Postmoderne

Hardcore-Konstruktivismus

Der Beitrag „Die Schulä fenkt an“ wird inzwischen hier weiterdiskutiert:

Lange bevor sich die vollen Konturen des Postmodernismus in unserem Alltag abzuzeichnen begannen, hatte er mit seinen führenden Denkern von Wittgenstein über Foucault und Derrida bis Rorty weite Teile der universitären Geisteswissenschaften und ihnen nahestehende intellektuelle Kreise erobert. Insbesondere seine Erkenntnistheorie, der Konstruktivismus, trat schon vor mehr als 30 Jahren seinen Siegeszug in den Humanwissenschaften an, vor allem als didaktisches Paradigma in der Pädagogik – wo die 1978 erfolgte Habilitierung des führenden deutschen konstruktivistischen Pädagogen Kersten Reich (geb. 1948) als entscheidende Wegmarke angesehen werden kann -, was um 1990 herum in der Lehrerausbildung an den Pädagogischen Hochschulen immer spürbarer wurde. Die heute immer wieder und geradezu gebetsmühlenartig kolportierten Slogans und Paradigmen, daß der Lehrer sich „zurücknehmen“ und nur noch „Lernbegleiter“ sein soll (bloß nicht in den „Wissens-Konstruktionsprozeß“ des Kindes eingreifen!), sowie die Verteufelung des Frontalunterrichts und die Kultivierung der Verachtung „harten Faktenwissens“ (Artikel „Schule in der Krise“) wie auch jeglichen „ja/nein“- und „richtig/falsch“-Denkens haben hier ihren Ursprung, der wiederum letztlich auf die postmodernistische Ablehnung der Orientierung an einer absoluten Wahrheit und einer objektiven Realität zurückgeht.

Inzwischen ist eine ganze Pädagogen-Generation mit diesem konstruktivistischen Gedankengut großgeworden, darunter auch viele Christen meiner Generation. Und fatalerweise haben sogar viele dieser christlichen Pädagogikstudenten – nicht zuletzt aufgrund ihres geringen Interesses und teilweise erschreckenden Analphabetismus hinsichtlich der biblisch-christlichen Weltsicht und ihres mangelnden Bewusstseins für die Notwendigkeit weltanschaulicher Denkfähigkeit – die während ihres Studiums gelehrten Sichtweisen übernommen (hinzu kommt noch, daß es schlechte Noten in Hausarbeiten und Prüfungen gegeben hätte, wenn man sich der Meinung des Lehrstuhls widersetzt hätte). Christen, die während ihres Pädagogik-Studiums mit dem Konstruktivismus gefüttert worden sind und nicht gelernt haben, weltanschaulich nachzudenken, machen sich schließlich die Sicht zu eigen, daß die einzige uns zugängliche Realität die in unseren Köpfen sei – mit dramatischen Folgen für ihren eigenen Glauben, in welchem damit relativistische und emergente Paradigmen Einzug halten können (was auch die positive Rezeption der Emergenten Bewegung in diesen Kreisen erklärt). Als Lehrer tragen sie dann diese Elemente in den Unterricht hinein – und zwar sowohl in den Sachgegenstand als auch in das Erziehungskonzept.

Das komponierte „Ich“

Weil die tradierten gesellschaftlichen und kulturellen Grundlagen für eine feste Verortung der Menschen zunehmend wegbrechen, ist „Identität“ zu einem Dauerbrenner geworden. Wenn über ein Thema besonders oft und intensiv gesprochen wird, ist meist etwas aus dem Lot gekommen. „Identität wird nur in der Krise zum Problem“ (Kobena Mercer). „Man denkt an Identität, wann immer man nicht sicher ist …“ (Zymunt Bauman).

Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts werden Umwälzprozesse wie Differenzierung, Individualisierung oder Pluralisierung mit den Etiketten „Postmoderne“, „Zweite Moderne“, „Spätmoderne“ oder „Risikogesellschaft“ versehen. Vertraute Bindungen von Familie, Klasse, Beruf oder Geschlecht verflüssigen sich. Diese Erosion identitätsstiftender Lebensformen hat Konsequenzen für die ‚Innenseite‘ des Subjekts. Menschen machen die Erfahrung der radikalen ‚Entbettung‘. Wie sehen die postmodernen Identitäterfahrungen aus? Und: Wie antworten Christen auf den heute verbreiteten Ansatz einer „dezentrierten Identität“?

Am kommenden Dienstag werde ich bei der SMD-Gruppe in Gießen zum Thema:

  • Das komponierte ‚Ich‘: Identitätsfindung in der Postmoderne

sprechen. Wer immer sich für das Thema interessiert, kann gern vorbeischauen. Wir treffen uns um 19:30 Uhr in der Georg-Schlosser-Str. 9 in der Pankratiusgemeinde (Gießen).

Was haben Slavoj Žižek und Lady Gaga gemein?

Moritz von Uslar hat den Pop-Philosophen Slavoj Žižek getroffen:

Einige Basisdaten: Žižek, 1949 im slowenischen Ljubljana geboren, wohnhaft in der slowenischen Hauptstadt, in London, New York und den Flughafen-Lounges dieser Welt. Sein Beruf: Philosoph, Psychoanalytiker, Kulturkritiker. Dieser Žižek, so sagt man, verbinde Jacques Laxans Psychoanalyse mit Marx’und Hegels Geschichtsphilosophie. Der Filmfan Žižek liebt es, bei seinen theoretischen Exkursen mit Bezügen aus der Popkultur zu spielen: So findet Indiana Jones zu Karl Marx, Kung Fu Panda zu Jacques Lacan und Star-Wars-Lego zu Judith Butler: unterhaltsame Sache. Die Theorie, so sagt man weiter, habe Žižek aus dem Elfenbeinturm der Universitäten geholt. Neben dem Italiener Antonio Negrid und dem Franzosen Alain Badiou gilt er als wichtigster Denker einer neuen Linken und platterdings als bekanntester und einflussreichster Philosoph Europas.

Vorm Vielsprecher Slavoj Žižek wird gewarnt: Er rede alle in Grund und Boden – schlimmer noch, er spucke beim Reden. Diesem Žižek brauche niemand Fragen zu stellen, er beantworte trotzdem alle Fragen. Wir wollen dem Sprechautomaten Žižek bei seinem Besuch in Frankfurt einmal anders begegnen – ein Experiment: Was erfährt der, der dem Philosophen, der ein Pop-Phänomen ist, drei Tage lang nur zuschaut? Was versteht der, der das Pop-Philosophie-Mysterium sich frei entfalten und agieren lässt? Pop, das wissen wir, hat seine eigene, für sich sprechende Intelligenz, Wahrheit und Tiefgründigkeit: Spannung auf der Oberfläche.

Žižek: großer Verführer, Entertainer, Rockstar, ein Elvis der Kulturtheorie (Untertitel eines Filmporträts über Slavoj Žižek). Mit seinem heruntergekommenen Äußeren und den zahlreichen, in aller Öffentlichkeit zelebrierten Ticks – der vortragende Žižek fummelt sich ununterbrochen an Nase, Bart, Haaren und T-Shirt herum – erfüllt dieser Philosoph ein leicht konjugierbares Klischee: Dieser Denker sieht aus, wie Menschen, die begrenzt viel vom Denken verstehen, sich einen Denker vorstellen. Der »hoffnungslos überfüllte Hörsaal« gehört bei ihm genauso dazu wie die sagenhafte Geschichte, dass er bis vor zwei Jahren mit einem argentinischen Unterwäschemodel verheiratet war. Neueste Gerüchte lauten, von der New York Post lanciert, der New York Times weitergesponnen und vom deutschen Verlag weder bestätigt noch dementiert: Der Philosoph unterhalte ein loses, trotzdem ernsthaftes Verhältnis mit dem Popstar Lady Gaga.

