Kirche

Das prophetische Amt der Kirche

In dem Vortrag „Gedenkt der Tage, in denen ihr viel Leidenskampf erduldetet“ habe ich im Januar 2025 über Grenzen der christlichen Gehorsamspflicht gesprochen. Das Volk Gottes soll einerseits gegenüber der weltlichen Stadt eine wohlwollende Haltung einnehmen und der Obrigkeit gehorchen. Was aber, wenn von der Kirche etwas verlangt wird, was in Gottes Augen ein Gräuel ist? Im Vortrag heißt es:

Diese Gehorsamspflicht ist für uns leicht anzunehmen, solange wir voraussetzen, dass die Obrigkeit die Übeltäter bestraft und diejenigen, die Gutes tun, unterstützt. Schwieriger wird es, wenn nicht mehr so klar erkennbar ist, ob die Obrigkeit wirklich das Gute will.

Wie verhalten wir uns in einer Zeit des Umbruchs? Das Abendland öffnet sich mehr und mehr für Maßstäbe, die im Widerspruch zu den Ordnungen stehen, die der Schöpfer dieser Welt eingestiftet hat. Wie wollen wir uns da verhalten?
Die kurze Antwort lautet: Wir können nicht bei allem mitmachen! Es gibt eine Gehorsamsgrenze: Wenn weltliche Anforderungen gegen Gottes Willen verstoßen, gilt: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29). Dieses „mehr gehorchen“ in Apg 5 steht im Kontext der Evangeliumsverkündigung. Die Apostel wollten sich keinesfalls verbieten lassen, im Namen von Jesus zu lehren. Christen sind berufen, durch ihre Worte und ihr Leben ein Zeugnis für Gottes Liebe und Wahrheit abzulegen, sogar dann, wenn es ihnen verboten wird.
Aber auch am allgemeinen Aufstand gegen Gottes Maßstäbe dürfen wir uns nicht beteiligen (prophetisches Amt, schöpferische Gegenkultur). Wir können uns den damit verbundenen Konflikten nicht mehr einfach dadurch entziehen, dass wir uns verstecken. In immer mehr Bereichen des alltäglichen Lebens wird Christen eine Entscheidung abverlangt.

Wie schwer solche Konflikte in der Praxis wiegen können, möchte ich an einem Brief von Präses D.E. Wilm illustrieren. Wilms erzählt in einem Schreiben, dass er Karl Barth zum 70. Geburtstag zukommen ließ, den Einsatz der Bekennenden Kirche im Jahre 1940 gegen das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten.

Um was ging es? Im Frühjahr und Sommer 1939 begann eine Planungsgruppe mit der Organisation einer geheimen Aktion zur Ermordung behinderter Kinder. Am 18. August 1939 erließ das Reichsinnenministerium einen Erlass, der alle Ärzte, Schwestern und Hebammen verpflichtete, Neugeborene und Kinder unter drei Jahren, die Anzeichen einer schweren geistigen oder körperlichen Behinderung aufwiesen, zu melden. Ab Oktober 1939 drängten die Gesundheitsbehörden die Eltern behinderter Kinder, ihre Kleinkinder in eine der dafür vorgesehenen Kinderkliniken in Deutschland und Österreich zu geben. In Wirklichkeit waren diese Kliniken Tötungsanstalten. Eigens angeworbenes medizinisches Personal verabreichte den Kindern tödliche Überdosen von Medikamenten oder ließ sie verhungern. Zunächst nahmen die Ärzte und Klinikleiter nur Säuglinge und Kleinkinder in das Programm auf. Mit der Ausweitung des Programms wurden später auch Jugendliche bis 17 Jahre einbezogen. Nach vorsichtigen Schätzungen sind in den Kriegsjahren mindestens 10.000 körperlich und geistig behinderte Kinder durch das Kindereuthanasieprogramm zu Tode gekommen (wiedergegeben in Anlehung an encyclopedia.ushmm.org).

Als die Bekennende Kirche von diesem Programm erfuhr, wusste sie sich in eine Entscheidung gerufen. Sie durfte zur Ausmerzung sogenannten unwerten Lebens nicht schweigen. Was aber genau sollte sie tun?

