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EKD beschließt Absage an die Judenmission

Dürfen Christen unter Juden missionieren?  Das Das Zentralkomitee der Katholiken hat sich dagegen ausgesprochen. Auch der Vatikan hat ein Dokument herausgebracht, in dem die katholische Kirche ausdrücklich auf jeden Versuch, Juden zum Christentum zu bekehren, verzichtet. Es heißt dort z.B.: „Aus dem christlichen Bekenntnis, dass es nur einen Heilsweg geben kann, folgt aber in keiner Weise, dass die Juden von Gottes Heil ausgeschlossen wären, weil sie nicht an Jesus Christus als den Messias Israels und den Sohn Gottes glauben.“ Pater Norbert Hofmann erläuterte das Dokument mit den Worten: „Dieses Dokument bringt insofern auch neue Perspektiven, als es sagt: Die Juden sind gerettet, ohne an Jesus Christus als den Sohn Gottes und den Messias Israels zu glauben. Und das liegt im Heilsratschluss Gottes, das zu bewerkstelligen“ (vgl. hier).

Am 9. November hat die EKD-Synode nachgezogen und auf dem Weg zum Reformationsjubiläum beschlossen, Juden nicht mehr zu missionieren. In einer Pressemitteilung heißt es:

Am heutigen 9. November hat sich die EKD-Synode einstimmig gegen die Missionierung von Juden ausgesprochen. Damit knüpft sie an die Erklärung zu Luthers Antijudaismus aus dem vergangenen Jahr an, in der sie sich von Luthers Schmähungen gegenüber den Juden distanziert hatte.

„Wir bekräftigen: Die Erwählung der Kirche ist nicht an die Stelle der Erwählung des Volkes Israel getreten. Gott steht in Treue zu seinem Volk“, heißt es in der heute verabschiedeten Erklärung. „Christen sind – ungeachtet ihrer Sendung in die Welt – nicht berufen, Israel den Weg zu Gott und seinem Heil zu weisen. Alle Bemühungen, Juden zum Religionswechsel zu bewegen, widersprechen dem Bekenntnis zur Treue Gottes und der Erwählung Israels.“

„Mit der heutigen Kundgebung gehen wir einen weiteren Schritt auf dem Weg der Einkehr und Umkehr in unserem Verhältnis zu den Juden“, erläuterte die Präses der Synode der EKD, Irmgard Schwaetzer. „Sie ist ein wichtiger Beitrag dafür, dass die Geste der Schuldanerkennung und Verantwortungsübernahme gegenüber unseren jüdischen Geschwistern Substanz hat, die für die Eröffnungsveranstaltung der Woche der Brüderlichkeit 2017 in Frankfurt geplant ist.“

Die heutige „Erklärung zu Christen und Juden als Zeugen der Treue Gottes“ zeichnet einen Weg nach, der mit der Synode 1950 in Berlin-Weißensee begann. Diese hatte die theologische Einsicht in die bleibende Erwählung Israels festgehalten.

EKD-Vizepräses Klaus Eberl stellte auf der Synode den Entwurf der „Erklärung zu Christen und Juden als Zeugen der Treue Gottes“ vor und geht auf ihren Entstehungsprozess ein.

Die „Erklärung zu Christen und Juden als Zeugen der Treue Gottes“ gibt es hier. Einblicke in die theologische Begründung und in die geführte Diskussion sind auf der Internetseite  www.evangelisch.de zu finden. Waldemar hat einige Bibelstellen aufgeführt, die zeigen, dass der Apostel Paulus in die Synagogen gegangen ist, um seinen jüdischen Geschwistern das Evangelium zu verkündigen: www.jesus24.de. Eine überwiegend positive Deutung der Erklärung durch den Pietisten Steffen Kern wurde bei PRO veröffentlicht: www.pro-medienmagazin.de.

Die Schwärmintelligenz der Protestanten

Das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD hat durch eine Umfrage ermittelt, wofür das Herz der Evangelischen Kirche auf EU-Ebende schlagen soll: sozialer Ausgleich, Gespräch zwischen den Religionen und eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen sind die gewünschten Hauptanliegen.

