige Wortlaut der neutestamentarischen Bibel, dass man sich nach der griechischen Fassung richtet.«

Das sind übrigens Worte, die einem Brief des heiligen Augustin an den heiligen Hieronymus entnommen sind. Augustin schreibt ferner im elften Buch seiner Abhandlung gegen den Manichäer Faustus, Kapitel 2: »Sollte es eine Frage geben bezüglich der Glaubwürdigkeit der einzelnen Handschriften – wie denn in einigen Fällen Unterschiede im Wortlaut der Sätze bestehen, die allerdings selten sind und denen bekannt, die sich dem Studium der Heiligen Schrift widmen –, so muss unser Zweifel entweder durch Abschriften aus den Gebieten ausgeräumt werden, aus denen unsere Lehre selbst herstammt, oder, falls sich auch dort die Handschriften voneinander unterscheiden sollten, die häufiger überlieferte der seltener überlieferten und die ältere der jüngeren Fassung vorgezogen werden. Sollte dann noch immer ein Unterschied im Wortlaut bestehen bleiben, so muss die ältere Sprache, aus welcher der Text übersetzt worden ist, zu Rate gezogen werden.« Ebenso schreibt er im zweiten Buch seines Werks über die christliche Lehre, Kapitel 11: »Die Menschen lateinischer Zunge bedürfen zweier weiterer Sprachen zum Verständnis der Heiligen Schrift, der hebräischen und der griechischen, damit sie auf die älteren Textfassungen zurückgreifen können, wenn die lateinische Übersetzung irgendeinen Zweifel aufkommen lässt.« Und weiter: »Die, welche die Heilige Schrift aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt haben, können einzeln aufgezählt werden, nicht aber die, welche sie ins Lateinische übersetzt haben. Denn wer auch immer in der Frühzeit unseres Glaubens eine griechische Handschrift in die Hände bekam und von sich glaubte, er habe ein wenig Talent in diesen beiden Sprachen, der wagte es, eine lateinische Übersetzung anzufertigen.« Ebenfalls im zweiten Buch, Kapitel 12, wo er über die Verschiedenheit der Übersetzungen spricht, bemerkt er noch: »Dies hat das Verständnis mehr gefördert als gehemmt, solange nur die Leser nicht nachlässig sind. Denn mit der prüfenden Durchsicht mehrerer Handschriften hat sich manch dunkle Stelle klären lassen.« Wenn nun die Väter des Konzils von Trient dies alles mit einem Dekret in Abrede stellen und uns gegen jede Vernunft die lateinische Übersetzung als die authentische Fassung aufdrängen, ohne das Alter der Übersetzungen und die Ansicht der Väter zu berücksichtigen, sehen wir wiederum ganz deutlich, wenn wir nicht mit Blindheit geschlagen sind, was wir von ihnen zu erwarten haben.

Basisbibel hat „theonome Dimension“ gelöscht

Hannah Bethke hat in ihrem Artikel „Entmündigung ist kein Seelentrost“ die sogenannte Basisbibel scharf kritisiert und dabei meines Erachtens ein wenig übertrieben (FAZ, 02.02.2021, Nr. 27, S. 9, vgl. auch den Beitrag: Die „Basisbibel“ ist da). Die Richtung ihrer Rezension stimmt aber. Es kann nicht sein, dass den Bibeltexten möglichst viele Anstöße genommen werden. Manche Anstöße muss man den Lesern zumuten, da nur auf diese Weist der Ursprungstext treu wiedergegeben wird und das Denken der Leser hinterfragt werden kann.

Bethke schreibt:

Es ist ja ehren wert, junge Generationen zum Lesen der Bibel und überhaupt von Büchern bringen zu wollen. Die Frage ist nur, ob das gelingen kann, wenn die Sprache so sehr verein facht wird, dass sie ihren Charakter verliert und mitunter sogar etwas ganz anderes aussagt. Warum sollte junge Leser das mehr reizen, als sich auf einen geheimnisvollen Text einzulassen, der viel leicht nicht immer gleich beim ersten Lesen verständlich ist, aber von einer anderen Zeit erzählt, und zwar gerade nicht durch den Filter heutiger Sprachgewohnheiten, sondern unvermittelt eigentümlich? Warum sollten junge oder neue Leser keine Freude daran haben, über einen Satz nach zu denken, der schwer zu verstehen ist, aber gerade durch die Tiefe der Reflexion zu neuen Erkenntnissen führt?