Präses Wilm schreibt („Nach der Lektüre von ‚Der Schutz des Lebens‘“, in: Antwort, 1956, S. 16–21, hier S. 17–18):

Wir kamen von einer altpreußischen Bekenntnissynode in Leipzig, wohin wir aus Berlin ausgewichen waren. Es war ziemlich gefährlich gewesen, und wir hatten hinter verschlossenen Türen und Fensterläden in einem Gemeindehaus nahe der Thomaskirche getagt. Über ein Jahr war schon Krieg, und darum wurde die Lage der Bekennenden Kirche immer bedrohlicher, zumal sie zu den Verbrechen an Menschen, an den politischen Gefangenen in den Konzentrationslagern, an den Juden und an den russischen Kriegsgefangenen nicht geschwiegen hatte. Über ein Jahr war schon Krieg und darum lief über ein Jahr, seit dem 1. September 1939, die Aktion HITLERs zur Ausmerzung unwerten Lebens, die man dann mit dem Wort „Euthanasie“ umschrieb. Sie lief geheim, aber mit unheimlicher Brutalität. Hunderte, Tausende kranker Menschen waren bereits aus den Heilanstalten verlegt worden und wenige Wochen danach gestorben, sprich: ermordet worden.

Wir wußten das! Landesbischof WURM hatte in seinem Brief an den Reichsinnenminister diese Verbrechen beim Namen genannt und Anklage gegen die Mörder erhoben. Wir brachten damals von dieser Leipziger Synode eine Tageszeitung aus Leipzig – nur von einem Tag mit nach Hause, in der allein vier bis fünf Todesanzeigen standen, die bei näherem Zusehen klar als Anzeigen von diesem Ausmerzungstod zu erkennen waren. Und dann haben wir einander zu Hause in unserer Kirche gefragt: Müssen wir jetzt nicht laut sagen, rufen, schreien, daß hier unschuldige und hilflose Menschen ermordet werden von einer Obrigkeit, die für den Schutz des Lebens verantwortlich ist, und von Ärzten, deren höchstes Gesetz es sein muß, Leben zu erhalten, zu retten und zu heilen? Muß sich die christliche Gemeinde nicht jetzt ganz offen vor diese Kranken, ihre „geringsten Brüder“ stellen und bereit sein, die Folgen solchen Eintretens auf sich zu nehmen? Ich hatte als Kandidat in Bethel eine Zeitlang Epileptiker und Geisteskranke gepflegt und war zwei Jahre Pastor in einer Betheler Zweiganstalt gewesen, und es war von daher sehr eindrücklich die Achtung vor dem ärmsten Menschenleben mit mir gegangen. Was hatten wir an Dankbarkeit für empfangene Liebe und an rührender Anhänglichkeit unter unsern Kranken erfahren; ja, wie hatten sie uns zuweilen, wenn der Vorhang der Dunkelheiten ihrer Krankheit sich mal ein wenig lüftete, beschämt, weil wir dann ihren Glauben oder irgendeine sehr klare menschliche Erkenntnis sahen.

Es gab dann unter uns manche Aussprachen, und wir wurden gefragt, ob die Kirche zu diesem Verbrechen reden müsse und dürfe oder nicht, ob sie berufen sei, den Staat anzureden, ob wir Propheten sein könnten wie Nathan oder Hesekiel oder nicht nur Prediger des Evangeliums innerhalb unserer Gemeinden, ob Jesus etwas zu den Verbrechen des römischen Kaisers gesagt habe, und wir konnten nur immer wieder antworten, daß hier Menschen gemordet werden, die uns doch als unsere „geringsten Brüder“ anvertraut sind, und daß wir das wissen und darum für sie irgendwie eintreten müssen, daß wir Gottes Willen zu verkündigen haben, wie es Christus selbst getan und uns befohlen hat und also die Übertretung dieser Gebote strafen müssen in der Gemeinde und in der Welt.

Es gab das Ringen BODELSCHWINGHs mit dem Leibarzt HITLERS um das Leben seiner Kranken, das zugleich ein Ringen um diesen „Arzt“ war und bei dem BODELSCHWINGH sich selbst vor seine Pflegebefohlenen stellte.

