Frank Schirrmacher ist ganz begeistert vom neuen Buch des Anthropologen David Graeber. Debt zeige uns, wo wir heute stünden. Schirrmacher schreibt:
Was geschieht, ist größer als das, was wir davon lesen. Und auch wenn ein Teil der ökonomischen Kommentatoren versucht, die gegenwärtige Krise von der Finanzkrise des letzten Jahrzehnts abzukoppeln, so wird eine spätere Geschichtsschreibung den Zusammenhang ohne weiteres erkennen. Graebers Text ist eine Offenbarung, weil er es schafft, dass man endlich nicht mehr gezwungen ist, im System der scheinbar ökonomischen Rationalität auf das System selber zu reagieren. Diese Tautologie hat in den letzten Monaten im Zentrum eines funktionsunfähigen Systems dazu geführt, dass praktisch alle Experten einander widersprechen und jeder dem anderen vorwirft, die Krise nicht zu verstehen. Diese enorme Entmündigung hat nichts mehr mit Rationalität, sondern mehr mit Intuition, nichts mehr mit Wissenschaft, sondern mit Theologie zu tun.
David Graebers Geschichte, übrigens die erste ihrer Art aus der Hand eines Anthropologen, zeigt den historischen Ort, an dem wir stehen. Schon die Erzählung zeigt, dass es nicht gut ist, die Erörterung der Schuldenkrise einem Kreis streitsüchtiger Ökonomen zu überlassen. Praktisch alle Aufstände, Umstürze und sozialen Revolutionen der europäischen Geschichte, schreibt Graeber, entstanden aus einer Situation der Überschuldung. Die scheint eine der größten Kräfte in der Entfesselung von Unruhe und Revolte zu sein und eine der über Generationen zyklisch wiederkehrenden Lebensbedrohungen – sowohl für den Einzelnen wie für die etablierte Macht.
Man wird den Anarchismus Graebers nicht teilen müssen, um von dem Buch zu profitieren. Wer sich für die Schuldenkrise interessiert, wird das Werk kaum ignorieren können. Allerdings lässt es sich nicht über Nacht lesen; es zählt 544 Seiten.
Hier zum Einstieg ein Interview mit Graeber über Debt.
Teil 1:
Teil 2: