Türkei

Religionsfreiheit

Türkei: Aktive Christen unerwünscht

Der erneute Einmarsch der Türkei und mit ihr verbundener islamistischer Milizen in Syrien ist mit ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen, insbesondere der Vertreibung von Kurden, Christen und Jesiden im türkischen Nachbarland verbunden. Fast unbemerkt „reinigt“ die Regierung Erdoğan aber auch das türkische Inland von Christen und anderen Minderheiten. Ausweisungen und Einreiseverbote für engagierte Christen nehmen ein immer größeres Ausmaß an, berichtet die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM).

Seit Beginn 2019 sind bereits insgesamt 25 Personen ausgewiesen worden, die inoffiziell als Bedrohung für die nationale Sicherheit dargestellt werden. Hinzu kommen Ehepartner und weitere Familienangehörige, so dass allein in diesem Jahr bereits 60 bis 70 Personen Opfer dieser Politik geworden sind. Die Opfer sind Ausländer, die sich zum Teil bereits vor Jahrzehnten in der Türkei niedergelassen hatten und die in ihren türkischen Gemeinden als besonders aktiv gelten. Sie stammen aus Deutschland, Großbritannien, Finnland, USA, Neuseeland, Kanada und Australien. Die meisten Betroffenen erfuhren von ihrer Ausweisung bei einer Ausreise aus dem Land, manche auch erst bei der Wiedereinreise.

„Die Religionsfreiheit einschließlich des Rechts auf Mission wird in der türkischen Gesetzgebung garantiert. Eine Ausweisung von missionarisch aktiven Gläubigen ist rechtswidrig. Die Anschuldigung, die Betroffenen seien eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit, ist lächerlich und empörend“, erklärt Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der IGFM. 

Die Ausgewiesenen sind in der Türkei integriert. Die allermeisten lebten und arbeiteten im Großraum Istanbul, Ankara und Izmir. Sie haben dort Familien und Beruf, besitzen Häuser oder haben Kinder in Ausbildung. Sie haben sich nie etwas zu Schulden kommen lassen, sind teilweise sogar Arbeitgeber für Einheimische. Die Ausgewiesenen erhalten gleichzeitig ein Einreiseverbot. Die türkische Regierung gibt keine schriftliche Erklärung ab, warum die Betroffenen plötzlich eine Bedrohung darstellen und ihnen der Code „N-82“ oder „G-82“ zugeordnet wird, der faktisch als Einreiseverbot wirkt. Etliche ausgewiesene Christen haben gegen diese Anordnung der Behörden Klage eingereicht.

Dazu IGFM-Sprecher Lessenthin: „Es ist notwendig, dass Vertreter der Bundesregierung diese Gerichtsverfahren, die ihr allesamt bekannt sind, beobachten und dafür Vertreter der Botschaften und Konsulate zu den Gerichtsverhandlungen entsenden. Das Auswärtige Amt sollte von der türkischen Regierung Erklärungen fordern, weshalb der Code N-82 oder G-82 angewendet wird.“

Die Serie der Ausweisungen begann im Juli 2017 und hat 2019 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Es gibt bei diesen ausgewiesenen Personen keine Gemeinsamkeiten, außer der, dass sie alle protestantische Christen sind, die aktiv im Gemeindeleben stehen oder/und evangelistisch tätig sind.

Politik, Religionsfreiheit, Religionswissenschaft

Türkei: Islamstaat nicht nur Staat der Muslime

Nachfolgend veröffentliche ich einen anonymen Gastbeitrag, der Einblick in die aktuelle Islamdebatte innerhalb der Türkei gewährt. Er fasst Äußerungen des Islamgelehrten Hayrettin Karaman zusammen, die kürzlich in einer dem Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nahestehenden Tageszeitung publiziert wurden.

Der Islamstaat nicht nur Staat der Muslime

Hayrettin Karaman ist ein türkischer Islamgelehrter. Neben seiner Lehrtätigkeit und zahlreichen Veröffentlichungen schreibt er regelmäßig eine Kolumne für die türkische Tageszeitung „Yeni Şafak“ (wörtlich: Neue Morgendämmerung). Die „Yeni Şafak“ ist bekannt für ihre Nähe zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und der Regierungspartei AKP („Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“). Beiträge von Hayrettin Karaman sind aber bei der Analyse des türkischen Zeitgeschehens vor allem deshalb bedeutsam, weil er als einer der islamischen Gelehrten gilt, auf dessen Meinung zu aktuellen und grundsätzlichen Themen Präsident Erdoğan hört.

In seiner Kolumne in der „Yeni Şafak“ vom 22. Oktober beschäftigt sich Karaman unter der Überschrift „Das Ziel des Islam ist es nicht, die Umma zu spalten, sondern sie zu integrieren“ mit der Frage, ob es aus islamischer Sicht mehrere islamische Staaten geben solle. Für ihn steht die Antwort fest: „Wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind, wird die Umma ein einziger Staat sein und alle Muslime werden Untertanen dieses Staates sein.“

Neben einer Begründung dieser Hauptthese und der Diskussion darüber, wie diese Frage heute anzugehen sei, weil die „Voraussetzungen“ eben noch nicht gegeben seien, geht Karaman in einem Satz auch auf das Schicksal der Nichtmuslime in einem solchen islamischen Staat ein: „Wie wir schon oft zum Ausdruck gebracht haben, ist der Islamstaat nicht nur ein Staat der Muslime. Im Falle dass die Nichtmuslime (ihn) akzeptieren, werden sie eine einfache Steuer bezahlen, ihren Status bewahren und dadurch zu Staatsbürgern und zu Inhabern von Menschenrechten werden.“