Es gab unter uns stille Verabredungen der Brüder – keine Weisung einer Kirchenleitung! –, daß wir in dieser Sache nicht schweigen wollten, und manch einer hat das Wort gesagt „zum Schutz des Lebens“, indem er sein eigenes Leben aufs Spiel setzte, manch einer hat am Grabe eines so ermordeten Gemeindegliedes, dessen Urne mit einem Lügenbrief aus der Tötungsanstalt geschickt wurde, offen erklärt: „Dieser Bruder ist nicht auf natürliche Weise gestorben; an ihm ist ein Mord geschehen.“ Was das mitten im Kriege bedeutete, braucht wohl nicht gesagt zu werden. Aber es ist mir in meiner langen Gefangenschaft ein großer Trost in Stunden dunkler Anfechtung gewesen, daß auf meinem Schutzhaftbefehl, unterschrieben vom Gestapockef HEYDRICH, gestanden hatte: „Er hat durch öffentliche Stellungnahme zur Euthanasie Unruhe in die Bevölkerung getragen usw.“

Stoppt die „Influencer“ in der Kirche

Angesichts der Tatsache, dass sich junge „Influencer“ wie Joshua Harris oder Marty Sampson vom christlichen Glauben distanzieren, hat der Musiker John Cooper mit einem erfrischenden Post reagiert.

Ein Auszug:

Meine Schlussfolgerung für die Kirche (alle Christen) lautet: Wir müssen aufhören, Lobpreisleiter, Meinungsbildner, „Influencer“, „coole“ oder „relevante“ Menschen zu den einflussreichsten Persönlichkeiten in der Christenheit zu machen. (Und ja, das schließt Leute wie mich ein!) Ich sage seit 20 Jahren (und es erschien einigen meiner Altersgenossen wahrscheinlich recht verurteilend), dass wir uns an einem gefährlichen Ort befinden, wenn die Kirche auf 20-jährige Anbetungssänger als unsere Quelle der Wahrheit schaut.

Woher kommt die Kraft, die die Kirche braucht?

Abraham Kuyper schreibt über das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche (Das Werk des Heiligen Geistes, New York; London: Funk & Wagnalls, 1900, S. 184-185):

Die Kirche hat eine Berufung in der Welt. Sie wird nicht nur von den Mächten dieser Welt, sondern vielmehr von den unsichtbaren Mächten des Satans gewaltsam angegriffen. Ohne Pause. Indem er leugnet, dass Christus gesiegt hat, glaubt Satan, dass die Zeit, die ihm bleibt, ihm noch Siege bringen kann. Daher seine rastlose Wut und seine unaufhörlichen Angriffe auf die Ordnungen der Kirche, sein ständiges Bemühen, sie zu spalten und zu verderben, und seine immer wiederkehrende Leugnung der Autorität und des Königtums Jesu in seiner Kirche. Obwohl es ihm nie ganz gelingen wird, gelingt es ihm bis zu einem gewissen Grad. Die Geschichte der Kirche in jedem Land zeigt es; sie beweist, dass ein zufriedenstellender Zustand der Kirche sehr außergewöhnlich und von kurzer Dauer ist und dass ihr Zustand acht von zehn Jahrhunderten lang traurig und bedauernswert ist, was für das Volk Gottes Schande und Leid bedeutet.

Und doch hat sie in dieser ganzen Auseinandersetzung eine Berufung, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Sie kann manchmal darin bestehen, wie bei Hiob gesiebt zu werden, um zu zeigen, dass durch das Gebet Christi der Glaube in seinem Schoß nicht zerstört werden kann. Aber was auch immer die Form der Aufgabe ist, die Kirche braucht immer geistliche Kraft, um sie zu erfüllen; eine Kraft, die nicht aus ihr selbst kommt, sondern die der König schenken muss.

Jedes Mittel, das der König für seine Arbeit zur Verfügung stellt, ist ein Charisma, ein Geschenk der Gnade. Daher die interne Verbindung zwischen Arbeit, Büro und Gabe.

Deshalb sagt der heilige Paulus: „Jedem wird die Manifestation des Geistes gegeben, um damit zu profitieren“, d.h. zu Wohl aller [in der Gemeinde] (πρὸς τὸ συμφέρον) (1Kor 12,7). Und dann noch deutlicher: „So sucht auch ihr, da ihr auf geistliche Gaben eifrig seid, dass ihr euch zur Erbauung der Kirche erhebt“ (1Kor 14,12). Daher die Bitte „Dein Reich komme“, die der Heidelberger Katechismus so auslegt: „Regiere uns durch dein Wort und deinen Geist, dass wir dir je länger, je mehr gehorchen. Erhalte und mehre deine Kirche und zerstöre die Werke des Teufels und alle Gewalt, die sich gegen dich erhebt, und alle Machenschaften, die gegen dein heiliges Wort erdacht werden, bis die Vollendung deines Reiches kommt, in dem du alles in allen sein wirst.“

Es ist daher falsch, das Leben der einzelnen Gläubigen zu sehr isoliert zu betrachten und es vom Leben der Kirche zu trennen. Sie existieren nicht für sich, sondern in Verbindung mit dem Leib und so werden sie Teilhaber der geistlichen Gaben. In diesem Sinne bekennt der Heidelberger Katechismus die Gemeinschaft der Heiligen: „Erstens: Alle Glaubenden haben als Glieder Gemeinschaft an dem Herrn Christus und an allen seinen Schätzen und Gaben. Zweitens: Darum soll auch jeder seine Gaben willig und mit Freuden zum Wohl und Heil der anderen gebrauchen.“ Das Gleichnis von den Talenten hat das gleiche Ziel; denn der Diener, der mit seinem Talent anderen nicht geholfen hat, erhält ein schreckliches Urteil. Auch das verborgene Geschenk muss gehoben werden, wie der heilige Paulus sagt; nicht, um damit zu prahlen oder unseren Stolz zu nähren, sondern weil es dem Herrn gehört und für die Gemeinde bestimmt ist.

Johannes schreibt: „Ihr habt eine Salbung vom Heiligen, und ihr wisst alle Dinge“ (1Joh 2,20), und: „Ihr braucht nicht, dass euch jemand lehrt“ (1Joh 2,27). Das bedeutet nicht, dass jeder einzelne Gläubige die volle Salbung besitzt und aufgrund dessen alles weiß. Denn wenn das so wäre, wer würde nicht an der Erlösung verzweifeln, noch wagen zu sagen: „Ich habe Glauben“? Und wie könnte die Aussage „Ihr braucht nicht, dass euch jemand lehrt“ mit dem Zeugnis desselben Apostels versöhnt werden, dass der Heilige Geist die von Jesus selbst ernannten Lehrer qualifiziert? Nicht der einzelne Gläubige, sondern die ganze Kirche als Leib besitzt die volle Salbung des Heiligen und weiß alles. Die Kirche als Leib braucht niemanden, der kommt, um sie von außen zu lehren; denn sie besitzt den ganzen Schatz der Weisheit und des Wissens, indem sie mit dem Haupt vereint ist, das die Herrlichkeit Gottes widerspiegelt und in dem alle Weisheit wohnt.

Klimaschutz als Religion

Die Kirche soll vor allem Gläubigen eine Heimat geben und das Wort Gottes verbreiten. Für Wärmedämmung und Elektroautos sind andere zuständig, meint Gunnar Schupeliu von der BERLINER ZEITUNG:

Das kann sich die Kirche eigentlich nicht leisten. Sie spart an allen Ecken und Enden. Sie hat Pfarrstellen gestrichen und Gemeinden zusammengelegt. Sie hat sogar die meisten Küster eingespart. Vor diesem Hintergrund wirkt das Engagement gegen CO2 etwas unverhältnismäßig. Das soll man den Mitgliedern mal erklären, dass dafür so viel Kirchensteuergeld ausgegeben wird.

Der Klimaschutz wird in der evangelischen Kirche fast wie eine Religion gehandelt. Hier geht alle Energie hinein. Das „Klimaschutzkonzept“ umfasst 172 Seiten. Dazu kommt noch ein „Umweltschutzkonzept“ mit 189 Seiten. Beide Texte zusammen sind länger als das Neue Testament.

Man würde sich wünschen, dass sich die Kirche auch mit anderen Themen so intensiv befasst wie mit dem Klimaschutz, zum Beispiel mit dem Schutz des ungeborenen Lebens. Dafür hat sie gar kein Konzept. Die Kirche soll Gläubigen eine Heimat geben und das Wort Gottes verbreiten. Für Wärmedämmung und Elektroautos sind andere zuständig.