Als „Erstbegegnung“ mit dem Text, wie die EKD sie empfiehlt, eignet sich die Basisbibel gerade nicht. Man nimmt den Lesern des digitalen Medienzeitalters, die hier angesprochen werden sollen, die Möglichkeit einer tief wirken den, ungefilterten Lektüre, wenn man ihnen sofort die vereinfachte Variante vorsetzt. Man unter stellt ihnen nicht nur Bildungsferne, sondern auch Desinteresse am vertieften Lesen. Mehr noch: Man entmündigt sie, wenn sie schon, noch ehe sie es versucht haben, von allen Schwierigkeiten des Denkens befreit werden sollen.

Der Religionspädagoge Prof Dr. Bernd Beuscher hat dann in einem Leserbrief noch eine Schippe draufgelegt (FAZ, 05.02.2021, Nr. 30, S. 18). Obwohl ich seine Bedenken ebenfalls nicht völlig teile, liegt er meiner Auffassung nach richtig, wenn er darauf verweist, dass bei einer Übersetzung eben nicht alles der Zielkultur „unterworfen“ werden darf.

Beuscher sagt:

Jesus und Luther haben sich also nicht dem Zeitgeist und den sprachlichen Gepflogenheiten angepasst, sondern Tacheles geredet. Sprache ist ein bildgebendes Verfahren. Das Leben erzählt seine Geschichten. Bibelgeschichten sind Lebensgeschichten. Lebensgeschichten sind Glaubensgeschichten. Es geht beim „Dolmetschen“ der Bibel darum, das Hebräisch-Existentielle und Griechisch-Existentielle ins Deutsch-Existentielle oder in existentielles Deutsch zu übersetzen. Luther hat die Krisenfrage, was im Leben zählt, existentiell so klar und von allem Klerikalen entschlackt formuliert, dass er die Menschen ins Herz traf.

Die Basisbibel hat die theonome Dimension gelöscht. So ist aus einer „Theologie des Wortes“ eine „Theologie der richtigen Wörter“ geworden. Sie ist moralischer Kitsch, der das Märchen von der Selbstgerechtigkeit erzählt. Dann wird aus dem Nächsten der Mitmensch, aus Auferstehung die Auferweckung und aus Barmherzigkeit Mitleid. Wer mit der Basisbibel die Erstbegegnung mit dem Christentum hat, bekommt den Eindruck, Kirche sei Humanismus mit frommem Flair und konfessorischem Touch. Aus dem „fleischgewordenen Wort“ (Johannes 1) ist „wortgewordenes Fleisch“ geworden.

Die „Basisbibel“ ist da

Die sogenannte BasisBibel ist nun als vollständige Ausgabe mit Altem und Neuem Testament erhältlich. Die Deutsche Bibelgesellschaft wollte eine zeitgemäße Übersetzung herausgeben, bei der die Lesegewohnheiten im digitalen Zeitalter berücksichtigt werden. Die Sätze sind kurz und prägnant formuliert, jedenfalls meistens. Vierzig Übersetzer haben laut Bibelgesellschaft siebzehn Jahre an dieser Ausgabe gearbeitet.

Hier ein ganz hilfreicher DLF-Beitrag zur Basisbibel:

Ich bin gespannt, wie die Arbeit der Herausgeber kommentiert wird. Wer einmal eine fundierte, kritische Auseinandersetzung mit der sogenannten „dynamisch-äquivalenten“ Übersetzung der Bibel lesen möchte, sollte sich unbedingt Stefan Felbers Studie Kommunikative Bibelübersetzung anschauen.

Lutherbibel 2017: Was ist von der neuesten Revision zu halten?

Gottfried Herrmann hat in der Zeitschrift Theologische Handreichung und Information (35. Jg, August 2017, Nr. 3, S. 13–34) die Lutherbibel 2017 unter die Lupe genommen.