Mehr hier: Kapitalismuskritik-Zizek.pdf.

Egozentrisch oder exozentrisch: Ich oder Gott?

Der anglikanische Pastor Rev. Mario Bergner beobachtet mit Besorgnis, wie der Individualismus der Postmoderne auch in den Kirchen Einzug hält. Meine „egozentrische“ Geschichte ersetzt die „exzentrische“ Geschichte Gottes und leugnet jegliche göttliche Autorität. Glaube ich noch, dass ich die Bibel so lesen kann, dass ich erkenne, was Gott gemeint hat – oder denke ich, das einzig Sichere sei mein Gefühl, das ich beim Lesen eines Bibelwortes habe?

Die Postmoderne benutzt eine Epistemologie (Erkenntnistheorie), die eine Mischung aus subjektiven Erfahrungen, Gefühlen, unserer Kultur und Einflüssen unserer Zeit ist. Die Postmoderne behauptet, durch eigene Wahrnehmung und Erfahrung könne man sich besser der Wahrheit nähern als mit der Vernunft … Der wichtigste Zugang zur Wahrheit (falls man das überhaupt so nennen kann) in der Postmoderne ist das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte … In den letzten zwanzig Jahren bekam „meine Geschichte“, wie sie von den sich als Christen bezeichnenden Angehörigen der LGBT-Community erzählt wurde, in den großen Kirchen ganz langsam den Vorrang vor „Gottes Geschichte“. Vergleichen Sie das einmal mit den Aussagen von Dr. Roberta Bayer über Augustinus, der die Bibel las, um zu erkennen, wie Gott ihn sah. Mit anderen Worten: In der Postmoderne bestimmt meine Geschichte wer ich bin, nicht Gottes Geschichte. Wenn wir und nicht Gott über unsere Identität entscheiden, dann definieren wir uns über unser eigenes Selbst, und das ist Egozentrismus. Martin Luther, ein Schüler von Augustinus, bezeichnete das als die innere Haltung der gefallenen Menschheit: der in sich selbst verkrümmte Mensch. Wenn wir auf Gott schauen, um unsere Geschichte im Lichte des Evangeliums zu verstehen, dann strecken wir uns nach etwas und Jemandem aus, der größer ist als wir: Jesus Christus. Damit werden wir durch einen Mittelpunkt außerhalb unseres Selbst und innerhalb von Gott definiert, und werden so exozentrisch. Wenn wir von unserer Position des gefallenen, in sich verkrümmten Menschen über uns selbst hinausreichen und dafür offen sind, dass Gott bestimmt, wer wir sind, betreten wir den Weg der Erlösung zu unserer christlichen Identität. Dies geschieht nur, wenn wir uns mit allem, was wir sind, dem gnädigen Einfluss von Christus überlassen. Dann kann unsere Geschichte zu unserem Zeugnis werden.

Hier der Beitrag des insgesamt empfehlenswerten Blogs Sex needs Culture: sex-needs-culture.blogspot.com.

VD: MG

Die neue Geldperspektive: Und vergib uns unsere Schulden

1933633867.jpgFrank Schirrmacher ist ganz begeistert vom neuen Buch des Anthropologen David Graeber. Debt zeige uns, wo wir heute stünden. Schirrmacher schreibt:

Was geschieht, ist größer als das, was wir davon lesen. Und auch wenn ein Teil der ökonomischen Kommentatoren versucht, die gegenwärtige Krise von der Finanzkrise des letzten Jahrzehnts abzukoppeln, so wird eine spätere Geschichtsschreibung den Zusammenhang ohne weiteres erkennen. Graebers Text ist eine Offenbarung, weil er es schafft, dass man endlich nicht mehr gezwungen ist, im System der scheinbar ökonomischen Rationalität auf das System selber zu reagieren. Diese Tautologie hat in den letzten Monaten im Zentrum eines funktionsunfähigen Systems dazu geführt, dass praktisch alle Experten einander widersprechen und jeder dem anderen vorwirft, die Krise nicht zu verstehen. Diese enorme Entmündigung hat nichts mehr mit Rationalität, sondern mehr mit Intuition, nichts mehr mit Wissenschaft, sondern mit Theologie zu tun.