Bei der angesprochenen Steuer geht es um die aus frühislamischer Zeit bekannte und auch im Osmanischen Reich, dem Vorgänger der Republik Türkei, lange Zeit angewandte „Kopfsteuer“, die speziell von Nichtmuslimen erhoben wird. Den „Status bewahren“ spielt vermutlich auf den Schutz an, den solche islamischen Staaten Juden und Christen gewährt haben, solange diese sich mit ihrem Stand als „Bürger zweiter Klasse“ zufrieden gaben und gewisse Sonderregeln einhielten, zu denen auch der unbedingte Verzicht auf Mission unter der muslimischen Mehrheitsbevölkerung gehörte.

Abgesehen von der vielleicht für manchen westlichen Beobachter verblüffenden Tatsache, dass in der lange als laizistisches Modell geltenden Türkei heute der ideale Islamstaat diskutiert wird, wirft die Bemerkung des Islamprofessors ein bezeichnendes Licht auf ein unter führenden Islamisten verbreitetes Verständnis der Menschenrechte. Menschenrechte werden nicht gemäß dem westlichen Verständnis als jedem Menschen von Anfang an eigene und unveräußerliche Rechte gesehen. Vielmehr vergibt der (islamische) Staat diese Rechte quasi als Gunstgewährung für ein den islamischen Regeln entsprechendes Wohlverhalten.

Wenn also heute weltweit über Menschenrechte gesprochen wird, kann man ohne genaue Begriffsbestimmung leicht aneinander vorbeireden.

Religionsfreiheit

Türkei: Gefährdung der Religionsfreiheit und der Sicherheit

Der gescheiterte Putschversuch vom 15. Juli 2016 und die darauf folgenden Maßnahmen der Regierung haben den türkischen Staat und die türkische Gesellschaft erschüttert. Der Putschversuch richtete sich gegen normale Bürger, die gewählte Regierung und Schlüsselinstitutionen der Demokratie, und wurde von den verschiedensten politischen Parteien scharf verurteilt. Sowohl der gescheiterte Putsch als auch die in der Folge getroffenen Maßnahmen haben langfristige Auswirkungen auf die verantwortungsvolle Staatsführung, Religionsfreiheit, Sicherheit und auf die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft.

Als Drahtzieher des Putsches wird die Gülen Bewegung gesehen, an deren Spitze der im selbstgewählten Exil lebende sunnitische Kleriker Fethullah Gülen steht. Die Regierung beschuldigt diese Bewegung, die Justiz, das Bildungssystem und mehrere Ministerien unterwandert zu haben. Der Putschversuch wird als der jüngste Versuch der Gülen Bewegung, die Kontrolle im Staat zu übernehmen, dargestellt. Bisheriger Höhepunkt der Spannungen zwischen der Regierungspartei AKP und der früher mit ihr verbündeten Gülen Bewegung waren die von Gülen im Dezember 2014 erhobenen Korruptionsvorwürfe gegen führende AKP Politiker, darunter Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Familie.

Entwicklungen seit dem Putschversuch

Seit dem 15. Juli wurden notwendige rechtliche und institutionelle demokratische Reformen verschoben. Die vom Staat ergriffenen Maßnahmen hatten eine negative Auswirkung auf die Religionsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit. Die Maßnahmen der Regierung, insbesondere im Rahmen des Ausnahmezustandes, haben den rechtlichen Rahmen zum Schutz der Menschenrechte in der Türkei beschädigt. Weitgehende Veränderungen im Justizsystem, die bereits vor dem Putschversuch eingesetzt haben, haben danach die religiös-nationalistische Position in gesellschaftlichen Fragen noch verstärkt.

Die von der türkischen Menschenrechtsstiftung und anderen Organisationen gesammelten Beweise für Misshandlungen in der Haft, insbesondere beim Vorgehen gegen die mutmaßlichen Putschisten in der ersten Phase nach den Ereignissen vom 15. Juli, bzw. generell im Südosten der Türkei, zeigen, dass eine unabhängige Überwachung der Umsetzung der internationalen Menschenrechtsverpflichtungen durch die staatlichen Institutionen dringend erforderlich ist. Die vollen Auswirkungen der aufgrund von Notstandsverordnungen des Staates ergriffenen Maßnahmen, wie etwa der Absetzung von Richtern und sonstigen Personals des Staatsapparats, Schließung von Universitäten, Vereinigungen und Fernsehstationen und des Verbots von Zeitungen auf den Gesamtzustand der Demokratie sind noch nicht absehbar.

Durch diese Maßnahmen wird die Einhaltung der bindenden internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte durch den Staat weiter erschwert.

Diese Entwicklungen schaden der Sicherheit, sowohl des Staates, als auch der Gesellschaft  insgesamt, wie diese in den Verpflichtungen der Regierung im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) festgeschrieben sind. In der Charta von Paris für ein neues Europa heißt es: „Menschenrechte und Grundfreiheiten sind allen Menschen von Geburt an eigen; sie sind unveräußerlich und werden durch das Recht gewährleistet. Sie zu schützen und zu fördern ist vornehmste Pflicht jeder Regierung. Ihre Achtung ist wesentlicher Schutz gegen staatliche Übermacht. Ihre Einhaltung und uneingeschränkte Ausübung bilden die Grundlage für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden“.