Nach dem Erscheinen der Lutherbibel 2017 im Herbst 2016 bekam ich in unserer christlichen Buchhandlung öfters von älteren Kunden zu hören: „Es soll da eine neue Bibel geben. Haben Sie diese?“ Sie waren durch den Medienrummel auf die LB 2017 aufmerksam geworden. Und wenn der Kunde die „neue Bibel“ dann in der Hand hielt, kam die Frage: „Muss ich die haben?“ Meine Antwort war (nach allem im Vorhergehenden Beobachteten): „Nein, sie können auch mit ihrer bisherigen Lutherbibel leben und selig werden.“

Fazit: Wenig sinnvolle Verbesserungen, viele unnötige Änderungen, die zur Verunsicherung der Bibelleser beitragen!

Hier: 2017/09/2017_THI_Heft_3.pdf.

ESV wird nicht mehr revidiert

EsvstudybibleDer Verlag Crossway hat bekannt gegeben, dass der Text der beliebten englischsprachigen Bibelübersetzung ESV nach der diesjährigen Revision (es wurden 52 Worte geändert) nicht mehr bearbeitet werden soll. Der Text bleibt ab jetzt also stabil. In der Mitteilung des Herausgebers heißt es:

Beginning in the summer of 2016, the text of the ESV Bible will remain unchanged in all future editions printed and published by Crossway—in much the same way that the King James Version (KJV) has remained unchanged ever since the final KJV text was established almost 250 years ago (in 1769). This decision was made unanimously by the Crossway Board of Directors and the ESV Translation Oversight Committee. All future Crossway editions of the ESV, therefore, will contain the Permanent Text of the ESV Bible—unchanged throughout the life of the copyright, in perpetuity.

Hier die vollständige Pressemitteilung des Verlags: www.esv.org.

Das rätselhafte ἐπιβαλὼν

Dreimal verleugnete Petrus seinen Herrn, wie es Jesus selbst ihm angekündigt hatte. Im Markusevangelium wird uns diese Begebenheit im 14. Kapitel, in den Versen 66–72 berichtet. Am Ende des Berichtes, in Vers 72, bricht Petrus in Tränen aus. Doch was geschieht in diesem 72. Vers wirklich?

Die gängigsten deutschen Übersetzungen zeigen mit ihrer unterschiedlichen Wiedergabe des griechischen Textes, dass hier eine gewisse Schwierigkeit beim Erfassen des Wortlautes besteht.

So übersetzt Luther schlicht: „Und er fing an zu weinen.“ Ganz ähnlich übersetzen die Einheitsübersetzung und die Gute Nachricht Bibel. In der Schlachter-Übersetzung (1951) lautet der letzte Satz von Vers 72: „Und er verhüllte sich und weinte.“ In der Neuen Genfer Übersetzung heißt es dann wieder einfach: „Und er brach in Tränen aus.“ Hermann Menge übersetzt hingegen: „Als er daran dachte, brach er in Tränen aus.“

Die Schwierigkeit besteht hier in der Wiedergabe des griechischen Wortes ἐπιβαλὼν, dass in der Regel die Bedeutung auflegen, anlegen, werfen auf, überwerfen oder sich werfen auf, zufallen, zukommen hat. Doch so recht passen will in Mk 14,72 keine dieser Möglichkeiten. Daher gehen vier der sechs oben erwähnten Übersetzungen der Wiedergabe dieses Wortes ganz dezent aus dem Wege, indem sie es einfach beiseitelassen, während es die beiden anderen, nämlich Schlachter und Menge, ganz unterschiedlich wiedergeben.

Unter dem Titel „Das rätselhafte ἐπιβαλὼν“ hat der Marburger Altphilologe Dr. Erich Seitz sich dem Problem gewidmet und eine, wie ich finde, sehr beachtenswerte Antwort erarbeitet. Sein Beitrag ist in „Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt“ (Serie A, Band 27, 1999) erschienen und kann hier als PDF heruntergeladen werden: www.kidoks.bsz-bw.de

Dies ist ein Gastbeitrag von Johannes Otto.

Das NT in eigener Sprache

Im zentralen Bergland von West-Neuguinea leben die Kimyals. Dieser Stamm wurde in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Evangelium erreicht. Ein faszinierender Videomitschnitt dokumentiert, wie die Kimyals die Schriften des Neuen Testaments in ihrer eigenen Sprache erhalten und zur Ehre Gottes ein großes Fest feiern.

Wir finden hier die Wertschätzung für Gottes Wort, die im Land der Reformation nur noch selten anzutreffen ist.

VD: JT

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