Reinhard Bingener beobachtet für die FAZ die EKD-Synode in Magdeburg, die sich dort dem Kampf für mehr Solidarität in Europa verschreibt. Gestern hat er für die Zeitschrift einen ersten klugen Artikel unter der Überschrift „Schwärmintelligenz der Protestanten“ veröffentlicht. Er berichtet nicht nur darüber, dass ein Antrag zur Abstimmung kommt, in dem über die Kürzung der bisherigen Zuschüsse für IDEA entschieden werden soll (FAZ vom 07.11.2016, Nr. 260 S. 6):

Bisher erhält das evangelikale Medium, das die Verlautbarungen der EKD schon lange kritisch bis äußerst kritisch begleitet, jährlich etwa 130 000 Euro von dieser. Manchen Synodalen sehen mit der Positionierung des Magazins in der Islam-Debatte inzwischen jedoch Grenzen überschritten. Das Medium nehme inzwischen eine Scharnierfunktion zwischen Rechtspopulisten und Evangelikalen ein, kritisieren sie.

Er berichtet auch, wie intensiv auf der Synode darüber diskutiert wird, wie sich die Kirche in Zukunft gegenüber Menschen verhalten soll, die AfD-Positionen vertreten oder gar der Partei angehören. Ausschließen möchte man sie vorerst nicht.

Eine Studie über Ressentiments in drei unterschiedlichen Kirchengemeinden habe überdies ans Licht gebracht, dass es sehr unterschiedliche Vorstellungen von Toleranz in den Gemeinden gebe und es sein könne, dass die Intoleranten mehr zu tragen bereit sind als diejenigen, die sich Toleranz groß auf die Fahnen schreiben:

Dass der Kirche der Blick allein auf Parteibücher nicht reichen dürfte, verdeutlicht auch eine kleine, qualitative Studie über Ressentiments in drei unterschiedlichen Kirchengemeinden. Über die Ergebnisse soll auf der Synode debattiert werden. Denn in der untersuchten Dorfgemeinde sind den Forschern Ressentiments gegenüber Homosexuellen oder dem Islam begegnet. Allerdings attestieren die Untersucher der Dorfgemeinde gleichzeitig ein „überraschend großes Verständnis für abweichende Positionen“. Die Studie bringt dies auf die Formel „tolerante Kultur der Intoleranz“. In der Großstadtgemeinde hingegen waren die Ansichten über Islam und Homosexualität im Kirchenvorstand pro- nonciert weltoffen. Jedoch würden dort abweichende Meinungen ausgegrenzt, stellt die Studie fest. Nach außen stehe diese Gemeinde für Pluralismus, nach innen sei sie jedoch homogen und konfliktlos. Die Autoren sprechen hier von einer „intoleranten Kultur der Toleranz“.

Ev. Kirche gegen „Marsch für das Leben“

Wer meint, die Evangelische Kirche in Deutschland sei für alles offen, ist nicht ganz dicht. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz distanziert sich nicht nur vom „Marsch für das Leben“, sondern problematisiert einen derartigen öffentlichen Einsatz für das Lebensrecht an sich: „Wir sehen es als höchst problematisch an, die ausgesprochen sensiblen und komplexen Themen menschlicher Existenz – wie zum Beispiel einen Schwangerschaftsabbruch oder die Präimplantationsdiagnostik –  zum Gegenstand einer Aktion mit dem Namen „Marsch für das Leben“ zu machen“, meint die Vorsitzende des Domkirchenkollegiums, Dr. Irmgard Schwaetzer. Schon 2014 riet die Kirchenleitung Gemeinden von einer Beteiligung am „Marsch für das Leben“ ab, da der Veranstalter des Schweigemarsches seine Positionen in einer „aggressiven Art und Weise“ vertrete.

Wer einmal an dieser Demo teilgenommen hat, dürfte wissen, von welchen Gruppierungen die Aggressionen ausgehen. Auch in diesem Jahr wird wieder kräftig Stimmung gemacht und eine Blockade des friedlichen Schweigemarsches angekündigt:

Für den 17. September 2016 mobilisiert der Bundesverband Lebensrecht (BVL) zu einem „Marsch für das Leben“ in Berlin. Der “Marsch”, der bereits seit 2002 in Berlin stattfindet, ist einer der wichtigsten öffentlichen Auftritte der selbsternannten „LebensschützerInnen“ (1), bei dem sie sich für ein generelles Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen sowie ein christlich-fundamentalistisches Weltbild zelebrieren. Letzteres beruht auf der patriarchal-bürgerlichen Kleinfamilie, Zweigeschlechtlichkeit, einer strengen Sexualmoral und der Ablehnung von Trans*identitäten, Inter*geschlechtlichkeit und Homosexualität.

Beim dem „Marsch für das Leben“ handelt es sich um einen Schweigemarsch, bei dem die Teilnehmenden um abgetriebene Embryonen trauern, die sie als getötete Kinder verklären.Derzeit schließen sich konservative, christlich-fundamentalistische, reaktionäre, rechte und faschistische Kräfte vermehrt zusammen. Dabei dient auch der Antifeminismus als ein verbindendes Thema, über das breite Bündnisse geschlossen werden können. Dementsprechend finden sich unter den TeilnehmerInnen der jährlich stattfindenden “Schweigemärsche” PolitikerInnen der CDU/CSU und AfD, VerschwörungstheoretikerInnen, “LebensschützerInnen” und AkteurInnen der neuen und extremen Rechten. Im letzten Jahr folgten dem Aufruf des BVL ca. 5000 Menschen.

Auch vor dem Hintergrund der Wahlen für das Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September wollen wir in diesem Jahr die Abtreibungs-GegnerInnen nicht ungestört ihre antifeministischen und reaktionären Positionen verbreiten lassen! Wir werden am 17. September für körperliche Selbstbestimmung und eine solidarische Gesellschaft demonstrieren und anschließend den „Marsch für das Leben“ blockieren!

Hartmut Steeb hat hervorragend gekontert:

„Entsetzt“ über die kirchlichen Äußerungen zeigte sich der Vorsitzende des Treffens Christlicher Lebensrecht-Gruppen, Hartmut Steeb (Stuttgart). Die Kirche liefere nicht „ein biblisches Argument, warum der Marsch für das Leben falsch sein soll“, sagte er der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Das menschliche Leben stehe von Anfang an unter dem Schutz Gottes. Deshalb könne eine Kirche, die sich diesem Auftrag verpflichtet sehe, nicht für eine ergebnisoffene Schwangerschaftskonfliktberatung eintreten, sondern nur für ein klares Ja zum Kind. Steeb wies ferner den Vorwurf zurück, dass der Bundesverband Lebensrecht seine Positionen aggressiv vertrete. Aggressionen gingen vielmehr von Gegendemonstranten aus, die den Marsch für das Leben jedes Jahr massiv störten, etwa durch Blockadeaktionen.

Bis es keinem mehr weh tut

Die Theologin Dorothea Wendebourg wirft der Evangelischen Kirche vor, falsche Schlüsse aus Luthers Antijudaismus zu ziehen. Statt Unterschiede zum Judentum zu ertragen, weiche die EKD ihre Lehren auf. Wendebourg, stellvertretende Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats für das Reformationsjubiläum, schreibt in einem Beitrag für die Zeitschrift Zeitzeichen: „So soll ausgerechnet das 500-jährige Jubiläum der Reformation an allen Fronten zur großen Feier ihrer theologischen Harmlosigkeit werden.“

Diese Frage besteht aus einem langen Satz. Wie man sich denn nach Jahrhunderten der Juden-Unterdrückung und nach dem Holocaust jubelnd auf Luthers Überzeugung von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen könne – obwohl doch Luthers Judenhass genau darin seinen Grund hatte, dass die Juden diesen Messias-Glauben an Jesus nicht teilen.

