Meinungsfreiheit

Merkur: Pauschaler Fundamentalismusverdacht reicht nicht

Benjamin Lassiwe hat im Evangelischen Tagebuch des Rheinischen Merkur die »Frontal 21«-Kontroverse kommentiert und plädiert für eine differenziert Wahrnehmung der evangelikalen Szene in Deutschland:

Scharf verurteilte das Leitungsgremium der deutschen Protestanten den umstrittenen Fernsehbeitrag. Die Berichterstattung der Autoren Arndt Ginzel, Martin Kraushaar und Ulrich Stoll, die in Leipzig ein Journalistenbüro betreiben, lasse notwendige Unterscheidungen vermissen und bediene sich fragwürdiger journalistischer Mittel. Denn die drei Fernsehjournalisten verglichen in ihrem Beitrag christliche Missionare, die den Märtyrertod erlitten, mit islamischen Selbstmordattentätern. Das Urteil der EKD darüber ist vernichtend: Die Autoren scheinen keinerlei Kenntnis von der christlichen Märtyrervorstellung zu haben, nach der ein Märtyrer Gewalt erleidet, aber sie niemals anderen zufügt.

Aber eben auch:

Doch auch manchen Evangelikalen schrieb die EKD zumindest zwischen den Zeilen erkennbare Kritik ins Stammbuch. So werde, hieß es, eine Aussage der umstrittenen Organisation »Jugend mit einer Mission« ohne weitere Begründung der ganzen evangelikalen Bewegung zugerechnet, heißt es in dem EKD-Beschluss.

Deutlicher geht auch das nicht mehr: Der Rat der EKD lässt das charismatische Missionswerk, das bislang in nahezu allen kritischen Filmen und Berichten über die evangelikale Bewegung eine unrühmliche Hauptrolle spielte, gezielt in der Fundamentalistenecke stehen. Denn dem Leitungsgremium der deutschen Protestanten ist im Unterschied zu den Autoren von »Frontal 21« und manchen anderen Journalisten, die in der letzten Zeit zum Thema Evangelikale recherchierten, eines sehr bewusst: Die evangelikale Szene ist in sich differenziert zu sehen.

Den Artikel gibt es hier: www.merkur.de.

»Frontal 21«: Staatsanwaltschaft ermittelt

Die Staatsanwaltschaft Rheinland-Pfalz ermittelt wegen Volksverhetzung gegen Redakteure des ZDF. Hintergrund ist der Beitrag »Sterben für Jesus«, der Anfang August für erhebliche Diskussionen gesorgt hat. Idea schreibt:

Karl-Heinz Schröder, ehrenamtlicher Geschäftsführer des Freien Evangelischen Regionalverbands Hannoversch Münden (Nordhessen), erhielt von der Staatsanwaltschaft die Mitteilung, dass sie seine Strafanzeige wegen Volksverhetzung angenommen habe. Laut Schröder wurden in dem Beitrag Bilder aus islamistischen Terrorcamps »mit Aufnahmen seriöser, staatlich und kirchlich anerkannter theologischer Fachschulen verquickt«. Damit hätten die Autoren den falschen Eindruck erweckt, »terroristische, radikale und verfassungsfeindliche Organisationen« seien dasselbe wie Evangelikale. Die Verantwortlichen der Sendung hätten damit in der Bevölkerung »Hass, Herabwürdigung und massive Vorbehalte« gegen Christen geweckt, die in der Sendung pauschal als »evangelikal« diskreditiert und dadurch massiv in ihrem öffentlichen Auftrag behindert worden seien.

Mehr dazu hier: www.idea.de.

Evangelikalenhetze, streng und ›zeitlich‹

Leonie Seifert hat in ihrem DIE ZEIT-Beitrag »Schwulenhetze, streng wissenschaftlich« deftig gegen die radikalen, schwulenfeindlichen und fundamentalistischen Evangelikalen gewettert. An den scharfen Ton müssen wir uns wohl gewöhnen und inhaltlich wiederholt der Artikel nur, was ich anderswo bereits gelesen habe. Trotzdem bin ich Frau Seifert insgesamt gar nicht undankbar für ihre Meinungsmache.

Erstens informiert »Schwulenhetze, streng wissenschaftlich« eine breite Öffentlichkeit darüber, dass Fachleute, wie der Heidelberger Psychiater Schröter-Kunhardt, an der Unbedenklichkeitsthese zweifeln.