David Graebers Geschichte, übrigens die erste ihrer Art aus der Hand eines Anthropologen, zeigt den historischen Ort, an dem wir stehen. Schon die Erzählung zeigt, dass es nicht gut ist, die Erörterung der Schuldenkrise einem Kreis streitsüchtiger Ökonomen zu überlassen. Praktisch alle Aufstände, Umstürze und sozialen Revolutionen der europäischen Geschichte, schreibt Graeber, entstanden aus einer Situation der Überschuldung. Die scheint eine der größten Kräfte in der Entfesselung von Unruhe und Revolte zu sein und eine der über Generationen zyklisch wiederkehrenden Lebensbedrohungen – sowohl für den Einzelnen wie für die etablierte Macht.

Man wird den Anarchismus Graebers nicht teilen müssen, um von dem Buch zu profitieren. Wer sich für die Schuldenkrise interessiert, wird das Werk kaum ignorieren können. Allerdings lässt es sich nicht über Nacht lesen; es zählt 544 Seiten.

Hier zum Einstieg ein Interview mit Graeber über Debt.

Teil 1:

Teil 2:



Warum die Postmoderne mausetot ist

Auch DIE ZEIT hat der Londoner Ausstellung »Postmodernism – Style and Subversion 1970–1990« einen ausführlichen Beitrag gewidmet (siehe auch hier). Ich kann den Artikel von Thomas Assheuer sehr empfehlen, weist er doch unverblümt darauf hin, dass im Rahmen der postmodernen Erkenntnistheorie und Ethik »linke Positionen« Fragen persönlicher Vorlieben sind und sein müssen. Nur das. Ein postmoderner Denker kann weder an einen Gott, noch an universelle Menschenrechte glauben.

Mit dem Pathos der Distanz, nicht amoralisch, aber doch jenseits moralischer Zwänge glitt der postmoderne Zeitgeist zur Musik von Laurie Anderson auf den waves der visuellen Welt, auf den Glitzerwellen von Lifestyle und Kunst, von Werbung und Mode. Dieser Zeitgeist war, und das ist das Beste, was man über ihn sagen kann, antitragisch; er träumte vom gewaltlosen Nebeneinander der Bürger und ihrer sozialen Systeme, er wollte nicht besserwisserisch aufklären, sondern verführen und sich verführen lassen. Susan Sontags Aufsatz Anmerkung zu »Camp« von 1964 empfand der postmoderne Zeitgenosse ebenso als geniale Vorwegnahme seines Lebensgefühls wie Roland Barthes’ Lust am Text oder die Gemälde von Cy Twombly, dem melancholischen Meister der gemalten Schrift. Melancholisch deshalb, weil ja die wirkliche Wirklichkeit verschwunden war und der Alltag aus nichts anderem bestand als aus der bedeutungslosen Bedeutung austauschbarer Zeichen.

Und die gute alte Wahrheit? Sie war in postmodernen Ohren das sentimentale Medley des Abendlandes, eine lästige metaphysische Hinterlassenschaft, deren Rätsel die Gegenwart nicht mehr bekümmern müssen. Die Wahrheit war nur eine ungedeckte Metapher, ein Text unter Texten in einer Welt ohne Tiefe. Selbst unsere innigsten Worte (»I love you!«), so Baudrillard, können die Wahrheit nur verfehlen. »Wenn man sagt: ›Ich liebe dich‹, setzt man die Sprache, eine Form des Bruchs und der Untreue, an die Stelle der Liebe.«