Nun die dritte Möglichkeit. Wenn die Familie das kontaminierte Erbe schon nicht loswird – und es demnächst ja auch groß feiern will –, dann baut sie das Erbe so lange um, bis es keinem mehr wehtut. Bezogen auf Luther: Wenn dessen Christus- und Rechtfertigungsglaube die Gefahr der Judenfeindlichkeit impliziert, dann muss man jenen reformatorischen Glauben so abändern, dass es keine Gegensätze mehr gegenüber den Juden gibt.

Dass die EKD hierzu tendiert, befürchtet die angesehene evangelische Theologin und Reformationshistorikerin Dorothea Wendebourg. In einem scharfen Text für die protestantische Zeitschrift „Zeitzeichen“ wirft Wendebourg, Professorin für Kirchengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität, der EKD vor, „dass die spezifischen Einsichten der eigenen Tradition abgeschmolzen werden, bis kein fundamentaler Widerspruch anderer und zu anderen mehr übrig bleibt“.

Hier ein Beitrag dazu, den Matthias Kamann für die WELT geschrieben hat: www.welt.de.

Reformation und Islam

Ich habe kürzlich das Impulspapier „Reformation und Islam“ der Konferenz für Islamfragen der EKD gelesen. Ein echtes Leseerlebnis. Wer wissen will, wie es um weite Kreise innerhalb der Evangelischen Kirchen bestellt ist, sollte sich diese Erfahrung gönnen. Es ist kein Vergnügen.

Nun gäbe es sehr viel über das Impulspapier zu sagen. Auffällig beispielsweise gleich zum Einstieg die für die Kulturwissenschaften bezeichnende (therapeutische) Sprache. Sie wurde gewählt, um die Empfindungen derer zu beschreiben, die sich seinerzeit mit der Frage befassen mussten, ob wohl bald auch Wien an die Türken fallen werde. „Zur Zeit Luthers sah Europa sich militärisch und politisch vom expandierenden Osmanischen Reich bedrängt.“ Die Betonung liegt auf „die Leute sahen es so“. Sie sahen eine Bedrohung, die ja vielleicht gar keine war. Konstantinopel war jedoch 1453 gefallen und die Türken waren auf dem Vormarsch nach Europa. „Man nahm sie wahr als die Anderen und Fremden, als die bedrohliche Macht aus dem Südosten“ (S. 7). Eigentlich, so könnte man vermuten, suchten die Türken nur florierende Handelsbeziehungen in gänzlich friedlicher Absicht. Aber da die Europäer die Schönheit des Fremden noch nicht angemessen zu schätzen wussten, haben sie das übersehen.

Aber lassen wir das. Wenden wir uns einer Argumentationsfigur zu, die heutzutage oft zu finden ist. Es geht um das „sowohl als auch“. Auf S. 24 wird das Argument sehr anschaulich entfaltet.

Zunächst heißt es:

Die anhand der Rechtfertigungslehre vor 500 Jahren gewonnenen zentralen Einsichten reformatorischer Theologie können heute in fünf Kernpunkten zusammengefasst werden: solus Christus – allein Christus, sola gratia – allein aus Gnade, solo verbo – allein  im  Wort,  sola  scriptura, – allein  aufgrund  der  Schrift  und  sola fide – allein  durch den Glauben.

Das klingt doch ganz gut. Aber dann geht es weiter. Ungefähr so: So schön diese Einsichten auch waren und vielleicht noch sind. Es gibt ein großes Problem! Die Reformatoren haben es damals tatsächlich so gemeint, wie sie es geschrieben haben. Oder anders formuliert: Die Schwierigkeit ist, dass mit dem „allein Christus“ die Vorstellung verbunden wurde und auch heute noch verbunden werden kann, dass außerhalb von Christus niemand das Heil findet. Wir müssen so von Christus sprechen lernen, dass die Heilsversprechen anderer Religionen nicht deklassiert werden.

Bezugnehmend auf den EKD-Grundtext „Rechtfertigung und Freiheit“ heißt das (S. 25):

Die Herausforderung besteht darin, von Christus zu sprechen, aber so, dass dabei nicht der Glaube des anderen abgewertet oder für unwahr erklärt wird. So wie für den Christen das Gehören zu Christus der einzige Trost im Leben und im Sterben ist, so ja auch für den Anhänger der anderen Religion sein spezifischer Glaube. Dies darf auf beiden Seiten des Gespräches anerkannt werden.