Laut Schröter-Kunhardt leiden homosexuelle Männer doppelt so häufig an Depressionen wie heterosexuelle. Er verweist auf die angebliche Widernatürlichkeit beim Akt: »Die Sexualorgane des Menschen sind eindeutig für definierte Formen des Geschlechtsverkehrs zwischen Mann und Frau angelegt. Der nicht-natürliche homosexuelle Geschlechtsverkehr führt durch die damit verbundene hohe Verletzungsgefahr zu gefährlichen Geschlechtskrankheiten mit einer um 20 Jahre verringerten Lebenserwartung.« Für die Verbreitung von Aids seien männliche Homosexuelle verantwortlich.

Es gibt viele Fachleute, die wie Schröter-Kunhardt den Schwulenfundamentalismus anzweifeln. Leider werden sie dafür oft mit politischer und medialer Ächtung bestraft. Gerade diese Woche hat der Psychiater Jeffrey Satinover in einem Interview offen über eine Emotionalisierung des Diskurses gesprochen, die eine inhaltliche Arbeit erschwert. Als er tiefer in den das Thema einstieg, musste er feststellen, dass das ›Homosexualität‹ hochgradig ideologisch vereinahmt worden ist.

It was 95 percent ideology. Often, if I would give public talks on this subject, I would throw up overheads showing public statements of reporters and scientists all saying, „It’s genetics, science shows this,“ etc. Then I would show quotations from the research articles that were being used to support these statements, and the research articles themselves contradicted these statements in the most flatly obvious way. Well-known researchers, whose work has been prominently cited as showing the genetic inheritance patterns of homosexuality, say in their own articles that they did the research to demonstrate that homosexuality was genetic. (That’s already a problem because scientists aren’t supposed to set out with an agenda, but at least they admit it.) And at the end of the articles they say, »We discovered, much to our surprise, that the environmental component is larger.« Yet those very articles would be referenced in public policy debates as though they came to the opposite conclusion.

Zweitens hat der Artikel eine Leserkommentar provoziert, den ich wirklich empfehlen kann. In dem Kommentar 226 schreibt jemand offen und weise:

Undifferenziertes Evangelikalenbashing ist gegenwärtig einfach in. Wer hier öffentlich gegen wen hetzt, würde ich da mal gründlich in Frage stellen.

Der kruden Homophobie, die sicher manche Teile des evangelikalen Spektrums prägt und in dumpfen Mails zu lesen ist, steht m.E. zunehmend eine ähnlich bösartige Evangelikalenphobie gegenüber. Alles, was irgendwie danach riecht, wird in Bausch und Bogen verdammt.

Zudem getraue ich mich gegenwärtig nicht, meine hier geäußerten kritischen Gedanken, auch öffentlich im Freundeskreis zu sagen. Das ist schon schlimm.

Aber vielleicht lenkt der Artikel ja viele auf die Seiten des DIJG und dort kann dann ja jeder nachlesen, und sich seine eigene Meinung bilden. Auch wenn es manchmal lange dauert: aber die Wahrheit wird sich letztlich selber als solche erweisen. Deswegen sind agressive Töne egal von welcher Seite, letztlich nicht entscheidend, richten aber oft erst mal schlimmen Schaden an. Das müsste nicht sein.

Vielleicht zeigt die Debatte ja doch noch einigen, dass auch die Wissenschaft immer ein bestimmtes Selbstverständnis des Menschen voraussetzt oder rechtfertigt. Das gilt nicht nur für christliche Ethiker, worauf ja oft genug verwiesen wird, sondern eben auch für humanistische, marxistische oder homosexuelle Fachleute und Meinungsmacher.

Hier der ganze Artikel: www.zeit.de. Neben dem Kommentar 226 empfehle ich auch den Beitrag des Informationsdienstes Medrum: www.medrum.de.

Merkwürdige Online-Filtersysteme zum Jugendschutz

Nicht nur die Nachrichtenportale von idea, factum oder dem Islaminstitut wurden durch die Filtersoftware JusProg gefiltert oder als jugendgefährend eingestuft, auch die Seiten der taz oder des Chaos Computer Clubs landeteten auf der Negativliste.

Die Bundesregierung selbst leistet zwar keine Unterstützung für den Verein JusProg, der ein neues Verfahren zur Gewährleistung des Jugendschutzes in Telemedien anbietet. Der Verein verwende allerdings in seiner Software ein Modul der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, das die Filterung von Onlineangeboten, die von der Bundesprüfstelle indiziert wurden, ermöglicht, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort (16/13744) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (16/13342).