Dass es keine Wahrheit gibt, sondern nur semantische Fiktionen, nur unterschiedliche Sprachspiele – das war die größte Provokation, die die Postmoderne damals bereithielt. Denn während die alte Moderne noch die Versöhnung mit den Verhältnissen in Aussicht stellte, so tat die Postmoderne dies nicht mehr. Politisch hieß das: Wir müssen uns mit den sozialen Tatsachen und dem Pluralismus unvereinbarer Lebensweisen abfinden. Und für die Kunst lautete die Botschaft: Form und Gehalt sind nicht mehr verkettet, und damit ist das Ästhetische vom modernen Zwang befreit, den Fortschritt symbolisieren zu müssen, den »Vorschein der Versöhnung« (Adorno). Nach Belieben und mit einem Polytheismus der Stile darf sich der postmoderne Künstler aus dem Schatzkästlein der Vergangenheit bedienen, von der dorischen Säule bis zum spätwilhelminischen Erker. Anything goes.

Hier der Artikel »Als die Kunst ins Leben trat«: KS-Postmoderne.pdf.

»Wir schätzen Wahrheiten nicht mehr genug«

Wir haben nicht nur unsere finanziellen Reserven verschleudert, sondern auch unsere geistigen, warnt Wolfram Weimer. Der ehemalige Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Focus erklärt, dass wir ein Wahrheitsproblem haben.

Ein analytischer Beitrag, eine herbe Kritik an der Mediendemokratie. So ist es: Der postmoderne Mensch hat sich seine Identität nur geborgt. Die Reserven sind aufgebraucht. Wir leben auch ideell auf Kredit. Wollen wir aus den kulturellen Schulden wieder herauskommen, brauchen wir eine neue Wertschätzung für die Wahrheit.

Unbedingt lesen!

Immer weniger hört man auf das, was einer zu sagen hat, als darauf, wie und wo und vor wie vielen er es sagt. Ernst Jüngers Diktum »Die Intelligenz ist unsere glitzernde Uniform« hat sich ins Gegenteil verkehrt. Heute ist häufig die glitzernde Uniform unsere Rest-Intelligenz. Schaut man genauer hin, welchen Wahrheitskategorien diese Subprime-Kultur folgt, dann sieht man einen Rigorismus Kants ebenso schwinden wie eine Systematik Thomas von Aquins. Dagegen haben Friedrich Nietzsche, Jeremy Bentham und Jürgen Habermas durchaus Konjunktur und weben am unterbewussten Äußerlichkeitskleid mit.

Die Zyniker und Machtmenschen, die Karrieristen und Realpolitiker folgen Nietzsche heute mit einer Selbstverständlichkeit, mit der Wind durchs Land weht. Die Selbstlegitimation von Wahrheit durch Macht ist ein Gift, an dem nicht nur Diktatoren schnüffeln, es hat in verdünnten Dosen des Manageriellen und der Machbarkeiten mehr Gefolgsleute, als man ahnt.

Die zweite modische Versuchung eines variablen Wahrheitsbegriffs liegt in der Tradition Benthams und seines Utilitarismus, der Nutzwertideologie, die tatsächlich glaubt, das Praktische sei das Eigentliche. Wenn es aber um die essenziellen Dinge des Lebens und der Gesellschaft geht, auch um diskursfähigen Journalismus übrigens, dann wirkt das Nutzwertige zuweilen wie eine Gebrauchsanweisung zur Infantilisierung. Vom kommunikativen Utilitarismus leitet sich nichts ab, was über die Sondertarife für Mallorcareisen oder den Wirkungsgrad von Hautcremes hinausgehen würde. Er be-deutet nichts, darum hat er dort nichts zu suchen, wo es um Deutung gehen sollte. Der Benthamianismus ist zwar ein zuweilen sympathisch praktischer Zug der Wahrheitssuche, tatsächlich aber höhlt er in einer Welt der Machbarkeitsfixierung das Bewusstsein von Relevanzen und Existenziellem aus. Er befördert eine Gesellschaft, der alles egal ist, solange die Cholesterinwerte stimmen und der Handytarif günstig ist.