Die Justiz

Es gibt schon seit längerer Zeit Anlass für Zweifel an der Fähigkeit der Justiz, Schutz gegen Verletzungen der Religionsfreiheit oder anderer Grundfreiheiten zu bieten. Die Politisierung der Justiz reicht viele Jahre in die Vergangenheit vor der Gründung der AKP im Jahr 2001. Seit 15. Juli 2016 behauptet die Regierung, eine Organisation namens FETÖ (Gulen „Terrororganisation“) hätte die Justiz unterwandert und nimmt dies zum Anlass, gerichtliche Entscheidungen aus der Vergangenheit anzuzweifeln. Seither wurden über 2.700 Richter abgesetzt und insgesamt ca. 80.000 Beamte aus allen Bereichen der Verwaltung entfernt. Diese Tatsache und das Vorgehen der Regierung bei der Ernennung neuer Richter wird zweifellos eine Auswirkung auf zukünftige Entscheidungen im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit und anderen Grundfreiheiten haben. Gerechtigkeit und Unabhängigkeit der Justiz bilden wesentliche Voraussetzungen für den Schutz der Grundfreiheiten.  Doch die Existenz einer gerechten und unabhängigen Justiz wird schon lange und in vielen Fällen in Zweifel gezogen, von Verfahren über die Rückgabe von Eigentum bis hin zu Mordprozessen.

Das außergewöhnlich lange verzögerte Verfahren im Fall der brutalen Morde an drei Christen in Malatya am 18. April 2007, ein Urteil erging erst am 28. September 2016, illustriert diese Problematik in drastischer Weise. Die fünf Angeklagten wurden des vorsätzlichen Mordes für schuldig befunden und zu je drei Mal lebenslänglich verurteilt. Doch alle fünf Mörder wären bis zur Berufungsverhandlung vor einem höheren Gericht lediglich unter routinemäßiger Überwachung auf freiem Fuß geblieben, hätte nicht die Staatsanwaltschaft Berufung wegen Fluchtgefahr ins Ausland eingelegt. Daher wurden die fünf am Abend nach der Urteilsverkündigung verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Weiters ergingen Schuldsprüche gegen zwei Gendarmen wegen Straftaten im Zusammenhang mit den Morden von Malatya. Allerdings wurde keiner der anderen Beamten verurteilt, gegen die starke Verdachtsmomente vorliegen, dass sie an der Anstiftung zu den Morden beteiligt waren. Das Gericht stellte fest, dass die fünf Mörder ihre Verbrechen nicht ohne fremde Hilfe hätten begehen können, war jedoch nicht in der Lage, die beteiligte Organisation zu benennen und ordnete „weitere Ermittlungen“ an.

Religiöser Nationalismus

Die religiös-nationalistische Position der Regierung bezüglich gesellschaftlicher Fragen hat sich seit dem gescheiterten Putschversuch noch verstärkt. In der Nacht des Putschversuchs wies die direkt dem Büro des Premierministers unterstehende Religionsbehörde Diyanet alle 110.000 Imame des Landes an, die Menschen zur Verteidigung der Demokratie aufzurufen. Fast alle Teile der Gesellschaft sprachen sich gegen den Putschversuch aus, auch die nicht Religiösen, nicht-Muslime und Aleviten. AKP und Oppositionsparteien traten am 7. August in einer Kundgebung gemeinsam gegen den Putschversuch auf.

Doch trotz der fast einhelligen Ablehnung des Putschversuchs forciert die Regierung seither eine Kombination aus hanafitisch-sunnitischem Islam und türkischem Nationalismus. Das Eintreten für eine einheitliche türkische religiös-nationalistische Identität schafft schon lange Probleme für die Ausübung der Menschenrechte und lässt auch für die Zukunft wenig Gutes erwarten, wenn Präsident Erdogans Pläne zur Reform des Staatsapparats und des Bildungswesens, einschließlich des Religionsunterrichts, und der Diyanet verwirklicht werden, wodurch – in den Worten Erdogans – Missbräuche der Religion verhindert werden sollen. Auch von einer Registrierungspflicht für religiöse Gemeinschaften ist die Rede, insbesondere im Hinblick auf islamische Bruderschaften. Allerdings wurde in der Türkei bisher keiner Religionsgemeinschaft (einschließlich der islamischen) eine eigene Rechtspersönlichkeit zuerkannt. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht (Richtlinien der OSZE/Venediger Kommission für die rechtliche Stellung von Religionsgemeinschaften).

Die auf Zeiten lang vor dem Putschversuch zurückgehenden Probleme der Türkei im Zusammenhang mit Religionsfreiheit erfordern wesentliche Änderungen der Gesetze und der Praktiken des Staates. Dies umfasst auch die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betreffend die Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen; das Recht, seine Kinder in Übereinstimmung mit der eigenen religiösen oder philosophischen Überzeugung zu erziehen; das Recht, Gottesdienststätten zu errichten; das Verbot der Diskriminierung auf der Grundlage der Religion oder Überzeugung; und das Recht, die eigene Religionszugehörigkeit nicht offenzulegen.

Gefährdung der Sicherheit

Die Sicherheit vor Gewalt ist schon lange ein Problem für viele Religionsgemeinschaften. Der sogenannte „Islamische Staat“ bedroht seit 2015 Aleviten, Christen und Juden. Angeblich vom IS stammende Drohungen wurden per SMS an verschiedene Personen verschickt. Die Vereinigung protestantischer Kirchen forderte die Behörden im September des Vorjahres (2015) auf, auf etwa 100 Morddrohungen zu reagieren, die ihre Pastoren und andere per SMS oder über die sozialen Medien erhalten hatten. Im Zusammenhang mit diesen Drohungen kam es bisher zu zwei Strafverfahren und die Staatsanwaltschaft, die Kontakt mit einigen protestantischen Kirchen aufgenommen hat, ermittelt offensichtlich in weiteren Fällen. Am Ostersonntag und jüdischem Passa genossen Kirchen und Synagogen in den großen Städten sichtbaren Polizeischutz. Doch außerhalb besonderer Zeiten sind die Gemeinschaften auf sich selbst gestellt. Viele von ihnen können sich keine privaten Sicherheitsdienste leisten.

Bei einem verhafteten IS Verdächtigen fand man Fotos eines alevitischen Bethauses und er gab zu, dass er Teil einer Gruppe war, die einen Bombenanschlag auf diese Gebetsstätte geplant hatte.

Im Südosten der Türkei sind nach zweijährigem Waffenstillstand die Kämpfe mit kurdischen Gruppen wieder aufgeflammt. In Diyarbakir und Mardin wurden Moscheen und Kirchen beschädigt. Die Gläubigen konnten sich zeitweise wegen der Ausgangssperre bis August 2016 nicht versammeln. Wegen der Enteignung von etwa 80 % des Stadtbezirks Sur von Diyarbakir, in dem sich auch Kirchen befinden, im Zuge des Ausnahmezustandes, besteht Rechtsunsicherheit über die Möglichkeit, diese in Zukunft zu nützen. Bisher wurden sie nicht geschlossen. Renovierungsarbeiten haben begonnen.

Die Regierung entwickelt derzeit ihre Politik und Strategien für die Ära nach dem Putschversuch, die sich auch auf die Respektierung der Grundfreiheiten für alle auswirken werden. Daher ist die Einbindung der verschiedensten Gruppen der höchst vielfältigen Gesellschaft der Türkei in diesen Prozess von höchster Bedeutung. Wenn dies geschieht, ist eine Verbesserung der Demokratie und der Respektierung der Menschenrechte in der Türkei möglich.

Quelle: Forum 18, Oslo; Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der Österreichischen Evangelischen Allianz. Mehr Infos hier: www.ead.de.

Gesellschaft, Politik

Kritik am Moscheenverband Ditib wächst

Seit der Putschversuch in der Türkei scheiterte, distanzieren sich immer mehr Politiker vom Islamverband Ditib (Ditib steht für  „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“). Zuletzt hat sich sogar Hannelore Kraft dafür ausgesprochen, den Verband genau zu beobachten. Reinhard Bingener kommentiert diese Entwicklung für die FAZ u.a. mit den Worten:

Wer wollte, der konnte schon lange wissen, dass die Ditib der verlängerte Arm der türkischen Religionsbehörde Diyanet ist, dass ihre Imame in der Türkei ausgebildet und diese von Ankara dafür bezahlt werden, in Deutschland jenen sunnitischen Islam zu predigen, der der amtierenden Regierung gerade passt. Einst war dies ein passiver, zum kemalistischen Laizismus eines Militärstaats passender Islam; heute ist es das islamistisch grundierte Weltbild des Autokraten Erdogan. Im Kern handelt es sich beide Male um eine Theologie, die politischen Zwecken dient. Zugespitzt formuliert: Ankara nutzt die Ditib für eine Ethnopolitik, deren Ziel darin besteht, die Assimilation der in Deutschland lebenden Türken zu verhindern.

Nun konnte das in der Tat jeder wissen, der sich für die Materie interessiert hat. Aber durfte es auch jeder sagen, ohne dafür öffentlichen Widerspruch zu ernten? Ich erinnere mich noch gut an die politischen und medialen Reaktionen auf die Ditib-Kritik von Ralph Giordano. Wenn der jüdischer Schriftsteller darauf verwies, dass Ditib die Integration behindert, stand er ziemlich einsam da. So schrieb beispielsweise damals DIE ZEIT:

Denn Ditib ist nicht irgendein kleiner Moscheeverein, sondern der bundesweite Dachverband von 870 Moscheen. Ditib vertritt einen moderaten Islam und ist eng mit der türkischen Religionsbehörde verbunden. In der Schäubleschen Islamkonferenz gilt Ditib als Pfeiler der Vernunft.

Bekir Alboga, Giordanos Sparringspartner bei dem Streitgespräch, ist Gesicht und Stimme der Organisation. Schon in der Mannheimer Moschee hat Alboga sich einen guten Namen gemacht, indem er als Imam das Gotteshaus für den interreligiösen Dialog öffnete. Der 44-jährige Gastarbeitersohn, der 1980 nach Deutschland kam, engagiert sich seit Jahren gegen häusliche Gewalt, Zwangsheirat und Ehrenmorde. Er lehnt die Burka als unislamisch ab. Alboga vertritt einen auf fromme Innerlichkeit setzenden Sufismus und ist eine treibende Kraft bei der Öffnung der Ditib für die deutsche Öffentlichkeit. Seit Jahren spricht er sich klar und hart gegen Terror im Namen Allahs aus. Bekir Alboga, ein Deutschtürke, der in Heidelberg Islamwissenschaft studierte, hat es nicht verdient, von Ralph Giordano heruntergemacht zu werden, er komme wohl aus »einem Kulturkreis, dem die kritische Methode völlig unbekannt ist«. Es gibt nicht so viele Verbündete bei der Reformierung und Beheimatung des Islams in Deutschland, dass man einen Modernisierer wie Bekir Alboga derart vor den Kopf stoßen sollte.

Religionsfreiheit

Türkei: Mord an Christen ist für Staatsanwälte kein Terror

Am 18. April 2007 hatten fünf junge Männer in der osttürkischen Provinzhauptstadt Malatya drei Christen grausam ermordet und wurden auf frischer Tat von der Polizei festgenommen. Necati Aydın, Uğur Yüksel und der Deutsche Tilmann Geske hatten sich in den Räumen des evangelischen Zirve-Verlages mit ein paar jungen Männern, die Interesse am christlichen Glauben bekundet hatten, über einige Wochen hinweg zum Bibelstudium getroffen. Dies war offenbar nur ein Vorwand, um sich das Vertrauen der späteren Opfer zu erschleichen.

Obwohl die Taten politisch motiviert waren, ließ man den Terrorverdacht jetzt fallen. Deniz Yücel hat für DIE WELT berichtet:

Wer steht in der Türkei unter Terrorverdacht? Zum Beispiel die Anglistin Meral Camci, der Historiker Muzaffer Kaya, die Psychologin Esra Mungan und der Mathematiker Kivanc Ersoy. Sie gehören zu den insgesamt 2212 Wissenschaftlern, die Anfang des Jahres einen Aufruf zum Ende der Gewalt in den kurdischen Gebieten unterzeichnet und damit den Zorn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf sich gezogen hatten. Mehrere Dutzend weitere Unterzeichner verloren ihren Job, gegen einige Hundert dieser Wissenschaftler wurden Disziplinar- oder Strafverfahren eröffnet. Und vier sitzen in Haft. Der Vorwurf: Werbung für eine terroristische Vereinigung.

Keine Terroristen sind in den Augen der Staatsanwaltschaft hingegen die fünf Männer, die im April 2007 in der südostanatolischen Stadt Malatya drei Christen ermordet haben. Wie zunächst die Tageszeitung „Cumhuriyet“ berichtete, hat die Staatsanwaltschaft Malatya in ihrem Schlussplädoyer den Anklagepunkt der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung fallen gelassen.

Die Morde an dem 36-jährigen türkischen Pastor Necati Aydin, dem 32-jährigen türkischen Christen Ugur Yüksel und dem 45-jährigen deutschen Missionar Tilmann Geske hatten für internationales Aufsehen gesorgt. Die Täter waren in die Räume des evangelikalen Zirve-Verlags eingedrungen, hatten ihre Opfer geknebelt, sie an Händen und Füßen gefesselt und schließlich ihre Kehle durchgeschnitten. „Ich gehe fest davon aus, dass die türkischen Behörden alles unternehmen werden, um dieses Verbrechen aufzuklären und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte damals Frank-Walter Steinmeier, wie heute Bundesaußenminister.

Und die Voraussetzungen für eine Ahndung des Verbrechens schienen wirklich günstig, immerhin waren die Mörder noch am Tatort festgenommen worden. Doch es folgte eine jahrelange juristische Farce. Im Jahr 2012 wurde die Anklage mit den Prozessen gegen die vermeintliche Putschistenorganisation Ergenekon zusammengeführt, die mit Billigung der AKP-Regierung von Staatsanwälten aus dem Umfeld der Gülen-Bewegung gegen hochrangige Militärs, aber auch gegen Journalisten, Wissenschaftler und andere Personen des öffentlichen Lebens betrieben wurden. So wuchs die Zahl der Angeklagten im Zirve-Prozess auf 21 Personen, darunter Kommandanten der Gendarmerie in Malatya. Nach einer Gesetzesnovelle, mit der die Dauer der Untersuchungshaft auf fünf Jahre beschränkt wurde, wurden die fünf Attentäter im März 2014 aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt.

Etliche Christen in der Türkei werden neuerdings von der Terrororganisation IS bedroht. Die Bonner Querschnitte weisen darauf hin, dass seit einiger Zeit der christliche Radiosender „radio shema 98.0“ in Ankara massiv bedroht wird, so dass die Polizei anhaltend mit zwei Autos vor der Tür steht. Zeitgleich geriet die protestantische Kurtuluş-Gemeinde, zu deren Arbeitszweigen auch Radio Shema gehört, derart unter Druck, dass vor Gottesdiensten bis zu 50 Polizisten jeden einzelnen Gottesdienstbesucher genau kontrollierten, um etwaige Anschläge zu verhindern. Soner Tufan, Generalmanager von Radio Shema, schrieb: „Bislang haben wir noch nie gesehen, dass uns die Polizei so ernsthaft schützt.“ Auch habe er erfahren, dass der Premierminister der Türkei angeordnet habe, „alles zu tun, um uns zu schützen“.

Auch die anderen evangelischen Gemeinden in der Türkei sind informiert worden, dass der IS mit Anschlägen gedroht habe, weshalb die Polizei mit verstärkten Patrouillen versuchen werde, die Gemeinden zu schützen. Auch das Büro des Bibelkorrespondenzkurses in Istanbul hat in den letzten Monaten verstärk Drohungen vor allem per Telefon erhalten, wie aus Mitarbeiterkreisen bekannt wurde. Auch hier wird vermutet, dass dies aus dem Umfeld des IS kommen könnte.