Mehr: www.bz-berlin.de.

VD: MT

„Versiegle das Gesetz in meinen Schülern!“

Melanchthon schreibt in seiner Historia Lutheri über die Kirche (Theologie und Kirchenpolitik, Bd. 2. Melanchthon deutsch. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2011, S. 190):

So lasst uns mit leidenschaftlichen Bitten Gott anflehen, er möge das Licht des Evangeliums hinfort bei vielen erhalten, wie auch Jesaja für seine Schüler betete: „Versiegle das Gesetz in meinen Schülern!“ Weiterhin zeigt diese Darlegung, dass falsche abergläubische Bräuche nicht dauerhaft sind, sondern durch göttliche Fügung ausgerottet werden. Da dies die Ursache von Umwälzungen ist, muss man sich davor in Acht nehmen, dass in der Kirche Irrtümer gelehrt werden.

Funktionalisierte Kirche

Pfarrer Christoph Bergner erklärt uns, mit was für Aufgaben ein typischer Pfarrer heute beschäftigt ist. Die funktionale Kirche hat übernommen; eigentlich kann der Pfarrberuf abgeschafft werden.

Funktionalisierung heißt auch Spezialisierung. Öffentlichkeitsarbeit, Umgang mit Medien, Umweltfragen, technologische Entwicklungen, Friedenspolitik u.v.a.m. gehören auch zu den Themenfeldern, für die sich die Kirche zu interessieren hat und zu denen sie Stellung nehmen muss. Die Vielfalt der Fragestellungen geht weit über den pastoralen Dienst hinaus. Sie ist schier unerschöpflich. Und je mehr Aufgaben in den Blick kommen, umso weniger werden sie im pastoralen Dienst gelöst werden können. Es ist also nur zu verständlich, wenn die Kirche ihr Personal an den gewandelten Kirchenbegriff oder besser an die gewandelten gesellschaftlichen Bedingungen anpasst. Unter diesen Gesichtspunkten ist es nur konsequent, dass Pfarrstellen in Stellen für Öffentlichkeitsarbeit umgewidmet und von Journalisten besetzt werden oder die Seelsorge von Psychologen übernommen wird.

Funktionalisierung heißt aber auch Hierarchisierung. Da die Gesellschaft sich ständig weiter entwickelt, muss immer wieder neu darüber entschieden werden, in welchem gesellschaftlichen Feld kirchliche Aktivitäten gebraucht werden. Vor einem Jahr etwa wusste die Kirche noch nichts von den neuen Aufgaben der Flüchtlingshilfe, mit denen sie sich für viele Jahre wird beschäftigen können. Die kirchenleitenden Gremien sind also verpflichtet, ständig die Funktionen zu überprüfen, die sie gerade wahrnimmt, und den finanziellen und personellen Möglichkeiten anzupassen. Das lässt sich nicht ohne einen Ausbau der Hierarchie umsetzen.

Mehr: wort-meldungen.de.

VD: JS

„Seht, da ist der Mensch!“ dekonstruiert

Mit „ecce homo“ benennt nach dem Johannesevangelium der römische Statthalter Pontius Pilatus den gefolterten und mit einer Dornenkrone gekrönten Jesus, weil er keinen Grund für dessen Verurteilung sieht (vgl. Joh 19,5, wo „ecce homo“ in Luther 1984 mit „Sehet, welch ein Mensch“ übersetzt wird).

Christian Geyer weist uns als Beobachter des Katholischen Kirchentages darauf hin, dass das „ecco homo“ gern schon mal „zweckentfremdet“ wird. Gemeint ist dann eben nicht mehr der Mensch „Jesus Christus“ im Kontext der Passionsgeschichte, sondern die Lebenswirklichkeit des Menschen in der Gesellschaft. Ein hermeneutischer Schachzug, von dem nicht nur Kardinal Marx beim Leipziger Abschlussgottesdienst Gebrauch gemacht hat. Er ist geradezu symptomatisch für Kirchen, die nicht mehr von Gott her denken, sondern vom Menschen aus und auf den Menschen hin.

Geyer:

Von alldem unberührt legt Reinhard Kardinal Marx beim Leipziger Abschlussgottesdienst das Motto des Katholikentags „Seht, da ist der Mensch!“ in der angesagten inklusiven Lesart aus, nämlich eben gerade nicht im Kontext der Passionsgeschichte als Wort des Pilatus über Jesus Christus (das klassische „Ecce homo!“, wie es in die christliche Tradition und Kunstgeschichte einging), sondern im Sinne der normativen Kraft menschlicher „Lebenswirklichkeit“. Gibt sie nun dem „Ecce homo“ das Maß vor statt umgekehrt? Alles von dieser Lebenswirklichkeit müsse zu seinem Recht kommen, wenn es in die christliche Perspektive gerückt werde (Marx sagt wirklich „Perspektive“, wenn es um die Erlösung geht; Blickwinkel sind allemal inklusionstauglicher als die Bekehrungsaufrufe der alten Schule). Er weiß sich da mit seinem Papst einig, welcher unterstreiche, dass die „Suchbewegung“ Gottes „im Grunde inklusiv“ sei, was bedeute, „möglichst alle in die Perspektive der Hoffnung mitzunehmen“.

Kurzum gehe es darum, und hier schlägt der Kardinal einen nachgerade begehrlichen Ton an, „dass wir als Kirche in Deutschland unseren Weg so gehen, dass wir die Wirklichkeit des Menschen nicht aus dem Blick verlieren“. Statt um „kirchliche Identität“ solle man sich um „den Menschen“, um „die Erde“ sorgen. Aber tun das nicht auch Greenpeace et al.? Der Markenkern der Kirche wird unscharf, wenn sie ihre Marketingstrategen „Ecce homo“ mit „ja zur gesamten Wirklichkeit des Menschen“ übersetzen lässt.

Wie kommt, nebenbei gefragt, die Kirche darauf, dass sie umso attraktiver sei, je mehr „Nähe“ sie nicht nur zum Sünder, sondern neuerdings auch zu seiner Sünde demonstriert? So inklusiv, so schamlos paternalistisch möchte man sich um Himmels willen doch gar nicht verstanden wissen.

Sehr lesenswert: www.faz.net.

VD: JH

Kirche muss intellektueller werden

Wenn die Predigt Allgemeinplätze und harmlose Anekdötchen verkoppelt, dann wird das als langweilig, vormodern oder überflüssig empfunden, meint der evangelische Theologe Knut Berner.

Wenn routiniert auf den Skandal des Kreuzes Christi verwiesen, aber zugleich ein Kuschelgott offeriert wird, der niemanden in Frage stellt und wenig erhellende Potentiale für den Umgang mit sperrigen Lebenssituationen anbietet, dann kann man sich gleich selber sein Gottesbild konstruieren.

Oder:

Wo aber nicht mehr geboten wird als die lahme These ‚Wir glauben alle irgendwie an denselben Gott‘, da verwundert es nicht, wenn Menschen von anderen Instanzen als der Kirche Antworten bevorzugen, die religiöse Bedürfnisse befriedigen.

Obwohl sich auch Berner einige Rückfragen gefallen lassen sollte (sicher auch wird) und die Rückkehr zum Bildungschristentum keine Lösung für die geistliche Öde wäre, unterstütze ich viele Facetten des Appells:  Wir brauchen anspruchsvollere Theologie und Predigten und dürfen einige Hörer ruhig überfordern.

Hier der Deutschlandradio Kultur-Beitrag vom 12. Juni 2016:

 

Karl Barth über die Zukunft der Volkskirche

Zitiert aus: Georg Huntemann: Diese Kirche muss anders werden, Bad Liebenzell: VLM, 1979, S. 118:

Karl Barth bekannte sich 1956 in seinem „Brief an einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik“ zum Ende der Volkskirche „mit Kindertaufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung als die christliche Markierung des Rahmens und der Existenz des Herrn Jedermann, in deren Vollzug die Kirche sich in ihrer offenkundigen Unentbehrlichkeit immer wieder trösten möchte!“… „Ja, die Stunde könnte kommen oder schon anbrechen, wo Gott dieser ihrer Gestalt wegen ihrer immanenten greifbaren Unwahrhaftigkeit und Unfruchtbarkeit zu unserem Leidwesen, aber zu seiner Ehre und zum Heil der Menschen ein Ende machen will!“

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