Die dritte und wichtigste Versuchung gegenwärtiger Wahrheitsrelativierung liegt in der Auflösung von Wahrheiten zu diskursiven Konsensen. Vom deutschen Idealismus bis zu Jürgen Habermas reicht die Fraktion der Post-Veritaten, die Wahrheiten nur aus subjektiven Kategorien oder als Diskursfußnoten akzeptieren. Diese Auflösung fundamentaler Verbindlichkeiten führt im Alltag dazu, dass die Politik sich am liebsten auf Umfragen stützt, dass die Wirtschaft sich an Analysten und der Marktforschung orientiert und der Journalismus an der nackten Quote. Alles nachvollziehbar – nur zahlen wir mit diesen lemurenhaften Techniken der Vermittlung unseres Bewusstseins einen Preis der opportunistischen Verflachung.

Mehr: www.christundwelt.de.

Sieben Dogmen postmoderner Theologie

Manch TheoBlog-Leser wird überrascht sein, wenn ich heute einen Podcast empfehle, der aus dem katholisch-charismatischen Raum stammt. Johannes Hartl (hier seine Dissertation Metaphorische Theologie: Grammatik, Pragmatik und Wahrheitsgehalt religiöser Sprache und das dazugehörige Inhaltsverzeichnis) spricht knapp 70 Minuten lang lebendig und anschaulich über folgende sieben Dogmen der postmodernen Theologie.

  1. Die gemeinsame Kultur ist das, was uns mit einer Personengruppe verbindet.
  2. Christlicher Glaube hat sich in jeder Epoche neu definiert.
  3. Wir leben in der Postmoderne.
  4. In der Postmoderne wird »absolute Wahrheit« unglaubwürdig.
  5. Religiöser (auch christlicher) Fundamentalismus führt zu Intoleranz.
  6. Das Evangelium muss so übersetzt werden, dass es eine gute Nachricht für alle ist.
  7. Das Neue Testament zeichnet unterschiedliche Bilder von Jesus und muss nicht wörtlich genommen werden.

Eine hilfreiche Einführung in die oft ausgeblendeten Problemzonen postmoderner christlicher Bewegungen. Ich kann den Vortrag sehr empfehlen, auch jenen, die bisher nur emergentes Material zum Thema gelesen oder gehört haben.

Hier:
[podcast]http://www.gebetshaus.org/sites/default/files/podcast/audio/postmoderne.mp3[/podcast]
VD: JH & FH

Postmoderne: Alles zu bunt hier

Eigentlich war die Postmoderne ein Aufstand der Designer gegen das strenge Schwarzgrau der großen Utopie der Moderne. Doch dann lief der Stil aus dem Ruder. Inzwischen hat die Postmoderne einen so schlechten Ruf, dass ihre Stars nicht damit ins Museum wollen. Für die aktuelle Ausstellung »Postmodernism: Style and Subversion 1979 – 1990« (siehe auch hier) war es schwer, Aussteller zu finden.

Catrin Lorch schreibt für die SZ:

Doch warum gilt die Postmoderne, zu deren ersten Vertretern neben Alessandro Mendini und Philippe Starck auch Rem Kohlhaas als Theoretiker gehört, heute als Sündenfall? Schon Ettore Sottsass äußerte sich nie wieder öffentlich zu Memphis, nachdem er sich 1985 aus der von ihm begründeten Designer-Gruppe zurückgezogen hatte.

Nun ist es mit dem Design – im Gegensatz zu Literatur, die vergriffen ist, oder Popmusik, die nicht mehr gespielt wird – ja so, dass die Dinge immer noch herumstehen, vom symmetrisch ausgeschnittenen Wolkenkratzergiebel bis zur verkachelten Säule und dem grasgrünen Tympanon an der Museumsfront. Und die Postmoderne hinterließ keine stillen Artefakte, sondern trumpfte auf, stolz, pseudoklassisch, wie die schmalen Krawatten, die romantische New Wave-Musik und die schlagerlaute Neue Deutsche Welle, die gleichzeitig in Mode kamen.