Aufgrund der aktuellen Situation riefen türkische Pastoren und Leiter die Christen in aller Welt dazu auf, verstärkt für ihre Glaubensgeschwister in der Türkei zu beten.

Politik, Religionsfreiheit

Wohin entwickelt sich die Türkei

Diese Woche finden in Berlin die ersten Deutsch-Türkischen Regierungskonsultationen statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird den türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu mit militärischen Ehren im Bundeskanzleramt empfangen. Die Türkei wird schließlich gebraucht, sowohl bei der Terrorbekämpfung als auch bei der Eindämmung des Flüchtlingsdrangs. Mit 3 Milliarden Euro will die EU der Türkei dafür unter die Arme greifen.

Gleichzeitig spitzt sich die Situation in der Türkei unter der Regierung von Erdoğan immer mehr zu. Längst geht es um mehr als um Beschränkungen der Pressefreiheit. Türkische Intellektuelle warnen vor den Entwicklungen und sehen das Land in den Faschismus abtriften. Nachfolgend ein Beitrag, der direkt aus der Türkei kommt. Der Autor möchte namentlich nicht genannt werden.

Wohin entwickelt sich die Türkei?

Flag of Turkey svgIn der Türkei mehren sich die Stimmen, die vor einem schnellen Abgleiten des Landes in den Faschismus warnen. So spricht Orhan Kemal Cengiz in seiner Kolumne in der englischsprachigen türkischen Zeitung „Today’s Zaman“ vom 15. Januar von „Unverkennbaren Anzeichen faschistischer Tendenzen“. Hier der Artikel (allerdings auf Englisch): www.todayszaman.com.

Orhan Kemal ist Anwalt und Menschenrechtsaktivist. In der Vergangenheit hat er oft die kleinen evangelisch-türkischen Gemeinden des Landes juristisch vertreten. Im noch andauernden Prozess gegen die Mörder von drei Christen im osttürkischen Malatya im April 2007 hat er sich mit mehreren Anwaltskollegen unentgeltlich für die Christen um Aufdeckung der Hintergründe dieser Morde bemüht.

Was den eher besonnenen Cengiz bewegt, nun von eindeutig „faschistischen Tendenzen“ der derzeitigen türkischen Machthaber zu warnen, ist eine beispiellose Hetzkampagne gegen über 1000 türkische Akademiker. Vor einigen Tagen hatten sie in einem öffentlichen Aufruf das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte im Osten des Landes scharf kritisiert und zu Friendensverhandlungen mit den Kurden aufgerufen. Der türkische Präsident hat seitdem wiederholt diese Akademiker öffentlich beschimpft und bedroht und in Überschreitung seiner verfassungsmäßigen Aufgaben sowohl die Leitungen der Universitäten als auch die Justiz zum Einschreiten aufgefordert. So widmete er zum Beispiel in seiner ersten Rede nach dem Selbstmordanschlag von Istanbul rund 40 Sekunden der Mordtat, aber rund 10 Minuten seinem Entsetzen über die Wissenschaftler.

Unmittelbar danach eröffneten Staatsanwälte Strafverfahren gegen zahlreiche der Professoren und Dozenten. Einige wurden verhaftet und manche dabei direkt aus der Universität abgeführt. Sondereinheiten der Terrorbekämpfung führten Hausdurchsuchungen bei einigen der Unterzeichner des Aufrufes durch. Universitäten leiteten Verfahren zur Amtsenthebung von Professoren ein. Studentische Gruppen hefteten Drohbotschaften an die Bürotüren von Professoren. Der in der Vergangenheit als Mafiaführer rechtskräftig verurteilte, aber nun für seine Nähe zum türkischen Präsidenten bekannte Sedat Peker, bedrohte in einer öffentlichen Erklärung die Akademiker. Seine Erklärung gipfelte in der Ankündigung, man werde „sich mit dem Blut der Unterzeichner duschen“.

Auch einige der wenigen verbliebenen oppositionellen Zeitungen, die „Cumhuriyet“ („Republik“), titelt am 16. Januar „Tritte des Faschismus“. Der für sein demokratisches Engagement bekannte Chefredakteuer der „Cumhuriyet“, Can Dündar, sitzt seit fast zwei Monaten zusammen mit seinem Kollegen Erdem Gül in Untersuchungshaft, weil er über zweifelhafte Waffenlieferung des türkischen Geheimdienstes nach Syrien berichtet hat. Die „Cumhuriyet“ befürchtet, dass nach Entlassungen und Verhaftungen von unliebsamen Journalisten auch die jetztige Kampagne gegen Akademiker nicht der letzte Schritt sein wird. Direkt neben der Warnung vor dem Faschismus druckt sie das bekannte Zitat des deutschen Pastors Martin Niemöller ab, das er im Rückblick auf die Nazizeit geäußert hat:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Religionsfreiheit

Nochmal: Wo sind die türkischen Christen?

Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu hat im Gespräch mit der FAZ seine Sorge darüber offenbart, dass PEGIDA in Deutschland eine exklusive christliche Gesellschaft wolle.

