Johannes S. hat mich freundlicherweise auf einen beachtenswerten Vortrag hingewiesen, den Gabor Steingart, heute zur Geschäftsführung der Verlagsgruppe Handelsblatt gehörend, im November 2013 in München gehalten hat. Steingart sprach über die Krise des Journalismus. Seine Analyse unterscheidet sich von dem, was dazu sonst in den Feuilletons zu lesen ist. Die journalistische Attraktivität schrumpft seiner Meinungen nach nicht wegen der „Googlelisierung“ oder Globalisierung, sondern ist hausgemacht.
Er nennt folgende sieben Gründe:
1. Der Journalismus ist eintönig geworden. „Die Methoden der publizistischen Telepathie – einer erfühlt, was der andere nicht denkt – erzeugen jenes Einheitsmaß der Inhalte, das selbst dem flüchtigen Leser wie eine innere Gleichschaltung erscheinen muss. Die Frontseite einer beliebigen Zeitung erscheint als das Derivat einer anderen, notdürftig getarnt durch unterschiedliche Schrifttypen und Bildgrößen. Wenn wir die deutsche Pressekultur unserer Tage in den Kategorien der Landwirtschaft zu erfassen hätten, müssten wir von Monokultur sprechen“ (S. 2).
2. Der Journalismus betreibt zuweilen Desinformation durch Information. „Aber was wir uns vorwerfen müssen, ist die Tatsache, dass alle immer den gleichen Fehler sehen und offenbar nur im Kollektiv Recht haben können. Das Meutehafte des Auftretens und die Wiederholung des bereits Wiederholten wirkt wirklichkeitsverändernd. Nicht selten werden die Überbringer der Botschaft zu ihrem Erzeuger. Plötzlich sieht das Feriendomizil des Carsten Maschmeyer aus wie das Watergate-Hotel in Washington. Und weil gerade kein Bösewicht vom Schlage eines Richard Nixon zur Stelle ist, muss Präsidentendarsteller Christian Wulff zurücktreten. Die Mücke hat als Elefant ihren Auftritt“ (S. 3).
3. Die Journalisten haben sich mit der Politik eins gemacht. „Nicht wenige politische Redakteure pilgern zu den Flachbauten der Parteipolitik als handele es sich um Kathedralen. Man sieht sich in einer Bedeutungskoalition mit den Parteigrößen. Deren Niedergang wird als der eigene erlebt – und deshalb weich gezeichnet. Es kam zu einer Synchronisierung der Interessen“ (S. 3).
4. Der Journalismus ist nicht ausreichend transparent. „Der Herstellungsprozess von Fischstäbchen und Gummibärchen ist – dank strenger Lebensmittelgesetze – mittlerweile deutlich durchsichtiger als die Entstehung journalistischer Produkte. Von jeder Garnele kennen wir Eiweißgehalt, Aufzuchtbedingungen und Haltbarkeit. Von der Ware Information oft nicht mal den Herkunftsort“ (S. 5).
5. Der Journalismus scheut den Austausch mit den Meinungen der Leser. „Der oft ideenreiche und nicht selten sprachgewitzte Leser fristet – wie im ersten Jahr des Zeitungsdrucks – sein Dasein im Gefängnis der Leserbriefspal-ten. Die Regierung kann man abwählen, in den Betrieben regieren die Betriebsräte mit, in den Familien wurde der patriarchalische Status des ‚Familienoberhaupts‘ hinweggefegt, nur in den Presseorganen herrscht der reinste Feudalismus. ‚Hier endet die Demokratie‘ – diesen Satz hatte Karl Marx in seiner Zeit als Chefredakteur der Rheinischen Zeitung an seine Tür geheftet. Dort hängt er noch immer“ (S. 5–6).