Diese aber sind längst abgehängt, aussortiert, höchstens noch im Nachtprogramm zu hören. Denn dem postmodernem Befreiungsschlag gegen Tabus und Verbindlichkeiten der Aufbaujahre, der wie ein Blitz in das fuhr, was als guter, demokratischer Geschmack galt, haftete immer auch etwas Restauratives an. Es ging plötzlich wieder um architektonische Monumentalität, die als Wert an sich gelten sollte. Der Turm ist hoch, weil er wichtig ist.

Ganz ungeniert wurde wieder Marmor gebrochen und Glas bunt gefärbt – und wem das zu teuer war, der arbeitete mit Laminat und Folie. Dieser geltungshuberische Eklektizismus blieb schon damals stumm, es war den Designern ja schon zu ihrem Vatermord an der großen Utopie der Moderne nicht viel mehr eingefallen, als dem Begriff eine Silbe, das »Post«, voranzustellen.

Anfang der Achtziger hatte die Postmoderne sich im Recht gewähnt, weil Funktionalismus und Neue Sachlichkeit in Zweckbauten geendet waren, in rechtwinkligen Variationen von Stahl, Beton, Glas. Schnell aber wurde klar, dass die neuen Werke umso fatalere Folgen hatten: Salonfähig wurde nicht die Ironie, die Albernheit, sondern der Salon selbst. Es waren nicht nur die Mickey-Maus-Ringel am Ohrensessel, die sich verkauften, der Baumarkt griff auch nach marmorierter Folie und falschen Säulen. Weitsichtig soll Dieter Ramms schon 1981 in Mailand geknurrt haben, dass er sich »jetzt schon vor den Kopien fürchtet«.

Die Postmoderne, das ist rückblickend ein plumper, bunter Historismus, der vor allem alte Hoheitsformeln reaktivierte. Und genau da gründet das Unbehagen von einstigen Vordenkern der Bewegung wie Rem Kohlhaas, die sich jetzt nicht mehr zugehörig fühlen mögen. Den Postmodernen geht es wie den Popeln, die auf Fotos zeigen und behaupten, da seien sie jung gewesen. Dabei wirkt das, was man sieht, bei aller Asymmetrie doch nur wertkonservativ.

Mehr: www.sueddeutsche.de.

Die Postmoderne: Ein erster Rückblick

Das weltweit größte Museum für Kunst und Design, das Victoria und Albert Museum in London, hat heute eine Ausstellung mit dem vielsagenden Titel: »Postmodernismus – Stil und Subversion 1970–1990« eröffnet. Das Magazine Prospect schreibt über diesen ersten größeren Rückblick auf eine künstlerische Epoche »Der Postmodernismus ist tot«:

I have some good news—kick back, relax, enjoy the rest of the summer, stop worrying about where your life is and isn’t heading. What news? Well, on 24th September, we can officially and definitively declare that postmodernism is dead. Finished. History. A difficult period in human thought over and done with. How do I know this? Because that is the date when the Victoria and Albert Museum opens what it calls »the first comprehensive retrospective« in the world: “Postmodernism—Style and Subversion 1970-1990.”

Wait, I hear you cry. How do they know? And what was it? Postmodernism—I didn’t understand it. I never understood it. How can it be over?

You are not alone. If there’s one word that confuses, upsets, angers, beleaguers, exhausts and contaminates us all, then it is postmodernism. And yet, properly understood, postmodernism is playful, intelligent, funny and fascinating. From Grace Jones to Lady Gaga, from Andy Warhol to Gilbert and George, from Paul Auster to David Foster Wallace, its influence has been everywhere and continues. It has been the dominant idea of our age.

Der Postmodernismus ist philosophisch und künstlerisch erschöpft, wie ich hier schon 2007 geschrieben habe. Trotzdem wird er uns, dank Popkultur, Kino, TV, politisch korrektem Geplänkel und dem emergenten Allerlei noch länger beschäftigen. Schade eigentlich.

Hier der Prospect-Artikel: www.prospectmagazine.co.uk. Siehe auch den Artikel von Collin Hansen. Das Buch zur Ausstellung gibt es hier.

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