Die Reformatoren waren also damals der ungeheuerlichen Vorstellung aufgesessen, es handele sich bei der muslimischen Religion um eine Irrlehre. Heute haben wir, bedingt durch geistesgeschichtliche Entwicklungen, den Glauben, der zwischen wahren und falschen Lehren unterscheidet, glücklicherweise überwunden. Wenn also beispielsweise Petrus vor knapp 2000 Jahren der Meinung war, dass Jesus Christus der Eckstein ist und in keinem anderen als in diesem Namen unsere Rettung zu finden ist (vgl. Apg 4,11–12), dann hatte er zwar recht. Er übersah allerdings (falls er es überhaupt so gesagt hat), dass dies nicht so zu verstehen ist, als ob allein Jesus retten kann.

Das sei ihm aber verziehen. Schließlich kannte er die dialogischen Ansätze, die uns heute zur Verfügung stehen, noch nicht.

Kyrie eleison.

Ist Gott noch Mitglied der evangelischen Kirche?

Ausgerechnet die TAZ-Redakteurin Friederike Gräff hat vor gut einem Jahr treffliche Fragen zum Zustand des Protestantismus in Deutschland gestellt:

Wenn ich mein Ungenügen an der evangelischen Kirche in einem Wort zusammenfassen müsste, dann ist es ihre Leisetreterei. Hauptanliegen der Kirche scheint es zu sein, niemanden vor den Kopf zu stoßen, sei es mit den unerfreulichen Geschichten des Alten Testaments, mit Ideen, was ein gläubiger Christ nicht tun sollte, oder laut gesprochenen Gebeten in kirchlichen Einrichtungen. Als ich bei der für religionspädagogische Fragen Zuständigen in der EKD nachfragte, wie man es damit in kirchlichen Kindergärten halte, sagte sie, dass es da keine einheitliche Richtlinie gebe. Aber sie verwies darauf, dass Studien zufolge Religiosität zu größerer Resilienz bei Kindern führe. Ich finde es deprimierend, wenn die Kirche glaubt, Werbeargumente finden zu müssen; demnächst wird sie Statistiken suchen, wonach religiöse Jugendliche bessere Noten bekommen und später glücklichere Ehen führen.

Natürlich ist es nicht so, dass die Kirche keine Positionen vertreten würde: Sie ist für den Klimaschutz und gegen Menschenhandel, sie ist gegen Massenvernichtungswaffen und für gerechten Handel. Sie ist für alles, wofür bürgerliche Mehrheiten sind. Im Grunde vertritt sie das Prinzip Merkel, sich nicht zu früh und nicht zu spät die Meinungen des Wahlvolks auf die Fahne zu schreiben und dann so zu tun, als hätte man sie als Erste geschwungen. Die evangelische Kirche prangert die Exzesse des Kapitalismus an, so wie es heute zum guten Ton gehört, und sieht mit der gleichen Verve wie die Mehrheit der Bevölkerung darauf, dass sich ihr Geld möglichst stark vermehrt. Sie fordert gerechte und sozial verträgliche Arbeitsbedingungen und wehrt sich gegen Tarifverträge für ihre Angestellten. Sie will Leben schützen und sagt gern, dass alles Leben gleich viel wert sei, aber ein klares Wort gegen Pränataldiagnostik kann sie sich nicht abringen.

Frau Gräff hat eine Antwort aus dem Raum der Evangelischen Kirchen in Deutschland erhalten. Diese Antwort hat es in sich, denn sie bestätigt die Klagen in fast jeder Hinsicht. Höhepunkt: Gott tut uns nicht den Gefallen, dass er sich so verbiegen lässt wie man es für richtig hält. Kurz: Gott erfüllt nicht alle Wünsche! Aha? Würde doch die Kirche wenigstens damit Ernst machen.