Die Aussagen des Regierungschefs sind in mehrfacher Hinsicht problematisch. Nimmt er nicht wahr, dass sich Deutschland (einschließlich der Kirchen) zunehmend säkularisiert, wir also meilenweit von einer Re-Christianisierung entfernt sind? Es ist selbstverständlich ein völliger Missgriff, die merkwürdig verschwommene Bewegung PEGIDA mit der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zu vergleichen (Bitte hier keine Diskussion über PEGIDA starten. Ich kann es nicht mehr hören). Und: Was Ahmet Davutoglu interessanterweise verschweigt oder verdrängt, ist die Tatsache, dass vor knapp 100 Jahren der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung in der Türkei bei 30 Prozent lag. Heute sind nur noch ca. 0,2 Prozent der in der Türkei lebenden Menschen Christen.

Anlässlich dieser sonderlichen Bemerkung erinnere ich nochmals an den Beitrag der Genozidforscherin Dr. Hofmann über die Entchristianisierung der Türkei: hofmann_auszug.pdf

Religionsfreiheit

Türkei: Mordangeklagte von Malatya auf freiem Fuß

Nachfolgend gebe ich eine Presseerklärung der Vereinigung Protestantischer Kirchen (Türkei) vom 08. 03. 2014 zum Malatya-Mord-Prozess wieder (Türkisches Original: haber.sat7turk.com):

Der 18. April 2007 ist für die in der Türkei lebenden protestantischen Christen ein sehr schwerer Tag gewesen. An jenem Tag wurden die Mitarbeiter des Zirve-Verlags Necati Aydin und Ugur Yüksel sowie der Deutsche Tilman Geske, nur weil sie Christen waren, von fünf jungen Männern unter schwerer Folter und letztlich durch Aufschneiden der Halsschlagadern grausam ermordet.

Die gesetzliche Neuregelung in Bezug auf die Freilassung von Angeklagten, deren Haftzeit fünf Jahre überschreitet, ist zur Ursache einer fürchterlichen Ungerechtigkeit geworden. Die nach dem Massaker im Zirve-Verlag vom 18. April 2007 seit 7 Jahren inhaftierten und vor Gericht stehenden fünf des Mordes angeklagten Män ner, wurden aufgrund dieser Neuregelung gestern Nacht freigelassen. Im bei der letzten Verhandlung vom Staatsanwalt vorgetragenen Plädoyer hatte er für die Mordangeklagten vier mal erschwerte lebenslängliche Haft gefordert. Die jetzt freigelassenen Mordangeklagten hatten während des Prozessverlaufs mehrfach die Familien der Toten, Aktivisten von Menschenrechtsorganisationen, Pressevertreter und Anwälte in schwerster Form bedroht. Dadurch sind die Bedrohten nun in großer Spannung.

Die Freilassungen haben bei den Christen zu großem Bedauern und zum Verlust des Glaubens an die staatliche Gerechtigkeit geführt.

Seit 7 Jahren hat nicht nur die türkische Öffentlichkeit, sondern die Weltöffentlichkeit den Abschluss dieses Prozesses mit großer Geduld erwartet. Die Bemühungen der Anwälte, die sich seit Beginn des Prozesses mit großer Opferbereitschaft für die Gerechtigkeit eingesetzt haben, und der Menschenrechtsorganisationen sind mit einem Schlag zunichtegemacht worden. Durch diese Freilassungen hat der Prozess einen schrecklichen Rückschlag erlitten. Nicht nur die Christen, sondern alle Türken, die auf ihr Gewissen hören, haben erwartet, dass in diesem Prozess Gerechtigkeit geübt wird. Daher hat nun das Gewissen der Türkei Schaden erlitten. Die Mordverdächtigen können sich plötzlich ungehindert in der Gesellschaft bewegen. Wer wird die moralische Verantwortung für diese entsetzliche Entscheidung tragen? Was noch wichtiger ist: Wer wird den hohen Preis für die sehr wahrscheinlichen neuen Taten der Mordverdächtigen zahlen?

Als Christen der Türkei haben wir die Entscheidung für die Freilassung mit großem Schmerz wahrgenommen. Man kann es vielleicht ertragen, dass die Gerechtigkeit seit 7 Jahren verzögert wurde, aber welches Gewissen kann es ertragen, dass die Gerechtigkeit vernichtet wird? Als christliche Staatsbürger sind unsere Sicherheit und die Sicherheit unserer Familie in großer Gefahr. Wir verfolgen die weiteren Entwicklungen mit großem Entsetzen.

Wir rufen die Regierung der Türkischen Republik, den Staat und alle Rechtsorgane angesichts dieser Bedrohung und Gefahr dazu auf, umgehend ihre Pflicht zu tun. Wir erwarten, dass sie gegen diese unsensible und ungerechte Entscheidung umgehend einschreiten.

Während dieser in unserem Land sehr bedrängenden Tage ist es unser flehender Ruf, dass die Gerechtigkeit zum Zuge kommen möge. Wir erklären hiermit vor der Presse und der Öffentlichkeit, dass wir uns unermüdlich weiter dafür einsetzen werden, dass die Gerechtigkeit zum Zuge kommt.

Religionsfreiheit, Religionswissenschaft

Türkei: Polizei vereitelt Mordplan gegen Pastor

Am 15. Januar verhaftete die türkische Polizei 14 Verdächtige, die offensichtlich geplant hatten, Emre Karaali (33), den Pastor der protestantischen Kirche von Izmit, zu ermorden.