2005 habe die Kommission für Jugendmedienschutz einen Modellversuch für das System von JusProg zugelassen, »um in einer Kombination aus Filtersoftware mit redaktionell gepflegten Black- and Whitelists‘ ein neues Verfahren zur Gewährleistung des Jugendschutzes zu erproben«, schreibt die Bundesregierung. In einem Prüflabor der Kommission für Jugendmedienschutz würden verschiedene Systeme auf ihre Fehlerquoten getestet. Bisher habe keines der getesteten Systeme eine akzeptable Wirksamkeit gehabt. Zu viele zulässige Inhalte würden blockiert und zu viele ungeeignete Angebote würden durchgelassen, heißt es in der Antwort.

Nun denn.

Recht auf freie Meinungsäußerung in Großbritannien bedroht

In einem Gesetz von 2008, in dem strafrechtliche Bestimmungen und neue Bestimmungen über Einwanderung festgelegt wurden (»Criminal Justice and Immigration Act«), wurde »Aufstacheln zu Hass aus Gründen der sexuellen Orientierung« als neuer strafrechtlicher Tatbestand definiert. Auf Druck aus dem Oberhaus des Parlaments wurde jedoch eine Zusatzbestimmung erlassen, dass niemand gerichtlich belangt werden darf, weil er die Meinung äußert, dass homosexuelle Handlungen falsch sind oder weil er homosexuell veranlagten Menschen empfiehlt, ledig zu bleiben. Die Klausel lautete:

Die Diskussion über Sexualverhalten oder -praktiken, die Kritik an diesen, oder die Aufforderung an Personen, sich eines bestimmten Sexualverhaltens oder bestimmter Praktiken zu enthalten oder diese zu verändern, dürfen nicht an sich als drohend oder auf das Aufstacheln zum Hass ausgerichtet gewertet werden.

Diese Klausel zum Schutz der Meinungsfreiheit soll jetzt aufgehoben werden. Der entsprechende Gesetzesentwurf hat bereits am 18. Mai 2009 das Oberhaus in zweiter Lesung passiert. Dies geschieht in einem Klima der Besorgnis über die Aushöhlung der Meinungsfreiheit in Großbritannien. Eine breite Koalition von anglikanischen Bischöfen, konservativen und Labour Abgeordneten des Oberhauses haben sich zusammen geschlossen, um diesen Gesetzesentwurf zu blockieren und umfassende Meinungsfreiheit zu erhalten.

Dazu wird Andrea Williams, Direktorin von »Christian Concern for Our Nation« (www.ccfon.org) in der renommierten Tageszeitung Guardian zitiert:

Kein vernünftiger Mensch unterstützt das Aufstacheln zu Hass irgendwelcher Art. Doch im Großbritannien des 21. Jahrhundert müssen wir einen Weg finden, friedlich nebeneinander zu leben und eine freie und auch heftige Debatte über jeden Aspekt des Lebens zuzulassen, einschließlich angemessener und zumutbarer Kritik an und Diskussionen über alle Formen sexuellen Verhaltens. Die Regierung versucht, diese vernünftige Bestimmung auf Betreiben der Homosexuellen-Lobby zu streichen, die nicht zulassen will, dass ihre sexuellen Praktiken in Frage gestellt werden. Wir sehen einen Fall nach dem anderen, wo Christen wegen ihrer biblische Ansichten über sexuelle Verhaltensweisen diskriminiert werden. Es ist Zeit, etwas zu unternehmen, bevor unsere Gesetze jede Kritik an praktizierter Homosexualität zum Schweigen bringen.

Der Bischof von Southwell und Nottingham, George Cassidy sagte: »Wir sind besorgt, dass durch die Anwendung des neuen Gesetztes die legitime Diskussion und Meinungsäußerung über Sexualethik und -verhalten eingeschränkt wird«.