Aber lesen Sie selbst:

So mangelhaft wie wir Protestanten in den Augen der Autorin auch sein mögen, so sehr wissen wir aber auch dass wir selbst – und zwar wir alle in den Gemeinden – diese Mängel nach und nach beseitigen können. Dass wir Kritik annehmen und dass wir versuchen unser Möglichstes und Bestes zu tun um unseren Glauben zu leben. Und das kann anders aussehen als die Autorin das gerne haben möchte.Ja, natürlich: Wenn wir erlöster aussehen würden, könnten wir natürlich auch deutlicher unseren Glauben als Frohe Botschaft veständlich machen. Keine Frage. Aber der Glaube manifestiert sich halt nicht immer in feurigen Gesten, in flammenden Missionsbotschaften – das Verständnis der evangelischen Kirche beruht auf dem, was Martin Luther entdeckte. Das alleine ist der Grund. Mag sein, dass wir uns vor den unangenehmen Bibelstellen drücken – mag sein, dass wir ab und an zu leise auftreten – mag auch sein, dass die Protestanten nicht so viel über Gott und Jesus in der Öffentlichkeit reden wie Frau Gräff das gerne hätte. Ja, auch an der Willkommenskultur könnte man etwas arbeiten und Zielgruppenarbeit ist auch etwas, was bisweilen brachliegt. Aber: Gott und Jesus, Frau Gräff, kommen in jedem Gottesdienst der evangelischen Kirche vor. In jedem Text. In jedem gesungenen Lied. In jedem Glaubensbekenntnis. Mag sein nicht unbedingt in jeder Predigt, aber ja, Gott ist mit Sicherheit noch anwesend mitten unter uns. Nur halt nicht unbedingt so wie man es sich generell wünscht – also so als Mensch. Oder besser formuliert: So wie man es als Mensch nun mal gerne hätte. Diesen Gefallen macht Gott uns nun nicht, dass er sich so verbiegen lässt wie man es für richtig hält. Wäre ja furchtbar, da könnte man ja gar nicht mehr protestieren …

VD: AG

Ohne mich

Die Redakteurin Liane Bednarz beschreibt für Christ & Welt, warum sie aus der Evangelischen Kirche in Deutschland ausgetreten ist und was sie an der Katholischen Kirche anzieht. Authentisch und irgendwie verständlich! Ein tieferer Blick hinter die Kulissen der Katholische Kirche dürfte freilich zeigen, dass dort die Nöte vergleichbar groß sind. Das Zeugnis verdeutlicht insgesamt, dass wahrheitssuchende Menschen sich vom „sozialen Evangelium“ betrogen fühlen und der Bedarf für einen geistlichen und intellektuellen Aufbruch immens ist. Kyrie eleison.

Man verstehe mich bitte nicht falsch: Natürlich ist auch ein religiöser empathieloser Rigorismus abzulehnen, der nur noch auf das Jenseits starrt und sich allein um das eigene Seelenheil sorgt. Aber die Umdeutung zentraler biblischer Begriffe wie »Friede« und »Gerechtigkeit« in diesseitige Politik schreckte mich zutiefst ab. Und meistens, wenn ich diese Irritation gegenüber Vertretern der evangelischen Kirche zum Ausdruck brachte, stieß ich auf Verständnislosigkeit.

Eigentlich wurde fast alles, was in der Bibel steht, relativiert. Im Jahre 2013 mit der »Orientierungshilfe« sogar das grundsätzlich auf die Ewigkeit angelegte Versprechen der Ewigkeit der Ehe. Wenn man selbst miterlebt hatte, wie allein der Vers »Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen« (Markus 10,2), die Ehe von zwei Menschen ungeachtet aller Turbulenzen an dem einstigen Versprechen hat festhalten lassen, war man verwundert. Gleichzeitig, auch das soll nicht verschwiegen werden, hat mich der enorm strenge, oftmals antiintellektuelle Kurs einiger Freikirchen abgeschreckt. Und so bin ich jahrelang zwischen evangelischen Landeskirchen einerseits und Freikirchen andererseits mäandert.