6. Die Wirtschafts-Berichterstattung ist oft nicht auf der Höhe der Probleme. „Die Staatsschuldenkrise – die die gesamte westliche Welt erfasst hat – wird hierzulande auf eine Euro-Krise oder gar auf eine Griechenlandkrise verkürzt. Damit werden die Vorgänge ihrer eigentlichen Urheber entledigt. Die Staaten waren es, zwar jeder in seiner Währung, Dollar, Yen, Pfund und Euro, die Zahlungsverpflichtungen eingegangen sind, die sie heute nur mit Mühe bedienen können. Wohlstand wurde in hohen Dosen an den Finanzmärkten dazugekauft“ (S. 6).
7. Der Journalismus hat sich unterwerfen lassen. „Ein entkräfteter Journalismus hat vielerorts zugelassen, dass die Kaste der Kaufleute das Kommando übernahm. Es kam zu einer Verschiebung in der inneren Machtarchitektur der Verlage. Seither begegnet uns der Bock in der Schürze des Gärtners“ (S. 6–7).
Ein äußerst lesenswerter Vortrag, der hoffentlich zur Qualitätssteigerung im Journalismus beiträgt.
Hier: Gabor%20Steingart_Die%20Leser-Revolution.pdf.
Wenn ich noch einen (aufschlussreichen) Punkt anfügen dürfte …
Die heutige Journalistik ist eine Art Freimaurerei. Alle Glieder der Presse sind untereinander durch das Berufsgeheimnis verbunden. Ähnlich wie bei den alten Wahrsagern gibt keines dieser Glieder das Geheimnis preis, wenn es hierfür nicht einen Auftrag erhält. Kein Zeitungsschreiber wird es wagen, das Geheimnis zu verraten, denn keiner wird zu diesem Berufe zugelassen, wenn er nicht in seiner Vergangenheit einen Makel an seiner Ehre aufweist. Dieser würde sofort aufgedeckt werden. Solange dieser Makel nur wenigen bekannt ist, lockt das Ansehen des Journalisten die Mehrheit des Landes an und man folgt ihm mit Begeisterung.
Ein guter Beitrag, und natürlich hat Steingart in vielerlei Hinsicht recht. Doch mein Eindruck ist, auch aus dem Ausland gesehen, dass der deutschsprachige Journalismus gar nicht so schlecht dasteht. Steingart hat so z.B. gewiss nicht unrecht, wenn er selbstkritisch meint: „Unsere Wirtschafts-Berichterstattung ist oft nicht auf der Höhe der Probleme“. Aber NZZ, FAZ, Welt, Spiegel und z.B. auch The Economist sind nun oftmals wahrlich recht klar in der Analyse der Probleme. Hier ist sehr häufig viel Sachverstand zu finden, den man vielen christlichen Autoren, die sich ins Gebiet der Wirtschaft- und Sozialpolitik vorwagen und pauschal immer nur mehr Gerechtigkeit einklagen, nur wünschen kann. Texte wie dieser (http://www.libinst.ch/publikationen/LI-Artikel-Nef-Reichtum.pdf) von Robert Nef aus der Schweiz, reformierter Christ, werden nicht zufällig in der säkularen NZZ abgedruckt; den frommen Medien ist so eine Position ja wohl nicht mehr zumutbar. Es sollte in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen werden, dass z.B. der „Spiegel“ eine extra-Redaktion zur inhaltlichen Kontrolle aller Texte unterhält: jeder Artikel wird penibel… Weiterlesen »
“I never read the papers. Why does anyone? They’re nearly all lies…”, so C.S. Lewis in einem Brief kategorisch. Heute gilt dies sicher nicht mehr.
Stimmt! Das „nearly“ muss man heute streichen! 🙂
Wenn man das ernst nimmt, was Steingart postuliert, dann hat CS.Lewis wohl nach wie vor recht! Und der Euphemismus, der deutsche Journalismus stehe „gar nicht so schlecht“ da, relativiert sich ja: Man muss sich nicht nach unten orientieren, pflegte meine Schwiegermutter ihren Kindern zu sagen.