Bereits unter der bestehenden Gesetzesregelung wurde einigen Christen der Tatbestand der Diskriminierung vorgeworfen:

  • 2003 ermittelte die Polizei der Grafschaft Cheshire gegen den Bischof von Chester Dr. Peter Forster, wegen »Hassverbrechen« (»Hate Crime«) nachdem er gegenüber einer Lokalzeitung erklärt hatte, dass einige Homosexuelle ihre sexuelle Orientierung mit Hilfe von Therapie verändert hatte. Die königliche Anklagebehörde ließ die Anklage fallen, weil der Bischof »keine derzeit geltenden Gesetze verletzt« hatte.
  • 2005 wurde die Autorin Lynette Barrows von der Londoner Polizei wegen Homophobie verwarnt, nachdem sie in einem BBC Radioprogramm erklärt hatte, dass homosexuelle Paare keine idealen Adoptiveltern sind.
  • 2006 wurde eine polizeiliche Untersuchung gegen Sir Iqbal Sacranie, damals Generalsekretär des Rats der Muslime Großbritanniens, geführt, weil er in einer Rundfunksendung erklärt hatte, dass praktizierte Homosexualität aus gesundheitlichen und moralischen Gründen inakzeptabel sei.
  • Kürzlich wurde der Krankenpfleger Anand Rao von Nationalen Gesundheitsdienst in Leicester entlassen, weil er während eines Rollenspiels im Rahmen der beruflichen Fortbildung einen Kirchgang als Möglichkeit des Abbaus von Stress empfohlen hatte. Der Veranstalter des Kurses sandte einen Bericht an den Arbeitgeber, in dem »Besorgnis über das professionelle Verhalten« des Pflegers geäußert wurde. Der Arbeitgeber sprach die Entlassung aus.

Sollte die Zusatzklausel wegfallen, ist mit einer besorgniserregenden Verschärfung der Situation zu rechen.

Quelle: Guardien, Blog von Mats Tunehag. Übersetzung: ÖEA.

Ben Stein stellt sich einigen Fragen zum Intelligent Design

Ben Stein, ein amerikanischer Journalist und Entertainer, der im Frühjahr 2008 beim Filmprojekt Expelled – No Intelligence Allowed durch das Programm führen und zahlreiche Wissenschaftler zur Evolutionstheorie befragen wird, hat sich in Bill O’Reilly’s Fernsehshow (Fox News) einigen kritischen Fragen zum Intelligent Design-Konzept (ID) gestellt.

Seiner Meinung nach werden ID-Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten bereits diskriminiert. Stein, der selbst kein überzeugter ID-Anhänger ist, plädiert für mehr Offenheit bei dem Versuch, Fragen nach dem Ursprung des Lebens zu klären. Es zeuge nicht für die Reife eine Gesellschaft, wenn man einigen Leuten den Mund verbiete.

Ein Mitschnitt des (amerikanischen) Interviews kann hier abgerufen werden: youtube.com.

Expelled – No Intelligence Allowed

Der Filmemacher Mark Mathis produziert derzeit einen Kinofilm über Wissenschaftler, die sich zum Intelligent Design (ID) bekennen und deshalb mit allerlei Repressalien zu kämpfen haben. Durch den Film führt der amerikanische Schauspieler und Journalist Ben Stein.

Während der Trailer viel versprechend aussieht, wird das Projekt vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel als fundamentalistische Propaganda für den Kreationismus eingestuft. Vorgeworfen wird den Produzenten, dass sie R. Dawkins, Paul Z. Myers und andere Evolutionisten unter dem Vorwand interviewt hätten, einen ausgewogenen Streifen über die aktuelle ID-Debatte zu drehen. Tatsächlich sei die Dokumentation jedoch eine Verteidigung des ID-Konzeptes. Die Produzenten und Ben Stein weisen den Vorwurf zurück und erklärten The New York Times, dass kein Interviewpartner über die Absicht des Films im Unklaren gelassen worden sei. Die Tatsache, dass der Film ursprünglich »Crossroads« heißen sollte und dann zu »Expelled – No Intelligence Allowed« umbenannt wurde, hätte rein werbetechnische Gründe gehabt.

Steht uns eine neue Inquisition bevor?

feuerWährend die Klischeevorstellungen über die Inquisition und den Index verbotener Bücher durch die Öffnung der Vatikanarchive im Jahr 1998 allmählich korrigiert werden, erscheinen am Horizont neue zensierende Geister. Drei Beispiele:

(1) Kürzlich wurde in den U.S.A damit begonnen, die Gefängnisbibliotheken von christlicher Literatur zu befreien, um einer möglichen Fanatisierung der Insassen zuvor zu kommen. Die Liste der weiterhin erlaubten christlichen Literatur umfasst lediglich 150 Bücher. Auch einige Bücher von C. S. Lewis sind in Zukunft nicht erwünscht. (Mark Earley von der Organisation Prison Fellowship hat darüber berichtet und die New York Times informierte in einem Artikel über scharfe Proteste.)