Im Mai 2011 schließlich kam es für mich zu einer Wende. Ausgelöst durch das Buch »Das katholische Abenteuer« des Journalisten Matthias Matussek begann ich, mich mit dem Katholizismus zu beschäftigen, und entdeckte in diesem eine aus meiner Sicht stringentere und sowohl intellektuelle als auch im Herzen verankerte Form der Suche nach der ewigen Wahrheit, die letztlich zu meinem Austritt führte.

Ich erlebe vor allem in den Predigten katholischer Priester insgesamt eine größere Ernsthaftigkeit der Erhabenheit Gottes und der Frage nach dem Jenseits gegenüber. Auch wenn ich damit vielen Menschen in der evangelischen Kirche ihren tiefen Glauben selbstverständlich nicht absprechen möchte. Konvertiert bin ich noch nicht, da ich immer noch offene Fragen habe. Aber ich glaube, ich befinde mich auf dem Weg dorthin.

Mehr: www.christundwelt.de.

VD: AG

Ehe und Familie in der Bibel und in unserer Zeit und Kultur

Jonas hat sich mit der EKD-Desorientierungshilfe zur Familie auseinandergesetzt. Er verfängt sich aber nicht in der Kritik, sondern entwickelt hilfreiche Empfehlungen für Christen und Gemeinden, die sich  dem Zeitgeist nicht widerstandslos unterwerfen wollen. Jonas:

Es wurde lediglich versucht, dagegen zu argumentieren, ohne Alternativen zu bieten. Dies fand ich schade, denn es beendete den Dialog noch bevor er begonnen hatte und untergrub in gewisser Weise auch die Kraft der jeweiligen Kritik. Zweitens vermisste ich Stimmen aus den Gemeinden den Freikirchen. Zwar hatte die Evangelische Allianz Deutschlands relativ bald reagiert, aber diese zählt ja bekanntlich nicht als Gemeindebund. Aus diesem zweifachen Mangel heraus entstand nach einem knappen halben Jahr des Wartens der Entschluss, etwas daran zu ändern. Und nach einem weiteren halben Jahr und einer sehr spannenden Auseinandersetzung mit dem Thema „Ehe und Familie“, für die ich außerordentlich dankbar bin, möchte ich eine erste Antwort auf das Familienpapier vorlegen. Sie stellt keineswegs den Anspruch, vollständig zu sein. Es mag auch sein, dass sie Fehler enthält und weiterer Überarbeitung bedarf. Wer welche findet, darf sich gerne jederzeit bei mir melden. Ich bin dankbar für Korrektur und Rückmeldung.

Die Schrift: „Ehe und Familie in der Bibel und in unserer Zeit und Kultur Eine Auseinandersetzung mit der EKD-Orientierungshilfe: Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ kann hier heruntergeladen werden: Familienpapier_JE.pdf.

R. Slenczka kritisiert Grundlagentext „Rechtfertigung und Freiheit“

Das hier kürzlich vorgestellte EKD-Grundlagendokument „Rechtfertigung und Freiheit“ ist von Professor Reinhard Slenczka scharf kritisiert worden. „Zu wiederholten Malen ist in Kirchen der Reformation der Versuch gescheitert, Erklärungen zu dem reformatorischen Zentralthema Rechtfertigung zu verfassen und in kirchlichen Gremien zu verabschieden“, schreibt der emeritierte Systematiker in seinem Gutachten „Das Unverständnis von Rechtfertigung in der Kirche der Reformation“.

Hier einige Auszüge:

Dass diese noch nicht so lange zurückliegenden und mit einer umfangreichen Diskussion verbundenen Vorgänge offenbar überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurden, führt dazu, dass in dem vorgelegten Text des Rates sämtliche Grundfehler wiederholt werden, die davon ausgehen, dass man Rechtfertigung für eine zeitbedingte Erfindung von Theologen hält, die den veränderten Gesellschaftsverhältnissen anzupassen ist. So lautet die Leitfrage in diesem neuen Versuch, Rechtfertigung verständlich zu machen: „Wie kann Kirche so gestaltet werden, dass in ihr tatsächlich von Jesus Christus geredet wird, also als dem, in dessen Person, Wort und Werk Gott wie sonst nirgends gegenwärtig ist?“ (57). In diesem Satz ist schon der Grundfehler erkennbar: Jesus Christus ist nicht Subjekt und Herr der Kirche, die sein Leib ist, sondern er ist Gegenstand der Vermittlung durch Theologie und Kirchenleitung. Man muss ihn also „annehmbar“, attraktiv, machen. Das geschieht mit den Mitteln von Anpassung und Werbung, nicht aber durch das Handeln Gottes in Erwählung und Verwerfung.