Emre , ein ehemaliger Muslim, der zum Christentum konvertiert ist, berichtet, dass zwei der verhafteten Verdächtigen ein Jahr lang am Leben der christlichen Gemeinschaft teilgenommen und vorgegeben haben, Christen zu sein. Einer von ihnen war innerhalb der Gemeinschaft akzeptiert, der andere legte jedoch ein verdächtiges Verhalten an den Tag, stellte viele Fragen und machte Notizen. Vier weitere Verdächtige waren in den letzten drei Monaten zu Veranstaltungen der Gemeinschaft gekommen. Elf der Verdächtigen sind Männer, drei sind Frauen. „Diese Leute haben sich in unsere Gemeinde eingeschlichen, Informationen über mich und meine Familie gesammelt und einen Anschlag auf uns vorbereitet“, sagte Emre. „Zwei von ihnen besuchten unsere Kirche seit über einem Jahr und waren für uns wie ein Teil unserer Familie.“ „Man hat sie in der letzten Minute gefasst“, sagte Hakan Tastan, ein Christ aus Istanbul, bei einem Besuch in Izmit. „Hätte man noch eine Woche zugewartet, hätten wir sie verloren“, sagte er unter Bezugnahme auf den Pastor, seine Familie und andere Mitglieder der Kirche.

Die 14 Verdächtigen hatten personenbezogene Informationen gesammelt, persönliche Urkunden kopiert, Pläne der Kirche und der Wohnung des Pastors angefertigt, und verfügten auch über Fotos von Christen von auswärts, die als Gastprediger in Izmit dienten. Die Polizei nahm die Telefongespräche der 14 Verdächtigen auf und fand bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung eines der Verdächtigen zwei Feuerwaffen. Mitglieder der Antiterrorabteilung der Polizei der Provinz Kocaeli, deren Hauptstadt Izmit ist, nahm die Gruppe fest, als offensichtlich wurde, dass ein Angriff unmittelbar bevorstand. Konkret hatte man in Erfahrung gebracht, dass die Gruppe einen Auftragsmörder aus Diyarbakir im Osten der Türkei nach Izmit gebracht hatte, um die Bluttat auszuführen. Die Polizei gibt keine weiteren Details bekannt, da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Pastor Karaali erfuhr aus der Zeitung von den Verhaftungen und wurde dann von der Polizei vorgeladen, befragt und über das Mordkomplott gegen ihn informiert. Der Pastor beschreibt seine Behandlung durch die Polizei als außergewöhnlich gut. Er berichtet, dass er seit Januar 2012 mit der Polizei in Kontakt steht, als er eine gegen ihn gerichtete Morddrohung anzeigte. „Ich erhielt eine telefonische Morddrohung und die Polizei nahm die Ermittlungen auf“. Pastor Karaali berichtet, dass ihm Polizeischutz angeboten wurde, was er jedoch ablehnte. Doch seine Frau und seine zwei Kleinkinder zogen in ein Wohnhaus mit entsprechendem Sicherheitsstandard. Im Sommer gab es eine zweite telefonische Drohung: „Du redest zu viel, wir hören deine Stimme überall und wir werden dir den Schädel brechen“, sagte der Anrufer. Obwohl der Pastor befürchtet, dass nicht nur die 14 Verhafteten an dem Mordkomplott beteiligt waren, setzt die Gemeinde ihre normalen Aktivitäten fort, selbst die geplante viertägige Evangelisation wurde nicht abgesagt. Izmit ist eine Industriestadt 160 km östlich von Istanbul mit etwa 1 Million Einwohnern. Bekannt wurde die Stadt vor allem durch das verheerende Erdbeben von 1999.

Die protestantische Kirche von Izmit besteht seit 13 Jahren. Es handelt sich um eine Gemeinschaft von 20 ethnischen Türken, alle ehemalige Muslime. Emre und seine Frau dienen der Gemeinde seit 4 Jahren. Er beschreibt die Situation als schwierig, da die Menschen in der Stadt relativ verschlossen sind und es viele radikale Gruppen gibt. Bereits der Vorgänger von Emre Karaali, der Deutsche Wolfgang Haade, hatte während seiner Zeit als Pastor in Izmit Todesdrohungen erhalten. Er stand nach den Morden von Malatya ein Jahr unter Polizeischutz. Der angeklagte Kopf der Mörder von Malatya hatte ausgesagt, dass er geplant hatte, Wolfgang Haade als nächsten zu töten. Der Bund der protestantischen Gemeinden von Istanbul, dem auch die Kirche von Izmit angehört, erklärte am 17. Januar gegenüber der Presse: „Mordversuche dieser Art sind ein schwarzer Fleck, den manche vor der Welt über die Türkei bringen wollen. Wir stehen gegen diejenigen, die verschiedene Glaubensrichtungen in unserem Land attackieren. Wir ziehen es vor, die Tugenden der Liebe und Brüderlichkeit hoch zu halten, die das Herz der Toleranz sind.“ Emre Karaali beabsichtigt, seinen Dienst als Pastor fortzusetzen: „Vor zwei Jahren habe ich wegen meiner Krankheit fast mein Leben verloren, doch der Herr hat mich zurück ins Leben gebracht und er hat das jetzt wieder für mich getan“, sagte er. „Er schützt uns, deshalb glauben wir, dass der Herr eine Aufgabe für uns hat. Wir haben unser Vertrauen nicht verloren. Im Gegenteil, wir spüren, dass der Herr mit uns ist, denn er hat nicht zugelassen, dass das (der Mord) passiert und wir werden weiterhin tun, was Gott von uns will. Wir werden weitermachen.

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Quelle: Morning Star News (ehemals Compass Direct) Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der Österreichischen Evangelischen Allianz

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