(2) Ebenfalls in den U.S.A. wurde dem renommierten Astronom Guillermo Gonzalez im April 2007 eine Professur verweigert, weil er sich zum »Intelligent Design« bekennt. Wozu haben wir eigentlich all die Antidiskriminierungsgesetze?

(3) Anfang Oktober wird der Europarat darüber tagen, ob der Kreationismus einschließlich »Intelligent Design« eine Gefahr für die Wissenschaft und die Menschenrechte darstellt. Der französische Europapolitiker Guy Lengagne, der das umstrittene (105 Punkte umfassende) Dokument 11375 über die »Gefahren des Kreationismus« wesentlich initiierte, würde gern all jene vom Wissenschaftsbetrieb auszuschließen, die intellektuelle Zweifel an der Evolutionstheorie hegen. Die Argumentationsfigur sieht ungefähr so aus: Da es absolut keinen Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Evolutionstheorie gibt, können Kreationisten und ID’ler nur fundamentalistisch verführte Ignoranten sein. Also:

Wenn wir nicht wachsam sind, sind Werte, die den Kern des Europarates bilden, in Gefahr, von kreationistischen Fundamentalisten bedroht zu werden.

Der Wissenschaftstheoretiker Hans Albert dürfte an diesem Argument seine Freude haben. Es ist ein klassischer Fall für die »Immunisierung« eines (in diesem Fall ›evolutionistischen‹) Dogmas.

Andreas Dippel hat für das Medienmagazin pro die wichtigsten Hintergrundinformationen über die Debatte im Europarat kompakt zusammengestellt.

Die Europäische Evangelische Allianz ermutigt dazu, auf die Abgeordneten zuzugehen und gegen drohende Denkverbote zu protestieren. Es sei skandalös, dass der suggestive Entwurf des Europarates behaupte, die Demokratie und die Menschenrechte seien durch den Kreationismus gefährdet, heißt es in ihrer Stellungnahme. Eine ähnliche Auffassung vertritt Paul C. Murdoch vom Arbeitskreis der für Religionsfreiheit der Deutschen Evangelischen Allianz in einem Brief an den Leiter der Deutschen Delegation in der Versammlung des Europarats.

Mein Kollege, Freund und Philosoph Thomas K. Johnson hat einen offenen (und zugleich sehr persönlichen) Brief an Senator Guy Lengagne geschrieben. Matthew Cserhati hat für die Hungarian Protestant Creation Research Group in einem Schreiben berechtigten Unmut formuliert. Thomas Torrance, vom Departmen of Economics der School of Management & Languages in Edinburgh hat ebenfalls einen bedenkenswerten Kommentar verfasst. (Alle drei Dokumente biete ich mit freundlicher Genehmigung der Verfasser an.) Die Zensurgeister scheinen sehr nervös zu sein. Hoffen wir, dass sie bald wieder verschwinden.

Ist der Glaube an einen Schöpfer eine Gefahr für die Demokratie?

Das Komitee für Kultur, Wissenschaft und Bildung des Europarats stuft in seinem Dokument 11297 vom 8. Juni 2007 unter dem Titel »Die Gefahren des Kreationismus im Bildungswesen« (»The dangers of creationism in education«, voller Text in englischer und französischer Sprache auf der Homepage des Europarats abrufbar, Adresse siehe unten) den Kreationismus als Bedrohung für Demokratie und Menschenrechte ein. Die Erklärung äußert ihre Bedenken gegenüber dem Schöpfungsglauben in 105 Punkten.

In der Zusammenfassung am Beginn des Dokuments heißt es:

Die Evolutionstheorie wird von religiösen Fundamentalisten angegriffen, die dazu aufrufen, in den europäischen Schulen kreationistische Theorien neben oder sogar statt der Evolutionstheorie zu lehren. Vom wissenschaftlichen Standpunkt kann es absolut keinen Zweifel daran geben, dass die Evolutionstheorie eine zentrale Theorie für unser Verständnis des Universums und des Lebens auf der Erde ist.

Der Kreationismus in allen Formen, wie etwa »Intelligent Design« beruht nicht auf Fakten, verwendet keine wissenschaftliche Beweisführung und die Inhalte sind für den Unterricht in naturwissenschaftlichen Fächern in geradezu bemitleidenswerter Weise ungenügend.

Die Versammlung ruft die Bildungsbehörden der Mitgliedsstaaten auf, wissenschaftliche Kenntnisse und die Vermittlung der Evolutionstheorie zu fördern und allen Versuchen, den Kreationismus als wissenschaftliche Disziplin zu lehren, entschieden entgegenzutreten.

In dem mehr als 10 Seiten umfassenden Resolutionsentwurf heißt es unter anderem weiter:

Die parlamentarische Versammlung ist besorgt über die möglichen negativen Auswirkungen der Verbreitung kreationistischer Theorien innerhalb unserer Bildungssysteme und über die Konsequenzen für unsere Demokratien. Wenn wir unachtsam sind, könnte der Kreationismus zur Bedrohung für die Menschenrechte werden, die ein zentrales Anliegen des Europarats sind.

Es wird beklagt, dass der angeblich aus der Leugnung der Evolution der Arten durch natürliche Selektion geborene Kreationismus – bisher ein fast ausschließlich auf Nordamerika beschränktes Phänomen – seinen Weg vermehrt nach Europa findet. Dem Kreationismus wird jede Legitimität als wissenschaftliche Disziplin abgesprochen. Ein Vorwurf lautet:

Kreationisten stellen den wissenschaftlichen Charakter bestimmter Erkenntnisse in Frage und behaupten, dass die Evolutionstheorie nur eine Interpretation unter anderen ist. Sie beschuldigen die Wissenschaftler, nicht genug Beweise für die wissenschaftliche Gültigkeit der Evolutionstheorie zu erbringen. Hingegen verteidigen sie ihre eigenen Behauptungen als wissenschaftlich. All das hält einer objektiven Analyse nicht stand.

Die Intelligent Design Theorie wird wörtlich als »gefährlich« bezeichnet. Weitere Vorwürfe lauten:

Die Evolution ist nicht nur eine Angelegenheit der Entwicklung des Menschen und von Populationen. Ihre Leugnung könnte ernsthafte Auswirkungen auf die Entwicklung unserer Gesellschaften haben. Fortschritte in der medizinischen Forschung mit dem Ziel der effektiven Bekämpfung von Infektionskrankheiten wie AIDS sind unmöglich, wenn jedes Prinzip der Evolution geleugnet wird …

Der Krieg gegen die Evolutionstheorie und ihre Vertreter hat seinen Ursprung oft in Formen des religiösen Extremismus in enger Verbindung mit politischen Bewegungen der extremen Rechten. Die kreationistischen Bewegungen haben reale politische Macht. Tatsache ist, und das wurde bereits mehrmals aufgedeckt, dass die Vertreter des strikten Kreationismus darauf aus sind, die Demokratie durch die Theokratie zu ersetzen …

Die Vermittlung aller die Evolution betreffenden Phänomene als fundamentale wissenschaftliche Theorie ist daher entscheidend für die Zukunft unserer Gesellschaften und Demokratien. Aus diesem Grund muss die Evolution eine zentrale Position im Lehrplan und insbesondere bei den naturwissenschaftlichen Fächern einnehmen. Evolution ist allgegenwärtig, von der medizinischen Verordnung exzessiver Mengen von Antibiotika, was zu einem Auftreten resistenter Bakterien führt, bis zur Verwendung exzessiver Mengen an Pestiziden in der Landwirtschaft, was zu Mutationen von Insekten führt, gegen die Pestizide nicht mehr wirken.

Der Schöpfungslehre wird ein Platz ausschließlich im Religionsunterricht zugebilligt. Die Panikmache vor der Überzeugung von einem intelligenten Schöpfer gipfelt in der Aussage in Punkt 17 des Dokuments:

Wenn wir nicht Acht geben, werden die zentralen Werte des Europarats von kreationistischen Fundamentalisten einer direkten Bedrohung ausgesetzt. Es ist Teil der Rolle der Parlamentarier des Rates, zu reagieren, bevor es zu spät ist.

In vollkommen dogmatischer Weise heißt es in Punkt 51:

Es kann daher nicht akzeptabel sein, alternative Theorien als Wissenschaft zu lehren.

– – –

Quelle: Website des Europarates
(Die Übersetzung des Auszugs stammt von Josef Jäger)

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