Die Aufgabe von Theologie und Kirche besteht nicht darin, dass Antworten auf die Fragen der Zeit gegeben werden, indem man sich Vorstellungen der Zeit und Forderungen der Gesellschaft anpasst. Aufgabe rechter Theologie ist vielmehr die immer von neuem notwendige Unterscheidung von wahrer und falscher Lehre, von Gehorsam und Ungehorsam gegen Gottes Gebote mit dem Ziel, dass die Kirche in der Wahrheit bleibt und dass in der Sünde gefangene Menschen zum Heil, zur Rettung aus dem Endgericht, durch die Gnadenmittel von Wort und Sakrament durch Umkehr und Erneuerung geführt werden. Das ist Wesen und Auftrag der Kirche von ihrem Herrn; auf diese Weise wird das vor der Erschaffung der Welt (Eph 1, 4) erwählte Volk Gottes aus der Welt herausgerufen. Wenn das nicht gesehen und beachtet wird, verfallen Theologie und Kirche in gesellschaftspolitische Ideologiebildung. Sie wird zur Zivilreligion und zur Staatskirche mit gesellschaftspolitischen Aufgaben und Interessen. Sie mag den Namen und Anschein haben, dass sie lebt, aber sie ist tot (Offb 3, 1).

Was in dem Dokument vom Glauben „sola fide“ als „theologischer Grundgedanke – kein Marionettentheater“ gesagt wird (87 f), kann man nur als albern bezeichnen. Faktisch wird der Glaube hier nicht als Gabe, sondern als Werk verstanden: „Glauben ist eine neue existentielle Haltung Gott und sich selbst gegenüber. Im Glauben lässt der Mensch seine Rechtfertigung durch Gott zu und versteht sich von ihr her. Glauben heißt Ja sagen dazu, dass man selbst nichts dazu beitragen kann, dass Gott gnädig ist. Im Glauben nimmt der Mensch seinerseits an, dass Gott ihn trotz allem angenommen hat. Allein durch Glauben heißt eben ‚nicht durch Werke‘. Der Mensch muss sich Gottes Gnade gefallen lassen, er muss aushalten, dass er selbst nichts zu seiner Rechtfertigung beitragen kann.“ Damit wird eine menschliche Einstellung und Verhaltensweise beschrieben, ja sogar befohlen, wo eigentlich von Gabe und Empfang durch den Heiligen Geist zu reden wäre.

Das Gutachten kann freundlicherweise bei der „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern“ (KSBB) heruntergeladen werden: ksbb-bayern.de.

Holger hat ebenfalls einen ausführlichen Kommentar verfasst: lahayne.lt.

Grundlagentext der EKD: Rechtfertigung und Freiheit

2014 rechtfertigung und freiheit2017 jährt sich der Wittenberger Thesenanschlag Martin Luthers zum 500. Mal. Drei Jahre zuvor veröffentlicht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erstmals einen Grundlagentext zum Reformationsjubiläum.

Der EKD-Text mit dem Titel „Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017“ wurde von einer ad-hoc-Kommission des Rates der EKD unter Vorsitz von Prof. Dr. Christoph Markschies erarbeitet. Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider hob anlässlich der Vorstellung des Textes in Berlin hervor: „Wesentliche theologische Einsichten der Reformationszeit im aktuellen Kontext zu erläutern, ist Anliegen des Grundlagentextes. Denn als offene Lerngeschichte bleibt die Reformation Gestaltungsaufgabe für jede Generation.“

Ich verweise hier kommentarlos auf den Text: 2014_rechtfertigung_und_freiheit.pdf.

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